Motorradtour planen mit künstlicher Intelligenz scheint in greifbare Nähe gerückt. Geht das aber wirklich?
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Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype?
„Künstliche Intelligenz“ (KI) heißt der neue Hype, wenn es darum geht, dem Menschen geistige Arbeit abzunehmen und das Ergebnis seines „Schaffens“ als authentisches Produkt erscheinen zu lassen. KI soll alles können – Gebrauchsanweisungen schreiben, Aufsätze verfassen, Prüfungsarbeiten bestehen lassen oder sogar richterliche Urteile abfassen. Wenn das alles funktionieren soll – und auch weitgehend schon sehr brauchbar funktioniert, dann stellt sich die Frage: Kann ich auch eine Motorradtour mit künstlicher Intelligenz planen?
Um diese Frage schlüssig zu beantworten, müssen wir ein wenig ausholen.
Es begann mit maschineller Übersetzung
Am Anfang – in den 60er und 70er Jahren des 20.Jahrhunderts – stand das Bemühen, die Übersetzung von Texten in eine Fremdsprache einer „Maschine“ zu übertragen. Treibende Kraft und Finanzier dieses Vorstoßes waren seinerzeit die amerikanischen Streitkräfte. Damit schlug auch die Geburtsstunde der „Generativen Grammatik“, mit der Sprachwissenschaftler versuchten, grammatische Regelsysteme zu formulieren, die in der Lage wären, automatisiert Sätze einer Sprache zu generieren.
Weder ich selbst noch meine Prüfer, die mich im Fach Sprachwissenschaften durch die Mangel drehten, konnten damals ahnen, wohin diese Entwicklung knapp ein halbes Jahrhundert später führen würde. Vorerst bestand jedoch die größte Hürde darin, daß zu jener Zeit genügend leistungsfähige Rechner samt zugehöriger Software noch nicht verfügbar waren.
Maschinelle Übersetzung gehört heute zum Alltag
Die Quantensprünge der Informations- und Computertechnik haben in den vergangenen Jahren die Perspektiven maschineller Texterstellung grundstürzend geändert. In einer Zeit, in der gigantische Rechenzentren wie das des Lawrence Livermore National Laboratory oder dasjenige von Google eigene Kraftwerke betreiben, um unüberschaubare Datenmengen verarbeiten zu können, sind dem „Füttern“ von Rechnersystemen nur theoretisch Grenzen gesetzt.
Programme wie Google Translate haben erste bedeutsame Landmarken gesetzt. Andere, wie DeepL, kamen später hinzu. Künstliche Intelligenz auf diesem Gebiet überzeugt durch eine sehr hohe Qualität des Ergebnisses. In der Ausgangs- und Zielsprache Englisch kann das Programm wohl auf die breiteste Datenbasis zurückgreifen. Erstaunlicherweise überzeugen die Übersetzungen von DeepL ins Italienische und Französische in puncto Syntax, Wortschatz und vor allem stilistisch noch viel mehr.
Was früher stundenlang Zeit und Schweiß kostete – denken, blättern und schreiben – erledigt das Programm heutzutage in Realzeit mit einem in der Regel druckreifen Ergebnis.
Texte entstehen mit künstlicher Intelligenz
Das gilt aber nicht nur für Übersetzungen, sondern auch für die freie Textgestaltung. Mittlerweile gibt es sogar KI-Spezialprogramme, die ganze Fortsetzungsromane schreiben können. Nobelpreisverdächtige Ergebnisse darf man sich von ihnen freilich vorerst noch kaum erwarten, aber auf dem Niveau sommerlicher Liegestuhllektüre liefern sie sehr brauchbare Texte. Mit Tendenz zu steigender Qualität, je größer die Datenbasis wird, mit der sie gefüttert werden. Wie sonst sollten „Erfolgsautoren“ in der Lage sein, jedes Jahr einen kiloschweren Bestseller auf den Markt zu werfen?
Meilenstein ChatGPT
Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist das KI-Programm ChatGPT (General Pretrained Transformer), das Ende vergangenen Jahres für die öffentliche Nutzung freigeschaltet wurde und seither von Millionen freiwilliger Nutzer (auch von mir) erprobt und „gefüttert“ wird.
Das Programm beschreibt sich selbst als „Chatbot-System, das darauf angelegt ist, menschliche Konversationen zu simulieren“. Es verwendet eine Kombination aus maschinellem Lernen und natürlicher Sprachverarbeitung, um Antworten auf Benutzeranfragen zu generieren.
Die Entwickler weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, ChatGPT sei „nicht in der Lage, selbständig und intelligent zu lernen, zu entscheiden oder zu planen.“ Mit anderen Worten: In diesen Bereichen hat nach wie vor der Mensch Überlegenheit und Kontrolle.
So gesehen hat das System kein eigenes Verständnis von dem, was zu wissen es vorgibt. Es leimt lediglich Informationsbruchstücke zusammen, die ihm aus –zig Millionen Trainingstexten eingegeben wurden. Aus diesen Trainingstexten lernt das System vorherzusagen, welches Wort in einer begonnenen Abfolge das wahrscheinlich nächste ist. ChatGPT führt mit uns also keine Kommunikation im eigentlichen Sinne, sondern stückelt – statistisch getrieben – Wort an Wort.
Das Intelligente am System besteht jedoch darin, daß es im Laufe des Trainings neue thematische Gewichtungen vornimmt und diese mit seinem bestehenden „Wissen“ rückkoppelt. Ein klassischer Lernprozeß also. Oft sind Tausende solcher Korrekturschleifen nötig, in denen sich das System immer wieder aufs Neue justiert, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Je mehr Nutzer also das System mit ihren Fragen und Korrekturen füttern, desto weiter optimiert es sich.
Kann ChatGPT nützlich für uns Motorradfahrer sein?
Damit kommen wir zu der Frage: Kann ich als Motorradfahrer ein KI-System für mein Hobby nutzen, vielleicht auch für meine Tourenplanung? Wenn ja, wie sehen die Ergebnisse im Vergleich mit der Art, wie wir bisher unsere Motorradtouren planen?
Für unsere Zwecke lautet die Ausgangsfrage: Was kann ChatGPT? Wo liegen seine Stärken? Während der grauen motorradfreien Winterzeit habe ich das Programm ausprobiert, mit erstaunlichen Ergebnissen.
Nach meiner Erfahrung erweist sich ChatGPT überall dort als gut einsetzbar, wo es um die Erläuterung klarer, standardisierter Abläufe geht, für die im Netz umfangreiches Erfahrungswissen hinterlegt ist. Hier muß der Bot auch nicht weiter kreativ werden, sondern kann das servieren, was ihm an Texten aus den Weiten des Netzes bereits gefüttert wurde.
Auf meine Testfrage: Wie muß ich die Ventile am Motorrad einstellen und was muß ich dabei beachten? gab er mir eine sachgerechte, durchaus zufriedenstellende Arbeitsanleitung. Dann wurde ich etwas frecher und bat ihn: Schreibe mir eine Arbeitsanleitung zum Wechseln der Zündkerzen am Motorrad im literarischen Stil von Thomas Mann – und erhielt ein fachlich und stilistisch durchaus ansprechendes Ergebnis.
Bekommt ChatGPT eine ordentliche Tourenplanung hin?
Die Königsdisziplin der KI für unsere Zwecke wäre wohl eine ausgeklügelte Tourenplanung mit allem Drum und Dran, was zum Motorradfahren reizt – Kurven, Pässe, Landschaften, Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten. Deshalb stellte ich dem Bot eine Aufgabe, zu der es im Netz tonnenweise Berichte gibt:
Plane eine spannende kurvenreiche Motorradtour entlang der deutschen Alpenstraße und sage mir, was ich unterwegs dabei sehen muß.
Der Bot erkannte zwar, was ich von ihm wollte, begnügte sich aber mit allgemeinen touristischen Auskünften:
„Die deutsche Alpenstraße bietet eine atemberaubende Aussicht auf die Alpen und einige der besten Kurven für Motorradfahrer. Einige der Highlights, die Sie unterwegs sehen sollten, sind:
- Der Fernpass: Dieser Pass führt durch die Ammergauer Alpen und bietet eine spektakuläre Aussicht auf die Berge.
- Die Wieskirche: Eine barocke Wallfahrtskirche, die für ihre prächtige Innenausstattung bekannt ist und zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
- Schloss Neuschwanstein: Das berühmte Schloss von König Ludwig II, das oft als Vorbild für das Disney-Schloss diente.
- Das Kloster Ettal: Ein barockes Kloster mit einer beeindruckenden Kirche und einem Klostergarten, der einen Besuch wert ist.
- Der Großglockner: Mit einer Höhe von 3798 Metern, ist der Großglockner der höchste Berg Österreichs und bietet eine atemberaubende Aussicht.
- Der Hahntennjoch: einer der berühmtesten Motorradstrecken in den Alpen. Es bietet eine atemberaubende Aussicht und eine Herausforderung für erfahrene Motorradfahrer.
Es gibt viele weitere Orte entlang der deutschen Alpenstraße, die einen Besuch wert sind. Stellen Sie sicher, dass Sie genug Zeit haben, um alle Sehenswürdigkeiten und Aussichten zu genießen. Vergessen Sie nicht, eine Kamera mitzunehmen, um die Schönheit der Alpen festzuhalten.“
Diese Antwort zeigt, daß ChatGPT auch dubiose Auskünfte geben kann, denn die Streckenführung der Deutschen Alpenstraße über den Großglockner beruht wahrscheinlich auf einer Straßenkarte von 1938. Deshalb präzisierte ich meine Anfrage wie folgt:
Wie ist der genaue Streckenverlauf der Deutschen Alpenstraße?
und bekam die Antwort:
„Die Deutsche Alpenstraße ist eine der bekanntesten und beliebtesten Straßen für Motorradfahrer und Autofahrer in Deutschland. Der Streckenverlauf variiert je nach Quelle, aber eine häufig empfohlene Route ist:
- Start in Lindau am Bodensee
- Fahrt durch die Allgäuer Alpen, vorbei an Immenstadt und Sonthofen
- Weiterfahrt nach Füssen, bekannt für die Schlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau
- Durch die Ammergauer Alpen, vorbei an Bad Tölz und Lenggries
- Weiterfahrt durch die Chiemgauer Alpen, vorbei an Reit im Winkl und Lofer
- Ankunft in Berchtesgaden, bekannt für das Kehlsteinhaus (Eagle’s Nest) und die Zugspitze
Die Strecke ist etwa 300 km lang und bietet atemberaubende Aussichten auf die Alpen sowie die Möglichkeit, historische Städte und Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Es ist wichtig zu beachten, dass es auf der Strecke enge und kurvenreiche Streckenabschnitte sowie Steigungen und Gefälle gibt. Es ist wichtig, sicher zu fahren und die Verkehrsregeln zu beachten.“
Der zarte Hinweis auf den Obersalzberg als Zielpunkt läßt vermuten, wo ChatGPT seine Informationen wohl ausgegraben hat. Aber ich gab nicht nach und erkundigte mich nach Details der Streckenführung:
Welche Straßennummern muß ich auf der Deutschen Alpenstraße wählen?
„Die Deutsche Alpenstraße hat keine feste Straßennummer, da es sich um eine Sammlung von Straßen durch die deutschen Alpen handelt. Eine mögliche Route von Lindau bis Berchtesgaden könnte die folgenden Straßennummern enthalten:
- A 96 von Lindau nach Immenstadt
- B 308 von Immenstadt nach Füssen
- B 17 von Füssen nach Bad Tölz
- B 307 von Bad Tölz nach Reit im Winkl
- B 21 von Reit im Winkl nach Lofer
- B 311 von Lofer nach Berchtesgaden
Es gibt jedoch viele Alternativen Straßen und Abzweigungen, die Sie wählen können, um Ihre Reise individueller zu gestalten und zusätzliche Zwischenziele zu besuchen. Es empfiehlt sich, eine detaillierte Karte oder einen Navigationsgerät zu verwenden, um sicherzustellen, dass Sie die beste Route für Ihre Reise wählen und Ihre Zwischenziele erreichen können.“
Womit die künstliche Intelligenz ihre Kapitulation erklärt hätte.
Was taugt KI bislang für die Tourenplanung?
Was taugt also KI bislang für die Tourenplanung, wo bestehen noch Lücken und was könnte die künftige Entwicklung noch bringen?
Was ChatGPT an handfesten Informationen für die Tourenplanung ausspuckt, geht bislang nur unwesentlich über das hinaus, was die Suchergebnisseiten der üblichen Suchmaschinen präsentieren. Nur erscheint das Ergebnis – und das ist das Neue – in einer auf die persönlichen Bedürfnisse des Anfragenden redigierten Dialogform.
Geographisch/topographische Informationen, die zumindest eine detaillierte Streckenplanung ermöglichen würden, wie sie die gebräuchlichen Tourenplaner bieten, sind offensichtlich dem System noch nicht antrainiert bzw. in es eingearbeitet.
Um diese Lücke zu schließen, müßte ChatGPT mit einem umfangreichen Vorrat an Geodaten gefüttert werden. In wieweit hier den Ansprüchen der jeweiligen Rechteinhaber Rechnung zu tragen ist, gehört zu den großen offenen Fragen der KI überhaupt.
Zum anderen besitzt der Konkurrent Google eine ganze Reihe von Patenten auf Natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing – NLP), mit denen er sein eigenes in Arbeit befindliches System LaMDA schützen kann und wird. Da bei diesen Patenten einer der großen Schwerpunkte auf der Semantik liegt, also Informationsabfrageverfahren zur Auswahl der relevantesten Suchergebnisse, dürfte es für den Softwareentwickler OpenAI künftig schwer werden, zum Sprung von der reinen Datensammlung zu einer neuen, innovativen Qualität von KI anzusetzen. Die wird naturgemäß auch Folgen dafür haben, ob sich ein System wie ChatGPT für spezielle Anwendungen wir die Planung einer Motorradtour eignet.
Fazit
ChatGPT ist ein leistungsfähiges Programm für eine Vielzahl von Anwendungsbereichen. Seine Lernfähigkeit wird künftig seine Einsatzmöglichkeiten eminent steigern – mit allen Möglichkeiten und Problemen, die dazu gehören. Für sehr spezielle Anwendungen wie die Tourenplanung, die ein ebenso spezielles Training mit Geodaten und semantischen Kapazitäten erfordern, sind vorerst noch Grenzen gesetzt. Insofern müssen wir uns bei der Tourenplanung mit KI bislang mit Ergebnissen begnügen, die nur unwesentlich über allgemeine touristische Informationen hinausgehen und sich mit ihren Ratschlägen stets nach allen Seiten absichern.
Titelbild: Ilja Tschaschnik, Suprematistisches Muster (1922)
Aktualisiert am 29/01/2023 von Christian