Eine Motorradtour in die Niederlausitz fordert zu Entdeckungen heraus. Was sind die größten Überraschungen hier im Osten Deutschlands?
Rätselhafte Niederlausitz
Eigentlich sollte ine Motorradtour in die Niederlausitz sollte für einen gestandenen Antitouristen wie mich ein lohnendes Ziel sein: Denn hier gibt es viel Sumpf und Sand, flaches Land, kaum Leute und aufgelassene Tagebaue. Was könnte da schon los sein? Wunderbar, denn der Antitourist fährt vorzugsweise ins Nichts. Vor allem bei miesem Wetter und zur schlimmsten Jahreszeit. Dorthin, wo sich sonst kaum einer herumtreibt. Deshalb trat ich meine Tour mit absolut null Erwartungen an. Aber am Ende des Tages war ich total überrascht!
Streckenführung der Motorradtour in die Niederlausitz
Berlin – AB Ausfahrt Fürstenwalde Ost – Groß Rietz – Beeskow – Groß Briesen – Müllrose – Kreuzung L 37/K6708 – Siehdichum – Mixdorf – Grunow – Fünfeichen – Diehlo – Neuzelle – Neißemünde – Treppeln – Reicherskreuz – Lieberose – Doberburg – Goyatz – Mittweise – Kossenblatt – Ahrensdorf – Märkisch Buchholz – Bestensee – Berlin. 359 km
Die .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
The duty of the traveller … is to open up new zones of experience. In our over explored world these must of necessity be wastelands, black holes, and grim urban blackspots: all the places which, ordinarily, people choose to avoid. … The anti-tourist is interested only in hidden histories, in delightful obscurities, in bad art.
— Aus der Schlußresolution des 1. Internationalen Kongresses der Antitouristen in Schymkent, Kasachstan, Oktober 1999
Rasch ins Zielgebiet
Um bei meiner Motorradtour in die Niederlausitz möglichst schnell ins Zielgebiet zu kommen, gehe ich erst mal auf die Autobahn. Schließlich bringt das auf angenehme Weise die Anzeigenadel dem roten Drehzahlbereich näher.
Dann erwartet mich als Belohnung ab Fürstenwalde-Ost eine wunderschöne Strecke durch den Naturpark Heideseen. Wirklich, die Groß Schauener Seenkette und das Scharmützelseegebiet lassen sich toll befahren. Von der Südspitze des Scharmützelsees an öffnet sich dann die Landschaft.
Mein erstes Zwischenziel in dieser Gegend ist Beeskow. Dort mache ich traditionsgemäß am Ortseingang bei den üblichen Verdächtigen Halt, um mich für ein Picknick unter goldener Herbstsonne zu verproviantieren.
Müllrose: Älteste noch funktionierende Wassermühle
Hinter Groß Briesen schlage ich einen nördlichen Bogen durch das nette Städtchen Müllrose (niedersorbisch: Miłoraz). Hier hat man von der Uferpromenade aus ein herrliches Panorama über den Großen Müllroser See.
An seiner Nordspitze steht seit 1275 die älteste noch in Betrieb befindliche Wassermühle Brandenburgs: Auch heute noch ist sie ein aktives Stück Industriegeschichte.
Dann gondele ich südwärts ein Stück am See entlang bis Fünfeichen (Pěś Dubow). Hier biege ich auf die B 246 ostwärts ab Richtung Grunow (Gruńow-Domašojce), denn auf dieser Strecke erwartet mich das
Schlaubetal: Schönstes Bachtal Brandenburgs
Das Schlaubetal ist landschaftlich unerwartet wunderschön. Hier wechseln sich dunkle Wälder, Moore und weite Offenlandflächen mosaikartig ab und schaffen damit einen großen Reichtum an Pflanzen- und Tierarten. Viele alte Mühlenstandorte in den Tälern von Schlaube, Oelse und Dorche erinnern daran, dass die Wasserkraft eine der wichtigsten Energiequellen des Mittelalters war. Einige Mühlen existieren noch und sind heute beliebte Ausflugsgaststätten.
„Kupferhammerweg“ heißt eine der kleinen Straßen durch den unberührten Wald. Der Name ist Programm, denn sie führt mich an die Schlaube zur Gaststätte Kupferhammer. Die Mühle besteht seit 1553. Eine Mittagsrast dort ist bei der nächsten Tour programmiert.
Da ich bei diesem Traumwetter die landschaftliche Schönheit voll erleben möchte, schlage ich einen Kreisbogen über Fünfeichen – Grunow-Dammendorf – Mixdorf (Mikošojce) – Schernsdorf – Fünfeichen.
Unerwartet erweist sich dieser Streckenabschnitt als fahrerische Highlight meiner Motorradtour in die Niederlausitz. Eigentlich würde ich gerne den ganzen Tag im Zickzack durch dieses „Totalreservat“ fahren. Aber heute reicht die Zeit nicht. Deshalb reserviere ich mir diese Gegend für eine gesonderte Tour. Dann erreiche ich über die Diehloer Höhen nach kurzer Zeit das
Kloster Neuzelle: Bayerischer Barock an der Oder
Es ist kulturell unbestrittener Höhepunkt meiner Motorradtour in die Niederlausitz. Kloster Neuzelle erinnert mich an alpenländische Rokkoko-Kirchen. Beim Betreten des Gotteshauses schlägt mein weiß-blaues Herz höher.
Vor 750 Jahren errichtet, ist das Zisterzienserkloster eng mit der mittelalterlichen Ostkolonisation verbunden. Als ich im üppig ausgeschmückten Kirchenschiff Platz nehme, stimmen die Mönche ihren gregorianischen Chorgesang an. Dann strahlt auch noch die Sonne durch die bunten Glasfenster herein. Jetzt finde ich mich in einer ganz anderen Welt, die ich in vollen Zügen genieße.
Dafür nehme ich die hinausgeschobene Mittagspause gerne in Kauf. Ganz allein schlendere ich durch die weitläufige Anlage, bis ich mich auf der Terrasse über dem Klostergarten finde. Sie ist mir ein idealer Picknickplatz mit Blick auf die ferne Oder, auf der träge die Lastschiffe vorbeiziehen.
Wie sehr hat die Geschichte diesen Ort gebeutelt: Während zu DDR-Zeiten die SED den größten Teil des Klosters für die Lehrerausbildung und die politische Schulung ihrer Leitungskader nutzte, bildete nebenan die katholische Kirche ihren Priesternachwuchs aus. Überdies wohnte in der ehemaligen Wohnung des Abtes der evangelische Pfarrer von Neuzelle.
Weiter führt mich dann der Weg ein paar Kilometer südwärts Richtung Guben und links ab zur Oder nach
Neißemünde
Im OT Ratzdorf stehe ich dann am geschichtsträchtigen Zusammenfluß von Oder und Neiße. Der digitale Pegel am Ufer zeigt normalen Wasserstand an. Ein einzelnes Entenpaar streicht tief über das Wasser. Die „Gast- und Tanzwirtschaft Kajüte“ hinter mir hat mit Sicherheit schön fröhlichere, ausgelassenere Zeiten erlebt. Ich kann mir nicht helfen. Aber trotz EU fühlt man sich hier am Ende der Welt.
So gerne ich jetzt von Guben aus auf die andere Oderseite hinüberfahren und eine kleine Motorradtour in die Neumark oder nach Norden ins Lebuser Land zu machen würde: Aber dafür braucht man von Berlin aus mehr Zeit.
Unterer Spreewald
Mit solchen Gedanken im Kopf umrunde ich die benachbarten Waldmoore hin zum Westufer des Schwielochsees. Er ist nicht nur der größte See Brandenburgs. In seinem Nordteil wird er auch von der Spree durchflossen. Ganz alleine fahre ich durch die naturbelassene Landschaft. Keiner vor mir, keiner hinter mir. Dabei kann ich mich buchstäblich selbst aus der Vogelperspektive beobachten, wie ich auf einsamer Straße meinen Weg durch Wald, Sumpf und Flußlandschaft ziehe.
Trebatsch: Outback im Outback
Bevor ich meinen Weg entlang der „Krummen Spree“ westlich des Sees fortsetze, gibt es in Trebatsch (Žrobolce) noch das Ludwig-Leichhardt-Museum zu besichtigen. L. erforschte und beschrieb Mitte des 19. Jahrhunderts auf zwei Expeditionen Flora, Fauna und Geologie Australiens. Bei seiner dritten Expedition kam er im Outback in der Nähe der Simpsonwüste um. Seine Überreste wurden nie gefunden.
Ludwig Leichhardt was his name / Explorer, destined for fame / He would find his quest to be / Across the sea of dreams … Into the outbacks unknown / Venturing from coast to coast / His expedition lost, vanished with no trace
— Manilla Road, Mysterium
Auf dem Weg in die noch weitere Vergangenheit mache ich Halt in Kossenblatt, einem Lieblings-Jagdschloß des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und erreiche bald den Schewenower Forst, ein erlebenswertes Naturschutzgebiet.
Da meine Motorradtour in die Niederlausitz überraschend inhalts- und erlebnisreich geworden ist, lege ich eine letzte Ruhepause ein. Dann erreiche ich bei Märkisch Buchholz die B 179, die mich bei Bestensee auf die Autobahn und dann rasch nach Berlin zurückbringt. Gewiß hätte es noch mehr zu sehen gegeben in der Niederlausitz. Aber darüber mehr im Bericht über meine Lausitztour.
Die Motorradtour in die Niederlausitz war für mich eine der größten Überraschungen der letzten Jahre!
Aktualisiert am 27/05/2022 von Christian
Martin Steinhöfel
26. Mai 2022 at 19:30
Hallo Christian, ich habe (leider) erst heute die inspirierenden Seiten deiner Touren gefunden. Schöne Fotos, gute Ortshinweise, einiges Neue, definitiv fahre ich davon demnächst mal einiges nach. Auf dieser Seite hier (Niederlausitz) passen die Routenbeschreibungen aber nicht zum Track auf Karte und .gpx.
Christian
27. Mai 2022 at 19:16
Herzlichen Dank für den Hinweis! Man soll halt keine Nachtschichten einlegen. Ich habe das inzwischen korrigiert. Die Strecke ist also frei zum Nachfahren. Viel Spaß!