Die Motorradtour durch das Westhavelland führt zu ungewöhnlichen Zielen: eine Mumie, edle Pferde, ein japanischer Garten, die Absturzstelle Otto Lilienthals und ein seltsamer Baumriese.
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten
Motorradtour durch das Westhavelland
Spontanentschlüsse zu einer Motorradtour mit Besichtigungsprogramm fallen bei uns oft ganz nebenher bei der letzten Tasse Frühstückstee. Unvermuteter Sonnenschein erleichtert uns heute die Zielauswahl: Unser Tag soll einer Motorradtour durch das westliche Havelland gehören. Durch die ruhige Flußlandschaft zwischen Berlin und der Mündung der Havel in die Elbe.
Hinzu kommt, daß die als ereignisarm verrufene brandenburgische Prärie bei genauerem Hinsehen doch Erstaunliches zu bieten hat – zum Beispiel die Mumie eines übergriffigen Ritters, ein Gestüt mit edlen Pferden, einen verträumten japanischen Garten, die Absturzstelle des Flugpioniers Otto Lilienthal oder einen skurrilen Baumriesen. Unsere Route ist rasch entworfen und sieht folgendermaßen aus:
Streckenplan der Motorradtour Westhavelland
Berlin – Wustermark – Nauen – Berge – Flugplatz Bienenfarm – Brädikow – Friesack – Nackel – Barsikow – Kampehl – Neustadt (Dosse) – Kampehl – Bartschendorf – Zietensaue – Gollenberg – Sieben Brüder Eiche – Görne – Kotzen – Nennhausen – Garlitz – Barnewitz – Gortz – Päwesin – Roskow – Ketzin – Neu Fahrland – Berlin. 234 km
Die .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Raus aus dem Ferienrummel
Wohl oder übel müssen wir uns erst einmal durch den dichten Verkehr aus Berlin hinaus quälen. Ausweichen bringt leider nichts, denn selbst unsere Schleichwege sind verstopft. Deshalb trösten wir uns nach einer guten Stunde stop and go erst einmal mit einer Tasse Kaffee in Segeletz. Eine Gärtnerei mit angeschlossenem Café und Antiquitätenverkauf lädt mit nettem Ambiente dazu ein.
Inmitten duftender Pflanzen strecken wir erst mal gemütlich die Beine unter den Gartentisch und lassen uns weder durch Touristenverkehr noch aufziehende dunkle Wolken beirren. Denn Regen hatten wir schon auf unserer letzten Touren zu Saisonbeginn wahrlich genug. Schrecken kann uns da jetzt nichts mehr.
Kahlbutz der mumifizierte Ritter
Nächstes Ziel nach diesem botanischen Intermezzo ist die schnuckelige Feldsteinkirche von Kampehl bei Neustadt (Dosse). Dort bitten wir um Einlaß, um einen besonderen Bewohner zu begrüßen, den man so eigentlich eher im Tal der Könige am Nil vermutet hätte: die Mumie des Ritters Christian Friedrich von Kahlbutz, einer regionalen Berühmtheit seiner Zeit (1651 – 1702).
Nachdem der junge Offizier aus der Schlacht von Fehrbellin (1675) invalide heimgekehrt war, übernahm er den Familiensitz und bestand als frisch gebackener Grundherr prompt auf sein Recht der ersten Nacht mit einer schönen Magd. Deren Bräutigam wurde kurz darauf tot aufgefunden. Deshalb richtete sich der Verdacht gegen K., dem aber im folgenden Indizienprozeß nichts nachzuweisen war.
Um sich aus der Sache herauswinden, legte er einen Reinigungseid ab: Wenn er der Mörder sei, wolle er als Toter nicht verwesen. Seitdem ruht Kahlbutz in der Gruft der Kampehler Dorfkirche in seinem verglasten Eichensarg. Honigfarben, natürlich mumifiziert, schamhaft bedeckt mit einem Tuch über seinen unkeuschen Lenden, die ihn die Zeitläufte überdauern ließen.
Kampehl ist übrigens gut bewirtschaftet: An der Kirche gibt es zwei Gasthäuser mit Biergarten und eine sehr nette Töpferei mit Bewirtung.
Landesgestüt Neustadt (Dosse)
Wenige Kilometer weiter gönnen wir unserem Eisenroß eine Ruhepause am Stadtrand von Neustadt (Dosse). Hier residiert das Brandenburgische Haupt- und Landgestüt, eines der größten Gestüte Europas. 1788 wurde es von König Friedrich Wilhelm II. gegründet. Ursprünglich, um schnelle, gewandte Armeepferde züchten. Späterhin entwickelte sich daraus die Zucht von Pferden als Nutztiere in der Landwirtschaft und für die private Reiterei. Eine großartige Anlage. Jedem Pferdefreund wird bei diesem Anblick das Herz höher schlagen.
Das letzte Gaswerk Nordeuropas

Ein teschnischer Zeitzeuge früherer städtischer Alltagskultur: das ehemalige Gaswerk in Neustadt (Dosse)
Da wir nun schon einmal vor Ort sind, bitten wir unser Roß um ein wenig Geduld, um uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine eher bescheidene technische Attraktion anzuschauen: das älteste noch erhaltene Gaswerk Nordeuropas. Von 1904 bis 1980 wurde hier aus Steinkohle Stadtgas für Haushaltszwecke und für die Straßenbeleuchtung erzeugt. Der 550 m3 fassende Gasbehälter mit seinen Nebengebäuden (heute Museum) sind nunmehr ein anerkanntes technisches Denkmal, das man bei der Durchfahrt nicht unbeachtet lassen sollte.
Japanischer Teegarten
Südlich von Neustadt wird unsere Motorradtour Westhavelland richtig interessant: Wir schlagen uns in die Büsche Richtung Dreetz und erreichen auf einer nicht klassifizierten, aber asphaltierten Straße die abgelegene Ortschaft Bartschendorf. Unser Ziel ist der am Ortsrand gelegene Japanische Garten. Ein Idyll der Sonderklasse.
Man muß nicht unbedingt Zen-Schüler sein, um hier inmitten eines durchkomponierten Gartenreiches innere Ruhe zu finden. Aber die mit aller Sorgfalt ausgesuchten, gesetzten und kupierten Pflanzen eröffnen eine eigene Welt, die sich dem Besucher bei ganz ruhiger Begehung erschließt.
Zuerst beschreiten wir einen Roji, 路地, einen „taubedeckten Teeweg“. Dieser ist mit seinen harmonischen Proportionen nach den traditionellen vier Prinzipien der japanischen Teekultur angelegt: Harmonie – Respekt vor Menschen und Dingen – Reinheit der Dinge und des Herzens – Stille und Gelassenheit. Da setzen uns gerne auf eine Holzbank und lassen uns von der fernöstlichen Atmosphäre einnehmen. Es tut einfach gut.
Otto Lilienthals Absturzstelle
Bevor wir in die reale Alltagswelt zurückkehren, durchfahren wir den wohl reizvollsten Teil unserer Tour: einen Plattenweg mitten durch die blühende Wiesenlandschaft, gesäumt von Büschen und Bäumen. Am Horizont erhebt sich der Gollenberg (109 m), an dem Otto Lilienthal seine Flugversuche durchführte und schließlich den Tod fand. Seine Absturzstelle liegt, von Schildern bezeichnet, ca. 100 m bergan im Wald.
Sieben-Brüder-Eiche
Bevor wir den Home Run antreten, halten wir noch kurz vor Friesack, um einem Baumveteranen besonderer Art unsere Aufwartung zu machen: der Sieben-Brüder-Eiche. 300 Jahre alt und 24 m hoch wächst sie mit sieben Stämmen aus einer einzigen Wurzel. Dazu stellen wir die Maschine auf dem Fahrradweg ab und umrunden den Hügel, auf dem dieser Baumveteran residiert. Wenn wir wieder hier vorbeikommen, werden wir ihm zum Gruß zuwinken.
Dann rollen wir weiter abseits der großen Straßen durch das Havelland über Ketzin nach Berlin zurück. Mit den Erinnerungen an den Baum und den japanischen Garten lassen wir den Tag mit einer Kanne grünen Sencha-Tee ausklingen.
Fazit
Unsere Motorradtour durch das westliche Havelland beweist wieder einmal, daß der bösartige Spruch von „Brandenburg in the middle of nüscht“ alles andere als berechtigt ist. Schöne Strecken gibt es hier in überraschend großer Zahl, und interessante Ziele auch. Man muß sie halt nur suchen und finden. Ich hoffe, ich konnte hier ein Stück weiterhelfen.
Aktualisiert am 10/05/2022 von Christian