Motorradtour Südwestfrankreich Teil 2 über wilde Pyrennäenpässe, durch kurvenreiche Schluchten der Ardèche mit beschaulichem Ausklang entlang der Rhône
Motorradtour Südwestfrankreich Teil 2:
Pyrenäen und Ardèche
Eine Reise ist ein vortreffliches Heilmittel für verworrene Zustände.
— Franz Grillparzer
Unsere Motorradtour Südwestfrankreich Teil 1 von Lyon bis Biarritz haben wir gut hinter uns gebracht. Die Motorradtour Südwestfrankreich Teil 2 führt dann über die schönsten Pyrennäenpässe zunächst nach Toulouse und Carcassonne. Immer der Tour de France nach. Von dort schlängeln wir uns durch die kurvenreichen Gorges du Tarn und weitere Schluchten der Ardèche an die Rhône. An ihrem Ufer gondeln wir zurück nach Lyon. Bei alledem wollen wir den Touristenströmen so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Gelingt uns das?
10. Etappe
Biarritz – Espelette – St-Jean-Pied-de-Port – Col d’Osquich – Tardets – Arudy. 175 km
Start in die Pyrenäen
Biarritz entläßt uns mit einem Fluch: Schmuddelwetter nach tagelanger Bruthitze. Das Navi führt uns mit verwirrenden Richtungsangaben aus der Stadt hinaus. Eine halbe Stunde später setzen sich die ersten Regentropfen am Visier fest. Unsere Streckenplanung ist super, aber die Stimmung irgendwie erst mal im Keller.
Erstes Ziel ist das baskische Städtchen Espelette, bekannt wegen seiner rot gerahmten Fachwerkhäuser und seiner rot-scharfen Paprika, die gebündelt an den Hausfassaden trocknet. Das scheint aber auch ungefähr 25.000 andere Touristen zu interessieren, die rudelweise zum Teil mit den von mir so geliebten Wohnmobilen in das baskische Freilichtmuseum einfallen. Christine ersteht noch Postkarten für die Kinder, dann begeben wir uns wieder auf die Landstraße.
Bald holt uns wieder der Nieselregen ein. Deshalb beschließen wir, uns in St-Jean-Pied-de-Port erst einmal einen Aufwärmkaffee zu genehmigen. Nach dieser Revitalisierung strolchen wir durch das sehr hübsche Städtchen, von dem aus sich viele Jakobspilger auf den Weg nach Santiago de Compostela machen.
Nach einer kleinen Andacht in der frühgotischen Kirche erstehen wir im örtlichen Kramladen drei Tafeln Milka Vollmilch als kleinen Trost für das bleigraue Wetter. Die 100 g sind ratzfatz verdrückt.

Christine am Pilgerbrunnen in St-Jean-Pied-de-Port, dem Ausgangsort unzähliger Pilgertouren nach Santiago de Compostela
Wilde Pyrenäen
In St-Jean-Pied-du-Port befinden wir uns schon mitten in den Pyrenäen, die wie ein gewaltiger Sperrriegel die iberische Halbinsel vom Rest des Kontinents abtrennen: 430 km lang vom Atlantik bis zum Mittelmeer, bis zu 130 km breit, gespickt mit rund 300 Gipfeln über 3.000 m. Welche Eindrücke vermittelt er uns? Was geht hier ab?
Vieles erscheint uns von den Alpen her vertraut: hohe Bergspitzen, abgeschlossene Hochtäler, Almen mit Schafen und Hornvieh, rauschende Gebirgsbäche und schmale Sträßchen, die sich durch diese rauhe Landschaft hindurchwinden. Aber irgendwie ist die innere Empfindung doch anders. Manches erinnert zwar an die Berge Korsikas, Sardiniens oder an die Abruzzen. Was aber weithin fehlt, ist der mediterrane Eindruck.
Hört man den Menschen beim Gespräch zu, bestätigt sich der Eindruck, eine Sprachinsel zu durchfahren, wie wir sie auch aus den Alpen kennen: hier Baskisch, eine Sprache, die mit keiner anderen verwandt ist. Dort Rätoromanisch oder Ladinisch. Auch da, wo die Hochsprache gesprochen wird, ist diese für den Ortsfremden nur schwer verständlich. In Sardinien genauso wie hinter Bari, wo selbst Norditaliener mit ihrem Hörverstehen scheitern.
Eine Besonderheit fällt uns noch auf: Die meisten Gegenden, die Motorradtouren besonders reizvoll machen, waren seit jeher Rückzugsgebiete für Widerständler und Banditen. Das Vercors für die Résistance ebenso wie die Abruzzen, deren Briganten das italienische Opernrepertoire füllen. Und eben auch die Pyrenäen, die lange Jahrzehnte für die ETA Operations- und Rückzugsgebiet waren.
Wenn das Wilde, Rauhe, Verschlungene den Reiz einer Motorradtour ausmacht, haben wir ihn definitiv hier gefunden. Ein Dutzend magischer Bergpässe erwartet uns.
Col d’Osquich (500 m)
Erste Pass gleich Scheisse
— Dragoslav „Stepi“ Stepanović, Ex-Kulttrainer von Eintracht Frankfurt
In einem Anfall von Planungswut hatte ich geglaubt, eine Naturschönheit von Gebirgsstrecke mit herrlichen Ausblicken ausgesucht zu haben. Aber das Wetter entlang der D 918 macht uns einen dicken Strich durch die Rechnung. Schon nach wenigen Kilometern auf diesem Ministräßchen hüllen uns dichte Wolken ein, es regnet und zieht erbärmlich und die Sicht ist gleich Null.
Im Schritttempo taste ich mich am Mittelstreifen vorwärts, bis sich uns urplötzlich aus dem undurchdringlichen Nebel eine Hundertschaft gleichgültig dreinblickender Kühe in den Weg stellt. Da diese den restlichen Teil unserer Trasse hochgezogen sind, kann man sich gut vorstellen, wie verdreckt die Straße aussah und kurz darauf auch unser Motorrad.
Den Kühen folgten im Abstand halbwilde Pferde mit Kuhglocken um den Hals und Graffiti-Schafe mit grellbunten Farbflecken auf dem Hintern. Und die Straße gab, wie gesagt, braun-grünes Zeugnis von all ihren vierbeinigen Benutzern. Auf der Paßhöhe des Col d’Osquich umkreisen uns drei mächtige Steinadler (Geier und Braunbären gibt es hier übrigens auch).
Als wir später im Hotel ankommen, gleichen wir eher einem rollenden Kuhfladen als einem soignierten reisenden Ehepaar.
Nach Erreichen der Pyrenäen-„Perle“ Tardets-Sorhulus fallen wir in das örtliche Café am Marktplatz ein und wirken auf die Autochthonen wohl wie Wesen von einem anderen Stern. Argwöhnisch beäugt genehmigen wir uns einen halbwegs guten Kaffee und einen sehr guten Gateau Basque.
Rettendes Idyll in Arudy
Sicherheitshalber umfahren wir dann eine dräuende Wolkenfront, nehmen den Weg über Oloron-Ste-Marie. Wenig später erreichen wir unser ganz liebreizendes Hotel in Arudy, einen umgebauten Gutshof aus dem 18. Jahrhundert. Begrüßt von der überaus netten älteren Besitzerin und umgeben von einem reich bepflanzten Garten, richten wir uns gleich häuslich ein.
Zunächst aber unterziehe ich unsere total verdreckte Maschine einer Grundreinigung mit dem Gartenschlauch. Dabei nehmen wir gleich Kontakt auf zu einem neugierigen Esel, der zum Haus gehört, und zu einem älteren englischen Ehepaar aus Solihull, das gleichfalls hier wohnt und mit seinem Porsche Carrera auf den Spuren der Tour de France unterwegs ist. So treffen sich unsere Wege und wir freuen uns auf das ländliche Abendessen mit einer Flasche Rotwein.
Nach einem so harten Fahrtag richten wir uns gemütlich im kuscheligen Restaurant unseres Hotels ein. Eine Speisekarte gab es nicht. Als ich bei der Bestellung die patronne fragte, was sie uns aufzutischen gedenke, beschied sie uns mit der unwiderlegbaren Bemerkung: Ich solle nicht fragen. Es werde uns mit Sicherheit schmecken. In der Tat: Das abendliche Menü mit zwei fetten Gläsern Bordeaux war sensationell.
Empfohlene Landkarte:
Michelin Départements France N° 342 – Hautes-Pyrénnées, Pyrénnées Atlantiques
11. Etappe
Arudy – Laruns – Col d’Aubisque – Col du Soulor – Luz-Saint-Sauveur. 82 km
Das Wetter hat sich gegen uns verschworen. Aber wir behalten unsere gute Laune, auch wenn uns die Wettervorhersage genauso frech anlügt wie am Tag zuvor. Zunächst genießen wir ein ausgiebiges ländliches Frühstück mit selbstgemachter Marmelade und – erstmals auf unserer Reise – Café au lait aus einem echten Katzennapf.
Wir verplaudern ein Stündchen mit unseren neuen englischen Bekannten. Er ist, ei Wunder, in leitender Funktion bei der British Motocyclists Federation, fährt selber eine Kawa und hat zudem eine Duc 916 in der Garage, eine noch von Massimo Tamburini, wie wir sie im Guggenheim Museum in New York gesehen haben. An Gesprächsstoff mangelt es also nicht. Wir wollen uns in Solihull wiedersehen, wenn wir unseren Sohn in Birmingham besuchen.
Col d’Aubisque (1.709 m)
Die Regenfahrt beginnt mit dem ersten Meter, aber Ritter Armas und Lady Vanucci sind bis zum Ende der Etappe wasserfest. Im dicksten Schmuddelwetter winden wir uns von Laruns aus die Paßstraße D 918 zum Col d’Aubisque empor. Er bildet zusammen mit Tourmalet, Aspin und Peyresourde die Heilige Vierfaltigkeit der Pyrenäenpässe, die wir auf unserer Motorradtour Südwestfrankreich Teil 2 nehmen wollen.
Dann aber, sinnigerweise in einem Ort mit dem schönen Namen Eaux-Bonnes, wird es ernst. Wie ich es befürchtet hatte, zeigt sich der Regen noch steigerungsfähig durch zero visibility. An sich nicht so schlimm, aber uns entgeht eines der schönsten Bergpanoramen in den Pyrenäen und die Kurvenfreude hält sich in Grenzen wegen des nassen Laubs und der Wasserströme über die Straße. Auf der Paßhöhe wird es erwartungsgemäß kalt und zugig. Eine grandiose Bergstraße wird leider auf ganzer Länge zur optischen Nullnummer.
Col du Soulor (1.474 m)
Das ändert sich auch nicht am folgenden Col du Soulor. Es stärkt unseren Durchhaltewillen, wenn wir sehen, wie sich einige unentwegte Radler den Berg hochquälen. Zumindest, das muß man der Fairness halber festhalten, gibt es heute keine Wohnmobile oder Wohnwagen, die die Kurven zuparken.
Erholung im Thermalbad
Die ursprünglich ins Auge gefaßte Aufwärmpause in Argelès-Gazost schenken wir uns. Stattdessen gönnen wir uns noch eine grandiose Talfahrt durch die wildromantische Gorge de Luz und steuern direkt auf unser Hotel in Luz-Saint-Sauveur zu. Am Talausgang kommt empfängt uns die Sonne. Der Perma-Regen bleibt hinter uns.
Eine spektakuläre Szenerie erwartet uns: Der Ort liegt in einem Gebirgskessel von rund zwei Kilometer Durchmesser, der von rund 1500 Meter hohen, nahezu senkrechten Wänden gebildet wird. Zwei Wasserfälle stürzen mehrere hundert Meter in die Tiefe. Einer von ihnen, die Grande Cascade, ist mit 422 Metern der höchste Wasserfall Europas.
Das Hotel erweist sich als Relikt des Fin-de-siècle, als der Kurort Luz-Saint-Sauveur seine große Zeit hatte. Ein Mekka für Rheuma- und Frauenleiden. So landen wir in einem Ambiente im Stil Napoleons III., seit dessen Zeiten sich kaum etwas geändert hat.
Da wir uns nur wenige Meter vom Thermalzentrum einquartiert haben, verbringen wir den Rest des Nachmittags in kräftespendenden Bädern. Ein verregneter Fahrtag – aber ein gewonnener Urlaubstag: Thermalbad, Jacuzzi, Türkisches Bad … was will man mehr? Und um unseren „Wasser“-Thementag abzuschließen, gönnen wir uns zum Abschluß im Hotelrestaurant noch eine schöne Forelle aus dem Gebirgsbach und einen dezent würzigen Weißen als Begleiter.
Empfohlener Wein aus der Region:
Lapeyre Sec, Domaine Jean-Bernard Larrieu (F-64110 Jurançon)
Empfohlene Landkarte:
Michelin Départements France N° 342 – Hautes-Pyrénnées, Pyrénnées Atlantiques
12. Etappe
Luz-St-Sauveur – Col du Tourmalet – Col d’Aspin – Col du Peyresourde – Bagnères de Luchon. 96 km
Drei Spitzenpässe an einem Tag
Sattgrüne Berge zeichnen sich in der Morgensonne gegen einen azurblauen Himmel ab und locken zu zeitigem Aufbruch. Zunächst genießen wir aber noch unser gediegenes Frühstück. Dann blinzeln wir erwartungsvoll in die Sonne und werfen den Motor an.
Col du Tourmalet (2.115 m)
Nach Osten schrauben wir uns auf der D 918 hoch zum Col du Tourmalet, dem höchsten asphaltierten Straßenpaß in den französischen Pyrenäen. Fahrerisch mag er mit dem Motorrad nicht allzu anspruchsvoll sein. Aber das Bergpanorama, das der König der Pyrenäenpässe auf seiner Höhe und bei der ostwärtigen Talfahrt eröffnet, ist faszinierend.
Oben machen wir Halt – aber wegen des ungemütlich frischen Windes nur kurz zur Dokumentation: Der Tourmalet fehlte uns nämlich noch in unserer Pässesammlung. Zusammen mit Alpe d’Huez, dem Galibier und dem Mont Ventoux gilt er als einer der schwersten und berühmtesten Anstiege der Tour de France.
Col d’Aspin (1.489 m)
Bei Ste-Marie-de-Campan zweigen wir – immer noch auf der D 918 – scharf nach Südosten in ein Seitental ab und kurven wie auf einer Achterbahn die Straße zum Col d’Aspin hinauf. Gerne hätte ich das Bergerlebnis mit nur einigen wenigen Rad- und Motorradfahrern geteilt. Aber zu meinem Leidwesen hat sich hier wegen der bevorstehenden Tour de France eine Wohnmobilkolonie angesiedelt. Und gegen diese Fahrzeuge habe ich nun mal tiefsitzende empirische Vorbehalte.
Die Paßhöhe ist fest in englischer (Motorrad-)Hand. Ich unterhalte mich mit einer Gruppe von Cockneys und könnte mich kugeln über ihren Dialekt und ihre Ausdrucksweise. Zwei behäbige Schwaben kommen auf GSen herangerollt. Schwerzüngig und unüberhörbar berichten sie von ihren Motorradabenteuern. Sie fahren genau unsere Strecke, aber andersherum. Wir schweigen dazu. So wie wir unterwegs sind, kommt es uns nicht nur auf Fahren an, sondern auch auf das Rahmenprogramm, das eine Motorradtour erst zum Gesamtkunstwerk macht.
Von einer französischen RT steigt ein Wiedergänger des Schauspielers Louis de Funès: gleiche Figur, gleiche Physignomie, gleicher Haarschnitt und genau die gleichen hektischen Bewegungen. Ich verschlucke mich vor Lachen fast am letzten Stück Milka, das meiner Naschhaftigkeit auf der Paßhöhe zum Opfer fällt.
Mir (Christine) fällt auf, dass auf dem Straßenbelag der engsten Kurven und der steilsten Anstiege lauter Durchhalteparolen für die Matadoren der Tour de France stehen. Ein netter Zug der Fans.
Col du Peyresourde (1.569 m)
Völlig losgelöst rollen wir dann talwärts und schaffen es sogar, einer Gruppe sehr flott reisender Holländer zu entkommen. Um ein Bergmassiv drehen wir nach Osten ein und kurven gute 8 km den Col du Peyresourde hoch. Als Transitpaß zum Tourmalet ist er zwar wenig spektakulär. Aber im oberen Teil macht er mit seinen 11,3 % Maximalsteigung richtig Spaß.
Auf dieser Strecke, gleich in welcher Richtung, sollte man unserem Rat folgen und in Arreau eine Pause einlegen: ein netter Ort an einem Gebirgsbach namens Neste mit bemerkenswerten historischen Häusern. Wer will, kann am gärtnerisch angelegten Ufer seinen eigenen Imbiß verzehren (Christine: die handgemachten Müsliriegel von mir z. B.), das ist billiger und vor allem entspannender als ein zeitraubender Restaurantbesuch.
Unser heutiger Zielort ist Bagnères-de-Luchon, ebenfalls ein fin-de-siècle–Kurbad. In der Nachsaison nicht gerade übervölkert, aber von der Atmosphäre her sehr ansprechend. Unser Hotel erweist sich (wieder einmal) als Glücksgriff: Eigentlich hatten wir nur nach einer preiswerten Unterkunft gesucht, aber das Hotel d’Etigny präsentiert sich zu unserer Überraschung als – wie man früher in Italien sagte, „Transatlantico“, als Hotel im Ozeandampferstil. Sauber, geschmackvoll, mit einem sehr einladenden Restaurant und dazu noch mit Lesesalon und Spielzimmer für Bridge etc.
Wir bringen unser Gepäck selbst aufs Zimmer, da uns das zartgliedrige Portiermädchen zu schwach für unsere schweren Motorradkoffer erscheint, legen Zivilkleidung an und schlendern in der Nachmittagssonne durch den Ort.
Erholung in den Thermen
Danach suchen wir die Thermen auf und lassen es uns stundenlang im Sprudelwasser und im Dampfbad gut gehen. Diese sind ein Relikt aus der Römerzeit, worauf schon die Devise über dem Eingang hindeutet: Bagnum Lixoriae secundum post Neapolitanum, also das zweite Thermalbad nach dem in Neapel. Die Schwefelquellen riechen auch so, als ob man über die Phlegräischen Felder wandeln würde. Die Römer haben sich hier in der Gallia Narbonensis hübsch eingerichtet und ein Tunnelsystem in die Felsen geschlagen, in denen die darin entspringenden heißen Quellen ein natürliches Dampfbad erzeugen. Ein himmlisch entspannendes Gefühl, zumal wenn sich die Hitze mit Massagebädern abwechselt. Wir fühlen uns danach gut durchgearbeitet. Auch der anschließende Restaurantbesuch war ein besonderes Erlebnis.
Empfohlener Wein aus der Region:
Madiran 2012, Domaine Barthoumieu (F-32400 Viella)
Empfohlene Landkarte:
Michelin Départements France N° 342 – Hautes-Pyrénnées, Pyrénnées Atlantiques
13. Etappe
Bagnères-de-Luchon – Col du Portillon – Port de la Bonaigua – El Canto – Bagnères-de-Luchon
(hin und zurück).
253 km
Zweimal 3 Pässe nach Andorra und zurück
Ziel unserer heutigen Tagestour ist Andorra. Das Wetter ist grandios und der Weg dorthin über drei Pässe höchst verlockend. Ob wir die Strecke hin und zurück an einem Tag schaffen können, wissen wir noch nicht. Aber wir versuchen es. Andererseits wollen wir Andorra eigentlich nur aus „statistischen“ Gründen anfahren: Denn bekanntlich sind die Straßen dort notorisch verstopft und es sieht ähnlich aus wie auf dem Polenmarkt hinter der Oder.
Col du Portillon (1.320 m)
Gleich hinter dem Ortsausgang beginnt auf der D 618A die 10 km lange Auffahrt zum Col du Portillon. Auch wenn er mit seinen durchschnittlichen 6,5 % Steigung eher unscheinbar ist und die Streckenführung durch die dichten Wälder keinen Fernblick erlaubt, macht es doch Spaß, ihn zu fahren. Auf der Paßhöhe überqueren wir die spanische Grenze, die in der EU für den Touristen gar nicht mehr also solche wahrnehmbar ist.
Schon bald erfreuen wir uns an den bestens ausgebauten spanischen Carreteras. Unser besonderer Dank gilt hier der Europäischen Kommission und dem deutschen Steuerzahler, der sie über das EU-Budget zu 15 % mitfinanziert hat.
Genüßlich kurven wir hinunter in das Val d’Aran, den einzigen Zipfel des spanischen Staatsgebietes, der nördlich des Pyrenäen-Hauptkamms liegt. Man spricht dort vier Sprachen: neben (vereinzelt) Baskisch auch das einheimische Aranesisch, Katalanisch und Spanisch.
Bevor wir das Tal wieder in die Bergeinsamkeit verlassen, bringen wir uns in Vielha in den Genuß des billigeren spanischen Sprits und des wesentlich preiswerteren spanischen Kaffees.
Port de la Bonaigua (2.072 m)
Auf der zahmeren Nordwestrampe geht es 23 km hinauf zum Port de la Bonaigua , dem dritthöchsten asphaltierten Paß in den Pyrenäen. Er bildet die Wasserscheide zwischen Atlantik und Mittelmeer.
Wer Kurven sucht, findet sie eher in Form weit geschwungener Serpentinen auf der Südrampe, die mit 4,9 % Gefälle in das gleichnamige Flußtal hinunterführt.
In den Serpentinen tummelt sich allerlei Getier: gutmütig dreinblickendes Hornvieh, mehr aber noch Pferde, die sich überhaupt nicht um vorbeifahrende Motorräder zu kümmern scheinen. An einem idyllischen See legen wir noch eine kleine Pause ein.
El Cantó (1.720 m)
Hinter dem Städtchen Sort erwartet uns der Aufstieg zum El Canto mit einer aufreizenden Serpentinenfolge. Voller Genuß ziehen wir mit herzbebendem Tempo die 7 %ige Steigung hoch. Trassenführung und Asphaltierung sind erstklassig und garantieren entspanntes Fahren.
Da wir heute noch in unser Basislager nach Bagnères-de-Luchon zurückfahren müssen, beschließen wir, diesen fahrerischen Höhepunkt zu unserem Tagesziel zu erklären und uns den weiteren Weg nach Andorra zu ersparen. Nach dieser Paßfahrt kann ohnehin nichts besseres kommen.
Und weil alles so schön ist, verdoppeln wir gleich die 45 km lange Paßstraße, die sich in beiden Richtungen phantastisch fahren läßt. In luftiger Höhe gönnen wir uns aber erst einmal ein gutes Ruhestündchen mit weitem Blick über die Berggipfel. Christine entschwebt derweil in noch höhere Dimensionen. Es sei ihr gegönnt nach dieser langen Kurvenhatz, in der sie tapfer mitgeschwungen ist und sogar noch aus der Schräglage fotografiert hat.
Den Rückweg gehen wir ganz gelassen an, zumal ich das Panorama bei der Talfahrt meist schöner finde als bei der Bergfahrt. Nach einem Drittel der Strecke gönnen wir uns in einem Lokal am Straßenrand einen Kaffee und, faute de mieux, eine Crema Catalán. Vielleicht sind wir durch ihre französische Schwester, die Crème brulée, doch zu sehr verwöhnt, um eine Wiederholung dieses Versuchs zu wagen.
Beim abschließenden Tankstop an gleicher Stelle in Vielha freuen wir uns nach fünf Pässen auf den sechsten und dann doch auf die Rückkehr ins Hotel und ein gutes Restaurant. Eine Vorfreude, die nicht vergeblich sein sollte …
Christines Anmerkungen:
Für Christian ein guter Tag: Fahren um des Fahrens willen und Bergpässe und Kurven satt. Ich für meinen Teil habe mein Bauchmuskeltraining, verursacht durch ständiges Gasgeben und Bremsen zur Genüge gemacht und muß zumindest für heute keine Schluchten, Paßhöhen und Haarnadelkurven mit freiem Ausblick in den Abgrund mehr haben.
Empfohlene Landkarte:
Michelin Régional Espagne N° 574 – Catalunya, Aragon, Andorra
14. Etappe
Bagnères-de-Luchon – Toulouse. 153 km
Über Toulouse muß gefahren werden – da kann der kleine Abstecher nur Freude machen. Um so mehr als Toulouse um drei Karat häßlicher ist als Lyon. Reste schöner Architektur stehen museal dazwischen.
— Kurt Tucholsky, Ein Pyrenäenbuch (1927)
Für den Weg nach Toulouse wählen wir kleine Nebenstraßen, denn die faszinierenden Paßfahrten der letzten Tage haben uns für jegliche Autobahnfahrt verdorben. Zunächst fahren wir das Tal der Garonne hinunter, die wir bei unserem Besuch in Bordeaux vorige Woche bereits ins Meer verabschiedet haben. Bei gelassenem Marschtempo genießen die sonntäglich-leeren Dörfer und Sträßchen.
Als Besonderheit fallen uns die gemusterten Steinmauern von Häusern auf, die gemischt aus Natur- und Ziegelsteinen zusammengefügt sind.
Als logistischer Stützpunkt entlang der Strecke hat sich bei uns mittlerweile McDonald’s etabliert: zuverlässig am Stadtrand zu finden, freies und unlimitiertes WiFi, sauberes WC und ein Kaffee, der in der Regel besser und billiger ist als in den lokalen Bars. So halten wir’s auch heute, nachdem das Netzwerk im Hotel gestreikt hat.
Später versuchen wir erfolglos, an der Landstraße einen geeigneten Picknickplatz zu finden und landen in einem nichtssagenden Kaff unter Platanen auf dem örtlichen Marktplatz. Immerhin: Die Bank ist schattig und das WC public durchaus publikumsfreundlich. Ich (Christine) finde, das Ganze hat etwas von High Noon. Überall geschlossene Fensterläden, hinter denen man spähende Augen vermutet, Totenstille und brütende Hitze.
Toulouse
Am frühen Nachmittag erreichen wir Toulouse und finden trotz abgestorbenen Navis zuverlässig unser Hotel. (Vier-Augen-Prinzip: Christian fährt und ich lese die Schilder). Wir haben zwar schon in anheimelnderen Etablissements genächtigt, aber die Lage im Stadtzentrum ist ok und ruhig ist es hier auch. Zunächst ist erst einmal eine Waschaktion fällig.
Den Rest des Nachmittags verbringen wir mit einem Rundgang durch die Stadt, die im historischen Zentrum mit interessanter Architektur aufwartet. Das Stadtbild insgesamt vermittelt jedoch einen weniger ansprechenden Eindruck.
Da an diesem Wochenende gerade Tag des Offenen Denkmals ist, besichtigen wir das bombastische Capitol – das Rathaus von Toulouse mit seinen großformatig ausgemalten Repräsentationsräumen. Sicher gibt es einen guten Grund dafür, warum die ausführenden Künstler nicht zu internationaler Reputation gelangt sind. Was uns angesichts der zahllosen Göttinnen, Nymphen und Heroinen auffällt, ist eine gewisse Vorliebe der französischen bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts für Brazilian Waxing.
Mitten unter all diesen Nuditäten thront als lokaler Geistesheros der Mathematiker Pierre de Fermat, Grundlagenlieferant für die Differenzialrechnung und Begründer des Großen Fermatschen Satzes. Nur kurz zur Auffrischung:
Ist n eine natürliche Zahl > 2, so kann die ηte Potenz jeder natürlichen Zahl ≠ 0 nicht in die Summe zweier ηter Potenzen natürlicher Zahlen ≠ 0 zerlegt werden.
Alles soweit wieder klar?
Zum Ausgleich besichtigen wir die Jakobinerkirche, einen eindrucksvollen Backsteinbau der Hochgotik mit einem durch eine zentrale Säulenreihe gestützten Hauptschiff. Diese Kirche, mit angegliedertem Kreuzgang und Klosterkomplex, war die Gründungskirche des Dominikanerordens. Toulouse als geistlicher Vorposten gegen die pösen Katharer, deren Land wir morgen besuchen werden.
In der Mitte des Hauptschiffs entdecken wir das prunkvoll wieder hergerichtete Grab von Thomas von Aquin. Hier schließt sich die Runde: Wir erinnern uns an unseren Besuch in seinem Geburtsort Roccasecca (Provinz Frosinone, Italien) vor 10 Jahren. Mir bleibt vor allem das krachende Getriebe (compliments of Getrag) unserer damaligen BMW R 1150 R auf der Bergstrecke dorthin im Gedächtnis. Und der herrliche Blick von den Ruinen der Familienburg in das Melfa-Tal. Und jetzt liegt der gute Doctor angelicus, der sich zu Lebzeiten in scholastischer Spitzfindigkeit darüber erging, wieviele (körperlose?) Engel wohl auf die Spitze eines Schwertes Platz haben, nur einen Steinwurf von der Airbus-Fabrik entfernt in seinem goldenen Grab. So schließt sich der Kreis auch für ihn.
Den Tag lassen wir ausklingen mit einem Besuch des Kettenrestaurants L’Entrecôte, das wir wegen seines ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnisses wärmstens empfehlen können.
Empfohlener Wein aus der Region:
Fronton
Empfohlene Landkarte:
Michelin Départements France N° 343 – Ariège, Haute-Garonne
15. Etappe
Toulouse – Carcassonne – Montferrand – Montmaur – Saint-Paulet – Saint-Félix – Toulouse. 258 km
Im Land der Katharer
In den folgenden beiden Etappen wollen wir das Land der Katharer bereisen. Als christliche Sekte des Hochmittelalters wandten sie sich von der katholischen Kirche ab. In seinem Bestreben, die Einheit der Kirche Roms wiederherzustellen, rief Papst Innozenz III. 1209 zum Kreuzzug gegen die Katharer auf. Innerhalb von 20 Jahren wurde Südfrankreich im sogenannten „Albigenserkrieg“ verwüstet und gebrandschatzt. Die Verfolgung nahm ein solches Ausmaß an, daß gelegentlich vom „ersten Genozid der modernen europäischen Geschichte“ gesprochen wird. Wir wollen einen Eindruck davon gewinnen, wo sich dieses grausame Kapitel der Geschichte abgespielt hat und wie es dort heute aussieht.
Carcassonne
Da die einstündige Fahrt auf der öden Autobahn nach Carcassonne stinklangweilig ist, überlege ich mir einen Zeitvertreib: Man sollte sich vielleicht ein Textblatt in das Kartenfach des Tankrucksacks schieben und ein Gedicht auswendig lernen. Dann haben wenigstens die grauen Zellen etwas zu tun.
Nach einer kleinen Irrfahrt durch die Vorstadt erreichen wir das mittelalterliche Zentrum von Carcassonne. Aus der Ferne nehmen sich Mauern und Türme imposant aus. Bei näherem Ansehen offenbart sich Carcassonne aber als phantasie-restauriertes Moyen-Age-Disneyland, vollgepfropft mit lärmenden Touristen, austauschbaren Andenkenläden und überteuerten Bar-Restaurants. Wenn man, wie ich, in einer natürlich gewachsenen mittelalterlichen Stadt groß geworden ist, legt man vielleicht andere Maßstäbe an.
Die Suche nach einem angemessenen Rastplatz in der Neustadt erweist sich als schwierig, bis wir letztlich in einer dieser austauschbar-nüchternen Bars mit dem schönen Namen Formule 1 landen. Alles ist in Rot gehalten. Enzo Ferrari muß dem patron wohl im Traum erschienen sein. Sogar die Klos sind zum „pit stop“ umfunktioniert. Sehr witzig, aber an den Boxen von Ferrari geht es mit Sicherheit sauberer zu.
Castelnaudary
Letztlich sind wir nicht unfroh, das Ortsschild endlich im Rückspiegel zu sehen. Wir machen uns auf den Rückweg über Castelnaudary, das wir als weitere mutmaßlich sehenswürdige Katharer-Hochburg identifiziert haben. Diese Annahme erweist sich jedoch als irrig. Wir finden nichts als architekturgewordene Häßlichkeit rings um die zentrale Place Verdun mit ihrer von Obdachlosen belagerten Markthalle, einer öffentlichen Toilette mit benachbarter Schwangerschaftsberatungsstelle und einem Etablissement namens Les Délices d’Esmeralda, das Eisspezialitäten anpreist.
Einen geborenen Anti-Touristen wie mich ziehen solche Orte unwiderstehlich an. Umhüllt vom penetranten Nebel einer wahrscheinlich schon länger nicht mehr gereinigten Friteuse lasse ich mich von der übergewichtigen Namensgeberin in ihr Eisangebot einweihen. Christine mit ihrem Caramelle zieht dabei deutlich das bessere Los als ich mit meinem Barby-pink-anilinfarbenem Erdbeereis. Mit stoischer Ruhe verzehren wir beides auf einem Brunnenrand.
Canal du Midi
Unser Vorhaben, dennoch das Land der Katharer näher kennenzulernen, führt uns ungeplant an zwei Denkmäler der Technikgeschichte: Zunächst entdecken wir abseits der Landstraße einen 20 m hohen Obelisken aus dem Jahre 1820 zur Erinnerung an Pierre-Paul Riquet, den Erbauer des Canal du Midi (1680), an dem wir schon die ganze Zeit entlang fahren.
Montferrand – Montmaur
Bei der Suche nach der Katharerburg Montferrand stoßen wir auf ein Leuchtsignal aus den 20er Jahren, das als Teil einer ganzen Kette von Positionsleuchten nächtlichen Postfliegern wie Antoine du Saint-Exupéry (Vol de Nuit) den Weg nach Süden über die Iberische Halbinsel nach Senegal und Südamerika wies.
Beeindruckend ist aber von den – mittlerweile privat genutzten – Burgbauten der weite Blick über das Land, von dem wir gar nicht genug bekommen können. Auf einer anderen Anhöhe bei Montmaur, ein paar Kilometer weiter, stoßen wir auf eine verfallende Katharerburg mit danebenliegender Kirche. Die am Ostchor aufgestellten scheibenförmigen Gedenksteine zeugen von der langen, tragischen Geschichte der Katharerbewegung. Die nächste Burg bei Saint-Paulet, wieder ein paar Kilometer weiter, hat einen privaten Besitzer gefunden, der sie für seine Zwecke sehr repräsentativ hergerichtet hat. Zugang deshalb leider nicht möglich.
Zum Abschluß besuchen wir noch ein Denkmal auf einem Berg bei Les Cassés (Aude): Zur Abschreckung weithin sichtbar im ganzen Land wurden hier im Jahre 1211 auf einem riesigen Scheiterhaufen 60 Katharer verbrannt. Gruselig.
Bei Rückkehr nach Toulouse haben wir viele interessante und auch schmerzliche Eindrücke gesammelt. Eigentlich haben wir genug von diesem Tag. Wir lassen ihn nach einer Pasta und einer Karaffe Rosé mit einem kleinen Nachtspaziergang ausklingen.
Empfohlene Landkarten:
Michelin Départements France N° 343 – Ariège, Haute-Garonne
Michelin Départements France N° 344 – Aude, Pyrénées Orientales
16. Etappe
Toulouse – Albi. 82 km
Unsere heutige Etappe führt uns nach Albi, einem weiteren Zentrum der mittelalterlichen Katharerbewegung. Um mehr vom Land mitzubekommen, lassen wir die Autobahn rechts liegen und nehmen die Landstraße. Zunächst sind wir genervt von der zeitraubend langsamen Fahrweise der hiesigen Autofahrer und etwas gelangweilt von der wenig ausdrucksstarken Landschaft. Aber das alles ändert sich, sobald wir den Tarn überqueren.
Rabastens
Durch lange Platanenalleen (wirklich spektakulär, wie kilometerlange gotische Säulenhallen) gelangen wir nach Rabastens, wo wir beschließen, eine Erkundungstour mit anschließendem Kaffeepäuschen einzulegen. Unsere Intuition zahlt sich mal wieder aus. Wir stellen die Maschine neben dem Wochenmarkt ab und entdecken eine großartige Backsteinkirche, deren Bausubstanz und Ausschmückung die Zeitläufte weitestgehend unbeschadet überstanden hat. Ganz gefangen sind wir von den wunderbaren, gut erhaltenen gotischen Fresken und nehmen die Eindrücke für ein Weilchen von einer Kirchenbank aus auf.
Albi
Die weitere Fahrt zu unserem Zielort Albi verläuft unspektakulär und ohne besondere Vorkommnisse immer geradeaus. Zu guter Letzt kämpfen wir uns mit vollbepacktem Motorrad durch die schmalen Gäßchen zu unserem Hotel im historischen Zentrum von Albi vor. Von der Ausstattung her ist es nicht gerade der Brüller. Aber seine Bewertung „2 Kochtöpfe“ und die ausgehängte Speisekarte sollten einiges zu erwarten lassen. Kombis und Stiefel sind rasch im Hotelzimmer verstaut. Die Stadt erwartet uns.
Zielstrebig besuchen wir die Kathedrale Ste-Cécile, einen gigantischen Backsteinbau, der als weithin sichtbares Siegesmonument über die Ketzerbewegung die Stadt festungsartig beherrscht. „Tötet sie alle, Gott wird die seinen erkennen“, lautete das grausige Motto des Feldzuges gegen die Ketzer, der als „Albigenser-Krieg“ in die Geschichte einging.
Dem entspricht auch eine unvergleichliche Freskenausstattung, die insgesamt 2,5 ha des Kircheninneren bedeckt. Hinter dem Altar finden sich die weltgrößten Fresken des Jüngsten Gerichts, der Bestrafung der Sieben Todsünden. (Ich, Christine, kann da gar nicht so lange und genau hinsehen, dann wird es mir ob der dargestellten Höllenqualen ganz schlecht). Da muß selbst Michelangelo mit seinem Werk zum gleichen Thema in der Sixtinischen Kapelle zurückstehen.
Zweites Hauptziel unseres Besuches ist das Toulouse-Loutrec-Museum, das nach dem Musée d’Orsay in Paris die größte Sammlung von Bildern des hier geborenen Malers beherbergt. Wir nehmen uns ausgiebig Zeit und freuen uns über die Vertiefung unserer Kunstkenntnisse. Das gut gemachte, im wunderbar restaurierten Palais de Berbie untergebrachte Museum ist unbedingt einen Besuch wert – zumal sich auf der Flußseite von einem herrlich gestalteten klassischen Französischen Garten ein malerischer Blick über Tarn und Stadt eröffnet.
Abschließendes Besuchsziel war das Kollegiatstift St-Salvi mit seinem herrlichen Kreuzgang und einem ausgesucht wohlbestückten Kräutergarten.
Wegen der Fleischlastigkeit der regionalen Küche verlegen wir uns beim Abendessen auf hausgemachte Ravioli mit Krebsfüllung und Safransoße, dazu einen Rosé von den Ufern des Tarn. Das erschien uns als passende Vorbereitung für die morgige Etappe durch die Gorges du Tarn.
Empfohlener Wein aus der Region:
IGP Vin de Pays de l’Aveyron rosé, Domaine Bertau, 12490 Montjaux
Empfohlene Landkarte:
Michelin Départements France N° 338 – Aveyron, Tarn
17. Etappe
Albi – Gorges du Tarn – Mende. 234 km
Wieder einmal hat uns die Wettervorhersage unverfroren getäuscht. Statt goldener Morgensonne hüllen uns Nebel und dicke Wolken ein. Je weiter und höher wir nach Nordosten kommen, desto ungemütlicher wird es.
Angeregt durch Informationsschilder am Straßenrand legen wir einen Stop in dem Dorf St-Sérnin ein, wo wir eine bemerkenswerte, anmutige frühgotische Kirche entdecken. Im Rathaus nebenan zeigt man uns auf meine Nachfrage einen spitzovalen bronzezeitlichen Basaltstein, aus dem die Figur einer Göttin herausgearbeitet ist. Beeindruckend.
Insgeheim sind wir ein bißchen stolz auf uns, daß es uns gelingt, solche Dinge ausfindig zu machen. Aber auch deswegen sind wir ja unterwegs. Angesichts der zahllosen Sehenswürdigkeiten, die vom Straßenrand aus beschildert sind, kann man eigentlich in Frankreich blind losfahren und dabei sicher sein, einen reich gefüllten Tag zu erleben: Schlösser, Abteien, Monolithe und noch vieles mehr.
Unerwartet bricht gegen Mittag die Sonne durch die Wolken und animiert uns zu einer Kaffeepause an einer Kreuzung in dem schönen Ort Ste-Affrique, der aber nichts mit dem schwarzen Kontinent zu tun hat.
Gorges du Tarn
Von dort aus schwenken wir nach Norden und erreichen bei St-Rome das Tal des Tarn. Wenig später, bei Ste-Enimie, beginnen dann die 35 km langen Gorges du Tarn, eine bis zu 500 m tiefe, unendlich gewundene Schlucht durch das Kalksteingebirge der Cevennen. Das karge, dünnbesiedelte Land erinnert irgendwie an die Fränkische Schweiz – aber vor einem Jahrhundert.
Wir haben unsere Motorradtour Südwestfrankreich Teil 2 extra so geplant, daß wir zum Abschluß diesen herrlichen Streckenabschnitt voll genießen können. Für solche Schluchten haben wir einen Faible: Zwar nimmt sich die Fränkische Schweiz, so schön sie auch ist, dagegen eher bescheiden aus. Aber die Gorges de lAin und mehr noch die Gorges de l’Ardèche sind da schon eine andere Nummer. Wir freuen uns insgeheim, daß wir ein Händchen dafür haben, diese sehr populären Strecken ungestört und in aller Einsamkeit fahren zu können.
Auf einem winzigen, fast verkehrsfreien Sträßchen folgen wir dem Fluß bis Millau. Schon aus weiter Entfernung wird die filigrane Struktur der von Sir Norman Foster entworfenen Autobahnbrücke über den Tarn sichtbar, mit 2.650 m Länge und 340 m Höhe das größte Bauwerk seiner Art in Europa.
Bei Ste-Enimie, wo der interessanteste Teil unserer Schluchtenfahrt endet, legen wir eine Pause ein. Dann geht es einige Kilometer weiter nach Ispagnac, vorbei an den Weinbergen, dessen Erzeugnisse wir heute Abend genießen wollen.
Am Ende der Schlucht biegen wir nordwärts auf die D 106 ein. Von dort aus windenauf wir uns auf wunderbaren Serpentinen bergan auf die kahlen Höhen der Causses de Sauveterre, wo der Wind pfeift. Von der Berghöhe geht es dann hinunter nach Mende, dem zentralen Ort des Départements Lozère, einem der am dünnsten besiedelten Gebiete Frankreichs.
Der Charakter des Ortes speist sich aus seiner ländlich-kargen Umgebung, so daß wir uns nach einem kürzeren Erkundungsgang in unser Hotelrestaurant zurückziehen und genießen, was diese Region an Gutem zu bieten hat.
Empfohlener Wein aus der Region:
Les méandres du Tarn (Chardonnay), Domaine de Gabalie, 48320 Ispagnac
Empfohlene Landkarten:
Michelin Départements France N° 338 – Aveyron, Tarn
Michelin Départements France N° 330 – Cantal, Lozère
18. Etappe
Mende – Col de la Tourette – Col de la Pierre Plantée – Lac de Naussac – Col de la Chavade – Lyon. 305 km
Gesamtstrecke: 2730 km
Durch die Cevennen
Nach einer kalten Nacht ist die Maschine reifüberzogen. Der Herbst hält hier also schon am Mitte September Einzug. Beim technischen Routinecheck stelle ich fest, dass die Unterseiten der Zylinderschutzbügel deutliche Kratzer aufweisen. Ein Souvenir vorangegangener Pyrenäen-Kurvenfahrten. Erst bei der Weiterfahrt wird mir richtig klar, wie einsam, hoch und kalt das Zentralplateau in Frankreich ist.
Col de La Tourette (839 m)
Col de la Pierre Plantée (1.264 m)
Aber die Straßen sind herrlich zu fahren: Die N 88 ist verkehrsarm, breit, gut ausgebaut und führt im westlichen Teil der Ardèche durch eine Gegend mit echtem Gebirgscharakter. Hinter Mende kurven wir auf den Col de la Tourette (839 m) hoch, von dem sich uns ein herrlicher Blick über das Tal des Flusses Lot eröffnet. Nach kurzer Bergabfahrt steigt die Bergstraße mit 5 – 6 % gleich wieder an hoch zum Col de la Pierre Plantée.
Auf einer längeren Bergabfahrt glänzt schon in weiter Ferne der Lac de Naussac . Wir fahren wir ein paar Kilometer die Uferstraße entlang und erfreuen uns an der idyllischen Ruhe.
Dann kehren dann wieder um und biegen ostwärts in das kurvenreiche Tal der Espezonnette ein. Wie Orgelpfeifen reihen sich Basaltsäulen am Talrand. Das Flüßchen schlängelt sich durch das enge Tal. Auch hier keine Menschenseele.
Gesellig wird es erst, als wir am Taleingang auf der Suche nach einem Getränkestützpunkt in Lanarce auf eine Gruppe belgischer Tourenfahrer treffen, mit denen wir uns dann bei einem Kaffee angeregt unterhalten.
Col de la Chavade (1.266 m)
Nachdem wir auf die N 102 eingebogen sind, erwartet uns ein fahrerischer Leckerbissen: der Col de Chavade. Besonders interessant ist die Ostrampe Richtung Aubenas, die auf 10 km Streckenlänge mit zahllosen Serpentinen um 660 m abfällt. Auf der Paßhöhe überqueren wir – wieder einmal – die Wasserscheide Atlantik/Mittelmeer.
Super zu fahren – wenn man die richtige (frühe) Tageszeit erwischt. Als Hauptverbindungsstrecke zwischen Puy-en-Velay und Montélimar ist sie leider stark frequentiert, hauptsächlich von LKWs. Man muß also gut planen, wann man diese so gut wie unbekannte Kurvenstrecke unter die Räder nehmen will.
Ansonsten muß man halt Geduld aufbringen und die reizvolle Bergwelt genießen. Die extrem kurvigen letzten 30 km vor Aubenas bringen wir in der stechenden Duftfahne eines Schweinelasters zu, den wir beim besten Willen nicht überholen können. Mein Entschluß, zu einer schweinefeindlichen Religion zu konvertieren, nimmt dabei greifbare Formen an.
Da in den frühen Nachmittagsstunden Geschäfte und Restaurants geschlossen haben, werden wir unweigerlich wieder Gäste von Onkel Ronald. Beim ortsüblichen Menü erholen wir uns im Schatten der rot-gelben Sonnenschirme von Kurven und Viehtransportern.
Durch das Rhônetal
Im Rhônetal angelangt, nehmen wir ab Montélimar (wie auf der Anfahrt) die Côte-du-Rhône-Weinstraße. Diese ist zwar von wunderbar anzuschauenden terrassierten Weinbergen gesäumt, nicht aber von einladenden Etablissements, in denen man mal gemütlich die Beine ausstrecken könnte. So bleibt notgedrungen eine kahle Tankstelle der Rastplatz der Wahl.
Vollkommen unspektakulär rollen wir auf Landstraße und einem Reststück Autobahn unserem Zuhause entgegen. In Lyon laufen wir dann prompt auf den erwarteten Nachmittagsstau auf. Ohne Wehmut, aber voller schöner Erinnerungen erreichen wir nach einer artistischen Einlage im Stadtverkehr die heimatliche Garage.
Drei prallvolle Wochen bieten uns genug Stoff für eine unvergessliche Tour. Aber leider ist auch sie einmal zu Ende. Bei einer Flasche Saint-Joseph trösten uns damit, daß für spontane Unternehmungen immer noch die Hochalpen vor unserer Haustür liegen. Und die Ardèche auch, so daß wir wohl kaum Phantomschmerzen wegen Tourenmangels befürchten müssen.
Empfohlene Landkarten:
Michelin Départements France N° 331 – Ardèche, Haute-Loire
Michelin Départements France N° 327 – Loire, Rhône
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Aktualisiert am 05/03/2021 von Christian