Unsere Motorradtour auf den Grand Colombier führt zum Höhepunkt der Tour de France 2020: Einer der schönsten und härtesten französischen Pässe garantiert erlesenen Kurvenspaß und tolle Tourenerlebnisse.
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Höhepunkt der Tour de France 2020
Nun ist es offiziell: Der Grand Colombier wird fahrerischer Höhepunkt der 107. der Tour de France 2020. Die Strecke führt über den am schwierigsten zu fahrenden Pass Frankreichs, der auf der Nordseite, zum Bugey hin, eine maximale Steigung von 20 % aufweist. Man ist wirklich selbst schuld, wenn man diese Strecke nicht mit dem Motorrad unter die Räder nehmen würde.
Eine Motorradtour auf den Grand Colombier in den französischen Westalpen: Warum nicht eine Super-Passfahrt mit heimlichen Zielen verbinden, die kaum jemand kennt? Die nicht dick auf der Karte verzeichnet oder auf dem Navi als POI gespeichert sind? Wir haben uns beizeiten schon mal in der Region umgesehen.
Kraftorte am Grand Colombier
Rund um den Grand Colombier locken ein magischer Wald, eine versteckte Kartause, eine Flugzeug-Absturzstelle und sogar einem Kernkraftwerk. Alle diese so unterschiedlichen Ziele sind verbunden durch herrliche Kurvenstrecken mit toller Aussicht.
Ein sonniges Wochenende zieht herauf. Bei einem ausgedehnten Frühstück reift unser Entschluß, einige Kraftorte um den Grand Colombier zu besuchen, die sonst kaum jemand kennt. Zuerst den Forêt de Vallin, einen Druidenwald: Ein magischer Ort mit Kraftfeldern, einem Wasserfall und einem heilbringenden steinernen Druidenthron. Danach, ganz einsam in den Bergen, die Chartreuse de Portes: eine versteckte Kartause, deren Lage uns erst Google Earth erschlossen hat. Unweit davon, an einer Serpentine, die Absturzstelle, an der 1963 eine Mirage 3E zerschellt ist. Und schließlich, weil es so schön an unserer Strecke liegt, das Kernkraftwerk Bugey an der Isère.
Streckenführung der Motorradtour auf den Grand Colombier
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Magischer Wald
Es hätte uns ruhig früher einfallen können, daß am ersten Ferienwochenende alle Hauptstraßen voll sind. Eine Motorradtour auf den Grand Colombier zu machen – da hätten wir besser die Landstraße nehmen sollen. So geht es halt kilometerweit zwischen den stehenden Autoschlangen durch auf der Autobahn Richtung Chambéry.
Nach einer guten Fahrtstunde verlassen wir mit einem Seufzer der Erleichterung die Autobahn an der Gabelung der A 43 und A 48. Über Land schlängeln wir uns dorthin, wo der Forêt de Vallin sein soll. Jedenfalls hat es unser Gewährsmann vage so beschrieben.
Zunächst lädt uns erst einmal ein schattiger Waldrand zur Ruhepause ein:
Dann stellen wir die Maschine in sicherer Entfernung vom Druiden ab (damit er keinen Quatsch macht) und begeben uns zu Fuß auf den Weg. Es ist dies nun schon unser dritter Anlauf, um diesen magischen Ort zu finden. Das Internet gibt nicht viel dazu her. Google Earth zeigt nur Wald. Und die Bauern, die wir am Feldrand befragten, drucksten merkwürdig herum.
Einen ersten Hinweis, daß wir doch auf dem richtigen Weg sind, liefert das Erscheinen zweier etwas seltsam daherkommender Frauen. Vielleicht haben sie unsere gesuchten Kraftorte gefunden? Verraten wollen aber auch sie uns nichts. Auch nicht das wandernde Ehepaar mit einer selbst gezeichneten Karte in der Hand.
Druidenthron
So pirschen wir auf gut Glück waldeinwärts dem Druidenthron zu. Er soll Kraft und Gesundheit bringen, wenn man auf ihm sitzt. Nur nicht länger als 9 Minuten, wie die Esoteriker im Internet mahnen. Und dann, plötzlich, hinter einer Kurve des schmalen Waldweges, zeigt er sich uns.
Vorsichtig um uns blickend nehmen wir Platz. Den vielgerühmten Kraftfluß spüren wir zwar nicht. Wohl aber den Unwillen des Druiden: Christine holte sich beim Anmarsch prompt häßliche Blasen mit ihren Stiefeln. Obwohl sie schon mehr als zehn Jahre klaglos mit ihnen unterwegs ist und nie Beschwerden dabei hatte. Wir haben uns dem Kraftort wohl aus der falschen Richtung genähert.
Bei unserem heutigen Besuch weigert sich der Druide auch, sich fotografieren zu lassen. Die erprobtermaßen gestochen scharfen Bilder meines neuen Mobiltelefons verwischt er nullkommanix bis zur Unkenntlichkeit. Christines Konterfei auf dem Druidenthron bleibt damit für die Nachwelt unbrauchbar.
Magischer Wasserfall
Durch aufmerksames Lauschen im stillen Wald finden wir zum magischen Wasserfall weiter unten. Da es uns doch recht warm geworden ist in unseren Motorradklamotten, ist der Herr Druide so gnädig, uns die erbetene Erfrischung zu gewähren.
Magisches Kraftfeld
Derart erfrischt suchen wir einen kleinen Kahlschlag mitten im Wald auf, in dem sich ein magisches Kraftfeld bündeln soll. Daß wir auf dem richtigen Weg sind, erschließt sich uns schon von weiten durch den Anblick eines entrückt dreinschauenden weiblichen Wesens, das einen dicken Baum umarmt hält. So diskret wir das tun können, umrunden wir den Kraftort dreimal und suchen dann das Weite. Auf gespeicherte Energie hoffend.
Esoterik ist appetitanregend
Nach so viel Esoterik auf einmal verlassen wir eilig den Zauberwald. Der bärtige Magier entläßt uns mit knurrenden Mägen. Auf der Strecke nach Osten in Richtung Chambéry furagieren wir in einem mäßig bestückten Supermarkt und überbrücken die Zeit bis zum Mittagessen mit amerikanischen Keksen.
Für ein verspätetes Picknick finden wir ein ruhiges Plätzchen auf dem Ufergelände des Wasserkraftwerks Brens-Virignin. Ein weiterer Zielpunkt auf unserer Motorradtour zu Kraftorten am Grand Colombier. In herrlicher Ruhe genießen wir den Blick auf den träge dahinziehenden Fluß. Nur das regelmäßige Ticken des abkühlenden Boxermotors ist unsere Begleitmusik.
Tourenhöhepunkt: Grand Colombier
Un pays charmant où l’on trouve de hautes montagnes, des collines, des fleuves, des ruisseaux limpides, des cascades, des abîmes, vrai jardin anglais …
Ein bezauberndes Land mit hohen Bergen, Hügeln, Flüssen, klaren Bächen, Wasserfällen, Schluchten, ein wahrhafter englischer Garten …— Jean Anthelme Brillat-Savarin, Physiologie du goût / Physiologie des Geschmacks
Brillat-Savarin, der Philosoph der gehobenen Lebensart, mußte es wohl wissen, denn er stammte von hier. Das zwischen Lyon und Genf gelegene Bugey ist eines jener drei Vorgebirge der Westalpen, das man sich wegen seiner brillanten Motorradstrecken keinesfalls entgehen lassen sollte. Geologisch ist es ein Ausläufer des Jura, der für sich schon ein eigenes Tourenziel ist.
Die beiden anderen benachbarten Gebirgszüge stehen ihm an Attraktivität kaum nach: Sowohl das Vercors mit seinen Schluchten und Tunnels als auch die Chartreuse mit ihren Serpentinen und dichten Wäldern bieten traumhafte Motorradstrecken.
Im Bugey wollen wir verborgene Serpentinenstraßen genießen. Als wir das Rhônetal verlassen, wird es richtig rustikal. Schmale, bucklige Départementstäßchen winden sich in steilen Serpentinen die karstigen Abhänge des Vorgebirges hoch. Erfrischende Kühle empfängt uns, als wir auf seiner Höhe angelangt sind. Dörfer gibt es hier nicht, höchstens einzelne versteckte Bauernhäuser. Man findet sich in einer anderen Welt wieder.
Unbestrittener Höhepunkt unserer Motorradtour auf den Grand Colombier ist natürlich der Pass selbst mit 1.501 m Höhe. Von der D 120 eröffnen sich (vor allem auf der Südrampe talwärts) nicht nur hinreißende Panoramen über eine einmalige Fluß- und Seenlandschaft. Mit Steigungen von bis zu 20 % gehört der Grand Colombier auch zu den härtesten und gefürchtetsten Pässen in Frankreich. Darin steht er den Pässen im benachbarten Savoyen in nichts nach. Unglaublich: Bei strahlendem Sonnenwetter haben wir die Krone des Bugey ganz für uns allein.
Verborgene Kartause
Kein Wunder, daß das Bugey während des Krieges Rückzugsgebiet des Maquis war, der französischen Widerstandsbewegung. Viele Jahrhunderte früher war er aber auch schon Rückzugsgebiet für einen kontemplativen Mönchsorden, der ganz bewußt die Einsamkeit suchte: die Kartäuser.
Hinter den sieben Bergen finden wir endlich, ganz versteckt, einen der geistlichen Kraftorte um den Grand Colombier: die Chartreuse de Portes. Im Jahre 1115 gegründet, ist sie nach der Grande Chartreuse bei Grenoble die zweitälteste Kartause in Frankreich. Viel jünger (1353) ist dagegen die in Villeneuve-lès-Avignon, die wir auf unserer Motorradtour durch Provence und Camargue besucht haben.
Wir mußten erst Luftbildaufnahmen bemühen, um ihre genaue Lage ausfindig zu machen. Die Brüder des Heiligen Bruno wollen ganz unter sich sein und dulden keine fremden Besucher auf ihrem Klostergelände. In allerhöflichstem Französisch bitten Sie: „Touristen, Freunde, die Mönche, die für Euch beten, danken euch dafür, daß ihr ihre Einsamkeit respektiert. Die Kartause kann nicht besichtigt werden“
Das ist eine klare Ansage. Wir respektieren diesen Wunsch und begeben uns wieder auf die Straße. Der Col de Portes (1.010 m) eröffnet einen herrlichem Ausblick über das weite Land. In der blauen Ferne dampft eines der zahlreichen Kernkraftwerke, die unseren Kühlschrank zu Hause am Laufen halten.
Absturz-Gedenkstätte
Unsere Paßstraße schlängelt sich am Westhang des Bugey dahin. An einer Serpentine leuchtet uns ein weißes Kreuz mit Trikolore und einer Gedenktafel entgegen. 1967 ist hier eine Mirage IIIE am Berg zerschellt. Ein taktischer Atomwaffenträger. Wir legen ein memento mori ein. Auch für den französischen Piloten. R. I. P.
Es ist schon die dritte Absturzstelle, die wir besuchen: früher schon die einer amerikanischen DC 3 am Mont Pilat (1945) und dann die einer deutschen Ju 88 in der Gegend des Galibier. Kraftorte der besonderen Art.
Kernkraftwerk Bugey
In der Hitze des wiedergewonnenen Tales gehen wir auf Westkurs und überqueren die Rhône bei Montagnieu. Vor uns, nach dem Druiden am Vormittag und unserem hydroelektrischen Picknick, weitere Kraftorte: die vier Kühltürme des Kernkraftwerks Bugey, jeder 128 m hoch. Vier Druckwasserreaktoren versorgen einen Großteil der Industrieregion von Lyon mit Strom.
Wer Lust hat, kann die Anlage gerne besichtigen. Anmeldung online.
Dann biegen wir auf die Autobahn ein, betanken in Dagneux die Maschine für den nächsten Einsatz und gönnen uns in der klimatisierten Raststätte einen Espresso aus dem Automaten.
Eine halbe Stunde später sind wir wieder zu Hause und bergen aus unserem KKW-betriebenen Kühlschrank eine Flasche Crémant. – Ein herrlicher Samstag: acht Stunden waren wir unterwegs, haben 247 km unter die Räder genommen und sind um viele interessante Eindrücke und schöne Erlebnisse reicher.
Aktualisiert am 17/05/2022 von Christian