Entlang der Alleenstraße B 96 besuchen wir Strausse und Schlösser in Brandenburg. Eine abwechslungsreiche Motorradtour abseits des Touristenrummels.
Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten
Tourprogramm: Strasse, Strausse, Schlösser
Strauße im Spreewald? Verwunschene Schlösser in der märkischen Heide? Zu besichtigen bei einer Motorradtour auf der wohl längsten Allee Deutschlands? Dort, wo Kurven im wahrsten Sinne des Wortes „Bückware“ sind, müssen solcherlei Attraktionen als Ersatz herhalten. Le ersatz, wie der Franzose so schön sagt, ist aber motorradtouristisch eine durchaus anständige Entschädigung für entgangene Fliehkraft.
Welche Zielregion peilen wir an? Von Berlin aus immer nach Süden in die Gegend von Luckau oder Łukow, wie es auf Sorbisch heißt. Auf der dortigen Straußenfarm können wir den Riesenvögeln ganz nahe kommen. Und vielleicht auch probieren, wie sie schmecken. Im Anschluß drehen wir eine Runde zum Wasserschloß Fürstlich Drehna bei Calau (dort, wo die blöden Witze herkommen). Auf dem Rückweg machen wir noch Station im toskanischen Park des Schlosses Blankensee.
Für den Hinweg auf der kerzengeraden alten Fernstraße 96 entschädigen wir uns heimwärts mir einer Zickzack-Tour durch das Naturschutzgebiet Nuthe-Nieplitz-Niederung. Wie sieht das aus?
Streckenplan
Berlin – Zossen – Baruth (Mark) – Golßen – Straußenfarm Luckau-Rüdingsdorf – Fürstlich Drehna – Kümmritz – Krossen – Görsdorf – Damsdorf – Wahlsdorf – Petkus – Schönefeld – Schöneweide – Woltersdorf – Märtensmühle – Ahrensdorf – Schönhagen – Blankensee – Siethen – Ludwigsfelde – Berlin. 266 km
Zum Nachfahren gibt’s die Route hier.
Die „Route 66“ der DDR
Die B 96 zu – DDR-Zeiten F96 – war mit 520 km die längste Fernstraße Ostdeutschlands. Für viele stand die „Route 66 der DDR“ zwischen Sachsen und Sassnitz für Ferien, Freiheit und Sehnsucht, aber auch für Heimat und Abenteuer.
Und es dauert nicht lang / Bis die Gedanken verträumt sind / Hier an der B 96.
— Silbermond, B 96
Doch die Zeiten haben die Menschen und ihre Umgebung entlang der Straße verändert. Die einzige Konstante in ihrer 85jährigen Geschichte ist die Zahl 96: Erstmals nummerierten die Planer der Weimarer Republik 1932 alle deutschen Fernstraßen durch. So wurde die Fernverkehrsstraße „FVS96“ geboren. Nach 1933 wurde sie in „R96“ umbenannt, wobei das R für „Reich“ stand. Mit Kriegsende 1945 entfiel der Buchstabe wieder. Dann benannte die DDR ihre wichtigste Hauptverkehrsachse in F96 um. Schließlich wurde aus ihr nach der Wiedervereinigung die B 96.
Wo einst Karawanen zwei- und vierrädriger Zweitakter ihre Bahn zogen, ist die Fahrspur heute so frei, daß ich auf den endlosen Geraden den Tempomat einlege. Aus Vorsicht vor der Rennleitung, aber auch wegen der steten Gefahr des Wildwechsels. Entspannt rauschen wir dahin, bis Golßen, wo wir am Ortseingang rechts in den Schloßpark abbiegen.
Schloß Golßen

Schloß Golßen träumt von einer großen Vergangenheit.
Wie viele einst stolze Schlösser im Osten bietet auch das klassizistische Herrenhaus Golßen heute ein Bild des Jammers. Das Dach ist leck, die Fenster sind vernagelt, der Putz blättert großflächig ab, die ehrwürdigen Bäume kränkeln. Der anmutige Landschaftspark ist zwar in seiner Substanz erhalten, hat aber über die Jahrzehnte seinen gärtnerischen Reiz eingebüßt. Was dabei verloren ging, läßt die Inschrift auf dem Grabmal der früheren Schloßherrin erahnen: „Zwölf Jahre wirckte sie hier segnend und verschönernd. Ihrer gedenke mit Dank, wer ihres Fleisses geniesst.“ Das tun wir, während wir zwischen den Baumriesen umherstreifen und unsere Knochen für die nächste Etappe lockern. Weiter immer geradeaus nach Süden.
Straussenfarm Luckau
Nachdem wir kurz vor Luckau die B 96 verlassen haben, recken sich lange Hälse hinter einem Maisfeld empor. An der Jambo Straußenfarm wird es höchste Zeit, um abzusitzen und auf einen freien Tisch unter einer alten Linde zuzusteuern. Der Imbiß, zu dem wir uns dort niederlassen, ist eher bescheiden: Straußenbratwurst und Straußenburger. Eine neue Erfahrung.
Die Straußenfarm ist eine Art Arche Noah im Spreewald: Hunde und Katzen stellen sich zum Streicheln ein. Drei bulämische Laufenten tanzen Christine an, um die Überreste von ihrem Teller zu ergattern. Schwarze Schweinchen schmuddeln schmatzend im Schlamm. Alpakkas spähen scheu herüber.
Strauße haben ein merkwürdiges Persönlichkeitsbild: Einerseits wirken sie mit ihren langen Wimpern sanft und mit ihren Federn boudoirhaft. Andererseits blicken ihre Knopfaugen jedoch unverhohlen aggressiv. Deshalb ist es kein Wunder, daß sie in der Wildnis selbst von Raubkatzen gemieden werden. Ein Tritt und es ist aus. Trotzdem: Sie aus der Nähe zu erleben ist eine interessante Erfahrung.
Schloss Fürstlich Drehna

Fein herausgeputzt in einem herrlichen Landschaftspark: das Wasserschloß Fürstlich Drehna
Die nächste Etappe ist kurz: zwischen den Seen aufgelassener Tagebaue fahren wir zwischen Luckau und Calau einen Bogen zum Wasserschloß Fürstlich Drehna. Ein blitzblank restaurierter Renaissancebau mit Wassergraben und einem herrlichen von dem berühmten Gartenarchitekten Peter-Joseph Lenné entworfenen Landschaftspark drumherum. Die Aussichtsbank am gegenüberliegenden Seeufer zieht uns in ihren Bann, so daß wir uns kaum wieder erheben wollen. Auf künftigen Touren in die Oberlausitz werden wir hier wieder Station machen.

Schloß Fürstlich Drehna zwischen Luckau und Calau, ein ländliches Idyll weitab von Verkehr und Touristen
Schloss Blankensee
Auf der Rückfahrt wollen wir uns das Schloß Blankensee mit seinem ebenfalls von Lenné entworfenen Park nicht entgehen lassen. Das Schloß ist heute nur für gesellschaftliche Veranstaltungen zugänglich. Aber der öffentliche Park ist alleine schon ein Juwel: Der letzte Besitzer (vor der Enteignung 1945) und seinerzeitige Bestseller-Autor Herrmann Sudermann brachte von seinen Reisen Skulpturen und andere Souvenirs mit, die der Parkanlage ein italienisches Flair verschaffen. Mehrere weiße Brücken führen über die Nieplitz, die zudem zwei Teiche mit Wasser speist. Besondere Schmuckstücke des Parks sind zahlreiche Statuen, ein Rundtempel mit toskanischen Säulen und ein Gartenpavillon, der an eine italienische Loggia erinnert.

Blankensee: Eingang zu einem toskanischen Schloßpark in der Mark Brandenburg

Toskanisches Flair in märkischer Heide: die Loggia im Park des Schlosses Blankensee
Der Unwettergott läuft Amok
Wie befürchtet holt uns am Spätnachmittag das Unwetter ein. Platzregen durchnäßt unsere luftigen Sommerkombis. Geduckt preschen wir im strömenden Regen heimwärts durch leere Landschaften und eisame Dörfer.
Die Tropfen pieken durch die dünnen Sommerhandschuhe. Die Hände legen sich sangt um die Lenkergriffe, um auf den rustikalen Holperstrecken ja keine unnötigen Bewegungen in das Fahrwerk einzuleiten. Das kann uns das aber nichts anhaben, denn auf unseren Touren haben wir schon weit Schlimmeres erlebt.
Neben der Straße rettet ein dumpf dreinblickender märkischer Landmann mit überdimensionalem Gerät sein angefeuchtetes Heu vom Feld. Der Himmel über uns hat die Farbe der Schiefertafel angenommen, auf der ich in der Volksschule Schreiben gelernt habe. In weiter Landschaft rollen wir bei fahlem Zwielicht mutterseelenallein durch die Leere.
Wenn schon naß, dann auch richtig. Unverdrossen pflügen wir durch das Unwetter. Mit ihren Pirelli Angel GT II zieht die FJR stoisch und spursicher ihre Bahn auf der A 115. Die Autos verlieren sich in der Gischt unseres Hinterreifens.
Bis uns im Grunewald dann doch der unholde Wettergott mit einem heftigen Gewitter zum Halt machen zwingt. Sicherheitshalber scheren wir auf die Spinnerbrücke aus und stellen uns unter. In Gesellschaft einer kleinen Gruppe Unentwegter tauschen wir Wetterwitze aus. Christine staubt von einer volltätowierten Holländerin mit Nasenpiercing eine trockene Zigarette ab. Man ist lustig. Eigentlich ist die Welt in Ordnung. Trotz allem. Mit diesem beruhigenden Gefühl kehren wir bei nachlassendem Regen in die heimatliche Garage zurück.
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Aktualisiert am 09/05/2022 von Christian