Eine sommerliche Motorradtour nach Süditalien ist trotz brüllender Hitze ein fahrerischer Leckerbissen mit tollen Erlebnissen. Wo locken Kurven, Küche und Kultur?
Geschätzte Lesedauer: 12 Minuten
Roundup Italien
Unsere mehrwöchige Motorradtour nach Süditalien soll sie uns mehr bringen als Kurven und Kilometerfresserei. Wir werden das Land von Süd bis Nord durchkreuzen. Dabei wollen wir aus der Perspektive des Motorradsattels sehen, wie sich Italien in den letzten Jahren entwickelt und verändert hat.
Da wir das Land seit vielen Jahren ganz gut kennen, bleiben uns nur einige Lücken zu schließen. Genau hinschauen, Erfahrungen vergleichen, mit Menschen reden und vor allem herrliche Strecken fahren, auf denen sich noch nicht halb Nordeuropa tummelt. Das wollen wir.

Der Autor (in Lederhose) bei seiner ersten Italienreise im Mai 1954 (Auto: FIAT Giardiniera, noch mit Besatzungskennzeichen)
Wir wollen in die „hinteren Ecken“ Italiens schauen, die eher im Windschatten des allgemeinen touristischen Interesses liegen: das Innere Siziliens, Kalabriens und der Basilikata, der apulische Stiefelabsatz bei S. Maria di Leuca. Auch der kurvenreiche Monte Gargano und die Strecke durch den Apennin bis hinauf nach Bologna sollen nicht zu kurz kommen.
Wegen der langen Anreise von Berlin aus haben wir uns die Fahrt auf eigener Achse geschenkt. Stattdessen haben wir unsere Motorradtour nach Süditalien mit Autoreisezug und Fähre kombiniert. Unsere Erfahrungen damit haben wir in einem eigenen Beitrag festgehalten.
Das Wunder von Palermo
Italien ohne Sizilien macht kein Bild der Seele, hier ist erst der Schlüssel zu allem.
— Goethe, Italienische Reise. Palermo, 13. April 1787
Der Autoreisezug hatte uns über Nacht bis jenseits der Alpen gebracht. An der Entladerampe in Verona wartete schon unser Sohn mit seiner Multistrada, um die erste Hälfte unserer Motorradtour nach Süditalien mitzufahren. Die Überfahrt mit der Fähre von Genua nach Palermo war als Mini-Urlaub ein idealer Einstieg zu einer Tour, die uns noch viel Ausdauer abverlangen würde. Über eine lange Rampe rollten wir aus dem Schiffsbauch. Dann empfing uns das abendliche Verkehrschaos von Palermo.
Dieses bereitete uns allerdings weit weniger Ungemach als eine kilometerlange Marienprozession, die uns stundenlang den Weg zum Hotel versperrte.
Da kein Ende abzusehen war, machten wir es uns in einer benachbarten Bar in Sichtweite unserer Motorräder bei Apéritif und Chips bequem. Dabei begleitet vom Klang süßlicher Marienlieder aus der Hauptstraße. Noch konnten wir nicht wissen, wie hilfreich uns die Ortsheilige Rosalia sein würde.
Parkplatzprobleme
Nachdem sich der versprochene „sichere Parkplatz“ unseres Hotels als Fiktion erwies, ketteten wir unsere Maschinen auf offener Straße aneinander. Wohl oder übel vertrauend auf das Versprechen eines dubiosen „wilden“ Parkplatzwächters, es gehe schon alles in Ordnung.
Deshalb war unser Schlaf sehr leicht in dieser Nacht. Im Geiste sah ich uns schon – mangels Motorrädern – auf der Fähre nach Genua zurückkehren. Aber Santa Rosalia hatte ihr schützendes Gewand über unsere begehrenswerten Motorräder gehalten. Nach dem Frühstück standen beide noch brav da. Und das in Palermo. Wunder gibt es immer wieder. Selbst bei einer Motorradtour nach Süditalien.
Legendäre Bergrennstrecke Targa Florio
An Leckereien hat Sizilien nicht nur eine variantenreiche Küche zu bieten, sondern auch eine Kurvenspezialität ersten Ranges: die Targa Florio. 900 Kurven auf 74 km Distanz – diesen fahrerischen Leckerbissen wollten wir uns keinesfalls entgehen lassen:
Von unserem Hotel aus ist die ehemalige Boxengasse der Rennstrecke auf der holperigen (aber kostenfreien) A 19 in einem guten Stündchen zu erreichen. Wo einst Rennsportgeschichte geschrieben wurde, stehen wir jetzt unter dem Zirpen der Grillen einsam vor der Zuschauertribüne am Start.
Was dann für den Rest des Vormittags folgte, ist Motorradfahren in Sizilien vom Allerfeinsten. Eine herrliche Berglandschaft, in der sich die eng angelegte Strecke zwischen schroffen Felsen, grünsilbernen Olivenhainen und knallgelben Ginsterbüschen bis auf 635 m emporwindet. Pinien- und Kräuterduft zieht durch das geöffnete Visier herein. Man möchte ahnen, daß sich hinter dem nächsten Bergvorsprung ein Dorf verbergen mag. Doch es kommt keines. Mutterseelenallein ziehen wir unsere Kurven durch das sizilianische Bergparadies.
Im brennenden Herzen Siziliens
Das häufigste Verkehrsschild auf dieser Strecke trägt den Schriftzug „Tornante“ – Haarnadelkurve. Von dem verlockenden Kurvenangebot machen wir frohen Herzens Gebrauch. Wenn hier Rallyefahrer mit einem Porsche 908/3 mit 128 km/h durchgebrettert sind, war das schon eine ganz schöne Leistung. Sooo doll wollen wir es doch nicht treiben. Aber es bringt Eltern und Sohn unheimlich Spaß. Übrigens: Von der Targa Florio hat der siegreiche Porsche Targa seinen Namen bekommen.
In Caltavulturo, einem steinigen Bergdorf, entfliehen wir der Hitze in eine sehr gut sortierte Tavola Calda, laben uns an Sandwiches und viel Getränk. Hinterher serviert uns der Barista herrliches Eis von den Pistazien, die in der Umgebung wachsen. Unsere Maschinen werden derweil von zwei alten Herren bewacht, die sich dabei wohl an ihre Jugendzeit erinnert fühlen. Abschließend noch ein kleiner Plausch, dann winden wir uns talwärts auf die Autobahn, die mittlerweile die originale Rennstrecke überlagert.
Römische Mosaiken und Swimming Pool
Wenn wir schon auf einer Motorradtour nach Süditalien sind, dann lassen wir lassen es uns eine Besichtigung der römischen Mosaiken in Piazza Armerina nicht nehmen. Denn dort finden sich die größten, die es im Römischen Reich gegeben hat. 120 Millionen Steine. Wie der Luxus in der Einsamkeit beweist, war Sizilien einst die reichste Provinz des Römischen Reiches.
Dann reicht uns der nette Parkplatzwärter wieder unsere Klamotten, die er (gegen einen großzügigen Obolus) freundlicherweise in Verwahrung genommen hatte. Doch eine Hitzeetappe mit 38° bis in die Gegend von Enna bleibt uns leider nicht erspart. Endlich taucht wie eine Fata Morgana unser Quartier vor uns auf, ein Agriturismo im klassischen sizilianischen Stil mit herrlichem Pool.
Wir können kaum sagen, was uns mehr verwöhnt hat: das erfrischende Bad oder das prachtvolle Menü auf der Panoramaterrasse mit Blick über das abendliche sizilianische Bergland. Was für ein Tag!
Durch Sizilien nach Messina
Nach einem morgenfrischen Frühstück auf der Terrasse starten wir in den neuen Tag. Wohl wissend, daß wir auch heute etliche Schweißperlen werden lassen müssen. Auf der gut ausgebauten Landstraße geht es hinauf in das Bergstädtchen Caltagirone, bekannt durch seine von bemalten Kacheln verzierte lange Treppe im Stadtzentrum.
Eine sommerliche Motorradtour nach Süditalien ist verdammt heiß. Schließlich erreichen wir gegen Mittag auf der der Landstraße nach Catania satte 38° C. Wir versuchen, dies ortsüblich und angemessen durch einen verstärkten Fahrtwind zu kompensieren. Linker Hand grüßt uns über viele Kilometer hinweg der Ätna. Der ist noch heißer. Mit Gruseln erinnere ich mich an den Versuch unserer Kinder (als sie noch klein waren), mit der schönen glühenden Lava zu spielen.
Durch endlose Orangenplantagen umrunden wir den Vulkan von Süden her. Dann schlagen wir uns auf die Autobahn, um möglichst zügig den Hafen von Messina zu erreichen. Kühlungspausen mit Bitterorangenlimonade („Chinotto“) an jeder zweiten Autobahnraststätte halten uns derweil einigermaßen frisch.
Der Fährverkehr über die Straße von Messina nach Villa San Giovanni verläuft unerwartet unkompliziert. Für die gut ausgeschilderte Shuttle-Fähre kauft man sich an der Pier für 13,50 Euro ein Ticket und läßt sich auf das nächste eintreffende Schiff winken. Verzurrt wird nicht, die Maschine kommt mit eingelegtem 1. Gang auf den Seitenständer und das war’s.
Reggio Calabria
Die Überfahrt über die Straße von Messina katapultiert uns in die griechische Mythologie: Unsere Reederei heißt Caronte, nach Charon, dem mythologischen Fährmann, der die Sterbenden über den Fluß des Todes bringt. Vom Oberdeck der Fähre aus erspähen wir die Verstecke der Seeungeheuer Skylla und Charybdis, die mit spitzen Zähnen die Seeleute fressen und sie in die Tiefe strudeln.
Schöne Aussichten für unsere Motorradtour nach Süditalien. Doch die Überfahrt verläuft ruhig und ohne Zwischenfälle, ein tolles Erlebnis für sich. Auf dem kalabrischen Festland steuern wir unserer Unterkunft in Reggio Calabria zu, einem ungewöhnlich reizvollen B & B mit sehr netter Betreuung. Das i-Tüpfelchen dabei ist, daß wir unsere Maschinen im abgeschlossenen Hof der Villa unter Zitronenbäumen abstellen können. Beruhigend.
Erstaunlicherweise gehört Reggio Calabria zu den weithin unterschätzten Provinzstädten Italiens: Die Innenstadt ist sauber, ordentlich, elegant und vom Flair der spanischen Bourbonenherrschaft im 19. Jahrhundert geprägt. Ein Boulevard mit interessanten Cafés und Geschäften durchzieht die Altstadt. Parallel dazu verläuft eine Seepromenade mit gepflegten Anlagen und viel Platz für Fußgänger.
Im blauen Dunst erheben sich über das Meer hinweg die Berge Siziliens. Die Küche ist von vorzüglichen Fischspeisen geprägt, wovon wir uns im Laufe des Abends ausgiebig überzeugen können. Nicht zu vergessen: Die Menschen sind sehr umgänglich und freundlich.
Statuen aus dem Meer
Natürlich darf auf unserer Motorradtour nach Süditalien ein Museumsbesuch nicht fehlen. Deshalb machen wir nach dem Frühstück im Wintergarten unserer Villa am Archäologischen Museum mit den beiden berühmten Bronzestatuen Halt. Sie wurden vor einigen Jahren bei Riace aus dem Ionischen Meer geborgen. Imposant. Bemerkenswert auch die Garderobière, die sich sofort erbot, unsere Helme, Jacken und Tankrucksäcke während der Besichtigung zu verwahren. Bikers welcome.
SS106 Ionica – Die Route 66 Italiens
Dann führt uns die einsame Küstenstraße SS106, 471 km von Reggio C. nach Taranto, am südlichen Rand Italiens entlang. Links von uns hohe Berge bis auf 2.000 m hinauf. Rechts das türkisblaue, kristallklare Ionische Meer. An der Straße entlang blühende Sträucher und Gärten.
Aber auch jede Menge Bauruinen, Halbruinen und Investitionsruinen. Eine beredte Aussage über Wirtschaft und Investitionen in diesem entlegenen Landesteil. Die Fahrt verläuft zügig und entspannt, aber die Strecke zieht sich endlos hin und es ist unerträglich heiß. Dazu wirken die Dörfer wie ausgestorben. Vielleicht auch deshalb haben wir ernsthafte Schwierigkeiten, eine halbwegs brauchbare Bar oder Tavola calda zu finden, um uns zu verköstigen. Für Italien eigentlich untypisch.
Griechisches Erbe
Auf dem weiteren Weg finden wir Straßenschilder in griechischer Sprache. Sie erinnern daran, daß dies im Altertum griechisches Kolonialland war und die Sprache nie ganz untergegangen ist. Oben in den Bergen, wo sich im Mittelalter selbst die Osmanen nicht hintrauten, haben sich sogar noch altgriechische Dialekte erhalten.
Am Ende des Tages schlagen wir in einem Küstenstädtchen namens Marina di Gioiosa Ionica unser Quartier auf. Ein nettes Hotel / Halbruine direkt am Strand. Dann genießen wir das laue, klare Meer und dümpeln bis zum Abendessen im Wasser.
Unsere Motorräder haben sich mittlerweile daran gewöhnt, über Nacht aneinander gekettet zu werden. Schließlich wollen sie am nächsten Tag die Reise mit uns fortsetzen.
Durch Flußtäler ins Innere Kalabriens
Was wäre eine Motorradtour nach Süditaliens ohne einen Abstecher in die Seitentäler der kalabrischen Abruzzen? Dort locken der Parco nazionale dell’Aspromonte und der Parco regionale delle Serre mit herrlichen Kurvenstrecken durch einsame Flußtäler, urigen Dörfern, einer rauhen, naturbelassenen Landschaft und vielen Dingen, die es zu entdecken gilt.
Unsere erste Entdeckung war keine Straße, sondern eine Frucht: die Bergamotte, eine Zucht aus süßer Limette und Bitterorange. Der Duft ihres Öls ist bekannt aus Parfums, vor allem aber aus dem Earl Grey Tea. 90% der Welternte stammen aus dem kalabrischen Küstenstreifen, den wir jetzt entlangfahren.
Unsere reizende Zimmerwirtin in Reggio Calabria hatte uns einen Besuch der Plantage eines Freundes vermittelt. Allerdings wüchsen die Bäume ganz hinten im Gebirge und die Gegend sei nur auf kleinen kurvigen Straßen zu erreichen. Na wunderbar, genau das, was wir suchen.
Das Sträßchen entpuppt sich als wildromantisch, nebenan ein riesiger, im Sommer aber trockener Flußlauf. Im Frühjahr donnert hier aus bis zu 2.000 m Höhe das Schmelzwasser zu Tal und treibt riesige Steine vor sich her.
Nach einer längeren, aber sehr interessanten Fahrt stoßen wir auf den Bergamotte-Hain und fühlen uns wie in einer anderen Welt.
Geisterdörfer in Kalabrien
Forschend tasten wir uns über gefühlt 100 Kurven, Brückchen und Felsüberhänge weiter das Bergsträßchen hinauf, breit genug allenfalls für Eselskarren oder Motorräder. Es führt uns zu einem Geisterdorf im hintersten Gebirge: An einem Steilhang schachteln sich unbewohnte, fensterlose aus groben Steinen gefügte Häuser übereinander. Eine Kirche thront hohläugig über allen, das ehemalige Bürgermeisteramt ist verwaist. Tonlose Stille beherrscht das Tal. Die ehemaligen Bewohner haben hier keine Zukunft mehr gefunden. Sie sind abgewandert. Aufs Festland vielleicht oder nach Amerika.
Aspromonte-Nationalpark
Nach einem Bogen durch die Berge zurück auf der Küstenstraße, biegen wir bei Marina di Gioiosa Ionica ab auf die SS682 durch den Aspromonte-Nationalpark ab. Gerne hätten wir die parallele Provinzialstraße durch Berge genommen. Aber das hätte uns bei dieser Bruthitze Stunden gekostet und unseren ganzen Reiseplan durcheinandergeworfen. Schließlich hatten wir gestern zur Genüge Kurven im Gebirge.
Unsere hervorragend ausgebaute Staatsstraße entschädigt uns mit herrlichen Ausblicken auf ein dicht bewaldetes Mittelgebirge. Wie im Hochschwarzwald erinnert. Kurven, Tunnels, Berge, wenig Verkehr, einfach toll zu fahren.
Bei Rosarno schwenken wir auf die ebenfalls landschaftlich reizvolle Autobahn A2 ein, die uns das Verkehrsgetümmel um Catanzaro herum erspart. Wenig später leuchtet uns von Westabhang des südlichen Apennins aus der Tiefe das türkisblaue Tyrrhenische Meer entgegen. Blühende Ginster- und Oleanderbüsche begleiten die Fahrbahn, der Duft der Macchia umweht uns – so läßt sich Autobahn ertragen.
Rätselhaftes Cosenza
Um auf unserer Motorradtour nach Süditalien nicht dauernd ereignisarme Strecken fahren zu müssen, haben wir uns Cosenza als Etappenziel ausgesucht. Die gebuchte Unterkunft ist schnell gefunden. Praktischerweise wartet eine Straße weiter eine moderne bewachte Tiefgarage, in der auch unsere Maschinen eine angemessene Bleibe finden. Hinterrad an Hinterrad zusammengekettet. Doppeladler.
Die Atmosphäre in Cosenza mutet so archaisch an wie der architektonische Eindruck seiner Altstadt.
Erstmalig spüren wir hier eine mißtrauische Distanz, die uns entgegengebracht wird, sobald die Leute mitbekommen, daß wir gut Italienisch sprechen. Da mögen bei ihnen allerlei Vermutungen zusammenkommen, die sich uns Nordländern nicht so recht erschließen. Rätsel über Rätsel.
Zwei Berühmtheiten sind in Cosenza tot vom Pferd gefallen: Der Stauferprinz Heinrich VII. und Isabella von Kastilien. Ersterer ruht in der Kathedrale in einem römischen Sarkophag, der Spanierin ist ein Denkmal gewidmet. Ein Besuch dieses romanischen Sakralbaus empfiehlt sich unbedingt.
Das Grab im Busento
Eine dritte Berühmtheit ist hier begraben, und zwar im Busento: der Gotenkönig Alarich, für dessen Grab der Fluß umgeleitet wurde. Erinnerungen an den Deutschunterricht kommen hoch:
Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder / Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wider!
Und den Fluß hinauf, hinunter, ziehn die Schatten tapfrer Goten / Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.
— August von Platen, Das Grab im Busento
Gefunden haben auch wir das Grab nicht, aber eine Lokalität mit einem hervorragenden Abendessen. Einer Pizzarda, einer kalabrischen Pizza-Spezialität mit reichlichem Belag. Unbeschreiblich lecker und erstklassig serviert im Ristorante Mamy, Via Rodotà Pietro Pompilio, 87100 Cosenza.
Bari und das staufische Apulien
Um es kurz zu fassen: Apulien ist reich an erstrangigen Kulturschätzen. Ein fahrerisch interessanter Abschnitt einer Motorradtour nach Süditalien ist diese Gegend allerdings nicht. Flaches Land, schnurgerade Straßen, vermüllte Stadtränder, häßliche Betonruinen, überfüllte Kieselstrände. Man muß also aus bestimmten Gründen unbedingt dorthin wollen, insbesondere, wenn einem tagelang die brutale Sonne den Helm fast vom Kopf wegschmilzt.
Unser Quartier im Stadtzentrum von Bari ist sehr nett. Das Problem eines vertrauenswürdigen Parkplatzes für unsere Motorräder löst sich einen Häuserblock weiter. Wir tauchen in eine Tiefgarage aus den 50ern hinab, die allenfalls für die Größenordnung eines FIAT 500 gebaut wurde. Jetzt ist sie aber mit SUVs vollgestopft, die vom Garagenwärter nach Bedarf rangiert werden.
So will er es auch mit unseren Maschinen machen, was bei mir sämtliche Warnleuchten aufblitzen läßt. Da er zudem alles andere als freundlich oder gar entgegenkommend ist, wird ein viertelstündiger Small Talk als vertrauensbildende Maßnahme unumgänglich. Ausführlich beklage ich mich darüber, wie sauschwer unsere Maschinen sind, nur damit er seine Finger davon läßt. Schlußendlich konnte ich unseren Kasemattenbären dann doch zur gewünschten Kooperationsbereitschaft veranlassen.
Kulturelle Hauptziele in Apulien
Die Reiseführer schwärmen in epischer Breite von den reichen Kunstschätzen Apuliens, die man sich unbedingt ansehen müsse. Ihre Vielzahl kann sich aber wohl nur ein Profi mit ausführlicher Vorbereitung zu Gemüte führen, was naturgemäß den Rahmen einer Motorradtour nach Süditalien sprengt. Deshalb habe ich meine alten Studienskripten hervorgekramt und eine repräsentative Auswahlliste der kulturellen Ziele zusammengestellt. Diese reicht für einen abgerundeten Eindruck von der staufischen Kultur Apuliens vollkommen aus.
Ort | Sehenswürdigkeit |
---|---|
Canne della Battaglia | Schlachtfeld Hannibals 216 v. Chr. |
Barletta | Stauferkastell - Koloss von Barletta |
Trani | Kathedrale San Nicola Pellegrino - Stauferkastell - Altstadt |
Molfetta | Duomo di San Corrado - Duomo Santa Maria Assunta |
Bari | Basilica San Nicola - Castello Svevo |
Monòpoli | Kathedrale Santissima Maria della Madia - Kastell Kaiser Karls V. - Altstadt |
Bergrunde Apulien und Basilicata
Wider Erwarten gewinnen wir dem bergigen Hinterland Apuliens doch noch einige abwechslungsreiche Strecken ab. Sie sind zwar problemlos zu fahren, aber: Abseits der Hauptrouten sind die Straßen miserabel, voller Risse und Schlaglöcher. Eine genaue Zeitplanung für eine Tagesetappe ist deshalb kaum möglich. Andererseits fährt man in dieser Gegend meist stundenlang alleine durch endlose Olivenhaine und Weinberge. Wir hätten nie gedacht, daß es in Italien so viele Oliven geben kann. Was macht man nur damit? Nur Olivenöl? Oder Häppchen zum Apéritif? NATO-Oliv?
Erster Anlaufpunkt ist Locorotondo, ein kreisrund angelegtes Städtchen auf einer Bergkuppe. Es schmückt sich mit der Auszeichnung, zu den „Borghi più belli d’Italia“ zu gehören, den schönsten Orte Italiens. Nicht zu Unrecht, denken wir, als wir durch die engen Gassen schlendern und vom terrassenartigen Dorfplatz den Blick über die Weite Apuliens schweifen lassen. Bei 35° im Schatten.
Unvermeidliche Trulli
Unser nächstes Ziel Alberobello verdankt seine Berühmtheit vor allem den Trulli, kreisförmigen Steinhäusern. Sehr hübsch das ganze Ensemble, aber auch sehr touristisch. Wer sich den Trubel ersparen will: Die Trulli finden sich schon weit vorher entlang der Straße durch die Wein- und Olivengärten der Region. Seen it, done it.
Eine andere Nummer ist schon Matera mit seinen Felshöhlen und den aneinandergeschachtelten Häusern auf den Felsen. Wer sich den neuen James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ ansieht, wird die Szenerie (wieder-)erkennen: Der Film wurde in Teilen dort gedreht.
Eine Warnung: Auf keinen Fall in die Stadt hineinfahren, dort sieht man nichts. Sondern gleich die SS 7 ostwärts Richtung Taranto nehmen und nach ein paar Kilometern rechts bergan abbiegen auf die Contrada Múrgia Timone. Diese führt zunächst zu einem Informationszentrum und dann – mit Shuttle-Bus erreichbar – zum Aussichtspunkt auf Matera. Dort eröffnet sich ein wunderbarer Blick auf Felsenhöhlen und Altstadt. Die Fahrt lohnt sich unbedingt.
Stauferkaiser Friedrich II.
Das Castel del Monte Kaiser Friedrichs II. ist die Krönung jeder Apulien-Tour. Mitten im Parco Nazionale della Alta Múrgia gelegen, thront es, von unserer holperigen Landstraße schon über viele Kilometer sichtbar, über der weiten Landschaft. Ein stolzer Anblick. Steht man davor, kann man die rationale Architektur kaum fassen. Es ist ein Stein gewordenes Modell der staufischen Reichsidee.
Mit diesem erhabenen Erlebnis im Kopf rollen wir über viele Kilometer durch Olivenhaine sanft talwärts zurück nach Bari.
An der Küste durch Apulien
In Bari verabschieden wir uns von unserem Sohn, der auf eigener Achse 2.000 km nach Norddeutschland zurückackern wird. Christine und ich machen uns derweil auf den Weg nach S. Maria di Leuca am äußersten Südostende Italiens.
Auf der Autobahn nach Süden bläst uns der glühende Saharawind ins Gesicht wie ein Heißluftfön. Als wir bei Brindisi in die Stadt abbiegen, wird es keineswegs besser, im Gegenteil: Der Fahrtwind fehlt, die Steinmauern der Altstadt strahlen unbarmherzig ihre Hitze auf uns ab. Zudem verfranzen wir uns hoffnungslos im Gassengewirr.
Bei einer Orientierungspause in der Altstadt hält eine Carabinieri-Streife neben uns. Ich frage den Maresciallo, wie wir wohl am besten zu den beiden antiken Säulen kommen, die das Ende der Via Appia Antica kennzeichnen. Höflich und präzise gibt er mir Auskunft, ohne sich im Geringsten vom auflaufenden Verkehr hinter ihm irritieren zu lassen. Und dann: „Lassen Sie aber bitte Ihr Motorrad nicht außer Sichtweite stehen, sonst ist es schneller weg, als Sie schauen können.“ Ein echter Kenner der Szene.
Mit leichter Wehmut betrachten wir die beiden Säulen am Ende der Via Appia. An ihren Anfang in Rom haben wir schöne Erinnerungen: nette Restaurants inmitten der Ruinen, Christines Lieblingsgärtnerei, Spaziergänge entlang der antiken Denkmale an lauen Sommerabenden. Am Hafen von Brindisi endet also die Via Appia. Der weitere Weg führt über das Meer in den Orient.
An der Südspitze Italiens
Dann kehren wir zurück ins Sahara-Gebläse und sehen zu, daß wir schnellstmöglich über Lecce und Gallipoli nach S. Maria di Leuca kommen. Unser B & B dort liegt am äußersten Ende des Stiefelabsatzes. Der Besitzer bittet uns, die Maschine in den geschützten Innenhof zu rangieren. Anschließend lädt das türkisblaue Ionische Meer zum verdienten Bad.
Bevor wir uns auf den Felsen des Panorama-Restaurants zum Abendessen niederlassen, machen wir einen kurzen Ausflug zu jenem Punkt, an dem sich der Sonnenuntergang am kitschigsten präsentiert. Wir sind überwältigt. Dieser herrliche Ort ist die Wendemarke unserer Motorradtour nach Süditalien.
Kurvenparadies Monte Gargano
Tags darauf gehen wir auf Nordkurs, den Sahara-Fön im Rücken. Allerdings ist die Fahrt auf der Autobahn und der anschließenden Landstraße zum Monte Gargano ist unspektakulär und langweilig. Umso mehr haben wir uns zwei volle Tage Badeurlaub redlich verdient.
Der gebirgige Sporn des italienischen Stiefels entschädigt uns mit seinen herrlichen Serpentinenstrecken für alle Entbehrungen auf gradlinigen Straßen der vergangenen Tage. Kurve um Kurve präsentiert sich tief unter uns das Adriatische Meer in neuer Perspektive und in anderem Licht. Der Duft der blühenden Macchia strömt durch unsere geöffneten Visiere.
Michaelsheiligtum: Die Grotte auf dem Berg
Auf dem Gipfel empfängt uns das Michaelsheiligtum – das dritte nach Mont-St-Michel in Frankreich und Michael’s Mount in Cornwall (das vierte, Archangelsk, fehlt uns noch). Mit der Pilgerschar steigen wir durch die Kapelle hinab in die Höhle des Heiligen, gefangen von der andächtigen Stimmung dieses Ortes.
Auf der Bergstraße kurven wir weiter nach San Giovanni Rotondo, dem Heiligtum des Padre Pio. Der vom italienischen Star-Architekten Renzo Piano entworfene Kirchenbau wirkt monumental, der riesige Vorplatz für 30.000 Menschen wie ein geistliches Aufmarschfeld von realsozialistischen Ausmaßen.
In der Krypta der Kirche liegt in einem Glassarg der einbalsamierte Kapuzinerpater, gegen den Lenin auf dem Roten Platz in Moskau ein vergleichsweise armseliges Ruheplätzchen hat. Uns umfängt ein bedrückendes Gefühl wie vorher nur im Mormonentempel in Salt Lake City.
Schweigend und leicht verstört schwingen wir uns die Kurven des Vorgebirges wieder hinab zum Meer.
Am nächsten Tag düsen wir dann auf der Autobahn nordwärts nach Pescara, um für weitere zwei Tage den feinen Sandstrand und das lauwarme Meer zu genießen.
Faszinierende Bergstraßen in den Abruzzen
Pescara ist bei einer Motorradtour nach Süditalien wegen seiner guten Straßenanbindung an den Nationalpark Maiella ein hervorragender Ausgangspunkt für eine kurvenreiche Bergetappe durch die Abruzzen. Zudem ist fahrerisch der Einstieg in das zentrale Mittelgebirge von den Marken aus unvergleichlich reizvoller als aus Richtung Toskana/Umbrien.
Die Apennin-Etappen unserer Tour sind eine Collage aus verschiedenen Jahrgängen der Motorrad-Veteranenrallye Milano-Taranto und des Giro d’Italia. Deren Veranstalter müssen ja wohl wissen, welche Bergstrecken attraktiv und anspruchsvoll zu fahren sind.
Deshalb steuern wir auf landschaftlich reizvollen Sträßchen direkt den Passo Lanciano (1.306 m) an, den Zugang zum Skigebiet der Maiella. Daß diese 20 km lange Paßstrecke mit einem Höhenunterschied von 2.039 m bei Radrennfahrern berüchtigt ist, wird uns bald klar: Tückische Kurvenserien wechseln mit Steilanstiegen aus den Serpentinen heraus ab. Noch dazu ist der Straßenzustand erbärmlich. Unsere voll beladene FJR drückt schwer in die Talkurven, um dann kraftvoll wieder nach oben zu ziehen. Schwerarbeit für Fahrer und Maschine.
Gran Sasso d’Italia
Sobald wir nach dieser Paßstraße das Tal des Pescara-Flusses durchschritten haben, windet sich unsere SR 117 bis den Gran Sasso d’Italia hinauf. Die Bergwelt ist karg dort, die Straßen sind noch schlechter als all das, was heute hinter uns liegt. Aber die blühende Landschaft ist faszinierend. Auch auf diesem Streckenabschnitt sind wir mutterseelenallein und können die Bergwelt genießen.
Als es uns schon fast zu viel wird mit der Kurbelei im Felsgebirge, streckt sich unsere Straße in eine weite Hochebene hinein, beiderseits gesäumt durch hohe, kahle Bergketten. Dann entschließt sie sich unvermittelt zu einer Serie von Serpentinen auf 2.130 m hinauf zum Campo Imperatore.
Das herrliche Bergpanorama versöhnt uns mit dem kalten Wind, der uns nach tagelangen Wüstentemperaturen hier um die Ohren pfeift. In dieser Einsamkeit war Mussolini nach seiner Absetzung im Juli 1943 interniert, bis ihn deutsche Fallschirmjäger mit einer Kommandoaktion herausholten. Während wir uns auf dem Gelände umtun, wartet unsere Maschine vor einem Plateau von der Größe eines Fußballplatzes. Daß hier ein Fieseler Storch landen und wieder starten konnte, ist kaum zu glauben. Wer mehr darüber wissen will, mache sich unter dem Schlagwort Unternehmen Eiche kundig.
Ein heißer Kaffee in der Bar nebenan muß sein bei dieser Kälte. Ein enormer wolliger Maremmen-Abruzzen-Schäferhund sucht Wärme und Streicheleinheiten bei Christine. Dann ziehen wir die Reißverschlüsse unserer Kombis wieder hoch und lassen uns, das Panorama genießend, ein gutes Stündchen wieder talwärts rollen.
L’Aquila 10 Jahre nach dem Erdbeben
In der Tiefgarage unseres Hotels in L’Aquila verabschieden wir uns für heute von unserem Motorrad und machen uns landfein zur Erkundung der Stadt. Nach dem schweren Erdbeben von 2009 ist L’Aquila nicht wieder zu erkennen. Das historische Zentrum ist zwar zum Teil wieder aufgebaut, aber es gibt noch unendlich viel zu tun. Stählerne Stützrahmen bewahren zahlreiche Palazzi vor dem Einsturz. Die politischen und sozialen Probleme des Wiederaufbaus sind seit einem Jahrzehnt notorisch.
Das öffentliche Leben ist noch nicht in die Stadt zurückgekehrt. Aber die Menschen flanieren abends wieder auf einer Hauptstraße, in die nur wenige Läden, Bars und Restaurants wieder eingezogen sind. Als wir später inmitten der Ruinen am weiß gedeckten Tisch eines exzellenten Lokals sitzen, kommt uns dieses Szenario noch unwirklicher vor. Ob L’Aquila wieder das werden kann, was es einmal war? Wir haben da unsere Zweifel.
Via Salaria – Trasimenischer See – Arezzo
Über die Abruzzen führen nicht nur tolle Bergstraßen. Auch die Fahrt durch die tiefen Täler hat ihren Reiz. Deshalb habe ich ein Stück der Via Salaria eingeplant, der alten römischen Salzstraße quer durchs Land. Flott fahren wir mit eleganten Schwüngen am rauschenden Fluß entlang, ganz allein, denn der Hauptverkehr von L’Aquila nach Rom konzentriert sich auf die Autobahn. Steile Berge ragen neben uns in die Höhe. Hinter jeder Kurve erwartet uns ein neuer Ausblick. Eine Genußstrecke für Motorradtouristen.
Hinter Todi gehen wir das Wagnis ein, den Weg zum Trasimenischen See auf kleinen Nebenstraßen durch das malerische Umbrien abzukürzen. Das kann man so machen. Aber man muß auf einen urigen Straßenzustand gefaßt sein. Deshalb sind wir redlich geschafft von der Kurbelei, als wir uns zu einer romantischen Mittagspause in Castiglione am Trasimenischen See niederlassen.
Unser Blick gleitet über das Wasser hinüber an das Nordostufer, wo Hannibal mit seinen Elefanten im Jahre 217 v. Chr. die Römer ins Wasser trieb. Dann machen wir uns auf den Weg nach Arezzo, wo wir uns in einem wunderschönen Renaissancepalast an der Piazza Grande niederlassen.
Durch die Toscana
Normaltouristen benötigen für die Strecke von Arezzo über Florenz nach Bologna maximal einen knappen Vormittag. Wir haben uns aber für den Rückweg von unserer Motorradtour nach Süditalien eine viel attraktivere Route ausgesucht:
Westlich von Arezzo machen wir am Oberlauf des Arno bei Ponte a Buriano an einer steinernen Bogenbrücke aus dem 14. Jahrhundert Halt. Genau dieses Motiv wählte Leonardo da Vinci als Hintergrund für seine Mona Lisa (rechts neben ihrer vorderen Schulter).
Dem Arno folgen wir nach Pontassieve, wo wir nordwärts in das Tal des Sieve einbiegen. Hinter dem Örtchen Scarperia e Piero schalte ich zwei Gänge herunter, als wir die Motorrad-GP-Strecke Mugello passieren. Jetzt liegt sie in unverdächtiger Ruhe da. Aber wenn der Große Preis von Italien läuft, ist hier der Teufel los.
Passo della Futa
Unsere Streckenwahl durch das Hinterland hat einen guten Grund: Zum einen ist das lauschige Sievetal wunderbar zu fahren (mit minimalem Verkehr, versteht sich). Vor allem ist die Auffahrt auf den Passo della Futa von Borgo San Lorenzo weitaus rassiger als von Florenz aus. Über 90 km locken zahllose Kurven, Serpentinen, An- und Abstiege. Eine Achterbahn durch den nördlichen Apennin. Mit schwerer Maschine, Gepäck und Sozia erwartet den Fahrer allerdings ein schönes Stück Arbeit. Vielleicht habe ich ihn auch deshalb latinisiert in „Passo della Fututa“.
Solo ist es aber, wie ich mich gerne erinnere, der lupenreine Genuß. Die Ducati-Werksfahrer aus Borgo Panigale bei Bologna nutzen die Paßstraße als Teststrecke. Da braucht man eigentlich nichts anderes, zumal Mugello am Weg liegt.
Auf der Paßhöhe (903 m) legen wir eine verdiente Pause ein. Dann fahren wir noch ein Stück hinauf zum deutschen Soldatenfriedhof, auf dem 30.683 Gefallene bestattet liegen. Der Futapass bildete den zentralen Abschnitt der die sog. Gotenstellung (von Massa Carrara im Westen bis Pesaro im Osten), die nach harten Kämpfen erst Ende April 1945 von den Alliierten durchbrochen werden konnte. Eine grauenvolle Vorstellung, die uns den Wert eines friedlichen Zusammenlebens umso eindringlicher vor Augen führt.
Die Talfahrt nach Bologna hinunter ist keineswegs unanstrengend, aber immerhin entspannter als die hinter uns liegende Bergfahrt. Am Ende sind wir froh, im Herzen Bolognas Quartier zu beziehen und die kilometerlangen Laubengänge der Stadt zu durchstreifen.
Heiliger Antonius — Grappa — Valsugana
Jede Rückfahrt aus Italien über die Alpen führt unweigerlich durch die Poebene. Das heißt: Flachland, Hitze, schnurgerade Straßen, Langeweile. Warum sollte es bei uns heute anders sein?
Um dieses Szenario mit etwas Abwechslung anzureichern, statten wir dem Heiligen Antonius in Padua einen Besuch ab. Er ist bekanntlich der Schutzheilige aller, die nach etwas Verlorenem suchen. Solchen Beistand kann man im Zweifel immer brauchen. Beeindruckt hat uns nicht nur die riesige romanisch-gotische Basilika mit ihren 8 Kuppeln, sondern auch das von Donatello geschaffene Reiterstandbild des Söldnerführers Gattamelata nebenan – das erste seiner Art seit der römischen Epoche.
Die vom LKW-Verkehr überlastete SP47 von Padua nach Bassano del Grappa möchte man seinem ärgsten Feind nicht wünschen. Um wenigstens zeitweise den Kolonnen zu entrinnen, verlassen wir die Hauptstraße und gondeln durch das Städtchen Cittadella, eine geometrische Stadtanlage mit vollständigem Mauerring. Leider fehlt uns die Zeit für eine eingehende Stadterkundung.
Was wäre eine Fahrt durch Bassano del Grappa ohne den Besuch einer Brennerei? Wir haben uns für den Familienbetrieb Nardini entschieden: Erstens ist die Marke mein Lieblingsgrappa. Zweitens liegt das Stammhaus direkt an der sehenswerten historischen Holzbrücke über die Brenta. Drittens hat die Eigentümerfamilie mit den bolle (Glasblasen) am Stadtrand architektonisch gewagte Firmengebäude hingestellt, die schon aus diesem Grund interessant sind. Und viertens ist Cristina Nardini als primadonna des vierköpfigen Leitungsteams seit 1779 die erste Frau an der Spitze des Unternehmens. – Ein komplexes Besuchsprogramm für so eine kleine Stadt.
Die Alpen haben uns wieder
Im Valsugana tröstet uns die SS47 für alles, was sie uns bislang angetan hat. Bis in die späten 60er Jahre hinein war sie nur eine kleine und deshalb ewig verstopfte Landstraße. Jetzt aber düsen wir auf vier Spuren durch die herrliche Bergwelt. Toll zu fahren! Viele Wanderer und Enduristen werden die Bergwelt beiderseits des Valsugana kennen und die Überreste jener Schlachten gesehen haben, die hier im Ersten Weltkrieg in großen Höhen geschlagen worden sind. Ein weiteres trauriges Kapitel Geschichte auf dem Rückweg von einer Motorradtour nach Süditalien.
In Pergine, kurz vor Trento, quartieren wir uns am See in einem motorradfreundlichen Hotel ein. Unser Abendessen müssen wir uns leider mit einem Spaziergang um den halben See erkaufen. Aber es lohnt sich: Polenta Valsugana mit Pfifferlingen und Rindergulasch. Ein herrlicher Abschluß eines fade beginnenden, dann aber immer interessanter werdenden Tourentages.
Im Starkregen zurück nach Deutschland
Um Staus und Maut aus dem Wege zu gehen, folgen wir für die Schlußetappe unserer Motorradtour nach Süditalien dem Tipp zweier deutscher GSler an der Raststätte und schlagen ab Sterzing den Weg über die alte Brennerstraße und den Zirler Berg ein.
Daß wir irgendwann den Preis für bis dahin 4.000 tolle Tourenkilometer würden bezahlen müssen, war uns schon auf der ganzen Strecke klar. Unweigerlich werden wir auf der Brennerstraße zur Kasse gebeten. Sprühregen setzt ein. Von lähmenden 38° in Sizilien werden wir in Sommerklamotten auf brutale 10° heruntergekühlt. Ab Innsbruck macht dann Starkregen das Maß voll. In einem innerstädtischen Verkehrsstau beschließen wir, uns eisern bis München durchzuschlagen, coûte que coûte.
Auf halber Höhe des Zirler Berges geht dann nichts mehr. Wir suchen Unterschlupf in einem Restaurant, verwundert beäugt von etlichen Wohlstandstouristen der Generation Y, die wohl die Welt nicht mehr verstehen. Wir ziehen es vor, nichts zu bemerken und löffeln distinguiert eine Rinderkraftbrühe mit Einlage. Trocken geworden sind unsere Klamotten bei dieser Pause nicht, aber unser Durchhaltevermögen ist gestärkt.
Bayern hat uns wieder
Hinter Mittenwald wundere ich mich, daß ich mit einer automatischen Bewegung das Visier öffne. Der Regen hat nachgelassen, aber auch alle Ausflügler von der Straße vertrieben. Ungestört kurven wir eine der unbestrittenen Pretiosen der deutschen Motorradwelt entlang, die Walchensee- und Kochelseestraße. Will da jemand unsere Seele streicheln?
An der Isar in Bad Tölz stärken wir uns mit Kaffee und Kuchen. Dann noch eine letzte Tankfüllung und ab geht’s nach München. Mit Wohlgefallen sehe ich die Zieldistanzanzeige auf dem Navi zusammenschrumpfen. Autobahnabfahrt, dreimal um die Ecke, schon sind wir da. In der geräumigen Tiefgarage erwarten uns Tochter und Enkelkinder, um uns in einen freien Parkplatz einzuwinken. Von da aus entschweben wir mit unseren Koffern per Aufzug in den obersten Stock, um nach einer heißen Dusche in die zivilisierte Welt zurückzufinden. Welch ein Luxus!
Zurück nach Berlin
Zwei Tage strecken wir im Familienkreis unsere Knochen aus, dann müssen wir wohl oder übel zurück nach Berlin und unsere Motorradtour nach Süditalien hat ein Ende. Müssen? Nein, das ist nicht unsere Art. Vorher wartet noch der Thüringer Wald mit einem besonderen Tourenschmankerl auf uns. Dazu aber mehr in einem eigenen Beitrag, weil’s so schön war.
Innerlich werden wir zusehends stiller, als wir am Ende der AVUS auf die vorgeschriebenen 80 km/h herunterbremsen. Der Berliner Funkturm steht vor uns wie eine Zielmarke. Ein paar Kilometer weiter folgt dann der finale Boxenstopp. Bevor ich den Zündschlüssel abziehe, überschlage ich die Gesamtfahrleistung unserer Motorradtour nach Süditalien: 5.122 tolle Kilometer, unfallfrei und prallvoll mit wunderschönen Erlebnissen.
Fazit der Motorradtour nach Süditalien
Folgende Erfahrungen haben sich auch auf dieser Tour wieder bestätigt:
- Eine lange Tour bei brütender Hitze oder Dauerregen ist entbehrungsreich und anstrengend. Beißt man sich aber durch, ist sie ein wahrer Jungbrunnen und Ansporn für weitere beglückende Unternehmungen. Man sollte sich wirklich etwas zutrauen und den Mut haben, die eigene comfort zone zu verlassen. Never cease to amaze yourself!
- Eine Tour bringt Gewinn nicht nur durch Fahren und Schauen. Sie hat auch eine wichtige soziale Komponente: Vom Motorrad aus fällt es viel leichter, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, ihnen zuzuhören, sie näher kennenzulernen, mithin: sie und ihren Lebensbereich besser zu verstehen.
- Eine lange Motorradtour zu zweit ist eine echte Herausforderung für die Partnerschaft. Man schlägt sich wochenlang nur auf Sattellänge durch, kann einander nicht ausweichen, muß alle Herausforderungen gemeinsam bestehen. Freuden teilen, Tiefpunkte zusammen überwinden, sich über Planung und weiteres Vorgehen Tag für Tag neu einig werden. Wenn das klappt, dann klappt im echten Leben noch viel mehr!
- Eine lange Tour mit vielen Erlebnissen und Begegnungen fordert zur Selbstkorrektur heraus: Habe ich mit meinen bisherigen Ansichten richtig gelegen? Was habe ich bisher übersehen? Was habe ich nicht wahrnehmen wollen? War ich mit meinem Urteil über Land und Leute immer fair?
- Eine lange Tour hält flexibel: körperlich sowieso, mental wünschenswerterweise auch. Sie beweist Tag für Tag, wie gut und wichtig es auch für das Alltagsleben ist, ausgetretene Pfade zu verlassen, neue Wege zu beschreiten und sich den vorhersehbaren und unvorhersehbaren Herausforderungen eines langen Weges zu stellen.
Auf zu neuen Ufern
Damit ziehe ich eine neue Landkarte aus meinem Archiv, von einer ganz anderen, entfernten Gegend. Winter und Frühjahr gehören der Tourenplanung – und der Vorfreude auf ein neues Abenteuer.
Die Anfahrt zu unserer Motorradtour nach Süditalien findet sich hier:
Die Rückfahrt zu unserer Motorradtour nach Süditalien findet sich hier:
Aktualisiert am 16/08/2022 von Christian
Adriano
4. Mai 2020 at 09:02
Sehr schön geschrieben, man ist fast schon mitgefahren.
Rager Georg
21. März 2021 at 23:01
Würde am liebsten auch sofort starten. Sehr emotional und super geschrieben.
Christian
21. März 2021 at 23:25
Hoffentlich klappt es bald mit Deiner Reise! Ich freue mich, daß beim Schreiben übergekommen ist, was ich auf der Fahrt empfunden habe. Vielen Dank für die wohlwollenden Worte!
Daniela
16. März 2022 at 15:22
Ich danke Ihnen für den interessanten Artikel. Da bekommt man doch gleich wieder Lust auf Urlaub.
Werde Ihren Beitrag gerne weiterempfehlen.
Mit besten Grüßen
Daniela
Christian
16. März 2022 at 17:45
Auch von meiner Seite vielen Dank! Es ist immer wieder toll, in eine ganz anders geartete Welt einzutauchen und prall gefüllt mit Eindrücken wieder zurückzukehren, die einen die Durststrecke bis zum nächsten Mal überbrücken helfen.
Viele Grüße und gute Fahrt
Christian
Andreas Führmann
7. Dezember 2022 at 16:50
Vielen Dank für deinen tollen Bericht, der schon die Vorfreude weckt. Meine Frau und ich werden im Mai 2023 mit unseren Royal Enfield 350ern nach Sizilien fahren
Christian
11. Dezember 2022 at 22:38
Gute Fahrt! Ihr werdet bestimmt nicht enttäuscht werden.
Andreas Führmann
12. Dezember 2022 at 11:13
Danke
Frank Riedel
4. September 2023 at 13:50
Herzlichen Dank für den schönen Reisebericht. Die große Vorfreude besteht schon heute, habe ich mir diese Traumtour quer durch die Italien / Sizilien doch als Ziel für das erste Jahr nach meiner beruflichen Plackerei gesetzt. Herzlichen Dank auch für Wegbeschreibungen, Google Navigation, Anregungen und Infos. Alles Gute und immer gute Fahrt! Frank
Christian
5. September 2023 at 08:52
Hallo Frank,
ich bin sicher, Deine geplante Italientour wird eine schöne Belohnung für das erste Berufsjahr. Was man dabei erlebt und verinnerlicht, hält lange vor und animiert zu künftigen Touren. Dazu wünsche ich Dir viel Vergnügen und gute Fahrt!
Christian
Markus Cosar
15. September 2023 at 13:23
Tolle Arbeit, aber mein Urlaub wird nicht ausreichen, um all diese schönen Orte zu sehen. Und ich habe eine Frage: Wie kann ich als Motorradanfänger eine Gemeinschaft von Motorradfahrern finden, die mir Gesellschaft leisten? Ich wäre sehr dankbar.
Christian
16. September 2023 at 18:36
Hallo Markus,
vielen Dank für Deine anerkennenden Worte, über die ich mich sehr gefreut habe. Zu Deiner Frage nach den Motorrad-Sozialkontakten: Motorradfahrer sind in aller Regel sehr aufgeschlossene, zugängliche Leute, bei denen kaum ein Anliegen oder eine Frage schräg ankommt. Die einfachste Art und Weise, mit jemandem oder einer Gruppe in Kontakt zu kommen ist: einfach mal bei passender Gelegenheit nett ansprechen. An der Tankstelle, auf einem Parkplatz, beim Warten in der Werkstatt oder überall dort, wo die Leute üblicherweise stehen. Wenn das in Deiner Region ist, ergibt sich bestimmt irgendwann einmal etwas.
Weiterer Tipp: So ziemlich jede Motorradmarke betreibt im Internet ein Fan-Forum oder sogar mehrere. Meist gibt es dabei auch Rubriken wie „Soziales“ oder „Regionales“. Tu Dich einfach mal um, forste das Forum Deiner Wahl durch (wobei auch allerlei andere nützliche Informationen anfallen) und schalte Dich bei passender Gelegenheit ganz einfach in die Diskussion ein.
Viel Erfolg dabei, viele Grüße und gute Fahrt
Christian