Eine Motorradtour in die preussische Vergangenheit durch einsame Landschaften jenseits der Oder mit vielen neuen Einblicken.
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten
Pole Position im Krankenhaus
Schlimmstenfalls enden Motorradtouren im Krankenhaus. Manchmal aber beginnen sie dort – und dann kann es richtig interessant werden. Meine Pole Position war in diesem Falle das Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin. Im Besucherraum begann ich über die Namenspatronin zu grübeln, Auguste Viktoria, die letzte deutsche Kaiserin: hochgewachsen, strammer Busen, Wespentaille, ankerkettenstarkes Perlencollier und fromm bis in die Knochen – so ist sie der Nachwelt in Erinnerung geblieben.
Das Edelfäulein stammte aus den neumärkischen Wäldern zwischen Cottbus und Posen, der tiefsten (ehemals) preußischen Provinz. Von verschiedenen Touren her weiß ich, daß man in dieser unberührten Landschaft toll Motorrad fahren kann. So reifte im Krankenhaus der Plan für eine Motorradtour in die preußische Vergangenheit zum Schloß der letzten deutschen Kaiserin, die vor 100 Jahren im holländischen Exil gestorben ist.
Streckenplan
Von Frankfurt (Oder) aus verläuft meine Tour durch die heute polnische Neumark zum Heimatschloß der Kaiserin in Dłużek (Dolzig) und dann noch ein Stück weiter nach Niederschlesien hinein bis nach Sagan. Von dort aus geht es am westlichen Oderufer entlang über Forst (Oberlausitz) und Eisenhüttenstadt wieder zurück nach Frankfurt. Sie endet dort, wo sie begonnen hat: am Kleist-Museum in der Altstadt.
Frankfurt (Oder) – Kunowice (Kunersdorf) – Brody (Pförten) – Dłużek (Dolzig) – Żagań (Sagan) – Grenzübergang Forst O./L. – Eisenhüttenstadt – Frankfurt (Oder). 326 km
Das Schlachtfeld von Kunersdorf
Mein braves Vierzylinder-Kraftwerk war noch gar nicht recht warm geworden, da mußte es gleich hinter der Oderbrücke wieder verstummen – an der Tankstelle. Gutes polnisches Superbenzin für wenig mehr als einen Euro der Liter sprudelt fröhlich in den Tank, da kann man nicht meckern.
Ein paar Kilometer weiter biege ich im Dorf Kunowice (Kunersdorf) links ab. Hinter dem Dorfausgang mahlt sich meine massige Maschine durch einen Hohlweg und märkischen Sand einen Hügel hoch:

In diesem Hohlweg blieb 1759 die preussische Kavallerie stecken.

Heute sieht alles friedlich aus auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Kunersdorf.
Hier traf 1759 in der Schlacht von Kunersdorf die Armee Friedrichs des Großen auf die verbündeten Russen und Österreicher. Mit fatalen Folgen für die Preußen. Friedrich fing sich eine Flintenkugel ein, die aber in seiner Schnupftabaksdose steckenblieb. Dort, wo jetzt meine Maschine im Sand steckt, kam die preußische Kavallerie nicht weiter. Chaos, Blut und horrende Verluste auf beiden Seiten. Der Ort und die geschichtlichen Hergänge sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Aber wenn man schon einmal durch diese Gegend tourt, lohnt es sich doch, die Dinge einmal im Zusammenhang zu betrachten.
Schloß Brody (Pförten)
Wer Einsamkeit sucht, unberührte Natur und eine Welt, die vor 100 Jahren stehengeblieben zu sein scheint, der findet sie hier hinter dem Ostufer der Oder. Da stört mich auch die schrundige Landstraße 29 nicht, die mich durch tiefe Wälder und vereinzelte Dörfer führt. Eine Pause gönne ich mir erst, als ich meine Maschine vor dem ausgebrannten Rokkokoschloß Pförten (Brody) auf den Ständer schiebe.

Brody (Pförten): Ein stolzes Schloß wartet auf eine ungewisse Zukunft.
Hier mache ich halt, weil dieser majestätische Bau früher der Familie eines guten Kollegen gehörte und er mir viel davon erzählt hat. Das einstige architektonische Juwel starrt jetzt mit hohlen Fenstern in die Landschaft, der prächtige Park ist abgeholzt und verwildert. Ein Ziel für Vandalisierung, woran auch die teilweise Restaurierung der Nebengebäude kaum etwas zu ändern vermag. Während ich auf dem Rand eines verfallenen Brunnenbeckens im Park mein Picknick verzehre, stelle ich mir vor, wie prachtvoll diese Anlage einmal gewesen sein mag. Traurig, das alles, aber es gehört nun mal zum Gang der Geschichte.
Schloß Dłużek (Dolzig)
Kerzengerade geht es weiter durch ausgedehnte Wälder – früher Fürst Pücklerscher Besitz, heute Naturschutzgebiet. Als ich in den frühen 1980ern hier öfters zur Jagd herkam, gehörte die Landstraße noch der furmanka, dem hölzernen Pferdewagen mit einem schläfrigen Bauern auf dem Sitzbrett. Heute aber rollen mir hier schwere Autotransporter entgegen, beladen mit noblen deutschen Diesel-SUVs, die wenige Kilometer hinter der Grenze einem erfüllten Gebrauchtwagenleben entgegensehen. Wie sich die Zeiten ändern.

In der gleichen Gegend vor 40 Jahren: keine Autos, nur die Kraft der Natur.
Wenn hier in einem Dorf dicht an dicht Bäume zu sehen sind, dann gehören sie garantiert zu einem Schloßpark. So finde ich ohne größere Irrwege das Schloß Dolzig, in dem die spätere Kaiserin Auguste Viktoria groß geworden ist.

Jugendjahre einer Kaiserin auf Schloß Dłużek (Dolzig)
Über eine lieblose Brachwiese hinweg grüßt es mich schon von weitem, samt der ehemaligen Patronatskirche daneben. Ich schleiche ein wenig herum, weiche dann aber doch den mißtrauischen Blicken der Ortsansässigen aus und belasse es bei diesem Eindruck.
Schloß Żagań (Sagan)
Im weiteren Verlauf der holperigen Landstraße 287 überquere ich den Streifen, der früher einmal die Grenze zu Niederschlesien bildete. Nach Durchquerung des trostlos wirkenden Städtchens Żary (Sorau) lande ich wenig später in der ehemaligen und auch jetzigen Kreisstadt Żagań (Sagan).

Schloß Sagan
Das Schloß von Sagan, der erste Bau des Frühbarocks in Schlesien, hat eine wechselvolle Geschichte von Wallenstein bis zur Plünderung durch die Rote Armee 1945. Heute ist es, gut restauriert, Sitz der städtischen Kulturverwaltung. Clou des Ganzen ist aber der weitläufige Schloßpark am Ufer des Bober-Flusses. Einst ein Juwel der Landschaftsgärtnerei, später nach-/kriegsbedingt heruntergekommen, ist er im vorderen Teil wieder hergestellt. Es tut wirklich gut, sich in dieser Umgebung vor der Weiterfahrt noch ein wenig die Füße zu vertreten.
Eisenhüttenstadt
Für die Rückfahrt nach Deutschland bleibt mir leider nichts weiter übrig, als mich hinter Żary (Sorau) auf die quälend langweilige Autobahn 18 zu schlagen. Vorher noch ein technischer Halt an einer abgeranzten Tankstelle. Die stark in die Breite gegangene, nicht mehr ganz junge Dame an der Kasse werde ich auf meiner Weiterfahrt wahrscheinlich arg vermissen. Nicht wegen ihres Charmes, sondern wegen des überaus mäßigen Betrages, den sie mir für meinen Refill abverlangt.
Dann lasse ich es einfach laufen, immer nach Westen, der Sonne entgegen. Hinter der Grenze lasse ich die geliebte Autobahn hinter mir und folge bis zum Tagesziel der Bundesstraße 112. Rechts die Oder, links die Tagebaue, und dann wieder Wälder, immer wieder Wälder, immer geradeaus.
Schließlich treibt mich meine Neugier ins Zentrum von Eisenhüttenstadt. Nachdem drei Jahre zuvor der Staat Preußen aufgelöst worden war, entstand hier 1950 die erste sozialistische Wohnstadt für das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO). Bisher hatte ich nur ein sehr widersprüchliches Bild von dieser Stadt. Aber zu meiner Überraschung hinterlassen die Wohnensembles im klassizistischen Stil ein durchaus positives Bild. Offene Gliederung, viel Grün. Da wurde anderswo Schlimmeres gebaut. Das Architekturensemble gilt als eines der größten Flächendenkmale in Deutschland.

Eisenhüttenstadt – Die Einflüsse der Sowjetarchitektur sind unverkennbar.
Wenige Kilometer weiter endet meine Motorradtour in die preußische Vergangenheit dort, wo sie begonnen hat: am Heinrich-von-Kleist-Museum in Frankfurt (Oder). Man gedenkt dort des Dichters, der auch deswegen Selbstmord beging, weil ihm er von dem Gefühl besessen war, das intellektuelle Klima in Preußen habe ihm die verdiente Anerkennung versagt.
Fazit
Zugegeben: Die fahrerischen Reize einer Motorradtour in die preußische Vergangenheit durch den Westen des heutigen Polen kommen nur schwer an die Streckenspezialitäten vieler anderer Gegenden heran. Aber sie bietet in einer Zeit begrenzter Reisemöglichkeiten eine hervorragende Gelegenheit, Unentdecktes kennenzulernen und das Erlebte in den eigenen touristischen Horizont zu integrieren. Abseits der geraden Straßen und der endlosen Wälder eröffnet diese Tagestour ordentliche Substanz. Abwechslungsreich wird sie überall dort, wo man näher an die Oder herankommt. Für manchen Ortsfremden dürfte dies ein Geheimtipp sein.
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Aktualisiert am 17/04/2021 von Christian
Wolfgang Steinmaier
17. April 2021 at 19:21
Vielen Dank für die interessanten Berichte und Infos. Es freut mich das da jemand ganz ohne kommerzielle
Ziele publitziert.
Speziell dieser Bericht hat mir besonders gefallen, da ich auch immer auf der Suche nach historischen Stätten bin
und dies natürlich auch gerne mit einer Motorradtour verbinde. Schade nur das gerade im reichen Bayern fast alle
Objekte „schönrestauriert“ wurden oder touristisch überlaufen sind. Da ist ja der Osten Deutschlands und Polen sicher ein tolles Revier!
Ich freue mich schon auf ihren nächsten Tourbericht!
Allzeit gute Fahrt wünscht aus München
Wolfgang Steinmaier
Christian
18. April 2021 at 19:21
Hallo Wolfgang,
ich freue mich, daß meine Suche nach interessanten Zielen am Rande meiner Motorradtouren Deinen Gefallen findet. Motorrad fahren und dabei etwas Anregendes mit nach Hause nehmen, das ist halt eine tolle Kombination. Meine Notizbücher stecken noch voller Impressionen aus den Böhmischen Ländern (die im Grunde auch von München aus gut erreichbar sind). Wie gerne würde ich wieder einmal dorthin fahren. Aber der Weg dorthin ist leider bis auf weiteres versperrt.
Ich wünsche Dir eine anregende, erlebnisreiche Motorradsaison und immer gute Fahrt!
Viele Grüße
Christian