Eine Motorradtour zum Hutmuseum in Chazelles südwestlich von Lyon kombiniert herrliche Kurvenstrecken mit einem interessanten Kapitel Industriegeschichte.
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Eine Motorradtour zum Hutmuseum
Endlich einmal eine Unternehmung so recht nach dem Geschmack meiner lieben Sozia: eine Motorradtour zum Hutmuseum in Chazelles-s.-L., mitten in der französischen Provinz. Da wir schon öfters einmal eine Motorradtour an die obere Loire unternommen haben, wissen wir, daß die Gegend landschaftlich wunderschön und das Kurvenrevier verlockend ist.
Ein Bekannter hatte uns beim Abendessen vom Musée du Chapeau bei Chazelles-s.-L. vorgeschwärmt. Ein Stück traditionelles Frankreich, in dem es viel zu entdecke gebe. Eine gemütliche Tagestour.
Kopfbedeckungen sind zwar mit Ausnahme von Jagd und Motorradfahren nicht so mein Metier. Aber sei’s drum, die Strecke nach Chazelles fährt sich klasse und bietet herrliche Ausblicke auf die Kette der Westalpen.
Streckenführung der Motorradtour zum Hutmuseum
Lyon – St-Pierre-le-Palud – Chazelles-s.L. – Yzeron – Vaugneray – Lyon. 110 km
Fahrt durch die einsame Provinz
Die Planung steht. Als der Himmel endlich aufreißt, führt uns das Navigationsgerät durch verkehrsarme Gassen aus der Stadt. Wo noch vor einer Woche ärgerlicher Dauerregen meine Kombi durchnäßt hat, winden sich nun trockene Kurven durch den duftenden Mittelgebirgswald.
Später öffnet sich die Landschaft. Dann wird die Strecke wird noch einsamer als bisher. Hier fahren nur noch die Dorfbewohner von Ort zu Ort. Man hat die Straße also für sich. Deshalb bleiben wir auch bei einer Marschpause mit kleinem Picknick ungestört.
Das Provinzstädtchen Chazelles empfängt uns mit ferienzeitlicher Tristesse: Restaurants und Bars sind geschlossen, Geschäfte ohnehin. Auf dem Platz versuchen Jugendliche, ihrer Langeweile Herr zu werden. Umso erfreulicher der freundliche Empfang, den uns zwei junge Damen im Museum bereiten.
Hutmuseumuseum in Chazelles s.-L.
Handwerkliche Hutfabrikation gab es in dieser Gegend schon seit dem 16. Jahrhundert. Mitte des 19. Jahrhunderts begann dann die industrielle Fertigung. Bis zum 1. Weltkrieg hatte sich der Ort zum Zentrum der Hutfabrikation entwickelt. Im Jahr 1930 beschäftigten die insgesamt 28 Betriebe zusammen 2.500 Arbeiter. Der Niedergang der Hutindustrie begann nach dem 2. Weltkrieg mit dem Wandel der Mode. Für viele, gerade für die Jüngeren, gehörte dann der Hut nicht mehr zu den unabdingbaren modischen Accessoires.
Die Marke Fléchet existiert zwar noch – aber wer weiß, wo diese Hüte heute gefertigt werden.
Wir haben eine günstige Ankunftszeit erwischt, denn gerade beginnt die Führung. An original nachgebildeten Arbeitsplätzen werden wir mit der Technik des Filzens vertraut gemacht. Mit Formen, Dämpfen, Garnieren des Naturmaterials, bis am Ende ein gut gebürsteter Hut entstanden ist.
Die entscheidenden Phasen der Hutherstellung erläutert uns ein früherer Mitarbeiter der inzwischen aufgelösten Hutfabrik, die nunmehr das Museum beherbergt. Alte Handwerkskunst. 100 Kopfbedeckungen pro Tag sind früher unter seinen Händen entstanden. Jetzt formt und dämpft er nur noch Einzelstücke für die Besucher des sehr schön eingerichteten Museums.
Bemerkenswert ist auch, daß alle wichtigen Maschinen zur Hutherstellung aus Deutschland stammen, aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Sie laufen immer noch.
Das liebevoll gestaltete Museum bietet so ziemlich alles, was sich auf dem Kopf tragen läßt: Damenhüte, Herrenhüte, Pillboxes und verspielte Zaubereien. Auch den Zylinder Eduards VII., den er wohl in einem zwielichtigen Pariser Etablissement hängen ließ. Nicht zuletzt den Hut des pferdezahnigen Fernandel. Oder eine ganze Galerie von Radrenn-Mützen, mit denen Raymond Poulidor, Jacques Anquetil und Bernard Hinault die Alpenpässe hinaufgekeucht und hinuntergebrettert sind.
Abgesang auf den Hut
Schließlich bleibt der sentimentale Eindruck, daß mit dem Hut eine ganze Mode- und Höflichkeitskultur verloren gegangen ist. So ist es heute fast nur noch die ältere Generation, die sich noch aktiv an dieses Modeaccessoir erinnert. Baseball-Caps sind da kein stilvoller Ersatz. Aber wer im Herbstregen zwei freie Hände braucht für Tasche und Hausschlüssel, wird bald den breitrandigen Kopfputz zu schätzen wissen.
Einen Hut trägt man, um ihn bei Gelegenheiten abzunehmen, wo es sich schickt.
— Thomas Mann, Der Zauberberg
Dann kaufen wir uns im Museumsladen zwei Hüte: einen schicken Jugendstilhut für Christine und einen Panama für mich. Macht sich hervorragend auf der sonnigen Terrasse beim Zeitunglesen oder beim Kaffee auf dem sommerlichen Boulevard.
Gerade noch rechtzeitig, bevor auch die italienische Traditionsfirma Borsalino Insolvenz angemeldet hat, erstehe ich noch für den Herbst ein elegantes Teil. Vielleicht kaufe ich mir auf dem Flohmarkt auch noch einen alten Hut zum Üben. Damit ich ihn aus drei Metern an den Kleiderhaken segeln lassen kann wie Fred Astaire im Film.
Man wird ja noch ein wenig träumen dürfen. Vom Hut, aber mehr noch von einer herrlichen Tour durch die französische Provinz.
Übrigens: Wer sich für Hüte interessiert, kann auch eine attraktive Motorradtour durch das Allgäu planen und das Deutsche Hutmuseum in Lindenberg besuchen. Unter modischen und technischen Gesichtspunkten sind diese Informationen hier interessant.
Aktualisiert am 17/10/2021 von Christian