Gibt es so etwas wie eine Typologie eines Motorradfahrers? Eine Annäherung an die Frage im Selbstversuch.
Geschätzte Lesedauer: 3 Minuten
Wie tickt ein Motorradfahrer?
Mit heimlicher Freude registriere ich das Erstaunen von Bekannten darüber, daß wir viel und gerne mit dem Motorrad unterwegs sind. Die Typologie eines Motorradfahrers hatten sie sich wohl anders vorgestellt. Ebenso freue ich mich über das lebhafte Interesse, das unser Hobby im geselligen Kreis erfährt. Die typischen Fragen habe ich – nebst meinen typischen Antworten – im folgenden Fragebogen zusammengestellt:
Fragebogen
So einer wie du fährt Motorrad?
Motorradfahren eröffnet mir eine wunderbare Mischung vieler Dinge, die mich faszinieren: Fahrspaß, Freiheit und Entspannung. Darüber hinaus die Chance, vieles an mir selbst und um mich herum zu entdecken und zu erleben, was mir ansonsten vielleicht verborgen geblieben wäre: die Herausforderung an das eigene Leistungsvermögen, alles Schöne und Interessante am Rande einer Strecke, die ich mit dem Auto vielleicht nicht gefahren wäre. Nicht zu vergessen die lockere Begegnung mit fremden Menschen, die vom Sattel aus sehr viel unkomplizierter ist.
Ist Motorradfahren nicht sehr gefährlich?
Statistisch gesehen ist die Gefahr, mit einem Fahrrad in einen Unfall verwickelt zu werden viereinhalbmal höher als mit einem Motorrad. Andererseits: Der Mut zum Risiko gehört zur Selbstbestimmung des Menschen. In allen Bereichen. Was die Technik anbetrifft: Sie wird halt immer dann besonders gefährlich, wenn man sie nicht sicher beherrscht. Beherrschung ist übrigens ein reversibler Prozeß. Darum sollte man besser mit dem Motorradfahren aufhören, wenn sich dauerhaft Unsicherheiten einstellen.
Was ist für dich am Motorrad am wichtigsten?
Der Motor. Darum heißt es ja auch Motorrad. Ich liebe das organische Zusammenwirken beweglicher Teile. Wie bei einer Schweizer Uhr. Material- und funktionstechnisch ist der Motor ist ein Gesamtkunstwerk des Maschinenbaus.
Welches Motorrad würde dich besonders reizen?
Von den historischen Maschinen sicherlich die Brough Superior SS 100. Glanzvoll und unbezahlbar. In der Gegenwart etwas mit möglichst wenig elektronischem Schnickschnack. Mich reizt das Ursprüngliche.
Welcher Stil spricht dich besonders an?
Zweifellos die Schöpfungen von Massimo Tamburini, besonders die Ducati 916. Außerhalb der Motorradwelt auch Richard Sapper. Beide wegen der schlichten Eleganz ihrer Formensprache.
Hast du einen Lieblingsduft?
Das Fernweh-Gemisch von Meer und Diesel im Bauch einer Fähre, in die ich mit meiner Maschine hineinrolle.

Unverzichtbare Grundstimmung beim Motorradfahren
Was war dein schönstes Tourenerlebnis?
Ein Sonnenaufgang auf dem Col de la Madeleine in Savoyen zum Abschluß einer rasanten Bergfahrt – mit dem Klang der Alpensymphonie von Richard Strauß in den Ohren.
Was war dein schlimmstes Tourenerlebnis?
Daß ein vorzügliches Restaurant, in dem wir gerne gegessen hätten, unerwartet wegen Betriebsferien geschlossen hatte.
Wie stimmst du dich auf einen Tourentag ein?
Bei einem inspirierenden Gespräch mit meiner Frau über die 20 % der kommenden Dinge, die man nicht voraussehen kann, die aber die Würze des Tages ausmachen. Dazu einen Darjeeling Second Flush, begleitet von einem Toast mit selbstgemachter Orangenmarmelade und einem faustgroßen Landei, das ich von meiner letzten Tour mitgebracht habe.
Auf welches Motorradbekleidungsstück in deinem Schrank möchtest du nicht verzichten?
Auf meine 30 Jahre alte Lederjacke von Polo. Unkaputtbar. Gut gepflegt. Mein Lieblingsstück.
In welchem Land würdest du am liebsten leben?
Auch wenn anderswo der Himmel blauer und das Gras grüner sein mag – in Deutschland. Vielleicht auch in Österreich oder der Schweiz.
Schreibst du noch manchmal mit der Hand?
Drei Dinge: Liebesbriefe an meine Frau, Kondolenzbriefe an Trauernde und Skizzen für besondere Texte. Mit dem geerbten Kolben(!)füller meiner Schwiegermutter und Tinte von Rohrer & Klingner aus Zella-Mehlis.
Welche historische/bekannte Persönlichkeit würdest du gerne einmal treffen?
Walter Röhrl zu einer Brotzeit und Martin Heidegger zu einer Schwarzwaldwanderung. Beide hätten wohl einiges zu sagen zum Thema „Zeit“.
Ein Blick in die Zukunft: Würdest du gerne ein Elektrofahrzeug fahren?
Diese Zukunft habe ich schon lange hinter mir: mit dem Autoscooter auf dem Rummelplatz und einem Elektrokarren namens Eidechse, den ich als Werkstudent bei der Post gefahren habe. Das hat Riesenspaß gemacht.
Bereust du etwas?
Non, rien de rien / Non, je ne regrette rien – Wenn man nach den Prinzipien von Epikur lebt, reduziert sich das Leben auf drei Teile: Den ersten hat man von seinen Eltern mitbekommen; der zweite ist Schicksal; und nur den dritten hat man selbst in der Hand. Für eine endgültige Antwort ist es viellelicht noch ein bißchen zu früh.
Aktualisiert am 18/02/2022 von Christian
Lukas Kiermeyr
18. Februar 2022 at 13:59
Servus Christian. Wie darf ich das verstehen. Willst Du mit den Fragen von anderen Fahrern Antworten haben oder ist das nicht so gemeint? Deine Antworten gefallen mir. Ich selbst bin 77 und werde oft entweder bestaunt oder ausgelacht. Ich fahre halt jetzt auf Sicherheit, was nicht heißt, dass ich beim Fahren schlafe. Mich macht das Genießen der Landschaft mehr an als die neueste Kurventechnik. Gefahren bin ich schon in jungen Jahren als Kradmelder, dann als Kradstreife bei der Autobahnpolizei und jetzt privat wieder seit 12 Jahren. Ich wünsche Dir alles Gute und mach weiter mit Deinen Beiträgen, die sind mir sehr wertvoll.
Christian
18. Februar 2022 at 17:32
Lieber Lukas, Antworten auf meine Fragen sind mir immer sehr willkommen, auch wenn der Katalog lediglich zusammenfaßt, was ich selbst im Laufe der Zeit gefragt worden bin. Zwischen den Zeilen wirst Du sicher herausgelesen haben, daß das Motorradfahren für mich im Verlaufe der Pandemiejahre eine ganz neue Bedeutung gewonnen hat. Es ist mir eine wichtige Stütze geworden, die mir über manche Tristesse in dieser Zeit hinweghilft – zumal man ja nicht jünger wird und jeden Kilometer doppelt genießen muß. Dies aber nicht durch sinnloses Herumbrettern, sondern durch eine verstärkte innere Hinwendung zum Motorradfahren, so, wie Du es beschreibst. Alles Gute für fie kommende Saison und viele Grüße, Christian
Jürgen Enkler
18. Februar 2022 at 15:38
Hallo Christian,
um den Gedanken von Epikur und Aristipp zu sagen: Motorradfahren ist für mich Lust. Das Lustprinzip als Gegenpol zu einer Berufswelt, welche immer größere Ansprüche an das individuum stellt. Ich darf noch sechs, sieben oder acht Jahre arbeiten, bis für mich die Arbeitswelt Geschichte ist. Welchen Status das Motorrad dann haben wird, das wird sich zeigen. ich hoffe aber, dass ich dieser Lust dann noch mehr frönen kann. Schrieb nicht schon Nietzsche “ alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ Nein, das Motorradfahren wird Lustfaktor bleiben. Solange ich noch kann!
In meinem Umfeld wird darauf sehr unterschiedlich reagiert: Das Spektrum reicht vom freundlichen Kopfschütteln bis zu neidvoller Zustimmung.
Mir geht es heute nicht mehr um Schräglagen auf Teufel komm raus, mir geht es nicht mehr um den Thrill einer schnellen Autobahnfahrt: Ich weiß nicht einmal, wie schnell meine GS oder meine Thriumph wirklich rennen. Aber es ist eine tiefe Freude, einfach nur zu fahren. Motorrad zu fahren.
Dein Hinweis auf Strauß brachte mich zum Lächeln. Ich hatte mir gleich die Alpensymphonie auf Youtube herausgesucht und laufen lassen. Herrlich! Wenn ich an die Alpen denke, dann assoziiere ich damit Händels „Ankunft der Königin von Saba“. Vor vielen Jahren hatte ich genau das in meinem Headset laufen, als ich an einem frühen Morgen in den französischen Seealpen die Serpentinen genießen durfte. Das zusammen hatte etwas tief Beglückendes. Es ist schon spannend, welche Kraft gute Musik auf unser Empfinden und Erleben haben kann.
Fast jeden gefahrenen Kilometer in meinem Leben kann ich nur mit der von Dir verwendeten Liedzeile der großartigen Piaf bestätigen: „Non, je ne regrette rien!“
Lieber Christian, zu Deiner Homepage kann ich meinem Vorschreiber nur zustimmen: Weiter so! Genau so und nicht anders.
Christian
20. Februar 2022 at 18:53
Lieber Jürgen,
herzlichen Dank für Deine nette, ausführliche Zuschrift, über die ich mich sehr gefreut habe. Zwei Dinge erscheinen mir dabei besonders wichtig: Einmal braucht jeder Mensch ein Paralleluniversum, in dem er angesichts der Belastungen des Alltags und der Arbeit Abwechslung und Erfüllung findet. Wie das geschieht, ist individuell höchst verschieden und kann deshalb ganz unterschiedliche Formen annehmen. Der eine vertieft sich in schöne Musik, der andere hält sich Brieftauben und wartet gespannt auf ihre Rückkehr – oder er fährt Motorrad und taucht jenseits der Garagenausfahrt jedes Mal in eine neue Welt ein. Andererseits: Wenn erst einmal der Theatervorhang gefallen ist und die Arbeitswelt hinter einem liegt, wartet dort eine wunderbare, weil (hoffentlich) unbelastete Motorradwelt. Darauf kannst Du Dich freuen. – Die Königin von Saba kenne ich nur als Bild im Städelschen Museum in Frankfurt. Die Musik dazu muß ich mir noch anhören, und die passende Serpentine dazu suchen.
Viele Grüße und viel Spaß beim hoffentlich baldigen Saisonbeginn,
Christian