Eine Motorradtour zum Dampflokfriedhof nach Falkenberg/Elster zeigt, daß auch weniger attraktive Strecken durch Ziel und Umwege an Reiz gewinnen können.
Geschätzte Lesedauer: 3 Minuten
Lockende Dampfloks
Wer sich mit einem kurvensüchtigen Motorrad freiwillig für 250 Kilometer auf eine schnurgerade Bundesstraße schlägt, dem ist entweder nicht zu helfen oder er ist, wie es der Bundeskanzler neulich ausdrückte, „völlig bekloppt“. Es sei denn, er hat ein besonderes Ziel auf dem Radar. In allen drei Fällen bekenne ich mich „schuldig“.
Was mich auf die Piste gelockt hat, war die an den Pfingsttagen für Besucher geöffnete private Dampfloksammlung in Falkenberg/Elster, der mutmaßlich größte Lokomotivenfriedhof Europas.
Südwärts auf einsamer Strecke
Die menschenleere B 101 von Berlin nach Süden Richtung Erzgebirge weckt Erinnerungen an die Carreteras im kargen Kastilien: gut ausgebaut, immer schnurstracks geradeaus und hoch über dem Helm kreisende Beutegreifer. Sobald die letzten blauen Autobahn-Hinweisschilder hinter mir liegen, gehört diese Magistrale so gut wie mir allein.
Damit bietet sich die willkommene Gelegenheit, an der fast noch jungfräulichen Neuerwerbung den Tempomaten großzügig einzustellen und die weite Landschaft an mir vorüberziehen zu lassen. Ab und zu Rückfall in den Normalbetrieb bei der Passage durch lange Straßendörfer, in denen blauer Flieder über die Gartenzäune quillt. Danach dehnt sich das grüne Drehzahlband der Sympathie wieder bis zur Displaymitte und alles ist gut.

Stop auf halber Strecke vor dem Kloster Zinna (auf einer früheren Tour)
Wer nicht gerade auf rumpeligem Seitenstreifen polnischen Truckern Gesellschaft leisten möchte, sieht sich auf der Suche nach einem anheimelnden Plätzchen für die Marschpause arg enttäuscht. Die Straßenränder sind wenig einladend, die gastronomische Infrastruktur ist schütter oder schon lange Vergangenheit:

An diesem Kulturdenkmal kann man nicht einfach vorbeifahren. Leider ist das Gasthaus seit Jahren geschlossen.
Mein Fotostop bietet willkommene Gelegenheit zu einigen Dehn- und Streckübungen. Dann schwinge ich mich wieder in den (mit Gel aufgepimpten) Sattel und beschließe, für meine Mittagspause ein verborgenes Ziel anzusteuern, das einem Harry-Potter-Roman entsprungen sein könnte: das am Ortsrand von Herzberg (Mark) inmitten eines alten Baumbestandes gelegene Schloß Grochwitz mit verwunschenem Tierpark. Dort lasse ich mich gemütlich auf einer Bank nieder und genieße die Köstlichkeiten, die mir meine liebe Frau und Heute-Nicht-Sozia (< marginales Interesse an Dampflokomotiven) eingepackt hat.

Schloß Grochwitz am Rande von Herzberg (Mark) – ein idyllisches Plätzchen für die Mittagsrast
Lokomotivenfriedhof in Falkenberg
Die Stadt Falkenberg führt das Prädikat „Eisenbahnstadt“ im Ortsschild, ein Hinweis auf die verkehrsmäßige Bedeutung dieses ehemaligen Schienenknotenpunktes. Daher auch die vielsagende Adresse meines Tourenziels: „Am oberen Güterbahnhof“ – ein ehemaliges (1995 aufgegebenes) Bahnbetriebswerk der Deutschen Reichsbahn.

Wasserturm Bj. 1902 für durstige Dampfrösser

30 Kubikmeter Wasser schluckte die Dampflok
Der 18-ständige Ringlokschuppen beherbergt diejenigen Maschinen, die einigermaßen aufgearbeitet und allenfalls rollfähig sind. Seine Geleise führen hinaus auf eine 23m-Drehscheibe und von dort aus in ein eisenbahntechnisches Nirwana, das sich die Natur langsam zurückerobert: Durchwachsen von Gras und Gesträuch reihen sich auf mehreren parallelen Geleisen über 50 ausrangierte Dampflokomotiven, die am Besuchstag altgedienten Eisenbahnern das Herz brechen ließen: rostüberzogene Leviathane der schweren Baureihen, teilweise ausgeweidet, mit offenen Rauchkammertüren, herabhängenden Leitungen, demontierten Schubstangen und Windleitblechen. Etliche von ihnen fristeten ihre letzten Jahre als demobilisierte Dampfspender, andere wurden als Teilespender kanibalisiert.

Die Veteranen sehen besser aus als sie drauf sind
Als ich zwischen den endlosen Lokomotivreihen durch das Gestrüpp tapere, komme ich mir vor wie ein Archäologe, der entdecken muß, daß Steinbildnisse aus klassischer Zeit jahrhundertelang als Baumaterial zweckentfremdet wurden. Wer technische Nostalgie sucht, findet hier viel Stoff zum Schauen und Nachdenken. Dampflok-Nerds sind dagegen besser aufgehoben im Deutschen Dampflok-Museum Neuenmarkt-Wirsberg.
Rückfahrt über Land
Der abschließende Druck auf den Anlasserknopf katapultiert mich aus der Beschaulichkeit des Dampfzeitalters zurück in die technische Neuzeit. Da ich die endlos gerade Bundesstraße so gut es geht meiden möchte, gönne ich mir auf der Rückfahrt noch ein Stück Nostalgie. Auf abgelegenen Landsträßchen über die Dörfer, durch blühende Buschreihen und rote Kastanienalleen erreiche ich Schloß Wiepersdorf, ehemals Landsitz des dichtenden Geschwisterpaars Achim und Bettina von Arnim. Im Park lasse ich mich auf einer weißen Bank nieder, schenke mir einen Becher Kaffee aus der Thermosflasche ein, lasse meinen Blick über das barocke Ambiente gleiten und denke – an nichts. Das ist nicht nur erholsam, es frischt auch die Konzentration für das Motorradfahren wieder auf.

Kaffeepause im Schloßpark Wiepersdorf weit weg vom Rummel
Ein prüfender Blick auf Google Maps warnt mich vor tückischen Staus bei der abendlichen Einfahrt nach Berlin. Also programmiere ich das Navi auf einen meiner Schleichwege um und kehre in zügiger Fahrt nach Hause zurück. Mit vielen Erinnerungen im Kopf an eine schöne Tagestour mit interessanten Anblicken.
Fazit
Die Motorradtour zum Dampflokfriedhof Falkenberg zeigt, daß sich auch weniger attraktiven Motorradstrecken Genuß abgewinnen läßt , wenn sie zu einem lohnenden Ziel führen oder sich mit einem reizvollen Umweg verbinden lassen. Zumal dann, wenn man dadurch dem Feiertagsverkehr entkommen kann.
Streckenführung
Die .gpx-Datei zum Nachfahren findest du hier.
Aktualisiert am 29/05/2023 von Christian
Lukas Kiermeyr
30. Mai 2023 at 08:46
Servus Christian
wie immer meisterlich der Beitrag. Leider wohnen wir zu weit auseinander. Aber auch bei mir gibts schöne Nebnestrecken. Allerdings bin ich nicht so begabt wie du. Mach weiter bitte und stelle Deine Maschine immer wieder zuhause so ab, wie Du weggefahren bist.
Es grüßt ein immer älter werdender Motorradfan (fast 79)
Lukas
Christian
4. Juni 2023 at 15:21
Lieber Lukas,
ich freue mich immer sehr, von Dir zu hören. In unserer Altersgruppe genießt man vieles auf überrachend neue Weise. Vielleicht sieht man sich ja mal in Bayern?
Viele Grüße und gute Fahrt
Christian