Motorrad Reiseblog mit Touren, Tipps & Tricks

Motorradtour durch Umbrien

Eine Motorradtour durch Umbrien abseits überfüllter Touristenrouten auf einsamen Kurvenstrecken in herrlicher Landschaft. Wo findet man das?

Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Motorradtour durch Umbrien
zur schwangeren Madonna

Nicolas Poussin, Et in Arcadia ego

Nicolas Poussin: ET IN ARCADIA EGO

Ein kunstsinniger Bekannter brachte mich auf die Idee, ein seltenes Kunstwerk zu besuchen: Das Fresko der Madonna del Parto (Maria der Geburt) in Monterchi, 30 km ostwärts von Arezzo an der umbrisch/toskanischen Grenze.

Geschaffen wurde die 2 ½ x 2 Meter große Darstellung einer schwangeren Madonna von Piero della Francesca (1420 – 1492) in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Aus ganz Italien pilgerten früher Frauen dorthin. Es hieß, jede Frau, die vor dem Marienbild bete, werde innerhalb eines Jahres schwanger.

Doch mit vier Kindern zu Hause ist das in meinem Falle wohl kein triftiger Grund mehr für eine Reise in den hintersten Apennin. Als mir aber mein Gewährsmann von den Schönheiten der kurvenreichen Strecke dorthin vorschwärmte, wurde eine Motorradtour durch Umbrien zur schwangeren Madonna unerläßlich.

Streckenführung der Motorradtour durch Umbrien

Rom – Passo Corese – Fara in Sabina – Abtei Farfa – Poggio Mirteto – Cottanello – Configni – Terni – Spoleto – Foligno – Perugia – Assisi – Città di Castello – Monterchi. 264 km

Via Salaria durch das Tibertal

Ottorino Respighi, I Pini di Roma mit einer Pinie und antiken Bauten als Sinnbild des Aufbruchs zu einer Motorradtour durch Umbrien

Pinienalleen führen durch antike Stätten hinaus aufs Land

Aus Rom hinaus führt die Strecke zunächst auf der Autobahn nach Norden. Im warmfarbigen Morgenlicht reihen sich die Schirme der hohen Pinien wie Perlenschnüre auf den auf den Bergkuppen vor der Ewigen Stadt. Ottorino Respighis sinfonische Dichtung „I Pini di Roma“ findet hier bildlich ihren Widerklang.

Die Autobahnabfahrt bei Fiano Romano mündet in die Via Salaria (SS 4) ein, die etruskische Salzstraße von Rom durch das Sabinerland an die Adria. Nach wenigen Kilometern verlasse ich die Staatsstraße in nördlicher Richtung. Schon in den Ausläufern der Sabiner Berge bekomme ich einen Vorgeschmack auf den Kurvenspaß, der mich auf den nächsten 250 Kilometern erwartet.

Abtei Farfa

Mönche in der Benediktinerabtei Farfa mit einem FIAT Panda 4 x 4, gesehen auf einer Motorradtour durch Umbrien

Mönche der Benediktinerabtei Farfa im Gespräch

Zunächst mache ich kurz Halt an der Benediktinerabtei Farfa, einer Gründung des 9. Jahrhunderts. In den Gäßchen des malerischen Klosterdorfes stelle ich meine Maschine ab und beobachte die Mönche im Gespräch.

Kurvenstrecken durch die Sabina

Sebastiano Ricci, Der Raub der Sabinerinnen

Sebastiano Ricci: Der Raub der Sabinerinnen

Mit der Landschaftsbezeichnung „Sabina“ verbinden wohl die meisten von uns – noch von der Schule her – den gewitzt organisierten Raub junger Frauen aus dieser Gegend durch die alten Römer. Römer und junge Frauen gibt es immer noch. Ebensosehr locken aber unentdeckte Kurvenstrecken und herrliche Oliven.

Olive in Keramik an einer Hausmauer als Wahrzeichen des Sabinerlandes, gesehen bei einer Motorradtour durch Umbrien

Die Olive – das Wahrzeichen der Sabina

Hände einer Frau mit rot lackierten Fingernägeln sammeln frisch geerntete Oliven aus einem Korb

Am Morgen geerntet, am Abend schon zu herrlichem Öl gepreßt

Wenn ich im Herbst durch diese Gegend fahre, nehme ich immer eine leere PET-Limoflasche mit. Dann steuere ich den nächsten frantoio (Ölmühle) an, bei dem ich mir einen Liter Olivenöl frisch vom Hahn abzapfe. Zwei Monate lang müssen sich dann noch die Schwebeteilchen setzen. Wenn dann der Duft aus der Pfanne die Küche füllt, holen mich all die schönen Erinnerungen meiner Touren durch die Sabina wieder ein.

Drei Motorräder nebeneinander auf einem Parkplatz mit einem italienischen Bergdorf im Hintergrund bei einer Motorradtour durch Umbrien

Drei Freunde treffen sich bei einer Tour in der Einsamkeit Umbriens

Wie verabredet treffe ich auf meiner Motorradtour durch Umbrien im malerischen Örtchen Poggio Mirteto zwei liebe Motorradfreunde aus Viterbo, deren Tourenstrecke hier die meinige hier kreuzt. Wir trinken einen Espresso und fahren dann noch ein Stück gemeinsam durch das Tal der Aia, bis sich unsere Wege wieder trennen.

Kaiser, Künstler, Kirchenleute – in Scharen sind sie sind all die Jahrhunderte durch diese wildromantische Gegend gezogen. Doch nicht immer sah es wohl so aufgeräumt aus wie heute. Der Fernwanderer Johann Gottfried Seume (1763 – 1810) bemerkt dazu:

Es ist ein großes, altes, dunkles, häßliches, jämmerliches Loch, das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in Norwegen sein als Erzbischof zu Spoleto.

—  Spaziergang nach Syrakus, 2. März 1801

La Benemerita

Carabinieri bei der Verkehrskontrolle mit einem Dienstwagen und einem Beamten mit der Winkerkelle im Stiefelschaft bei einer Motorradtour durch Umbrien

Carabinieri bei der Verkehrskontrolle │© Arma dei Carabinieri

Vielleicht war es doch keine so tolle Idee, ein Teilstück der Strecke auf der Via Flaminia (SS 3) zurückzulegen, um Zeit gutzumachen: Denn am Ende einer langen Geraden erwarten mich schon die Ordnungshüter in Schwarz-Rot.

Im Grunde habe ich Respekt vor den Carabinieri, denn sie sind gut ausgebildet, arbeiten sehr professionell und haben einen ehrenwerten Corpsgeist. Aber Objekt ihrer Berufsausübung zu werden ist nicht so meine Sache.

Also fahre ich rechts ran, nehme den Helm ab, überhöre geflissentlich die Aufforderung „Documenti, prego“ und eröffne stattdessen das Gespräch mit meiner Standardfrage „Cosa mi porta l’onore di un incontro con la benemerita?“ – „Was verschafft mir die Ehre einer Begegnung mit der Benemerita“ – der „Verdienstvollen“, eine respektvolle Bezeichnung für die Carabinieri aus dem 19. Jahrhundert.

Nach Abgleich meines deutschen Führerscheins mit meinem Gesicht hellt sich die Stimmung des Brigadiere zusehends auf. Meine auch, denn es handelt sich um eine reine Routinekontrolle. Wie könnte ich auch so blöd sein und zu schnell fahren, wo doch die Arma [dei Carabinieri] gerade auf dieser Rennstrecke ihr wachsames Auge offen hält?

Der Brigadiere steckt seine Winkerkelle in den Stiefelschaft zurück. Zum Abschied wechseln wir noch einige nette Worte. Dann setze ich meine Motorradtour durch Umbrien Richtung Foligno fort.

Der Weg nach Foligno war einer der schönsten und anmutigsten Spaziergänge, die ich jemals zurückgelegt.

—  Goethe, Italienische Reise, 25. Oktober 1786

Beim Barbiere in Foligno

Altes Schild Barbiere über einem italienischen Friseursalon

Ah, bravo Figaro, bravo, bravissimo, bravo!
—  Gioacchino Rossini, Il Barbiere di Siviglia, 1. Akt

Nach stundenlanger Kurvenfahrt brauche ich jetzt wirklich eine Pause. In Foligno suche ich deshalb einen Barbiere auf. Nicht allein, weil auf dem Land der Haarschnitt billiger ist als in Rom. So ein Friseursalon in der Provinz ist auch immer ein toller Ort zur Unterhaltung.

Beim Betreten des schon reichlich in die Jahre gekommenen Salons begrüßt mich der Barbiere froh gestimmt und dabei mechanisch an seinem Kunden weiterschnippelnd: „Benvenuto, signor Agostino ò pazzo!“  Nein, für pazzo – verrückt – hält er mich sicher nicht. Denn er vergleicht mich nur mit dem Rennfahrer Giacomo Agostini, der in den 60er/70er Jahren mit seiner MV Agusta in der Altstadt von Neapel halsbrecherische Kunststücke vollführte.

Giacomo Agostini auf einem Rennmotorrad mit Startnummer 1

Dann nehme ich neben einem zahnlosen Alten Platz und greife nach einem zerfledderten Exemplar der Famiglia Cristiana, einer der meist gelesenen Zeitschriften Italiens. Sie gehört zur Standardausstattung eines jeden Friseursalons. Was mich besonders interessiert, sind auf den letzten Seiten die Kochrezepte der Klosterschwester Suor Germana. Einfach himmlisch, was sie da immer schreibt.

Der ländliche Barbiere richtet mich her, als wollte ich an einem provinziellen Schönheitswettbewerb teilnehmen. Aber die Prozedur ist unterhaltsam und der Haarschopf paßt wieder unter den Helm. Menschliche Begegnungen wie diese sind eine der erfreulichen Seiten meiner heutigen Motorradtour durch Umbrien.

Franciscus von Assisi

Basilica San Francesco in Assisi, besucht bei einer Motorradtour durch Umbrien

Basilica San Francesco in Assisi

Mit frischem Kurzhaarschnitt und über und über mit Talkumpuder bestäubt mache ich mich auf den Weg nach Assisi zum Heiligen Franz. Doch schrecken mich schon von weitem unzählige Reisebusse auf den Parkplätzen ab. Ein Besuch der Kirche wäre ganz schön gewesen. Sicher sieht es heute dort besser aus als vor 200 Jahren:

Alle Gebäude sind im Verfall, und die 300 Geistlichen … mit der ganzen verworrenen Anlage … geben ein unheimliches Bild des dunkelsten Aberglaubens und des Mystizismus.

—  Karl Friedrich Schinkel, Reisetagebuch, 25. August 1824

Die Strasse des Tabaks

Italienische Toscani-Zigarre mit grün-weiß-roter Bauchbinde

Während ich das obere Tibertal hochfahre, wird mir wieder klar, daß meine Motorradtour durch Umbrien auf der “Straße des Tabaks” verläuft. Sie führt von Umbertide über Montone, Pietralunga, Città di Castello, Monte Santa Maria Tiberina, San Giustino bis Citerna.

In dieser Gegend werden jährlich 15.000 Tonnen Virginia Bright und 130 Tonnen Kentucky-Tabak produziert. Dieser wird zum berüchtigten „Sigaro Toscano“ verarbeitet, einer sehr starken, würzigen Zigarre mit hohem Nikotingehalt. Deswegen wird sie traditionell sie nicht als Ganze geraucht, sondern in der Mitte gebrochen oder zerschnitten.

Von dieser Lieblingszigarre des Pfarrers Don Camillo heißt es, zum Rauchen eines Toscano brauche man drei Mann: einen, der rauche, und zwei, die ihn festhielten. Mir ist jedenfalls schon richtig schlecht davon geworden.

Die schwangere Madonna von Piero della Francesca

La Madonna del Parto von Piero della Francesca in Monterchi (AR), Italien, angesehen bei einer Motorradtour durch Umbrien

Piero della Francesca: La Madonna del Parto

Als meine Motorradtour durch Umbrien am späteren Nachmittag in Monterchi endet, hat das Museum natürlich schon geschlossen. Deshalb suche ich gleich meinen Agriturismo auf, in dem ich nicht nur hervorragend zu Abend esse, sondern auch wie ein Bär schlafe.

Am nächsten Morgen begebe ich mich zu der ehemaligen Mittelschule im Dorf, die das Fresko „La Madonna del Parto“ (1455/65) von Piero della Francesca beherbergt. Ich genieße es, als einziger Besucher das Kunstwerk in Ruhe betrachten zu können:

Die Darstellung einer hochschwangeren Madonna, in stolzer Haltung stehend, ohne alle sonst üblichen Attribute wie Strahlenkranz, Mondsichel oder Buch. Die beiden Engel zu ihrer Seite halten einen Brokatvorhang auf und lenken so das Auge des Betrachters geradewegs auf die Hauptfigur. Der Blick der Madonna ist schmerzhaft gesenkt. Wer selbst Schwangerschaften durchgemacht oder miterlebt hat, wird diese Haltung gut nachvollziehen können.

Zwar gab es im 14. Jahrhundert mehrere Madonnendarstellungen dieser Art. Doch wurden sie vom Konzil von Trient (1545 – 1563) als “ketzerisch” verboten. Deshalb muß man seither recht ausdauernd nach einer schwangeren Madonna suchen.

Nach einer halben Stunde verabschiede ich mich von der Gottesmutter. Ihr Umstandskleid hat die gleiche Farbe wie meine Maschine. Ich hoffe, dies ist ein gutes Zeichen.

Eine halbe Stunde habe ich vor dem Madonnenbild verweilt. Meine Motorradtour durch Umbrien dorthin hat sich mehr als gelohnt: einsame Kurvenstrecken ohne Ende, ein Treffen mit zwei guten Kumpels, herrliche Landschaften, interessante Bauwerke, hervorragendes Essen und nette Gespräche mit Barbiere und Carabinieri.

 

Aktualisiert am 06/10/2021 von Christian

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