Motorrad Reiseblog mit Touren, Tipps & Tricks

Motorradtour in die Chartreuse

Eine Motorradtour in die Chartreuse reizt mit Kurvenstrecken, Landschaft und kulturellen Entdeckungen. Erschließung eines unterschätzten Motorradreviers.

Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Sommerliche Motorradtour

Weg vom Motorrad-Massentourismus: Wenn sich im Sommer alle Welt auf den populären Alpenstrecken tummelt, weiche ich lieber in unbekanntere Gegenden aus. Dorthin, wo man noch unter sich ist. Deshalb ist mir der Vorschlag meiner lieben Sozia Christine willkommen, in den Sattel zu steigen und der städtischen Hitze zu entfliehen. Ab in die Kühle der Berge. Ein Tag kurvige Sommerfrische auf zwei Rädern.

Kurvenrevier Chartreuse

Ziel unserer Motorradtour ist die Chartreuse, ein wenig besuchtes Vorgebirge zwischen Grenoble und Chambéry. Mit ihrer grünen Silhouette duckt sie sich gleichsam weg vor der grau gezackten Kette der Westalpen. Ihre Mittelgebirgs-Nachbarn sind der Bugey im Norden und vom Vercors im Süden, die mit ihren brillanten Motorradstrecken unser Heimatrevier geworden sind.

Zerfallenes Bauernhaus bei einer Motorradtour in der Chartreuse in Frankreich mit der Alpenkette im Hintergrund

Ländliches Idyll in der Chartreuse

Beherrschendes Bergmassiv der Chartreuse ist ein veritabler Zweitausender: die Chamechaude 2.082 m hoch. Mit lauschigen Wäldern und lieblichen Wiesen lädt das Klostergebirge auf unzähligen Sträßchen zum beschwingten Fahren und zum Verweilen ein. In dieser Einsamkeit kann man noch sicher sein, viele Kilometer rustikaler Teerstraße exklusiv für sich zu haben. Autos und Motorräder sind rare Ausnahmeerscheinungen.

Streckenführung und Roadbook

Daß eine Motorradtour in die Chartreuse ein fahrerischer Leckerbissen ist, offenbart schon ein Blick auf die Karte:

Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.

Roadbook der Motorradtour in die Chartreuse
StartLyon
A 43 / A 48Saint-Egrève
D 512 / D 520bLa Grand Chartreuse
D 512 / D 912Les Charmettes / Chambéry
D 1006Entre-deux-Guiers
D 1006Le-Pont-de-Beauvoisin
D 82Chimilin
A 43Lyon
Gesamtstrecke287 km

Was erwartet uns auf dieser tollen Motorradstrecke abseits des Touristenverkehrs?

Ouverture zum Kurventanz

Wanderer mit einem bepackten Esel in einem französischen Gebirgsdorf bei einer Motorradtour in die Chartreuse

Es geht auch auf sechs Beinen: Entschleunigung mit Esel

Das Stündchen Autobahnfahrt zum Vorgebirge verfliegt rasch. Sanft wie ein Kätzchen schnurrt die Maschine mit frisch gewechseltem Öl. Statt des werkseitig empfohlenen mineralischen 20W-50 fülle ich schon immer vollsynthetisches 10W-40 ein. Damit läuft nach meinem Empfinden der Boxermotor irgendwie runder und vibrationsärmer. Nach fast 100.000 km kennen wir uns gut genug. Ich weiß, wann die Maschine was braucht und wieviel davon.

Bevor uns die Bergstrecken zum beschwingten Pendeln einladen, lassen wir uns an der AGIP-Raststätte vor Grenoble unter schattigen Bäumen nieder. Jetzt ist erst mal ein erfrischender Trunk angesagt.

Dann wird es Zeit, bei Saint-Égrève die Autobahn zu verlassen. Von hier aus kurven wir durch urige Dörfer, um uns schließlich durch eine enge Klause in das Gebirge hinein zu zwängen. Von da aus mäandert ein schmales Sträßchen an faltigen Berghängen in die Höhe. Ab jetzt haben wir die Strecke ganz allein für uns. Für unsere nun beginnende Motorradtour in die Chartreuse schalte auf Genuß-Modus.

Innerer Fahrmodus

Was heißt das? Selbst wenn die Hersteller ihrer zahlungswilligen Kundschaft alle möglichen elektronischen Helferlein andienen: Ich gebe mich mit der allernötigsten Ausstattung zufrieden. ABS ist natürlich unabdingbar. Mein akkurat eingestelltes Öhlins-Fahrwerk hält mich auch in brenzligen Situationen in der Spur. Und natürlich das Kleinhirn, in dem die Fahrphysik programmiert ist. Diese drei Steuerungssysteme genügen mir vollauf, um mich auf den jeweils angesagten Fahrmodus einzustellen:

Fahrmodus Nr. 1: Routine

Vorzugsweise in der Stadt oder auf der Autobahn: Weit vorausdenken, lauernde Aufmerksamkeit, absolute Defensive. Warum? Weil ich davon ausgehe, daß die Anderen sowieso nur Murks machen und wollen mir schaden können, wo es nur geht. Dieses generelle Mißtrauen klingt zwar nicht gerade christlich. Aber es entspricht leider meiner Erfahrung und ist nachweislich lebenserhaltend.

Fahrmodus Nr. 2: Flotte Fortbewegung

Beim Beschleunigen müssen die Tränen der Ergriffenheit waagrecht nach hinten zu den Ohren abfließen.
—  Walter Röhrl, einziger deutscher Rallye-Weltmeister

Das gilt vorzugsweise für Fahrten im Gebirge: dezidierte Schräglage, flotte Herausbeschleunigung aus der Kurve. Unabdingbare Voraussetzung dafür sind zwei Dinge:

  • Klare Rückmeldung vom Hinterrad. Beschleunigung, Bodenhaftung und Fliehkraft brauchen absolute Kontrolle. Die Fahrphysik ist Grundlage des Denkens, Fühlens und Handelns.
  • Eine unbestechliche Intuition für jegliche Tücken der Fahrbahn und Hindernisse jenseits der Kurve. Mein Grundsatz: „Think the unthinkable“.

Fahrmodus Nr. 3: Genuß

Aktive Integration der Umgebung in das Fahrerlebnis, vorzugsweise in reizvoller Landschaft, bei gleichzeitigem Aufgehen in der Fahrdynamik. Das klingt zwar gemütlich, steckt aber voller Gefahren. Nicht allein wegen der notwendigen Bewältigung zusätzlicher Aufmerksamkeitsfaktoren.

Die größte Gefahr birgt nämlich der flow, die vom Bewußtsein losgelöste Konzentration auf das Fahren. Er kann sich einstellen, wenn das Anspruchsniveau an die eigene Fahrkunst und das tatsächlich erreichte Fahrenkönnen sich die Waage zu halten beginnen. Bei diesem labilen Gleichgewicht kann dann schon eine kleine Störung, eine kleine Unaufmerksamkeit, ausreichen, um die Balance von Anforderung und Bewältigung aus dem Takt zu bringen.

Dann zerbricht die „neuronale Vernetzung“ mit der Maschine. Mit fatalen Folgen. Deshalb erfordert Genußfahren  nicht weniger Konzentration als die anderen Fahrmodi.

Landschaftsgenuss in der Chartreuse

Christine kann sich als Sozia heute weitgehend aufs Schauen beschränken. Meine Schuld: Ich habe das Batterieladegerät verschlampt und die Ladestandsanzeige der Kamera signalisiert das baldige Ende ihrer Fotoaktion.

Nur beschreiben kann ich deshalb all die hübsch restaurierten Steinhäuser, die sich an die Hänge schmiegen, die vor Blütenpracht überquellenden Bauerngärten in den Dörfern und die majestätische Bergwelt. Sobald wir eine Kuppe überqueren, öffnet sich der Blick auf das silbergraue Band der Straße, die sich durch die nächste Senke zieht, um sich irgendwo im nächsten Wald zu verlieren.

Sanfte Kurven wechseln sich ab mit steilen Serpentinen, die der Wald unvermutet freigibt. Wir können sie zügig durchfahren, denn das Öhlins-Fahrwerk steckt Schlaglöcher in der Kurve klaglos weg und die Maschine zieht bergwärts ihre Bahn wie auf einer Schiene.

Picknick in der Chartreuse

Rothaarige Motorradfahrerin auf einem Stein sitzend bei der Rast an einer Bergquelle bei einer Motorradtour in die Chartreuse

Die Sozia bei einer verdienten Rast

Intuitiv erspähe ich in einer Haarnadelkurve einen Parkplatz für unsere Marschpause. Dort steigen wir ab und folgen einem rauschenden Gebirgsbach hundert Meter bergauf. Schließlich finden wir einen romantischen Platz für ein Picknick im kühlen Bergwald.

Wie in einer Szene aus einem Kurosawa-Samuraifilm stürzt der Wildbach über zyklopenartige Steine talwärts und erstickt mit seinem Tosen jeden anderen Laut. Der Rest der Welt ist weit weg. Wir genießen die erfrischende Kühle des Waldes, erfreuen uns am Spiel des Lichts durch die hellen Buchenblätter und verzehren mit gutem Appetit das Mitgebrachte. Mit leeren Flaschen fangen wir das frische Wasser des Naturquells auf.

Motorradfahrer mit blauem Hemd hinter einem Felsen im Gebirgsbach stehend bei Rast auf einer Motorradtour in die Chartreuse

Erfrischung an der Bergquelle

Eine zeitlang studieren wir schweigend das variantenreiche Spiel des Wassers: Wie es talwärts rauscht, zwischen den Steinen gurgelt, an glatten Felsen vorbeiströmt oder sich ruhig in einem flachen Nebenbecken sammelt. Wer einen besonderen Drehort für eine Bierreklame sucht, fände hier die richtige Szenerie. Weiter oben schießt, wie von einer verborgenen Pumpe hervorgestoßen, ein Springquell aus bemoostem Fels.

Bergquelle, aus einem grün bemoosten Felsen hervorspringend

Bergquell in der Grande Chartreuse

La Grande Chartreuse

Dann besteigen wir erfrischt wieder die Maschine und setzen unsere Fahrt in Nordrichtung fort. Bei St-Pierre-de-Chartreuse biegen wir links in ein steiles Seitental ab. Weiter oben führt uns das Sträßchen in ein noch steileres Seitental. Dort, in der hintersten Ecke gelangen wir dann zur Grande Chartreuse, dem Mutterkloster aller Karthäuserklöster.

Seit 1084 besteht diese Einsiedelei. Weltflucht bestimmte die Ortswahl. Sie entsprach dem Wunsch nach einem Leben in der Abgeschiedenheit, das ausschließlich Gott gegeben ist. Da sich die Karthäusermönche bewußt von der Außenwelt fernhalten, kann man auch dieses Kloster nicht besichtigen.

La Grande Chartreuse im abgelegenen Bergtal mit Bergwiesen im Vordergrund und nebelverhangenen Bergen im Hintergrund

Die Grande Chartreuse im abgelegenen Bergtal

Bekanntestes Erzeugnis der Grande Chartreuse ist der gleichnamige grüne Kräuterlikör, von dessen Erträgen sich das Ordenshaus finanziert.

Ainsi buvons à leurs santés, Et vuidons tous nos verres.
Trinken wir also auf ihr Wohl und leeren alle unsere Gläser.
—  Freimaurerlied

Flasche Liqueur Chartreuse mit zwei gefüllten Gläsern auf einem Silbertablett

Grüße aus der Grande Chartreuse

Philosophenresidenz von Jean-Jacques Rousseau

Dann wandern wir auf satten Bergwiesen zum Parkplatz zurück. Eine berauschend schöne Bergstraße führt uns an den Stadtrand von Chambéry. Unser Ziel ist Les Charmettes, die Residenz des Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Von dort aus haben wir einen umwerfend schönen Blick über Chambéry auf die Alpen. Da können wir gut verstehen, daß dieser Ort für ihn mehrere Jahre lang das „Ideal eines geordneten und glücklichen Lebens“ verkörperte. Schön, wenn man das so sagen kann.

Wohnhaus Les Charmettes des Philosphen Jean-Jacques Rousseau in Chambéry

Wohnhaus Les Charmettes des Philosphen Jean-Jacques Rousseau in Chambéry

Les Gorges du Guiers Vif

Nach diesem philosophischen Intermezzo steuern wir wieder nach Südwesten durch die Berge und biegen bei St-Pierre-d’Entremont in die Gorges du Guiers Vif ein. Eine romantische Schlucht. Die Straße ist streckenweise hoch in den Fels gehauen. Grandios.

Da Christine auf solchen Strecken von Absturzvisionen heimgesucht wird, halte ich brav die Maschine straßenmittig. Unvermittelt verschlingt uns ein roh in den Fels gehauener Tunnel und spuckt uns auf der anderen Bergseite wieder aus. Mit dem Blick über die weite Ebene erahnen wir schon das Ende unserer Motorradtour in die Chartreuse.

In die Felsen gehauene Strasse in den Les Gorges du Guiers Vif bei einer Motorradtour in die Chartreuse in Frankreich

Les Gorges du Guiers Vif

Zurück in den Alltag

Später in der Ebene wird die Fahrt trocken-heiß. Mangels einladender Örtlichkeiten am Wegesrand landen wir in Les Arbrets unvermeidlich doch wieder bei McDonalds, wohl wissend um Klimaanlage, trinkbaren Kaffee und halbwegs saubere Toiletten.

Die letzten 80 Kilometer ziehen sich in der Nachmittagshitze hin. Gut durchgeföhnt und durstig erreichen wir am Nachmittag Haus und Hof. Am Ende war unsere erlebnisreiche Motorradtour in die Chartreuse gerade lang genug, um uns einen geruhsamen Tourentag zu bescheren, ohne beschwerlich zu werden.

Fazit

Eine Motorradtour in die Chartreuse ist etwas für Genießer. Ob jemand Dampf aufmacht oder sich auf kurvigen Nebenstraßen durch die herrliche Landschaft treiben läßt – hier wird jeder auf seine Kosten kommen. Die Tour eignet sich als Tagesunternehmung ebenso wie als geruhsamer Einstieg in eine ausgiebige Alpentour nach längerer Anfahrt in die Westalpen. Eine gewisse Fahrerfahrung sollte man dabei allerdings schon mitbringen.

Logistische Hinweise zur Motorradtour in die Chartreuse

Landkarte:

Michelin Départements France 333 Isère, Savoie

Zusatztipp:

Wer die Gegend noch nicht so gut kennt und ein bißchen Zeit hat, sollte unbedingt eine Runde um den Lac d’Aiguebelette 10 km westlich von Chambéry drehen. Der See belohnt mit herrlichen Ausblicken über Wasser und Alpen.

Bestes Käsefondue in Grenoble:

Fromagerie Les Alpages, 4 Rue de Strasbourg, 38000 Grenoble

Passender Rotwein dazu:

Trousseau oder Gamay

Unterkunft:

Chambres d’hôtes de charme et d’exception

Informationen:

Nationalpark Chartreuse

 

Aktualisiert am 18/05/2022 von Christian

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