Eine Motorradtour in die Müritz überrascht mit herrlicher Landschaft, versteckten Straßen und kaum bekannten Sehenswürdigkeiten. Wo sollte man hinfahren?
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Fridays for Fish
Manchmal sind es glückhafte Verquickungen, die mich auf die Straße treiben: Der Tacho zeigt noch überflüssige Restkilometer bis zur Inspektion, das Wetter paßt einigermaßen und mein Strohwitwerdasein verdrängt sinnvollere Tätigkeiten aus dem Hinterkopf. Dazu ist noch Freitag, an dem bei uns klassischerweise Fisch auf den Tisch kommt.
Diese Tradition so einfach brechen? Nein, kommt gar nicht in Frage. Deshalb hole ich mir heute meinen Fisch dort ab, wo er am frischesten ist: am Seeufer. Auf der vollgekrümelten Landkarte unter meinem Frühstücksteller lacht mich ein lang gezogener blauer Fleck an. Die Müritz, mit 112 Quadratkilometern nach dem Bodensee das zweitgrößte deutsche Binnengewässer. „Kleines Meer“ bedeutet sein Name im Slawischen. Daß es dort im Lokal und über die Theke leckere Fische aus den klaren Gewässern gibt, weiß ich von früheren Touren her.
Großartige Planungen für meine Motorradtour zwischen Röbel, Waren, Neustrelitz und Fürstenberg erübrigen sich deshalb. Anders als sonst möchte ich heute aber keine Touri-Runde absolvieren, sondern mich von dem überraschen lassen, was ich im Laufe der Zeit an Sehenswertem ausbaldowert habe. Auf geht’s.
In der herrlichen Mecklenburger Endmoränenlandschaft kann man sich durchaus damit abfinden, daß Kurven nicht auf der regionalen Spezialitätenkarte stehen. Aber um Schotter, Sand und Betonplattenwege kommt man nicht herum, wenn man hier in die hintersten Ecken schauen will. Und dort wird es interessant.
Fischessen in Röbel
Meine Strecke führt mitten hinein in die Mecklenburgische Seenplatte. Von Berlin bis Rheinsberg übernimmt freundlicherweise der Autopilot die Navigation. Die Hände liegen entspannt auf den Griffen, Mensch und Maschine sind auf optimaler Betriebstemperatur.
Am Rheinsberger Schloß lege ich einen kurzen Halt ein, zum wohligen Strecken und für einen Schluck aus der Thermosflasche. Dabei wandert mein Blick hinüber zum Schloß, wo Friedrich II. als Kronprinz seine glücklichste Zeit verbrachte. Verständlich, an diesem traumhaft schönen See.
Hinter der brandenburgischen Grenze tauche ich dann in das Dickicht der Wälder ein, die den Fleckenteppich größerer und kleinerer Seen durchziehen. Nach der Feriensaison und dazu noch an einem Werktag gehört dieses Revier ganz alleine mir – und dem hier reichlich vorhandenen Wild natürlich. Also aufpassen, die Brunftzeit naht.
Hinter Mirow regt sich in mir das wohlige Gefühl eines gesunden Appetits. Deshalb noch ein paar beherzte Gasstöße, und eine Viertelstunde später stehe ich in Röbel am Ufer der Müritz, meinem ersten Ziel.
Eine freundliche Verkäuferin reicht mir einen frisch geräucherten Bachsaibling über die Theke, den ich genußvoll auf einer Uferbank verspeise. Zwei weitere Kaventsmänner finden ihren Weg in meinen Tankrucksack. Auf meiner weiteren Tour erringen sie Anspruch auf das Prädikat, die wohl schnellsten Fische Deutschlands zu sein. Fridays For Fish.
Wohl gesättigt und guter Dinge umrunde ich den See, um mich in dem historischen Uferstädtchen Waren etwas näher umzusehen.
Tradition und Technik in Waren (Müritz)
Mein erstes Ziel ist gegenüber dem Bahnhof das Werksgelände der Firma Mecklenburger Metallguß GmbH, des weltweit renommiertesten Herstellers von Schiffspropellern bis zu 160 t und einem Durchmesser von bis zu 11,60 m. Ob Containerschiffe, Tanker, Massengutfrachter oder Kreuzfahrtschiffe – Schiffspropeller aus Waren (Müritz) pflügen durch alle Weltmeere.
Auf dem Gehweg vor dem Firmenzaun mache schiebe ich die Maschine auf den Ständer und bestaune die riesigen messingglänzenden Teile, die offen und verpackt zur Auslieferung in alle Welt bereitliegen. Technikfans sollten sich diesen Anblick nicht entgehen lassen.
Auf der Fahrt zum Hafen mache ich am Müritzeum halt, einem großen multimedialen Erlebniszentrum. Was mich (heute) hier besonders interessiert, sind nicht die naturkundlichen Präsentationen, sondern das Äußere dieser eleganten architektonischen Struktur.
Um dem Bau eine besondere optische Wirkung zu verleihen und die Außenwände auf natürliche Weise zu konservieren, wurde die traditionelle japanische Yakisugi-Technik angewendet: Lärchenbretter wurden in einem speziellen Verfahren über offenem Feuer angekohlt und dadurch vor Feuchte und Schädlingen geschützt. Interessant, so etwas aus der Nähe anzuschauen und anzufühlen. Die Möglichkeit dazu gibt es in Deutschland nur recht selten. Ein kurzer Halt lohnt deshalb auf jeden Fall.
Homer in der Mecklenburgischen Seenplatte
Mein nächstes Ziel liegt nördlich von Waren, Richtung Rostock, mitten in der mecklenburgischen Prärie. Wer schon einmal etwas von Sommerstorf gehört hat, der stammt entweder von hier oder er hat ein Faible für Altertumskunde. Ich mache einen Abstecher hierher, um einen Blick auf das Geburtshaus von Johann Heinrich Voß (1751 – 1826) zu werfen.
Ihm verdanken wir ein umfangreiches Übersetzungswerk griechischer und lateinischer Dichtung. Nach meinem Geschmack ist die Sprachkraft und Bildhaftigkeit seiner Homer-Übertragungen auch heute noch ergreifend. Es bleibt sein Verdienst, „den Deutschen das Tor zur Antike aufgestoßen“ zu haben. Erstaunlich, wie man aus einem abgelegenen 80-Seelen-Kaff den Weg in die große Literatur schaffen kann.
Trojaner in der Müritz
Mein nächster Besuch gilt dem Kaufmann, Archäologen und Troja-Ausgräber Heinrich Schliemann, der vor 200 Jahren (5. Januar 1822) in Ankershagen geboren wurde. In seinem Elternhaus las er die Homer-Übersetzungen von Voß, der hier als Hilfslehrer angestellt gewesen war. Voß war es, der ihn auf die Spur der untergegangenen Stadt Troja gebracht hat. Das hölzerne trojanische Pferd auf dem sehr schön hergerichteten Museumsgelände erinnert daran.
Ab Mai 2022 zeigt das Neue Museum in Berlin eine hervorragend sortierte Schliemann-Ausstellung. Dann steht meine Maschine zum vierten Mal an einem Erinnerungsort des Archäologen: an seinem Geburtshaus, am Puschkin-Museum in Moskau (wo ich mir mit der seinerzeitigen Direktorin den Schatz des Priamos ansehen konnte), vor seinem Stadtpalais in Athen und dann auf der Berliner Museumsinsel. Fehlt nur noch Troja selbst. Aber eine Tour dorthin wird sich vielleicht noch einrichten lassen. Vorerst muß aber die Müritz genügen.
Der Streckenabschnitt von Waren „über die Dörfer“ nach Ankershagen und weiter nach Neustrelitz ist der schönste und abwechslungsreichste meiner gesamten Motorradtour durch die Müritz. Kurvenreiche Straßen in einer hügeligen Endmoränenlandschaft, ehrwürdige Alleen, von dichtem Buschwerk gesäumte Straßen – das hat was. Fast wie die schmalen country lanes in England. Trotz aller verlockenden „Geheimstrecken“, die es in dieser Gegend sonst noch gibt, verzichte ich darauf, diese zu fahren. Schließlich möchte ich gerade in einem sehr sensiblen Naturschutzgebiet als Motorradfahrer nicht unangenehm auffallen.
Heimweg nach Berlin
Wenn ich schon mal die Müritz mit dem Motorrad durchstreife, nehme ich noch den östlichen Teil der Mecklenburgischen Seenplatte mit: Von Neustrelitz aus geht es an Seen entlang und durch Wälder nach Wesenberg und nach einem Schlenker über Priepert nördlich von Fürstenberg (Havel) auf die B 96. Gerade dieser Abschnitt fährt sich herzerwärmend schön, selbst wenn das Tourenwetter nicht so recht mitmachen möchte.

Manchmal braucht man ein gesundes Kreuz und ein sauber eingestelltes Fahrwerk.
Nach 240 km habe ich dann aber doch genug von Kurven, Seen und Wäldern. Denn eigentlich wollte ich ja nur mal kurz zum Fischessen fahren … So lasse ich mich auf der B 96 gelassen süd- und heimwärts rollen, wohl wissend, daß Langsamfahrer und Kolonnen für Unsereinen kein unüberwindliches Hindernis darstellen müssen. Ganz heimlich freue ich mich auf einen frischen Riesling, der eigentlich zu meinem Fischessen in der Müritz gepaßt hätte. Aber er muß bis zu meiner Rückkehr warten.
Fazit
Eine Motorradtour in die Müritz hat – trotz aller Kurvenarmut – besondere Reize durch eine ruhig-schöne Landschaft, versteckte Straßen und kaum bekannte Sehenswürdigkeiten. Wer immer es ermöglichen kann, sollte es nicht bei einer Tagestour belassen, sondern lieber zwei, wenn nicht gar drei Tage einplanen. Ein Abstecher an die Ostsee ist dabei ebenso reizvoll wie eine Runde durch die benachbarte Feldberger Seenlandschaft.
Streckenplan der Motorradtour in die Müritz
Streckenlänge: 295 km. An einem Tag gut fahrbar.
Zum Nachfahren gibt’s hier die zugehörige Datei.
Informationen
https://www.mecklenburgische-seenplatte.de/reiseziele/touristinformationen
Landkarte
ADAC Regionalkarte Blatt 6 Berlin und Umgebung Müritz bis Spreewald 1:150.000
Aktualisiert am 08/05/2022 von Christian