Was macht eine Motorradtour nach Gotland zu einer ganz besonderen Unternehmung?
Geschätzte Lesedauer: 10 Minuten
Schweden – ein überfälliges Reiseziel
Mit unseren nördlichen Nachbarn hatten wir bislang zwar sehr angenehme Begegnungen, aber leider keine Möglichkeit, ihr Land näher kennenzulernen. Nachdem wir in vielen Motorradjahren der Süden weidlich abgegrast haben, war es jetzt an es der Zeit, dies zu ändern. Zeit für eine Motorradtour durch die Outbacks von Südschweden auf die Ostseeinsel Gotland.
Auf früheren Italientouren hatten wir in Ravenna und Cosenza den Wanderungszügen der Goten nachgespürt. Deshalb wollten wir im Norden mal sehen, wo die Goten eigentlich einst herkamen. Neuland wollten wir erkunden bei einer Art historischer Exkursion mit dem Motorrad.
Vor allem wollten wir für einige Zeit den unangenehmen Trubel der Zeitläufte hinter uns lassen und auf einsamen Straßen erleben, wie das Land der Blau-Gelben so tickt. Unsere Tour hat Tipps und Erkenntnisse zu Tage gefördert, die auch für Euch nützlich sein könnten. Laßt Euch also nach Norden entführen!
One of the pleasantest things in the world is going a journey; but I like to go by myself. I can enjoy society in a room; but out of doors, nature is company enough for me. I am then never less alone than when alone.
— William Hazlitt (1778 – 1830), On going a Journey
Anfahrt nach Schweden
Die Anfahrt von Berlin zum Fährhafen Sassnitz auf Rügen ist alles andere als prickelnd: Entweder man fährt sich die Reifen auf der Autobahn eckig. Oder man schlägt sich auf die parallele B 96. Dort locken zwar endlose schöne Alleen; unvermeidlicherweise quetschen sich aber dort ebenso endlose Touristenschlangen, welche die Küstenhotellerie zum Wochenende einsaugt und in Gegenrichtung wieder ausspuckt.
Wir entscheiden uns für die Landstraßenvariante, optimiert durch einige backroads, die mir von meinen Brandenburg-Touren her vertraut sind. Das kostet zwar etwas Zeit, aber die haben wir ja; zumal auf schönen Strecken und mit netten Unterbrechungen wie einem Stop am Kaffeehaus Fürstenberg mit leckerem Kuchen und einem Plausch mit den beiden sehr netten Damen dort.
Auf der Weiterfahrt bin ich dankbar für jedes der 146 Pferdchen, die zwischen meinen Knöcheln munter ans Werk gehen. Sie rücken Wohnmobile und weltvergessene Landschaftsbetrachter rasch in meine Rückspiegel, auch wenn unsere Fuhre brutto über eine halbe Tonne auf die Waage bringt.
Einen Stop wert ist unbedingt der Aussichts-Parkplatz kurz vor dem Ortseingang von Usadel südlich Neubrandenburg. Er bietet einen herrlichen Ausblick über den Liepssee und schattiges Gestühl für ein allfälliges Picknick. Wir genießen das Panorama und lockern dabei beschwingt die Gliedmaßen für die Reststrecke bis Greifswald.
Da unsere Fähre von Sassnitz nach Ystad erst am nächsten Tag um 15.00 Uhr ablegt, bleibt uns ausreichend Zeit für einen Stadtbummel durch die Hansestadt und einen Abstecher zur nahe gelegenen Klosterruine Eldena. Ihre von Caspar David Friedrich gemalte Ansicht kennen wir aus der Berliner Nationalgalerie. Erstaunt registrieren wir, daß sich daran bis heute nicht viel geändert hat.

So sah Caspar David Friedrich die Klosterruine Eldena bei Greifswald | Bild: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Auch auf die Gefahr hin, bei eingefleischten Rügen-Fans Kopfschütteln zu provozieren, bleibt mir nur die Feststellung: Fahrerisch wird die Insel eigentlich total überschätzt. Landschaftlich ist sie sicherlich nicht ohne Reiz, ansonsten aber ganz wie Brandenburg – nur mit Wasser außenrum. Am lohnendsten fanden wir noch die Investition von 6,50 Euro für die Fähre zwischen Stahlbrode und Glewitz.
In unguter Erinnerung bleibt uns leider eine Mittagssuppe in Sassnitz – dünn, fad und mit unfreundlicher Mine serviert. Einen angenehmen Ausgleich dazu schaffte ein sehr netter Kollege aus Sachsen, der mit seiner perfekt aufgearbeiteten Maschine zu einer Langstrecken-Probefahrt durch Südschweden aufgebrochen war. Vor und auf der Fähre nach Ystad verplauderten wir sehr angenehm die Zeit und er half uns mit großer Professionalität beim Verzurren unseres Motorrades auf dem Autodeck.
Von Hafen zu Hafen in Südschweden
Wie präsentiert sich uns das Land, in das wir aus dem Bauch der Skåne Jet einrollen? Zunächst einmal verspüren wir eine ungewohnte Ruhe und Gelassenheit: Kein Trubel. Man begegnet einander höflich und respektvoll, fährt gesittet, nimmt Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer. Entspannt gleiten wir im Verkehr mit.
Um dieses Gefühl auszukosten, vermeiden wir auf dem Weg nach Norden – soweit möglich – die autobahnähnlich ausgebaute E 22 zwischen Malmö und Stockholm. Eine viel befahrene Küstenstraße (fast) ohne Meerblick. Stattdessen steuern wir über Nebenstraßen im Hinterland mehrere Hafenstädte an: Ystad – Simrishamn – Karlshamn – Karlskrona – Oskarshamn.
Hinter Ystad wartet die Landschaft mit einem fast südlichem Flair auf: sanfte Hügel, wechselnde Ausblicke auf die sonnenbeglänzte Ostsee, ausgedehnte Obstplantagen – und vor allem eine ermunternd schwungvolle Straßenführung. Der forschende Blick auf rot gestrichene Holzhäuser, gepflegte Gärten und wohl bestellte Felder macht rasch die Geschwindigkeitsbegrenzung vergessen, die hier je nach Bedarf wechselnd angezeigt wird.
Simrishamn ist das erste Hafenstädtchen, das wir anlaufen. Mit seiner Marina und seiner Architektur ähnelt es einem Hafenort an der schottischen Küste, von dem aus man auf die Hebriden übersetzt. Nur mit wesentlich schönerem Wetter. Einem Jahrhundertsommer, wir uns der freundliche Eisverkäufer am Kai versichert, von dem wir unser erstes schwedisches Wort lernen: Jordgubbar – Erdbeeren. Unserer Maschine haben wir derweil Helme und Jacken aufgebürdet und lassen genießend die Beine von einem alten Hafenbunker baumeln, auf dem wir uns häuslich eingerichtet haben.
Auf den Landsträßchen entlang der Küste kommen wir trotz Tempolimit erstaunlich flott voran. Vielleicht aus deswegen, weil man uns als Neuzugereisten noch eine gewisse Gnadenfrist einräumt. Aber zur Gewohnheit wollen wir die angestammte Fahrweise nicht werden lassen. Das ist auch schlecht möglich, denn ab Kristianstad kanalisiert uns die E 22 und wir rollen so voran wie alle anderen auch. Zuerst durch eine Landschaft mit Weiden und Feldern, dann immer öfter durch Wälder, durchsetzt mit Beerensträuchern und massiven Felsbrocken. Immer wieder ist die Straße durch Granitadern gesprengt, die sich der Trassenführung in den Weg gestellt haben. Ich habe den Tempomat eingestellt und genieße die Ausblicke.
Bei Karlshamn verlassen wir die Autobahn stadteinwärts und finden mit unserem untrüglichen Gespür für schöne Plätze ein Belvedere mit Hafenpanorama und einem idyllischen Café samt Kaffeegarten. Von einem Pavillion aus genießen wir Kaffee, Kanelbullar (Zimtschnecken, unser zweites schwedisches Wort) und Sonnenwetter.
Unser Kartenstudium führt zu dem ernüchternden Ergebnis, daß eine West-Ost-Passage gen Karlskrona wohl nur über die E 22 möglich ist. Die meisten anderen Straßen verlaufen in Nord-Süd-Richtung. Also Aufsitzen und weiter auf der Autobahn wie gehabt.
Doch die spektakuläre Einfahrt nach Karlskrona entschädigt uns für die Eintönigkeit der Fernstraße: Am Horizont glänzt das Meer, davor reiht sich eine Kette von Schären und unser Weg zum Hotel schlängelt sich an den Buchten entlang, die der Stadt ihr Gepräge geben. Seit 1675 ist Karlskrona – benannt nach ihrem Gründer Karl XI. – Hauptstützpunkt der schwedischen Flotte. Als Wahrzeichen überragt ein hoher Hafenkran die Stadt. Das umgebende Marinearsenal ist Sperrgebiet und für Besucher in der Regel nicht zugänglich.
Seit 1998 ist Karlskrona UNESCO-Welterbe; ein Anreiz, an einem endlos hellen Mittsommerabend in der historisch sehenswerten Stadt umherzuschlendern.
Unser weiterer Weg führt nordwärts durch endlose Wälder. Wie mit dem Lineal gezogen sticht unsere Straße auf einen Horizont zu, den man allenfalls erahnen kann, unterbrochen nur durch sanfte Hügel und leichte Senken. Der Tempomat bleibt über verbrauchsfreundlich viele Kilometer eingeschaltet. Taucht ein vorausfahrendes Fahrzeug am Horizont auf, ist es auch nach einer Stunde noch genauso weit vor uns. Rasante Überholer sind kaum zu befürchten.
Einen Vorteil hat diese Art zu fahren: Man hat Muße, sich umzuschauen. Zu sehen, was die Leute in den kleinen Ansiedlungen an der Straße so treiben. Wie leben sie? Wo verbringen sie ihre Zeit? Wo arbeiten sie? Außerdem finden sich entlang der Strecke bemerkenswert viele kleine private Autofriedhöfe, die jeden Bastler mit der Zunge schnalzen lassen.
Abwechslung in dieses grüne Einerlei bringt der Ort Kosta, in dem wir einen Kaffeeausschank vermuten. In der Tat, neben der gleichnamigen Glasfabrik (mit Werksverkauf) findet sich ein großzügiges Café mit bequemen Sofas, in die wir uns wonnig hineinsinken lassen. Kaffee heißt hierzulande: einen bestellen und freier refill, bis sich der Magen krümmt. Diskrete Winkel, ihn wieder loszuwerden, bieten sich sattsam beiderseits der Straße über hunderte von Kilometern.
Lebendiger wird es, je näher wir Oskarshamn kommen, unserem Fährhafen nach Gotland. Tempomat aus, zwei Klicks runtergeschaltet; der blaue Streifen in der Mitte der Navi-Anzeige mutiert zu einem Zickzack, das uns zum Hotel gegenüber dem Hafenterminal führt. Im Laufe des Abends füllt sich unser Parkplatz mit weiteren Motorrädern, deren Besitzer sich später allesamt in dem einzigen Restaurant wiederfinden, das hier dieses Prädikat zu verdienen scheint. Bei Fisch und Salat öffne ich die Mail der Reederei, mit der sie mich über einen beigefügten Link zum Einchecken auf der Fähre auffordert. Unser Tourenziel ist damit in greifbare Nähe gerückt.
Wohlfühlinsel Gotland
Als wir in Gotland wieder von der Fährrampe rollen, tut sich uns ein gänzlich neues Stück Schweden auf: Hinter einer dreieinhalb Kilometer langen Ringmauer duckt sich die mittelalterliche Hansestadt Visby, ein Ensemble hübsch hergerichteter Häuser, überquellender Gärten, stolzer Klosterruinen und winkliger Gassen. Dort beziehen wir für die kommenden Tage Quartier in einem zum Hotel umgebauten alten Handelshaus. Unser treues Eisenroß kommt derweil im Schatten einer stattlichen Ulme unter, gleich neben der modernen Bibliothek.
Die kilometerlange Uferpromenade an der Stadtmauer entlang und dann weiter zur nächsten Bucht ruft die Abendstimmung am Lago Maggiore in Erinnerung: spiegelglatte See unter tiefstehender Sonne, üppiges Grün, entspanntes Flair, alles sauber und aufgeräumt. An der sonnendurchwärmten Stadtmauer haben sich junge Leute mit abendlichem Picknick bequem eingerichtet, um irgendwann am späten Abend den orangeroten Ball am Horizont versinken zu sehen.
Auch wir lassen uns auf einer Bank nieder, breiten die Landkarte auf den Knien aus und lassen unsere Phantasie spielen, welche Strecken wir in den nächsten Tagen unter die Räder nehmen möchten. Da Visby so ziemlich in der Mitte der Insel liegt, bietet es sich an, zunächst eine Nordschleife zu drehen, dann eine Südschleife und schließlich eine große Runde durch die Mitte samt Sonderzielen.
Zur besseren Einstimmung besuchen wir am nächsten Vormittag erst einmal das Gotland-Museum und versorgen uns mit Informationen, um möglichst viel an Reiseeindrücken mitnehmen zu können.
Gotland Nordschleife
Wer in Schweden und besonders auf Gotland eine Motorradtour unternimmt, sollte jegliche Ambitionen auf fahrerische Ausnahmestrecken hinter sich lassen. Das geben die Verhältnisse nicht her, zudem wäre es auch jammerschade, die Schönheiten der Insel nur mit einem kurzen Seitenblick zu würdigen.
Wir haben die ideale Reisezeit erwischt: ein Jahrhundertsommer, vor den Ferien, keine Touris, keine Mücken. Die Natur explodiert förmlich in allen Farben, die sich in unseren Breiten erst zaghaft nacheinander zeigen. Lila Flieder, rosa Magnolien, Rosen in allen Schattierungen, Getreidefelder, durchzogen vom leuchtenden Rot und Blau des Mohns und der Kornblumen. Zwischen den Küstenfelsen drängen sich gelbe, weiße und blaue Blümchen an die Sonne. Wie in einem Steingarten.
Der kleine Yachthafen von Lickershamn ist unser erster Stop. Vom Parkplatz aus wandern wir auf einem Höhenweg zur Jungfrun, einem 12 Meter hohen Felsen mit herrlichem Panorama über die Küstenlandschaft. Helme und Tankrucksack können wir bedenkenlos an der Maschine lassen, so wie dies alle anderen auch tun. Hier kommt nichts weg.
Vorbei an zahllosen kunstvoll geschichteten Trockensteinmauern, schräg gezimmerten Zäunen (eine regionale Besonderheit) und aufgegebenen Windmühlen gondeln wir an der Küste entlang von Bucht zu Bucht, mutterseelenallein und bei offenem Visier die kristallklare Meeresluft genießend. In Fårösund endet dann die Straße an der Pendelfähre, mit der wir auf die Nachbarinsel übersetzen.
Hier wird das Land noch karger und ursprünglicher. Begegnungen auf der Landstraße sind reiner Zufall. Und der geplante Kurzstop an der Westküste, um die Felsenlandschaft der Raukområde zu besichtigen, weitet sich zu einem einstündigen Sonnenbad auf den Felsen aus.
Die knuffigen Gotlandschafe mit ihrer dicken Kratzwolle scheinen nicht schlecht gestaunt haben über das schwarze Gefährt, das da in ihrer Einsamkeit an ihren vorbeiröhrt. Jedenfalls schauen sie uns so nach auf unserem Weg zum Leuchtturm an der Inselspitze bei Fårö, dem Endpunkt Gotlands. Weit weg vom Rest der Welt, mitten in der Ostsee. Welche Wohltat.
Endlose Mittsommertage in Schweden laden gerade dazu ein, die Tour noch bis ins milde Licht der stillen Abendstunden auszudehnen. Wir gehen deshalb auf Südkurs zurück über Fårösund und Lärbro. Lang-schmale blau-gelbe Kreuzwimpel, die in vielen Vorgärten an hohen schlanken Masten wehen, erinnern uns daran, daß wir nicht irgendeinen Garten Eden durchkreuzen, sondern immer noch das Territorium der Europäischen Union. Für den Heimweg programmiere ich das Navi auf „Kurvige Strecke planen“ und wir scheren uns einen Teufel darum, in welche hintersten Ecken Gotlands uns dieses Gerät schickt. Wir fahren und genießen die malerische Szenerie, bis sich auf einer Aussichtsbank an der Strandpromenade dieser herrlichen Tag noch einmal vor unserem Inneren abspult.
Gotland Südschleife
Der Süden der Insel zeigt ein ganz anderes Gesicht: Auf breiter Straße durchfahren wir eine ebene, weite Landschaft mit ausgedehnte Getreidefeldern, geschäftigen Bauerndörfern und eingestreuten Waldinseln. Hier gleicht sie eher dem schwedischen Festland.
Den ersten Besuch an diesem Tag statten wir Pippi Langstrumpf in ihrer Villa Kunterbunt ab. Die Umgebung des Hauses, einen knatschbunten Erlebnispark für Kinder, verbuchen wir unter der Rubrik „Kuriosa“ und rauschen weiter südwärts. Ebenso kurios ist unser Besuch am nördlichsten Weinberg der EU, dessen Erzeugnisse wir aber nirgendwo zu verkosten bekommen. Wahrscheinlich wäre dieser Wein, wie alle anderen Alkoholika in Schweden auch, prohibitiv teuer (von seiner Bekömmlichkeit ganz zu schweigen).
Im Dorf Öja erwartet uns eine „vacker kyrka“, also eine schöne Kirche, mit dem einzigen Triumphkreuz in den nordischen Ländern.
Fahrerisch richtig interessant wird die Strecke dann ab Burgsvik im Südzipfel der Insel. Die Straße windet sich durch Dünen und Felsen, kleine Dörfer und an einsamen Bauernhöfen vorbei. Wie gesagt: ähnlich wie in Schottland, nur schmeichelnder vom Ambiente her. Der Felsen an der Südspitze der Insel, gleichsam ein schwedisches Land’s End, bietet einen spektakulären Blick auf die Ostküste Gotlands.
Auch für den Rückweg dieser Tour empfehle ich, das „Überraschungsprogramm“ des Navis zu aktivieren. Gleich, wohin es einen führt. Es wird den Fahrer keinesfalls enttäuschen.
Gotland Mitte
Mittsommertag, mein Geburtstag. Wir haben beschlossen, eine Ehrenrunde durch die Mitte der Insel zu drehen und meine Party in denkwürdiger Einsamkeit zu feiern. Dazu nehmen wir Kurs auf die Ostküste bei Åminne und schlagen uns auf einen Seitenweg in den tiefen Wald. Ein Wegweiser beruhigt uns, daß wir trotz anfänglicher Zweifel auf dem richtigen Weg sind: zu Tjelvars Grav, dem Grab eines gewissen Tjelvar; des Mannes, der der Sage nach einst das Feuer nach Gotland gebracht hat.
In einer Lichtung finden wir ein 18 m langes aus Großsteinen zusammengesetztes Wikingerschiff vor, in dem Tjelvar begraben lag.
Auf einer nebenstehenden Picknickbank richten wir das Geburtstagsbuffet an; ein stimmstarker Kuckuck ruft mir von einem Baumwipfel aus Grüße zu und der Motor unserer Maschine antwortet mit dezentem Knacken, nachdem wir ihn ruhig gestellt haben.
Doch wir wollen auch ans Meer. Dazu rauschen wir auf der Landstraße 146 südwärts und biegen nach einer halben Stunde ab zum Fischerhafen Herrvik. Angesteckt von der alles umgebenden Ruhe lassen wir uns auf der Terrasse des Hafenrestaurants zum Kaffee nieder und beobachten Fischer und Segler auf ihren Booten.
Weiter geht’s in den nächsten Küstenort Ljugarn. Schmucke Sommerhäuser mit den obligatorischen Schwedenfahnen im Vorgarten reihen sich an der Straße bis hin zum Leuchtturm, der die Ostspitze Gotlands markiert. Hier genießen wir die mutmaßlich späteste Strandsonne unseres Lebens. Das Abgeschiedensein mischt sich mit dem Licht vom Meer. Schwedischer Mittsommer eben.
Nur unwillig erheben wir wieder unsere ausgestreckten Knochen, denn wir wollen am Rande unserer Tourenstrecke noch eine letzte Sehenswürdigkeit mitnehmen: die Bildsteine bei Änge.
Auch bei diesen beiden dreieinhalb Meter großen Bildsteinen sind wir die einzigen Besucher. Wir haben die Tourenstrecke ganz für uns, so scheint es. Ist auch gut so.
Dann weist uns die tiefstehende Nachtsonne die Fahrtrichtung westwärts. Mit dem Überraschungsmoment der Zufallsfunktion führt unser Weg zurück nach Visby. Hier wartet schon der reservierte Restauranttisch auf uns.
Wie funktioniert der Fährtransfer nach Gotland?
So typisch wie das Touren in Schweden ist auch der Zugang zum Land mit der Fähre. Sie verdient deshalb eine eigene Betrachtung.
Der Abschied vom Festland beginnt für uns mit der Pendelfähre von Stahlbrode nach Glewitz auf Rügen. Eine Viertelstunde ohne große Besonderheiten, aber Zeit genug, um den Alltag endgültig hinter sich zu lassen. Das aufkommende Urlaubsgefühl verlangt eben nach einer deutlichen Zäsur: Einweisung in die pole position an Deck, Helm ab zum Rundblick über Sund und Bodden, Festhalten der Maschine, als die Fährrampe an Land schrabbt. Dann Neuland.
Der Transfer mit den großen Seefähren verläuft dagegen im Grunde ebenso wie bei einem Urlaubsflug: Onlinebuchung mit Buchungsnummer, Check-In, dann Boarding. Da vielleicht nicht jeder mit dem Fährbetrieb vertraut ist und jede Reederei eine eigene Vorgehensweise hat, hier die Modalitäten für die Schweden-Fähren:
Aufgrund der Buchungsnummer bekommst du von der Reederei auf deine hinterlegte Mailadresse zeitnah einen Link mit der Einladung zum Einchecken. Den zugehörigen QR-Code speicherst du auf Deinem Telefon ab und zeigst ihn beim Vorfahren an der Kontrollstelle des Terminals vor. Da meine Frau ihr Mobiltelefon zum Fotografieren aus dem Sattel an einer Kordel um den Hals trägt, genügen ein Griff und ein Druck, schon schluckt der Scanner unsere Daten und können wir weiterrollen.
Beim Check-In wird Motorrädern (ebenso wie Wohnmobilen) ein eigener Wartestreifen vor der Fährrampe zugewiesen, von dem aus man dann zu gegebener Zeit vom Boarding aufgefordert wird. Meist steht da schon eine erwartungsfrohe Truppe weiterer Motorradfahrer. Für lebhafte Unterhaltung während der Wartezeit ist also gesorgt.
Fahre vorsichtig auf den z. T. glatten Stahlplanken unter Deck. Motorräder haben auf der Fähre eigene markierte Stellplätze, die mit Befestigungsringen versehen sind. In diese werden zur Sicherung des Motorrads Zurrgurte eingeklinkt, die dort bereithängen. Im Unterschied zu zahlreichen anderen Fähren, die wir benutzt haben, erledigt beim Schwedentransfer die Verzurrung nicht ein Besatzungsmitglied. Das mußt du selber machen. Da alles Ruck-Zuck gehen muß und dabei erfahrungsgemäß einiges Durcheinander herrscht, habe ich folgenden Rat:
Übe das Verzurren vorher in aller Ruhe bei dir zu Hause. Mache dich damit vertraut, wie so eine Ratsche funktioniert, wie sie festgezogen und wieder gelöst wird. Schaue dir genau an, wie du an deiner beladenen (!) Maschine die Gurte führen kannst, ohne daß irgendwelche Kabel oder Schläuche abgequetscht werden. Lege im Tankruckrack einen Werkstattlappen bereit, den du zum Schutz an kratz-/quetschgefährdeten Stellen unterlegen kannst. Meine Frau hat in dieser Technik eine gewisse Meisterschaft erreicht. Unser Motorrad ist in 47 sec. verzurrt.
Denke dir diese Vorgehensweise noch mal durch, bevor das versammelte Motorradgeschwader auf die Fähre losröhrt. Im Zweifel halte dich hinter den anderen, um zu studieren, wie alles läuft. Wenn du dran bist, ist erfahrungsgemäß der eine oder andere schon mit dem Verzurren fertig und kann dir helfen.
Beim Ausfahren von der Fähre mache dir keinen Stress! Die Prozedur kann schon mal länger dauern, wenn die Motorräder ganz hinten im Schiffsbauch anstehen. Aber es ist noch keiner auf der Fähre geblieben. Mache nicht den Fehler wie viele andere und setze dich gleich abfahrbereit auf die Maschine. Bis alles anrollt, dauert das noch. Stelle lieber deine Maschine so lange auf den Seitenständer, halte Helm und Handschuhe griffbereit und beobachte, wie es ganz vorn in der Kolonne weitergeht. Warum also unnötig lange im stickigen Autodeck schwitzen?
Motorradfahren in Schweden
Jedes Land hat seine eigene Fahrkultur, auf die man sich besonders als Motorradfahrer einstellen muß: ruppig in Rußland, heiß in Frankreich, „furbo“ in Italien. Und in Schweden? Ganz entspannt. Es erstaunt immer wieder das Maß an Rücksicht, das auf andere Verkehrsteilnehmer und Fußgänger (sie haben absoluten Vorrang) genommen wird. Ebenso, wie man sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen hält: 110-120 km/h auf Autobahnen / Schnellstraßen, 70-90 km/h auf kleineren Straßen und 50 km/h in Ortschaften. Üblicherweise ist auf einzelnen Streckenabschnitten gesondert angezeigt, wie schnell man dort fahren darf.
Und die Leute halten sich dran, weit überwiegend jedenfalls. Da käme es nicht gut, mit deutschem Kennzeichen aus der Reihe zu tanzen und auf einsamen geraden Straßen zu heizen wie auf unseren Autobahnen. Am Ende einer Tour summiert sich das zu der Erkenntnis: Die Zeit, die man durch Tempolimits verloren glaubt, holt man großenteils dadurch wieder ein, daß man insgesamt doch recht zügig vorankommt.
Uns noch eine Beobachtung: Wenn du mitten im Wald an einen Bahnübergang kommst, der weiß blinkt: das heißt nur, daß die Warnanlage funktioniert. Ist in Zug im Anmarsch, blinkt sie im Wechsel rot. Nicht technisch gesicherte Bahnübergänge haben mindestens jeweils ein gelb-rotes Andreaskreuz in Fahrrichtung.
Wie verpflege ich mich in Schweden?
In Bezug auf das leibliche Wohl sollte man Einiges bedenken:
- Schweden ist ein großes Land mit relativ wenigen Leuten. Entsprechend weitmaschig ist das Netz von Lokalen, in denen man sich unterwegs verpflegen kann. Also am besten im Supermarkt Essen und Getränke für die Fahrt bunkern.
- Die Speisenkarten der Lokale landauf landab ähneln sich frappierend. In der großstädtischen Spitzengastronomie ist das wohl anders, aber die kommt ja wohl nur für die Wenigsten in Betracht. Wenn Dein Geschmack für die nächsten 2.000 Kilometer auf der Linie Pizza – Pasta – Köttbullar liegt, bis Du hier bestens bedient.
Wie sprichst du das schwedische Wort für Fleischklopse richtig aus? Kött, das schwedische Wort für Fleisch, wird Schött ausgesprochen. Das schwedische Wort für Brötchen, Bullar klingt in korrekter Ausprache Büllar. Köttbullar sprechen Schweden folglich Schöttbüllar. - Abends, wenn du am Ziel ankommst, ist das Essen in den meisten Lokalen wesentlich teurer als Mittags. Frag mich nicht, warum das so ist. Aber da gibt es dann nur die teuerere Abendkarte, die ggf. dein Budget durcheinanderbringt.
Damit bleiben dir im wesentlichen nur zwei Möglichkeiten: Entweder du verpflegst dich selbst (vor allem, wenn du ein Zelt dabei hast). Oder du suchst dir an der Strecke ein Lokal (Preis und Auswahl s. o.).
Wir haben dabei eine dritte Möglichkeit gefunden, die man allerdings wollen können muß: Wir steuern zum Lunch einen Golfclub an. Ja, richtig gelesen, einen Golfclub. Davon gibt es in Südschweden mehr als im vielen Gegenden Kontinentaleuropas. In der Regel haben sie ein Restaurant dabei, das auch Nicht-Clubmitgliedern offensteht und ein Mittagsmenü (Dagens rätt) anbietet.
Man ißt dort sehr gut und zu bezahlbaren Preisen, hat außerdem gepflegte sanitäre Anlagen und WLAN. Außerdem kann man sich zwischen zwei Etappen in kultivierter Atmosphäre entspannen. Ob man als Motorradfahrer vielleicht schräg angeschaut wird? Hier gilt, wie auch sonst im Leben: „Wie du kommst gegangen, so wirst du auch empfangen“. Wir haben nie Probleme gehabt. Also: Für die Mittagspause auf Google Maps einen Golfplatz entlang der Strecke suchen, Adresse in das Navi einspeichern, Gang einlegen – bon appétit!
Fazit
Bei einer Nordlandtour muß es nicht immer gleich das Nordkap sein. Wer Abkehr sucht vom zivilisatorischen Alltagstrubel und den Wirrnissen der Gegenwart wird mit einer Motorradtour nach Gotland das richtige Ziel finden. Die Wohlfühlinsel mitten in der Ostsee lädt ein zur Entschleunigung auf zwei Rädern in einem Ambiente, das den Besucher mit Anmut und Freundlichkeit einnimmt.
Streckenplan:
Informationen:
Visit Sweden
Fähre Sassnitz – Ystad
Destination Gotland
Fähre Stahlbrode – Glewitz
Landkarten
Södra Götaland Blatt 1, 1 : 250.000, Kartförlaget
Östra Svealand, Blatt 3, 1 : 250.000, Kartförlaget
Aktualisiert am 03/07/2022 von Christian
Marco Bauer
4. Juli 2022 at 15:44
Schön zu lesen und eine Anregung die Strecke zumindest ab Ronneby / Karlskrona zu fahren , da wir in 3 Monaten dort leben werden. Leider dort aus bisherigem Zeitmangel noch nicht zum Motorradfahren gekommen, aber Gotland muß noch auf die Liste!
Christian
4. Juli 2022 at 16:11
Viel Spaß beim Entdecken der neuen Heimat und allzeit gute Fahrt, Christian
Marco Bauer
4. Juli 2022 at 21:42
Besten Dank, ebenso! Falls es Sie nochmal nach Schweden zieht, dann einfach vorbeischauen. Verpflegung gibt es auch!
Thomas
7. Juli 2022 at 16:41
Hallöchen Christian,
das ist mal wieder ein schöner Bericht über eine Gegend die gar nicht so weit weg ist von Brandenburg/Berlin. Es ist eine Anregung die ich unserer Brandenburger Gruppe mal versuchen werde näherzubringen. Aber dieses Jahr ist für uns der Großglockner an der Reihe, mal sehen ich werde mich bemühen auch mal einen Reisebericht zu verfassen. Ich wünsche dir weiter schöne und knitterfreie Fahrten.
Gruß Thomas
Christian
7. Juli 2022 at 17:42
Hallo Thomas,
zu einer Nordlandreise kann ich Euch nur alles Gute wünschen. Andererseits, der Großglockner ist schon eine schöne Nummer. Hoffentlich ist er nicht zu überlaufen, wenn Ihr dort seid.
Viele Grüße und gute Fahrt
Christian
Werner Siewert
20. Juli 2022 at 19:00
interessanter Reisebericht mit vielen Infos über Land und Leute… vielleicht steht Gotland bei uns demnächst auch auf der Liste… zumal mein Sohn gerade plant seinen Master nächstes Semester in Visby zu machen…
Christian
21. Juli 2022 at 10:09
Ein Familienbesuch in Visby ist definitiv eine schöne Besuchstour wert. Viel Spaß beim Entdecken von Land und Leuten.
Gute Fahrt und viele Grüße
Christian