Eine Flußüberfahrt ist willkommenes Intermezzo und fahrerischer Glanzpunkt jeder Tourenstrecke. Wo gibt es die schönsten Flußfähren auf der Motorradtour?
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Stadt, Land, Fluss
Dort, wo unsere Tourenstrecke einen Fluß quert, hat der zivilisatorische Fortschritt zwar kühne Brückenkonstruktionen entstehen lassen, uns aber weithin eines besonderen Erlebnisses beraubt: das Innehalten auf der Motorradtour, um mit einer Fähre über das Gewässer zu setzen. Entschleunigung auf dem Wasser als Abwechslung zur Beschleunigung zu Lande. Fähren sind uns überall dort geblieben, wo sich ein teurer Brückenbau wegen des spärlichen Verkehrsaufkommens nicht lohnt. Schön für uns, denn wo kaum Verkehr, da freie Strecke. Ideales Tourenrevier also.
Damit ist der Fährmann heute zu einer eher seltenen Begegnung geworden. Zur ganz persönlichen Begegnung mit einem Menschen, der Fahrer und Maschine sicher ans gegenüberliegende Ufer bringt, von dem aus wir unsere Tour fortsetzen können. In nichts gleicht er dabei seinem mythologischen Urbild Charon, dem „mit den funkelnden Augen“ und dem Aussehen eines abgerissenen Penners, der seine Passagiere über einen der fünf Unterweltströme ins Totenreich brachte. Auch schiebt er uns keinen Obolus unter die Zunge, sondern läßt unsere Euromünze in seine Bordkasse klimpern. Während der Überfahrt plaudern wir noch ein wenig mit ihm, bis sich die rot-weiß gestreifte Schranke an der Uferrampe zur Weiterfahrt hebt.
Dies war unter des Fährmanns Tugenden eine der größten: er verstand wie wenige das Zuhören.
— Aus: Hermann Hesse, Siddharta
Das Übersetzen über einen Fluß ist für mich immer ein besonderes Erlebnis: bedächtig rolle ich auf das Flußufer zu, beobachte vom Anleger aus, wie die Fähre still auf mich zugleitet, plaudere dabei noch ein wenig mit den meist spärlich anwesenden Fahrgästen, um dann mit einem dumpfen Klong-Klong über die Metallrampe an Deck zu rollen. Für ein paar Minuten steht die Welt still und die Maschine sicher auf dem Ständer. Helm ab, Ohrenstöpsel raus, Flußidylle. Ein wohltuendes Intermezzo während der Tourendynamik des Fahrtages.
Meine Favoritenliste
Nachstehend habe ich für euch meine Favoritenliste der schönsten Flußfähren auf der Motorradtour zusammengestellt, samt attraktiven Streckenvorschlägen für ein Tourenerlebnis der besonderen Art:
Oder: Fähre Güstebieser Loose – Gozdowice (Güstebiese)
Die östlichste Fähre Deutschlands ist zugleich das älteste Gefährt dieser Art: der Schaufelraddampfer „Bez Granic“ („Ohne Grenzen“), der die Gemeinden im Oderbruch mit dem polnischen Gozdowice (Güstebiese) miteinander verbindet. Sechs Autos kann der Veteran aufnehmen, oder eine Schafherde, oder, wie so oft, nur ein einzelnes Motorrad und ein paar verlorene Radler. Die Fähre verkehrte schon von 1815 bis 1945. Nach einer Unterbrechung von 60 Jahren und dem Beitritt Polens zur EU wurde 2007 der Fährverkehr wieder aufgenommen. Die Überfahrt über die stille Oder ist ein Erlebnis wie vor einem Jahrhundert.
Informationen: https://www.barnim-oderbruch.de/tourismus/faehrzeiten
Die schönsten Motorradtouren, bei denen man diese Fähre benutzen kann, führen durch das Oderbruch und die polnische Neumark.
Elbe: Fähre bei Arneburg
Zwischen dem Elbsandsteingebirge und Hamburg ist die Elbe wahrscheinlich der deutsche Fluß, auf dem noch die meisten Fähren verkehren. Meine Lieblingsfähre ist die bei Arneburg (Lkr. Stendal, Sachsen-Anhalt). Sie verkehrt bereits seit 600 Jahren und ist damit eine der dienstältesten. Eine altertümliche Gierseilfähre, die allein von der Kraft des Stromes gemächlich und lautlos von Ufer zu Ufer gedrückt wird. Ohne Motor, CO2-frei. Helm ab, Ohrenstöpsel raus und die herrliche Flußlandschaft genießen.
Informationen: https://www.stadt-arneburg.de/verzeichnis/visitenkarte.php?mandat=34376
Diese und die benachbarten Fähren bei Röbel und Sandau lassen sich am besten auf einer Motorradtour auf der Straße der Romanik erleben:
Havel: Fähre bei Ketzin
Noch länger, seit 1305, gibt es bei Ketzin (Lkr. Havelland) eine Fähre über die Havel. Früher wurde über den wurde an dieser Stelle rund 170 m breiten Fluß gerudert. Heute tuckert die „Charlotte“ mit wackeren 30 PS vom Berliner Vorland zum Obstland zwischen Werder und der Stadt Brandenburg. Nicht selten wird bei der Überfahrt das Motorrad von Schafen oder Pferden eingepfercht.
Informationen: https://www.ketzin.de/verzeichnis/objekt.php?mandat=110420
Wer Lust hat, die wohl kleinste Fährverbindung Deutschlands zu besichtigen, muß sich auf den Weg an die Havelquelle machen: In Fürstenberg (Havel) liegt eine alte, allerdings nicht mehr in Betrieb stehende Eisenbahnfähre, die früher nur einen einzigen Wagon über den stillen Fluß trug.
Saale: Fähre Wettin – Löbejün

Flußüberfahrten auf der Tour sind immer ein besonderes Erlebnis, vor allem in landschaftlich reizvoller Umgebung. Hier bei Wettin über die Saale.
Wer es total romantisch mag, plant eine Motorradtour an der Saale entlang und überquert den Fluß bei Wettin. Von der Fähre aus eröffnet sich ein fantastischer Blick auf die Burg, dem Stammsitz des Fürstengeschlechts der Wettiner, die hoch über der Stadt die Flußlandschaft überragt. Nach dem Anlegen in Wettin unbedingt hinauffahren und das tolle Panorama genießen.
Informationen: http://www.xn--fhren-wettin-lbejn-ltb78aje.de/wettin-oeffnungszeiten-preise/
Main: Fähre bei Fahr
Im Maindreieck zwischen Würzburg und Schweinfurt kommen nicht nur Weinkenner und Gourmets auf ihre Kosten, sondern auch Motorradfahrer. Die Roadmap liest sich wie die Weinkarte eines guten Restaurants: Eisenheim, Volkach, Nordheim, Sommerach und wie sie sonst noch alle heißen. Unabdingbar ist dabei ein Übersetzen über den Main hinüber nach Fahr (Lkr. Kitzingen), wo man auf jeden Fall ein Fischessen in einem der urigen Restaurants einplanen sollte. Zu blöd nur, daß mir nie eingefallen ist, diese Tour durch mein Heimatrevier zu beschreiben. Wird nachgeholt, versprochen, sobald die Pandemie vorbei ist und ich in einem der traulichen Weinorte Quartier machen kann.
Informationen: https://www.fahr-am-main.de/mainfaehre.html
Donau: Fähre bei Obermühl (OÖ)
Jenseits der Landesgrenze, aber für einen Bayern noch in vertraut heimatlicher Armosphäre, liegt das oberösterreichische Örtchen Obermühl an der Donau. Was ist wohl romantischer als mit einer kleinen Holzfähre über den Strom zu setzen, der sich an dieser Stelle durch einen bewaldeten Höhenzug zwängt? Für uns war dies ein krönender Abschluß unserer Tour durch den Bayerischen Wald vom Vogtland bis nach Oberösterreich:
Informationen: https://www.oberoesterreich.at/oesterreich-poi/detail/101732/autofaehre-kobling-obermuehl.html
Fazit
Wenn du deine Tourenstrecke so planst, daß sie dich irgendwo über einen Fährübergang führt, winkt dir eine willkommene Unterbrechung: eine gemütliche Ruhepause in schöner Flußlandschaft, eine lockere Plauderei mit anderen Fahrgästen und für ein paar Minuten totale Entschleunigung. Leider fehlen hier vorerst noch Hinweise auf interessante Fähren über Rhein und Mosel. Sie sind den Reisebeschränkungen der Pandemie zum Opfer gefallen, werden aber baldmöglichst nachgeholt, damit meine Liste der schönsten Flußfähren auf der Motorradtour abgerundet wird.
Informationen über Fähren in Deutschland
https://de.wikivoyage.org/wiki/F%C3%A4hren_in_Deutschland
Aktualisiert am 04/11/2021 von Christian
Jürgen
27. Mai 2021 at 10:43
Moin Christian,
das war wieder einmal ein schöner Input für die kreative Tourenplanung. Vielen Dank für den gelungenen Artikel!
Und ich habe noch eine wunderschöne Ergänzung aus dem weiteren Umfeld meiner alten Heimat:
Die handgezogene Fähre „Pünte“ über die Jümme in Ostfriesland bei Leer. In meinen Augen eine der urigsten Fähren Deutschlands. Allein schon dieses Fährerlebnis ist eine Tour wert.
https://www.ostfriesland.travel/sehenswuerdigkeiten/sehenswuerdigkeit/handgezogene-faehre-puente-leer-ostfriesland
https://www.puentenverein.de/
Wenn ich dorthin mit dem Motorrad einen Ausflug mache, dann verbinde ich das immer mit einem zweiten Kuriosum gleich in der Nähe: Eine Fahrt auf der schmalsten Autobrücke Europas bei Amdorf über die Leda, ebenfalls im Landkreis Leer. Hier der Link zu einem kurzen aber vielsagendem Video einer regionalen Tageszeitung:
https://www.youtube.com/watch?v=EmvALd260HI&t=15s
Viele Grüße,
Jürgen
Christian
27. Mai 2021 at 12:26
Hallo Jürgen,
vielen Dank für Deine Hinweise auf weitere lohnende Tourenziele – ein guter Grund, diese Gegend mal näher zu erkunden, sobald es wieder geht.
Viele Grüße und gute Fahrt
Christian
Phil
24. Juli 2021 at 23:27
Hallo Christian,
angeregt durch den Beitrag wollten wir heute, 24.07.2021, die Fähre Oder: Fähre Güstebieser Loose – Gozdowice (Güstebiese) nutzen. Leider vergebens.
Ortansässige Angler sagten, das Fähre seit mindestens Anfang 2020 nicht mehr fährt und vorher ständig kaputt war.
Und sie sagten auch, das „die da oben“ die Fähre nicht mehr wollen.
Traurig…
Phil
30. Mai 2022 at 22:43
Hallo Christian,
die kleine Fähre in Güstebiese hat immer irgendwo im Hinterkopf herumgespukt.
Zu Himmelfahrt habe ich dann bei der Planung mal wieder die Suchmaschine befragt und zack: die Fähre fährt wieder!
https://www.barnim-oderbruch.de/tourismus/faehrzeiten
Christian
2. Juni 2022 at 12:11
Hallo Phil,
ich freue mich, daß der alte Raddampfer wieder im Einsatz ist und Dich auf eine hoffentlich erlebnisreiche Tour mitnehmen konnte.
Viele Grüße
Christian