3.000 packende Kilometer und 7.000 Jahre Geschichte bei einer Motorradtour auf einsamen Straßen durch Frankreich an den Atlantik
Motorradtour durch Frankreich an den Atlantik
Nach unserer wunderbaren Motorradtour durch Südwestfrankreich und die Pyrenäen wollen wir uns jetzt zu einer Motorradtour durch Frankreich an den Atlantik aufmachen. Was ist die beste Strecke? Wo sieht und erlebt man am meisten?
Bei ausgiebigem Kartenstudium haben wir die interessantesten Regionen verortet: Zentralmassiv, Atlantikküste, Bretagne, Normandie und den ganzen Weg zurück von Rouen über Orléans, Tour, Poitiers und Burgund wieder nach Hause.
Unsere Sachen sind mit gewohnter Routine rasch gepackt; ruhiges, sonniges Herbstwetter lockt uns in die Ferne. Welche Strecke wollen wir unter die Räder nehmen?
Die 3.000 km unserer Motorradtour durch Frankreich und zur Hälfte immer am Atlantik entlang haben wir in 17 Etappen incl. Ruhetage aufgeteilt.
Zentralmassiv
Lyon – Clermont-Ferrand – Volvic – Aubusson – Limoges. 352 Km
Mit ihren zahlreichen Geschwindigkeitsbeschränkungen ist die A 89 nach Clermont-Ferrand ein kommoder Einstieg in unsere Tour: Der Verkehr ist ähnlich dünn wie auf der Interzonen-Autobahn in den 50er Jahren.
Gleichmäßig rollen wir durch die bewaldete Vulkanlandschaft des Puy-de-Dôme. Die (uns bekannte) Innenstadt von Clermont umfahren wir und steuern durch den Nationalpark gleich das Örtchen Volvic an – durch seine Plastikflaschen aus dem Supermarktregal bekannt. Dort lassen wir uns im Park neben dem Brunnenhaus erst einmal zum verdienten Picknick nieder.
Durch endlose Eichen- und Buchenwälder bollern wir nach Aubusson. Das ehemalige Zentrum der Wandteppichweberei ist ein nettes mittelalterliches Städtchen mit undefinierbarer Zweckbestimmung. Nach der Revolution vom 1789 war es zwar mit diesem Traditionshandwerk Handwerk vorbei. Es ist es aber interessant, in der Maison de la Tapisserie mehr über die Teppichweberei zu erfahren.
Bei ermüdenden 35° Nachmittagshitze sind wir froh um den Schatten der ausgedehnten Eichenwälder rund um unseren Zielort Limoges. Von hier stammt das Holz für die Wein- und Cognacfässer. Die Zahl der Sägewerke und der Kühe nimmt zu und die landestypische Vermaisung der Landschaft ab. Hier beherrscht das Rind beherrscht das Revier, manchmal auch das Schaf. Eines von ihnen hatte offensichtlich ein Wolf am Straßenrand gerissen. Die Läufe des Kadavers recken sich starr in den Himmel.
Unser Etappenziel erweist sich trotz seiner sprichwörtlichen Abgelegenheit (limoger = „jemanden in die Wüste schicken“, „jemanden absägen“) als durchaus nette Provinzstadt. Ihre herrschaftliche Alt-Architektur läßt jedoch ahnen, daß sie schon bessere Zeiten gesehen hat. Bemerkenswerterweise wurde hier die Limousine erfunden, eine Kutsche mit Klappverdeck und separatem Abteil für den Fahrer.
In unserem Hotel umweht uns der Hauch der tiefen Provinz, wie man sie in dieser Art eigentlich nur in Frankreich findet. Verschwitzt wuchten wir unser Gepäck in den 3. Stock hoch. Vom herrschaftlichen Balkon aus bewundern wir den kathedralenartigen Bahnhof. Dann vollziehen wir erst einmal unser gewohntes Reiseritual: Duschen, Wäsche waschen, Stadterkundung und Enträtselung der Geheimnisse der Regionalküche.
Zu unserer vollsten Zufriedenheit tafeln wir im Restaurant La Vache au Plafond, dessen Besuch wir uneingeschränkt empfehlen können.
Nachtrag von Christine:
Die Rinder hier sind eine eigene Rasse, genannt Limousin, karamellbraun und auf riesigen naturbelassenen Weiden gehalten. Deswegen haben wir uns gestern Abend für ein schönes, saftiges Rumpsteak entschieden und den anderen „Verlockungen“ der Speisekarte widerstanden, etwa den Lammhoden in Petersiliengelee oder Hirn überbacken.
Zu dem Mineralwasser in Volvic ist noch zu sagen, dass es wohl mehrere Quellen gibt, diese aber die Originalquelle ist und sie 170 Liter pro Sekunde hervorbringt mit einer Temperatur von 10°.
Cognac
Limoges – Châlus – Nontron – Angulème – Cognac. 177 Km
Ein roséfarbener Streifen grenzt den dunklen Horizont gegen den zartblauen Morgenhimmel ab. Die Aussicht auf einen sonnigen Reisetag und ein dezentes Frühstück bringen uns rasch in die Vertikale.
Zunächst statten wir der Kathedrale von Limoges einen Besuch ab, einer wuchtigen gotischen Hallenkirche mit einem dicht besetzten Kranz von Kapellen um den Chor herum. Wieder einmal befahren wir einen der zahllosen Zugangswege zum Jakobsweg. Übrigens: Die Bündelung der Strahlen weist in die Richtung, die man nach Santiago de Compostela laufen muß. Am Eingang zum Hauptschiff begrüßt uns der Heilige mit seinem typischen muschelbestückten Hut.
An der verträumten Vienne entlang gondeln wir südwestwärts nach Châlus. Aus einem ganz besonderen Grunde: Hier wurde am 6. April 1499 Richard Löwenherz tödlich vom Bolzen einer Armbrust getroffen. Der Schütze war ein Vierzehnjähriger, den man, als er später gefaßt wurde, bei lebendigem Leibe häuten ließ. British sense of humour?
Allerdings erschließt es sich uns nicht recht, warum man um ein trostloses Kaff an der damaligen Südgrenze des englischen Herrschaftsbereiches jahrelang Krieg führen mußte, um sich dann auch noch einen Todesschuß einzufangen. Wie kaum anders zu befürchten, ist die Burg samt Kapelle, in der Richards Eingeweide verwahrt werden, nach den Sommerferien geschlossen. Geschichtskundige Besucher mögen sich nächstes Jahr wieder herbemühen.
Auf der sehr romantischen Löwenherz-Straße kurven wir weiter Richtung Nontron. Da alle in Frage kommenden Picknickplätze von weidenden Limousin-Kühen mit Beschlag belegt sind, begnügen wir uns mit der schattigen Rentner-Ecke auf dem Dorfplatz. Weiter geht es auf einsamer Straße immer am Flüßchen Charente entlang.
Schließlich landen wir in Jarnac. Eigentlich ein recht unbedeutender Ort, auf dessen Friedhof aber der frühere Präsident François Mitterand begraben liegt. Unter einer Art Schilderhäuschen.
Der Ort Cognac zeichnet sich, um es mal ganz sachlich auszudrücken, vorwiegend durch mehrere Brennereien des gleichnamigen Getränks aus. Wenn es in einem Ort nicht einmal die sonst allgegenwärtigen Kebab-Laden gibt, ist schon leicht verdächtig. Nur mit Mühe finden wir ein, allerdings sehr hübsch an der Uferpromenade gelegenes, italienisches Lokal. Die Lasagna hat echte Supermarkt-Qualität. Der Wein auch. Wir beginnen zu verstehen, warum hier die Weinbrennerei Platz gegriffen hat.
Christines Anmerkungen:
Also, zur Ehrenrettung Cognacs muss gesagt werden, daß alle namhaften Brennereien hier mit schlossartigen Gebäuden vertreten sind. Die Stadt besticht durch mittelalterliche Bauten aus weißem Stein, was einen merkwürdig farblosen Eindruck hinterlässt. Der Geruch um die Destillerien ist beeindruckend, da wird man glatt zum Passiv-Trinker.
Ich finde, die Franzosen haben die schönsten Namen für ihre Heiligen. Gesehen habe ich schon St. Chef, St. Privat, St. Verande, Ste. Pee und nun auch St. Ours (Bär) und den Stadtheiligen von Limoges, St. Martial.
Hinter Limoges fuhren wir ein Stück an dem Fluß Vienne entlang, der sich, wie fast alle französischen Flüsse, im Sommer kaum noch bewegt. Er hatte die schwarzbraune Farbe eines Moorsees. Sah sehr eigentümlich aus.
Motorradfahren ähnelt in kommunikativer Hinsicht dem Gassigehen mit dem Hund. Bei jedem Stop ernten wir neidvolle Blicke und geraten ins Gespräch mit Wildfremden, die uns mit überraschenden Tipps für die Weiterreise versorgen. Manchmal sieht man sich an den nächsten Sehenswürdigkeiten wieder und winkt sich zu.
Sehr heiß war es heute auch wieder und wir klebten in der Montur fest. Ich scheine die Fähigkeit zu entwickeln, auf jeder noch so kleinen waagrechten Fläche mich hinlegen und einschlafen zu können. So gewinnt das Ganze durchaus Urlaubscharakter!
La Rochelle
Cognac – Saintes – La Rochelle. 108 Km
Das Städtchen Cognac revanchiert sich für unsere süffisanten Bemerkungen prompt mit einem nächtlichen Gewitter. Die Motorradsitze sind durchnäßt, die Vorfreude auf einen schönen Tourentag eingetrübt. Wir aber schlagen dem Wetter ein Schnippchen und besichtigen im Trockenen die Destillerie Hennessy.
Überraschenderweise bietet die Führung selbst uns altgedienten Cognacliebhabern neue Erkenntnisse:
• Die Firma unterhält keine eigene Brennerei, sondern bezieht das aqua vitae von zuliefernden Weinbauern.
• Aus den eingelagerten Cognacfässern verdampft jedes Jahr eine Alkoholmenge (part des anges), die der Füllung von 5 Millionen Flaschen entspricht.
Als Fahrer muß ich mir leider die gebührende Teilnahme an der Verkostung versagen und begnüge mich mit dem – allerdings vorzüglichen – hauseigenen Traubensaft, der als Nebenprodukt hier erzeugt wird.
Die weitere Fahrt Richtung Atlantikküste ist wenig spektakulär. In Saintes bestaunen wir die Reste römischer Architektur und legen wir auf einer Parkbank eine Mittagspause ein.
Auf der Schnellstraße durch unspektakuläres Flachland erreichen wir am frühen Nachmittag unser Etappenziel La Rochelle. Eine ausgiebige Stadterkundung weckt historische Erinnerungen – Belagerungen, die Besiedelung Kanadas von hier aus und auch der massive deutsche U-Bootbunker (Das Boot), der sich im milden Nachmittagslicht gegen den Horizont abzeichnet.
Wir schlendern durch die Stadt, genießen das Nichtstun und finden unseren Weg zum Café de la Paix an der Place de Verdun, in dem wir uns zum genüßlichen Abendessen niederlassen. Durch die großen Fenster leuchtet von Westen her ein sattes Abendrot, das uns eine angenehme Fahrt am morgigen Tage verheißt.
Christines Anmerkungen:
Daß Männer sich immer so kurz fassen müssen! Natürlich war der Motorradsattel heute früh naß und ich fürchtete schon, auf einem nassen Schwamm fahren zu müssen. Aber die Gelkissen, die wir zur Entlastung der Sitzbeinhöcker (schönes Wort, nicht wahr?) aufgelegt haben, fingen den Regen ab und haben sich anstandslos trockenföhnen lassen. Gestern allerdings luden sich die Dinger in der Mittagspause derart in der Sonne auf, daß ich bei der Weiterfahrt das Gefühl hatte, in einer gut vorgeheizten Bratpfanne zu sitzen. Leider hat das nicht zum Abschmelzen der körpereigenen Fettpölsterchen an dieser Stelle geführt!
Christian ist bei der bei Hennessy-Verkostung nicht ganz leer ausgegangen: Ich habe ein Minifläschen für ihn erstanden, das er gerade mit Genuß leert. Und das Lokal heute Abend war ein wunderschöner Jugendstilsaal, komplett mit Deckengemälden, güldenen Säulen, kugeligen Lüstern und einem verschmitzten Kellner.
Als Teenager sahen unsere Kinder öfters eine Fernsehsendung namens „Fort Boyard“, eine Art Schatzsuche mit Überlebenstraining in einem alten Fort auf einer einsamen Insel. Dieses Fort liegt in Sichtweite vor La Rochelle. Wie diese Insel ins amerikanische Fernsehen kam, ist mir allerdings nicht klar.
Anscheinend ist für die gesamte Region der weiße Kalkstein typisch, aus dem die Häuser gebaut werden. La Rochelle nennt man deswegen auch „die weiße Stadt“. Christian hatte heute eindeutig zu wenig Kurven zu fahren, deswegen geht es morgen immer an der Küste lang. Wir werden berichten …
St. Nazaire
La Rochelle – St. Nazaire – La Baule. 236 km
Die Nacht war unruhig durch unablässig grölende Betrunkene vor unserem Hotel. Mit leisem Nieseln graut der Morgen herauf, doch der Meereshorizont läßt schon einen zartblauen Streifen erahnen.
Sparsam, wie wir nun einmal (geworden) sind, nehmen wir unser Frühstück beim Bäcker um die Ecke für rekordverdächtige 2,10 EUR p. P. ein. Das schafft Luft für spätere Prassereien. Bei morgendlicher Kühle verlassen wir im Zickzack-Kurs die Stadt nordwärts. So sehr ich das Navigationsgerät unterwegs auch wegen seiner blödsinnigen Routenvorschläge verfluche, so gute Dienste leistet es uns doch beim Start und Zieleinlauf in der Stadt. Das spart erheblich Irrwege, Zeit und Nerven.
Die Charante Maritime und die nördlich angrenzende Vendée sind ideale Durchgangsregionen: gerade Landstraßen ohne Verkehrstrubel, flach und attraktionsarm, ohne unnötige Ablenkung der Gedanken vom zügigen Fahren. Irritierend sind nur schlecht ausgeschilderte Ortsumgehungen und sinnlose Kreisverkehre, die flottem Fortkommen hinderlich sind. Gefallen finden wir jedoch an den hohen Buschreihen, die zu beiden Seiten die Landstraße säumen und uns vor Seitenwind schützen.
Zur Mittagszeit gelangen wir nach Les Sables d’Olonne, lassen uns auf einer Bank am Hafen nieder und eine genehmigen uns kleine Stärkung. Imponierend der Tidenhub an der Atlantikküste, den wir aufgrund der Vermoosung an den Kaimauern auf 6 bis 7 Meter schätzen.
Im gleichen Trott fahren wir dann weiter nordwärts, erreichen die Bretagne und legen in Pornic am Hafen eine verdiente Kaffeepause ein.
Von dort aus ist es nicht mehr weit nach St. Nazaire. Zunächst überqueren wir die breite Loiremündung auf einer imponierenden Autobahnbrücke, von der man einen wunderbaren Blick über Stadt, Hafen und Werften hat. Unübersehbar macht sich der 300 x 130 x 18 Meter messende U-Boot-Bunker breit, in den einst 480.000 m³ Beton verbaut wurden.
Die letzten 10 km gondeln sich leicht auf der Schnellstraße. Dann biegen wir nach La Baule ab und beenden dort unsere Tagesetappe vor dem hübschen, ruhig gelegenen Hotel St. Pierre. Wir werden sehr freundlich empfangen und der Patron nötigt mich geradezu, unsere Maschine in seinem Garten sicher abzustellen.
Abermals wuchten wir unsere Sachen in den 2. Stock hoch, was aber angesichts des netten Zimmers der Mühe wert ist. Dann schlüpfen wir in unsere Zivilklamotten und unternehmen einen zweistündigen Strandspaziergang in der späten Nachmittagssonne.
Die dabei entstandenen Hungergefühle stillen wir mit einer außerordentlich wohlschmeckenden gefüllten Galette und einer Crêpe mit Butterkaramell, begleitet von zwei Tassen lokaltypischem Cidre. Wir können dann nicht anders als nur nach Hause rollen, entdecken dabei aber einen Waschsalon, der uns morgen die Mühe der Handwäsche abnehmen wird. Ein ruhiger Tag mit etlichen Einsichten, dazu aber morgen mehr.
Christines Anmerkungen:
Ich war der Ansicht, eine Küstenstraße verliefe am Meer. Mitnichten, denn heute haben wir vom Motorrad aus nur ein einziges Mal das Wasser gesehen. Immer wieder führte die Straße darauf zu, dann 3 – 4 Kreisverkehre und schwupp, waren wir wieder im Inland.
In Deutschland werden Windräder gerne zur Verunzierung der Landschaft verwendet, in Frankreich Wassertürme. Graue, hässliche Riesen, im Flachland weithin sichtbar. Einem ältlichen Exemplar hatten wohlwollende Nachbarn eine Namenstafel mit der Aufschrift Château d’eau umgehängt.
Nach all den Alpenpässen, für die Christian so schwärmt, kam ich heute als Tiefebenenbevorzuger auf meine Kosten. Das Marschland hat etwas ganz besonders: Salzwiesen ohne Ende, ruhige Entwässerungsgräben dazwischen, ein paar zerzauste Bäume, Kühe, ganz viele unterschiedliche Vogelarten und einen ungehinderten Blick bis an den weit entfernten Horizont, auf 360° um einen herum.
Da wurde auf einmal der Himmel ganz weit und alles Beklemmende fiel von mir ab. Ich saß eine Weile ganz glücklich auf dem Motorrad und war eins mit mir, der Welt und meinem Herrgott.
Der Strandspaziergang heute Nachmittag war wunderbar, die Sonne mild und die Luft frisch und salzig. Für mich war heute, trotz gelegentlicher Probleme mit dem Sitzfleisch, ein besonders schöner Tag.
Côte Sauvage
36 km an der Felsenküste entlang
Bei einem ebenso reichhaltigen wie wohlschmeckenden Frühstück warten wir ab, bis sich die Wolken aufgelockert haben und wir unsere Naherkundung der Küste beginnen können. Unser Weg führt uns zunächst zum „Blockhaus“, einem als Museum hergerichteten Atlantikwall-Bunker.
Erstaunt sind wir von der großen Zahl französischer Besucher, die sich das Befestigungswerk und die reichhaltigen militärgeschichtlichen Sammlungen ansehen wollen. Schon eigenartig, daß einst hundert Mann jahrelang in der Einsamkeit der bretonischen Küste um ein Eisenbahngeschütz herum saßen, ohne in ernsthafte Kampfhandlungen verwickelt zu werden – um am Ende das Ganze geordnet an die Amerikaner zu übergeben. Das erinnert mich irgendwie an das Fort in Dino Buzzatis Roman Il deserto dei tartari, wo auch die Einsatzbereitschaft der einzige Daseinszweck ist und das Leben an allen vorbeigeht.
Als wir aus der Tiefe des Bunkers wieder ins Freie entsteigen, empfängt uns wärmender Sonnenschein und wir suchen uns einen kuscheligen Felsen am Meer zum Picknick. Alle Gedanken rutschen meilenweit weg und wir schauen im milden Septemberlicht zwei Stunden lang auf Meer, Möwen und Segelboote.
Dann führt uns der Weg weiter an der Côte Sauvage entlang, bis wir (endlich) eine Bar für den Nachmittagskaffee finden. Auf dem Rückweg ersteht Christine an einer Saline ein Päckchen feines Meersalz als Erinnerung.
Am Nachmittag wandeln wir zwei Stunden lang an „unserem“ Strand entlang, bis uns der Magen knurrt. Nach einem bekömmlichen bretonischen Abendessen mit Cidre ziehen wir uns mit wohliger Müdigkeit auf unser Hotelzimmer zurück.
Christines Anmerkungen:
Allzuviel ist dem nicht hinzuzufügen. Es wird deutlich kühler und morgen soll es regnen. Deshalb haben wir hier einen Tag verlängert, denn im Regen fahren zu müssen überlassen wir lieber dem Notfall. Beim Mittagessen (Müsliriegel und Äpfel) schauen wir außerdem den Fischern zu, die in den 2 Stunden gerademal 2 mittelgroße Doraden im Netz haben.
Den Bunker fand ich sehr interessant und lehrreich, zumal er völlig wertneutral einen Blick auch in das Alltagsleben der Soldaten wiedergibt.
La Baule-Escoublac
0 km. Alles zu Fuß
Ein ganz normaler Ruhetag bei anfänglichem Regenwetter: Wäsche waschen, Postkarten schreiben, Recherchen über lohnende Besichtigungsziele, Streckenplanung, Vorerkundung der Hotels der nächsten Etappen.
Unser Patron lag vollkommen richtig mit seiner Prognose, um 14.00 Uhr, bei voller Ebbe, werde der Himmel aufreißen. Wir staunten darob nicht schlecht und hoffen, auch künftige Eintrübungen werden so zuverlässig vergehen.
Restaurantbesuche schenken wir uns heute zu Gunsten einiger Delikatessen und einer Flasche Rotwein, die wir bei unserem mittäglichen Stadtspaziergang besorgt haben. Nicht lassen können wir natürlich vom Strand. Anderthalb Stunden wandeln wir in wärmender Abendsonne, leider mit vielen scharfkantigen Muscheln unter den Füßen, die der nächtliche Seegang an Land gespült hat. Wir freuen uns schon auf unseren morgigen Ausflug in die Steinzeit.
Steinriesen in Carnac
La Baule – Quiberon – Carnac. 200 km
Unser siebter Reisetag beginnt mir einer Panoramafahrt im Morgensonnenschein entlang der Strandpromenade von La Baule zur Tankstelle. Von dort begeben wir uns auf die wenig befahrene Schnellstraße Richtung Brest, legen aber schon auf halber Strecke zu unserem Zielort in Mauzille – wider besseren Wissens – am Dorfplatz eine Kaffeepause ein. Das Gebräu hatte, ebenso wie Christines Kakao, Jugendherbergsqualität der frühen 50er Jahre.
Zur Aufheiterung suche ich den benachbarten Tabakladen auf, erwerbe zwei Lottoscheine (Super Jackpot am Freitag, dem 13.) und lege damit den Grundstein zu unermeßlichem Reichtum. Vielleicht.
Bevor sich bleierne Mittagsruhe über das Land senkt, besorgen wir uns in einem dieser gigantischen Supermarkt-Kombinate am Ortsrand etwas zu Essen. Da eines unserer Hauptziele, ein Dolmen namens Table des Marchands, wegen offensichtlich gewerkschaftlich dekretierter Mittagspause geschlossen ist, begeben wir uns an die Landspitze von Locmariaquer zum Mittagspicknick am Strand. Wir genießen die unendliche Ruhe zwischen den Felsen, den Ausblick auf das gegenüberliegende Dorf mit Leuchtturm und den Blick auf die ziehenden Wolken am blauen Himmel.
Nach der Mittagspause lädt die neolithische Kultstätte wieder zum Besuch: Ich habe wirklich schon einiges an bedeutsamen Bodendenkmälern gesehen, aber der zerborstene Riesen-Menhir mit 280 Tonnen Gewicht, die Table des Marchands und das Ganggrab sind schon eine ganz andere Liga.
Im Anschluß erkunden wir die Alignements, parallele Reihen aus über 3.000 Steinen, die sich über insgesamt 4 km in West-Ost-Richtung erstrecken. Faszinierend. Das größte Ensemble dieser Art auf der Welt.
Der weitere Weg führt uns zum Geant, einem über 7 m hohen Hinkelstein, der mit einem in Stein gesetzten Rechteck von über 50 m Kantenlänge eine kultische Einheit bildet.
Etwas geschafft von der vielen Herumlauferei bei recht deftigen Temperaturen fahren wir bis zur Südspitze der Halbinsel Quiberon, halten uns dann auf der Küstenstraße und genießen das einmalige Küstenpanorama vor Sonnenuntergang.
Unsere Aussicht auf ein geruhsames Abendessen am Hafen von Quiberon zerschlägt sich mit der Eigenwilligkeit der örtlichen Restaurationsbetriebe, die selbst eine Viertelstunde vor dem angegebenen Speisezeiten absolut nichts herausrücken wollen. Leider kein unbekanntes Erlebnis, wenn man zur Unzeit Hunger haben zu müssen glaubt. So fahren wir nach Carnac zurück und lassen uns in einer Rentner-Gaststätte nieder, wo wir im Kreise der örtlichen Senioren ausgezeichnet Muscheln essen.
Christines Anmerkungen:
Das war die Kurzversion: Morgens am Strand in La Baule, zartblauer Himmel und im seichten Wasser zwei schwarze Trabrennpferde mit Wägelchen und wehender Mähne. Ansonsten gehört der Strand Spaziergängern mit Hunden. Der Trend geht eindeutig zum Kleinsthund, von uns „Erdnuß“ genannt. Manche Strandläufer hopsen unvermittelt, aber ich weiß aus Erfahrung, das sind nur spitze Muscheln, auf die sie getreten sind.
Ich meide inzwischen schon den galligen Kaffee, aber auch der Kakao heute schmeckt wie im Internat zu schlimmsten Zeiten. Dennoch wir hatten einiges zu lachen, bis wir kapiert hatten, wie der Lottozettel funktioniert.
7.000 Jahre stehen die riesigen steinernen Kultstätten schon, aber neuerdings sind sie mittags zu. Wir sind nicht die einzigen Enttäuschten. Der Picknickstrand ist mit ausgebleichten Austernschalen übersät, deren Perlmutt in der Sonne funkelt. Überall gibt es Austernzuchten, was uns aber ganz kalt lässt.
Die Häuser hier sind so wir die Dolmengrabstätten aus Stein gebaut, und wir finden es toll, dass die Steinzeitmenschen und die heutigen Häuslebauer das selbe Material verwenden. Das riesige Ausmaß der Monolithreihen (über 3.000 Steine stehen da) haut mich schier um. Zu gerne würde ich den gesamten Komplex aus der Luft sehen. Gut 4 km lang ist die Anlage, ab und zu durch Straßen, Wälder und sogar Häuser unterbrochen. Überall auf der Halbinsel stehen Hinkelsteine und Dolmengräber. Viele sind nicht ausgegraben oder restauriert, einige frei zugänglich im Gelände. Auch wenn sie schon schier ewig da sicher stehen, bekomme ich unter den tonnenschweren Deckensteinen Platzangst und muß die Innenansicht Christian überlassen. Wie die Menschen das Ganze transportiert und aufgestellt haben, noch lange vor der Erfindung des Rades und vor der Erbauung der Pyramiden?
Die Muscheln im Restaurant waren spitze. Meine in Cidre mit Zwiebeln und Petersilie, Christians in Rotwein mit Zitrone. Beide hatten genug Knoblauch um als Wurmkur gelten zu können. Vorsichtshalber haben wir mit einem kleinen Schlückchen Wodka nachdesinfizert.
Ich finde die Bretagne ausgesprochen wildromantisch schön und fühle mich manchmal an Südengland erinnert. Von dort aus soll sie wohl auch besiedelt worden sein, die Bucht hier heißt Baie de Cornouaille = Cornwall. Die Straßenschilder sind zweisprachig Französisch und Bretonisch, das viel „Pen“ und „Ker“ und X enthält.
Bretagne Süd
Carnac – Quimper. 131 km
Regenwetter
Der Himmel ist bedeckt, das Wetter frisch und die Sitze sind naß. Der vom Wetterbericht versprochene teilblaue Himmel zeigt sich erst sehr viel später am Tage. Wie lesen wir so schön im Café beim Frühstück?
Dieu créa la pluie pour éviter que la Bretagne devienne un paradis.
Gott schuf den Regen, um zu verhindern, daß die Bretagne zum Paradies wird.
Selten so gelacht. Hoffentlich holt uns diese Prognose nicht unterwegs ein, denn die Landschaft ist allzu schön: Leicht hügelig, von Büschen und Wäldern durchzogen, zwischen denen sich kleinere Felder verstecken.
Speisekarte
Eigentlich müßte es hier jede Menge Fasanen und Rebhühner geben, aber man sieht nichts, weder in der freien Wildbahn noch auf der Speisekarte. Langsam bezweifele ich, ob hier überhaupt noch jemand in der Lage ist, Wild vernünftig zubereitet auf den Tisch zu bringen. Meiner Erfahrung nach ist es aber besser, dieses Thema nicht ins Gespräch zu bringen. In einem Land, das sehr viel auf seine Küche hält, riskiert man sonst pikierte Reaktionen.
Architektur
Auch mit der Architektur ist es so eine Sache. Man schaut sich ja viel um beim Motorradfahren. Angesichts der allgegenwärtigen Gleichförmigkeit, mit der die Architekten Vauban (der Festungsbauer) und Haussmann (der Schneisenschläger) das Land überzogen haben, fallen einem die McDonald’s-Tempel am Eingang jeder größeren Ortschaft gar nicht mehr besonders negativ auf.
Auch die zahlreichen Wassertürme sind keine besondere Augenweide. Einige konstruktive Grundformen erfreuen sich hier besonderer Beliebtheit: die aufrecht stehende Stielhandgranate, der kopfunter auf eine Röhre aufgesetzte Kegelstumpf oder der Sektkelch. An kilometerweit gut sichtbarer Stelle postiert, ein ergreifender Anblick. Optische Konflikte mit umstehenden historischen Denkmälern dürfen da natürlich keine Rolle spielen. Eines der erhabensten Monstren steht bei Carnac direkt neben einem 5.000 Jahre alten Hügelgrab.
Die Fahrt war insgesamt eher kühl und fad, was uns zu einem mittäglichen Zwischenstop im Quimperlé motivierte. Die architektonisch sehr ansprechende Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert war leider wegen dringender Renovierungsarbeiten geschlossen. Da die Atmosphäre dieser Stadt uns in eine Stimmung versetzte wie ein brandenburgisches Provinznest kurz vor der Wende, blieb uns auf dem menschenleeren Domplatz nur ein Bänkchen für ein den Umständen entsprechend bescheidenes Picknick.
Eine halbe Stunde später erreichten wir unseren Zielort Quimper, der uns insgesamt angenehm überraschte: Eine nette, lebendige Stadt mit bemerkenswerter Altbausubstanz freundlichen Menschen. Außerdem reißt am Abend noch der Himmel auf und beschert uns den tagsüber entbehrten wärmenden Sonnenschein.
Wer von Westen her nach Quimper fährt, sollte die südliche Umgehungsroute über die D 365 wählen. An der ersten Ausfahrt liegt linkerhand die von Christine weiter unten beschriebene Textilfabrik mit gut sortiertem Werksverkauf. Die schönen Stücke werden auf deutschen Textilmaschinen gefertigt.
Christines Anmerkungen:
Ich habe beim Fahren einen neuen Heiligen für meine Sammlung entdeckt: St-Molf.
Bei der Abreise aus Carnac sind wir noch an vielen anderen größeren Menhir-Ansammlungen vorbeigefahren. Manchmal stehen sie einsam in einem Getreidefeld oder bei Leuten im Vorgarten. Total spannend! Die Kirche St-Columban in Carnac hat eine wunderbar bemalte Holzdecke und ist den Besuch wirklich wert.
In der Einflugschneise zu Quimper sah ich mit einem Auge die Reklame für den Fabrikverkauf von Armor Lux. Die letzte große Trikotagenfabrik Frankreichs, die superschöne und schwere Jerseystoffe herstellt, marinemäßig geringelte T-Shirts und tolle Wollpullover. Ich habe Christian dazu gekriegt, mit mir da einen Abstecher hinzumachen. Leider war für mich nichts dabei, aber er hat einen wunderbaren Pulli bekommen.
Da wir hier in einem Miniappartment mit Küche untergekommen sind, beschließen wir, heute zu Hause zu essen und verproviantieren uns mit Nudeln, Soße und Rotwein. Vorher besuchen wir noch die Kathedrale St-Corentin. Sie zeichnet sich durch einen leicht nach links abgeknickten Chor aus, der auf die Neigung des Hauptes von Jesus am Kreuz hinweisen soll. Die netten Fachwerkhäuser in der Altstadt gefallen uns sehr gut.
Bretagne Nord
Quimper – Perros-Guirec. 149 km
Heimat von Asterix und Obelix
Der Spruch mit dem Regen in der Bretagne hat sich heute leider bewahrheitet: Durch fettes Nebelnieseln fuhren wir heute an die Nordküste, in die Asterix-Heimat. Auf rutschigen Straßen bei teilweise weniger als hundert Metern Sicht.
Verständlicherweise waren wir so gut wie alleine unterwegs. Trotz allem genossen wir die wunderschöne Gegend: nett hergerichtete Steinhäuser mit üppigen, gepflegten Gärten, umgeben von dichten, akurat getrimmten Hecken als Windschutz, verträumte Dörfer mit verwitterten alten Kirchen. Es kommt uns vor wie Südengland mit Rechtsverkehr.
Die Navigation war nicht immer einfach wegen der verwirrenden Beschilderung in französischer und bretonischer Sprache. Französische Ortsnamen sind öfters mal unkenntlich gemacht. Aufschriften wie „BRZH FREE“ oder Einschußlöcher auf den Straßenschildern erinnern den Reisenden daran, wo er sich befindet.
Bretonische Felsenküste
Beeindruckend fanden wir die Kalvarien-Kirche in Pleyben, einen verwitterten Steinbau aus dem 12. Jahrhundert, dessen Architektur exakt den Kirchen jenseits des Kanals aus der gleichen Epoche gleicht. Erstaunlich, daß die bretonischen Kirchen wohl nicht von der Revolution „purifiziert“ wurden. Jedenfalls ist ihr Schmuck zur Gänze und in gutem Pflegezustand erhalten.
Wir freuen uns, bei halbwegs trockenem Wetter unseren Zielort Perros-Guirec erreicht zu haben und so nutzen wir diese Gelegenheit zu einem Ausflug in den „Park der rosa Felsen“. Unerwartet kamen wir in den Genuß eines großartigen Naturanblicks: Eine Küste, wie von Künstlerhand geschaffen aus riesigen, rund modellierten rosafarbenen Granitfelsen von unterschiedlichster Gestalt. Es kam uns vor, als sei der Bildhauer Henry Moore hier in die Schule gegangen. Wir lassen uns auf den Felsen nieder und waren einfach hingerissen von diesem Anblick.
Dann holte uns aber der Regen schon wieder ein und wir sahen zu, daß wir in unser Hotel kamen, um uns wieder einigermaßen zivilisiert herzurichten. Jetzt steht die Maschine regengeschützt unter Dach, die mitgeführten elektronischen Geräte laden auf und uns grummelt schon langsam der Magen. Mal sehen, was Christine da an Lokalen ausfindig macht.
Christines Anmerkungen:
Was ich heute an wunderbaren Pflanzen gesehen habe! (Soweit es der Regen auf dem Visier zuließ). Ich wußte gar nicht, dass Hortensien zu regelrechten Wällen wuchern können, an der windgebeutelten Küste Palmen wachsen, manche Zäune von Passionsblumenhecken überwuchert sind und es in Quimper „in“ zu sein scheint, Bananenstauden im Vorgarten zu haben. An den vielen Apfelbäumen drängeln sich die Äpfel um einen Platz auf den Ästen. Leider konnte ich wegen des Regens nicht viel photographieren. Still sitzen war angesagt, denn eine falsche Kopfbewegung und die kalten Tropfen liefen hinten im Nacken unter die Jacke.
Nette Picknickplätze hätte es einige gegeben, aber wegen des Regens wollten wir nicht absteigen und die Maschine ungeschützt stehen lassen – Folge: nasser Schwamm. So mussten wir unser Sandwich im Stehen unter dem ausladenden Vordach eines Supermarktes verzehren. Zum Trost haben wir uns Schokolade zur Nachspeise kaufen müssen.
Für alle Asterixfans: Wir sind hier in Armoricum und irgendwo hier müsste sein Dorf gewesen sein. Der Typ Asterix ist jedenfalls recht geläufig in dieser Gegend: Kleine, drahtige Männer mit wachen Augen und großen Schnauzbärten. Obelixe habe ich noch nicht gesehen, obwohl die bretonische Küche sehr butter- und sahnelastig ist und viele Nachspeisen als Plombenzieher fungieren können.
Für alle die unter feinen und fliegenden Haaren leiden habe ich einen guten Tipp: Haare offen tragen, eine Stunde lang dem Nieselregen, der salzigen Gischt und Wind aussetzen, dann enganliegenden Helm aufsetzen und durch Körperwärme trocknen lassen. 2 -3 mal am Tag wiederholen. Das Ergebnis kann sich in puncto Unentwirrbarkeit mit Dornröschens Hecke messen.
Innere Bretagne
Perros-Guirec – Guer/Paimpoint. 221 Km
Mieser Anfang
Ein überraschender Tag: Start bei Regen und 15°, mäßige Laune, kein Frühstück, null Fahrspaß auf der autobahnähnlichen Schnellstraße. Vor St-Brieuc laufen wir auf einen Stau auf, den wir nicht umgehen können. Über mehr als 10 km arbeiten wir uns zwischen den Kolonnen vor (mit Seitenkoffern, wohlgemerkt). Freundlicherweise erkennen die Franzosen den Sonderstatus von Motorrädern an und weichen freundlich zur Seite aus. Kompliment und Dank. Die einzigen, die das nicht tun, sind deutsche Touristen, meine Spezialfreunde mit Fahrrädern aufmontiert und/oder Wohnmobil.
Überraschungen
An der Stauspitze stellen wir fest, daß nicht ein Unfall die Ursache ist, sondern ein Sondertransport (Nuklearabfälle oder sowas) mit Gendarmeriebegleitung bei 30 km/h, der nicht überholt werden darf. Irgendwo in der Pampa dirigiert uns die Gendarmerie von der Straße und wir müssen uns ohne Umleitungsempfehlung unseren eigenen Weg suchen.
So beschließen wir, in einem namenlosen Vorort eine kleine Pause einzulegen. Kaffee und Croissants waren diesmal sehr gut. Eine Stunde später treffen wir in the middle of nowhere im Wald auf ein ganz reizendes, einsames Restaurant, Les Forges de Paimpont. Wir speisen vorzüglichst zu ungewohnt bürgerlichen Preisen, Christine eine halbe Ente und ich einen Zander auf Gemüsebett. Hinreißend, und die Bedienung sehr nett.

Nach 250 km Starkregenfahrt durch die Bretagne ist ein exquisites Restaurant ein willkommener Ort zum Trocknen und Aufwärmen – wie hier im magischen Wald von Paimpont zwischen Rennes und Lorient.
Kurz darauf treffen wir in unserem Hotel ein, direkt neben der Offiziersschule St-Cyr, von der ich gar nicht wußte, daß sie hier liegt.
Im Zauberwald
Dann aber zu unserem Hauptanliegen, dem Besuch des Zauberwaldes von Paimpont. Schauplatz der Artussage und der Umtriebe des Zauberers Merlin und seiner jungen Liebhaberin Viviane. Christine taucht bei einem längeren Waldspaziergang in die Sagenwelt ein, während ich umherziehende Schwarzwildrotten wittere. Einer der schönsten Wälder, die ich in Frankreich je gesehen habe.
Christines Anmerkungen:
Na, dann kommt von mir mal wieder der romantische Teil:
Ich fand es toll, daß mein Mann sich zu einem so großen Umweg hat hinreißen lassen, nur um auf den Spuren der Artussage zu wandeln. Aber für Druiden hat er ja was übrig. Hier im Wald Broceliande soll sich Merlin aufhalten, von Viviane verzaubert, und die anderen Feen der Artussage haben hier auch ihre Wohnsitze unter verschiedenen Seen. Wir also los auf die Suche nach Merlins Grab. Den neuzeitlichen Parkplatz dazu fanden wir schnell, nur die Suche nach den Resten eines Megalithgrabes gestaltete sich schwierig. Zusammen mit einem belgischen Ehepaar mäanderten wir durch den Wald, die Wegmarkierungen waren few and far between und meist nichtssagend.
Nach einer Stunde (das Grab sollte in 200 Metern Entfernung sein) bekam ich es doch mit der Angst zu tun und ich glaubte schon an Verzauberung. Denn die Fee Morgane hat angeblich den Wald mit einem Zauber belegt, der untreue Männer nie wieder aus ihm herausfinden läßt. Aber mein Pfadfinder-Ehemann lief einfach eisern den gegangenen Weg zurück und wir landeten wieder auf dem Parkplatz. Merlins Grab lag gegenüber auf der anderen Straßenseite! Sogar den Jungbrunnen haben wir entdeckt und, wie vorgeschrieben, daraus getrunken. Wer diese Brühe überlebt, ist eh wahrscheinlich beinahe unsterblich. Vorsichtshalber habe ich mein Gesicht damit eingerieben, vielleicht wirkt es ja.
Aber irgendwas ist schon an der Sache dran und die Druiden haben mich auf dem Kieker. Ich hatte ja, wir immer, die Motorradstiefel an, mit denen ich klaglos seit 10 Jahren laufe und auch gestern Stunden in den Felsen herumgeklettert bin. Schon beim letzten Mal bei Lyon, als ich mich dem dortigen Druiden von der falschen Seite des Waldes genähert habe, bekam ich eine Mega-Blase an der Ferse. Unser Rundgang in die falsche Richtung heute auf ebenem, weichem Waldboden hat mir wieder zu 2 fetten Blasen eingebracht. Beim nächsten Mal werde ich bei den ersten Anzeichen umdrehen! Ich hatte mir zwar etwas Spektakuläreres von Merlin erwartet, aber wir sind heute Abend so geschafft und ich habe Kopfschmerzen, als hätten wir etwas ganz besonderes geleistet. Nicht einmal essen wollten wir, nur ein Bier mußte sein und das tat gut.
Nur zur Klarstellung: Hier gibt es Wild auf der Speisekarte und ich hatte heute Mittag eine exzellente Wildpastete auf dem Teller!
Bretonischer Feenfelsen
Guer/Paimpoint – La Roche aux Fées – St-Malo. 195 Km
Regen Regen Regen
Gegen vier Uhr morgens dringt das Klopfen einzelner Regentropfen gegen die Fensterscheibe in mein Unterbewußtsein. Takt und Intensität verdichten sich bald zu einem Starkregen, der Schlimmes für den Tag verheißt und die Anziehungskraft der Matratze noch weiter verstärkt.
Wir lassen es mit einem kargen Hotelfrühstuck gemütlich angehen und wägen zwei Optionen ab: entweder so schnell wie möglich zu unserm nächsten Etappenziel St-Malo. Oder, wenn schon der Wettergott nicht mitmacht, gleich ganz in die Vollen und noch einen wichtigen Besichtigungspunkt mitnehmen.
Kurzentschlossen wählen wir Option 2 und steuern die Roche aux Fées in der Nähe von Rennes an.
Magische Feenfelsen
Als wir aufsatteln, hat der Regen weitestgehend nachgelassen und wir brettern 80 km westwärts. Was wir dann zu sehen bekommen, ist atemberaubend: ein neolithisches Ganggrab aus massiven, bis zu 45 t schweren Steinblöcken, mit Feingefühl aufeinandergesetzt, einsam zwischen uralten Kastanien. Als einzige Besucher plaudern wir nett mit dem Grabwärter, der weitere Informationen beisteuert.
Kraftorte mit befremdlichen Wirkungen
Dieser magische Ort ist ein Zentrum von Kraftlinien mit besonderen Wirkungen. Die Belgier vom Vortag erzählten uns, ihr sehr friedlicher, 17 Jahre alter Hund habe dort voll durchgedreht. Als ich mit dem Handy-Kompaß die Ausrichtung des Grabeinganges bestimmen will (Wintersonnenwende), fängt er an zu rotieren, wie ich es vorher nur bei der Kursker Magnetanomalie in Rußland erlebt habe.
Aber die Steinzeitleute hatten keine Meßgeräte, um den Standort für ein Grab zu bestimmen, dessen Bau viele Jahre gedauert haben muß. Ich selbst, obwohl gesund und gut drauf, verspüre ein schweres (aber nicht unangenehmes) Drücken auf der Brust. Gestern, als ich Wasser aus dem Jungbrunnen schöpfte, beschlug meine wasserdichte Uhr plötzlich von innen, obwohl sie mit dem Brunnenwasser nicht in Berührung gekommen war und es nicht regnete. Christine bekam Blasen an den Füßen, obwohl ihre Stiefel seit 10 Jahren eingelaufen sind. Irgendwas läuft an diesen Orten schon recht komisch.
Wer’s nachvollziehen will: 25 km südostwärts von Rennes an der D 41. Der Zugang ist von der Schnellstraße her ausgeschildert.
St-Malo
Kurz vor Rennes tauchen wir dann in die ganz andere Welt von Ronald McDonald ein. Ein skurriles Erlebnis. Dann geben wir auf der Schnellstraße voll Gummi Richtung St-Malo, immer dem hellblauen Himmel über dem Meer entgegen. Bei den sehr frischen Temperaturen sind wir froh um unsere warmen Klamotten.
Unser Hotel am Stadtrand erweist sich als Karawanserei durchreisender Engländer auf Zwischenstation zur Kanalfähre. Dies bringt uns als angenehmen Nebeneffekt in den Genuß eines annehmbaren (englischen) Fernsehprogramms auf dem Zimmer.
Nachdem wir uns etabliert haben, ist Wäschewaschen angesagt. In einem heruntergekommenen Waschsalon gehen wir in Gesellschaft des örtlichen Prekariats ans Werk und versuchen unser Bestes mit einer der völlig versifften Waschmaschinen. Leider nicht mit dem erwünschten Erfolg.
Im Anschluß an die längere Suche nach einer Kaffeebar folgt die Stadterkundung. Hafen, Burg und Altstadt machen einen netten Eindruck. Zentrum der Letzteren ist eine Art Drosselgasse, die von einer Vielzahl ältlicher Touristen durchwandert wird (uns natürlich ausgenommen). In der Nähe unseres Hotels entern wir dann einen Riesen-Supermarkt und verproviantieren uns für die nächsten beiden Tage. Eine Flasche Château Saint Maurice läßt unsere Tagesetappe ausklingen.
Christines Anmerkungen:
Das Hotelzimmer bietet nur einen Stuhl und so platziere mich zum Abendessen auf dem Gepäckständer. Den Wein gibt’s aus Plastikbechern.
Der Vormittag war gräßlich. Ein Bild sagt zwar mehr als tausend Worte, aber ich konnte im Regen leider nicht photographieren. Als ich heute leicht unglücklich auf dem Motorrad saß, sah ich auf einer kleinen, matschigen, zertrampelten Wiese ein schmuddeliges, dickbepelztes, triefnasses Schaf mit hängenden Ohren. So ähnlich war mir.
Wenigstens waren die Motorradsitze trocken geblieben dank meines genialen Einfalls. Wir hatten vergessen, eine Plane zum Abdecken mitzunehmen und sannen auf Abhilfe. Ich hatte den Einfall, 30-Liter-Müllsäcke zu kaufen und die Sitze einzeln einzutüten und festzuklemmen. Funktioniert astrein, ist leicht zu machen und billig. Seitdem können wir auch im Regen Pause machen und absteigen. Wäre schön, wenn wir das nicht mehr so oft machen müßten.
Mont Saint-Michel
St-Malo – Mont-St-Michel – Dol-de-Bretagne – St-Malo. 105 km
Mont Saint-Michel
Morgensonne durch die Hotelzimmergardinen? Ein mittlerweile ungewohnter Anblick. Also hoffnungsfroh raus aus den Federn und ab in Richtung Mont Saint-Michel. Auch wenn dieses Touristen-Highlight Besucher in hellen Scharen anzieht, dürfen wir uns die Klosterburg auf der Insel keinesfalls entgehen lassen.
Angesichts der gepfefferten Frühstückspreise im Hotel haben wir das Problem, in diesem wunderschönen Ort überhaupt einen Morgenkaffee zu bekommen. Doch vergebens, denn am Sonntagmorgen ist alles noch töter als sonst. Also schlagen wir uns auf die Küstenstraße, die uns mit einem wunderschönen Meerblick entschädigt. Endlich finden wir die weit und breit einzige Bar, die uns ein Heißgetränk anbieten kann. In Kombination mit Christines selbstgemachten Power-Müsliriegeln ein versöhnlicher Start in den Tag.
Aus 40 km Entfernung erblicken wir im Meer den Klosterberg und sind bei Einfahrt auf den Mega-Parkplatz (wir als einzige mit Motorrad) erstaunt, daß er genauso aussieht wir auf den Postkarten. Dichtgedrängt stehen wir dann im Shuttlebus mit fünfhundert anderen Besuchswilligen. Auf der Insel fallen wir zunächst einmal eine weitere Art Drosselgasse ein, eine Art historisiertes Disneyland, ähnlich wie letztes Jahr in Carcassonne.
Das ändert sich etwas mit dem Eintritt in das Burginnere, ein Labyrinth von Kapellen, Kirchen, Bogengängen und Gewölben. In der Abteikirche erleben wir den Mittagsgottesdienst mit Abendmahl. Der anschließende Rundgang über die Wehrgänge eröffnet uns bei Ebbe herrliche Ausblicke über das weite Marschland. In einer windstillen Ecke holen wir unser Picknick aus dem Rucksack. Nachmittags wird die Insel von Asiaten überschwemmt, die wahrscheinlich von Paris aus hierher verschubt wurden. Chinesen lauern hinter jeder Ecke.
Magischer Hinkelstein
Deshalb steuern wir unser nächstes Ziel den Riesenstein von Dol-de-Bretagne an. Der Menhir du Champ-Dolent steht mit seinen über 9 Metern Höhe majestätisch auf weitem Feld, wohl proportioniert, in sich ruhend, seit Jahrtausenden. Still genießen wir diesen großartigen Anblick.
Unversehens schart sich uns eine Gruppe esoterischer – sagen wir mal – Eigenbrötler in verschossen gefärbter Schlabberkleidung um uns. Sie rollen ihre Yogamatten aus und fangen an, eigenartige Körperbewegungen zu vollführen. Mich ergreift das Verlangen, ein quäkendes Kofferradio anzuschalten, alte Lieder von den Flippers zu hören und eine Dose Hansa-Pils aufzureißen. Als die Zahl der eintreffenden Esoteriker meine Erträglichkeitsgrenze überschreitet, wird es höchste Zeit für einen beherzten Druck auf den Anlasserknopf.
Gezeitenkraftwerk
Wir fahren in die nahegelegene Rance-Mündung und besichtigen das dortige Gezeitenkraftwerk. Eine tolle Konstruktion, die, das muß man den Franzosen hoch anrechnen, alte und junge Besucher in sehr kompetenter Weise an Möglichkeiten und Probleme der Energieerzeugung heranführt. Die entsprechenden Erläuterungen sind in makellosem Deutsch erhältlich, auch das Personal im Besucherzentrum spricht Deutsch. Respekt vor der EDF. Von der Staumauer aus genießen wir den herrlichen Anblick über die Rance und Saint-Malo.
Mit so vielfältigen und unterschiedlichen Eindrücken bepackt lassen wir uns in der Nähe unseres Hotels zu einem genüßlichen Abendessen in einem Restaurant nieder, das die Kartoffel zum Fixpunkt seiner Gastronomie gemacht hat. So führen wir uns überbackene Kartoffeln nach savoyardischer Art zu einer Karaffe Rotwein zu Gemüte und streben dann im kühlen Regen wieder unserem Hotel zu.
Christines Anmerkungen:
Tja, dem gibt es wenig hinzuzufügen. Christian wollte erst nicht so recht ins Innere des Klosterberges, da er sich mit dem Eintrittspreis geneppt fühlte. Als ich ihn dann doch so weit hatte, stellte sich heraus, dass heute der Tag des offenen Denkmals ist und der Eintritt frei war. Es leben noch Mönche und Nonnen in St-Michel und ich frage mich, wie lange die üben mussten, um sich in den labyrinthartigen Gängen zurechtzufinden.
Der Menhir ist der perfekte Hinkelstein schlechthin. Alle Leute, die ihn besichtigten, haben sich spontan an ihn gelehnt und ein Weilchen mit ihm verbracht, sich auf die Bänke daneben gesetzt und seine Ruhe genossen. In seiner Nähe befindet sich eine unvermittelte Erhebung, der Mont Dol. Dieser Berg war noch im Mittelalter eine Insel vor der Küste! So weit hat sich die Küstenlinie verschoben.
Das Gezeitenkraftwerk kenne ich noch aus dem Schulunterricht und habe es mit großem Interesse besichtigt. Vor der Staumauer war auf einer Seite, vermutlich wegen des Wasserablaufes, ein riesiger Wasserstrudel und ich konnte gar nicht genau hinsehen, ohne dass es mich visuell hinabgezogen hat.
Zum Grab des Schriftstellers Chateaubriand auf der Insel Grand Bé vor St. Malo haben wir es allerdings nicht geschafft. Bei Ebbe kann man da hinwandern, aber es kommt mir sehr weit vor und ich hätte Angst, von der einsetzenden Flut weggespült zu werden. Weil das Gelände so extrem flach ist, kommt das Wasser angeblich mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes zurück. Das will ich nicht überprüfen müssen.
Normandie West
St-Malo – St-Lô – Omaha Beach – Bayeux – Caen. 252 km
Weltuntergang
Dies war der härteste Tag bisher. Wir sehen jetzt aus wie eine U-Bootbesatzung nach mehrwöchiger Feindfahrt im Atlantik: total durchnäßt und nur mit der absolut notwendigen Ausrüstung versehen, Maschine und Seitenkoffer total verdreckt, Stiefel und Kombi von unten bis oben verspritzt.
Nachts Regen, morgens leicht bedeckt. Wenige Kilometer hinter St-Malo holt uns zum ersten Mal der Starkregen ein. Auf der weiteren Strecke schaue ich in den azurblauen Rückspiegel, in dem uns der blitzblanke Himmel verfolgt. Vor uns nur verschwommenes Bleigrau, in das wir unweigerlich hineinfahren. Wolkenbruch und Sonne wechseln sich in rascher Folge ab.
Als wir gegen Mittag durchgefroren sind und der Spritvorrat zur Neige geht, tanken wir bei Supermarché in St-Lô und suchen Onkel Ronalds Wärmestube auf.
Omaha Beach
Von dort aus 30 km regenfreie Fahrt auf schnurgerader Landstraße zwischen Mauern und Heckenreihen Richtung Kanalküste. Wir biegen dann ostwärts ein und erreichen wenig später den Omaha Beach. Dort liegt er vor uns, im gewittrigen Sonnenlicht, breit und friedlich, ohne vermuten zu lassen, daß in dieser Region wohl die ausgedehntesten und intensivsten Kampfhandlungen der Weltgeschichte stattgefunden haben.
Es macht wirklich einen Unterschied, ob man das alles nur aus Büchern und Dokumentarfilmen kennt oder ob man selbst einmal an Ort und Stelle gestanden hat. An diesem Ort hat sich die Weltgeschichte gedreht. Das ferne Land USA wurde endgültig zum globalen Akteur, der in der Folge die Geschicke nicht nur Europas maßgeblich mitbestimmen sollte.
Die zahllosen alliierten Denkmäler bestätigen auch hier die Erkenntnis, daß Geschichte immer nur von den Siegern geschrieben wird. Auf den Besuch eines deutschen Soldatenfriedhofs müssen wir leider verzichten, da uns auf der Fahrt entlang der Landungszone immer wieder Wolkenbrüche einholen und wir nur im Sinn haben, den nächstliegenden trockenen Ort anzusteuern.
Landung in England vor über 1000 Jahren
Der D-Day ruft uns in Erinnerung, daß der Teppich von Bayeux aus dem Jahre 1070, den wir uns kurz darauf im örtlichen Museum ansehen, keineswegs nur eine harmlose Stickerei ist. Er ist vielmehr eine sehr drastische Darstellung des allergleichen Kriegsgräuels, das wir am Omaha Beach nur gedanklich nachvollziehen konnten.
In umgekehrter Richtung präsentiert sich hier die Landung der Normannen in England 1066 als überaus detailreiche Darstellung von Krieg, Handwerk und Alltagsleben, die mit kaum erreichter Sorgfalt gefertigt wurde. Man müßte sich die Tapisserie mehrfach ansehen, zunächst mit Blick auf ihre Geschichtserzählung und dann vor allem auch auf ihre handwerkliche Feinarbeit. Zwei Kapitel europäischer Geschichte über eine Spanne von fast 900 Jahren. Dieses Erlebnis hinterläßt bei uns viel Gedankenarbeit.
Die letzten 30 km fahren wir zwar im trockenen, doch im Rückspiegel bauen sich drohend schwarze Wolkengebirge auf, dies sich genau dann entladen, als wir an der Hotelrezeption unseren Zimmerschlüssel entgegennehmen.
Noch ein kleiner Nachtrag zu gestern: Seit dem Besuch am Megalith von Dol-de-Bretagne spielt meine ansonsten einwandfrei funktionierende Uhr verrückt. Ohne besonderen Grund verlor sie heute Nacht eine halbe Stunde. Ich habe sie dann wieder auf die korrekte Zeit gestellt. Seitdem läuft sie wie vorher. Was ist da wohl los?
Christines Anmerkungen:
Heute Morgen beim Frühstück hatte ich einen spontanen Anfall heftigen Heimwehs. Ich habe es so leid, immer ein Fremder zu sein und sehnte mich nach einem Ort, wo ich mich auskenne, dazugehöre, akzeptiert bin und mich wohl fühlen kann, auch für längere Zeit. Derlei trüben Gedanken darf man aber in einem Job wie dem unseren aber nicht allzu sehr nachhängen.
Auf der Fahrt wurde ich bald von einem echten Problem abgelenkt: Ich hatte etwas im Auge! Um dieses Hindernis feinfühlig zu entfernen, musste ich bei strömenden Regen einen Handschuh ausziehen, das Visier öffnen und unter die Brille langen. Nach Sekunden waren Hand, Gesicht, Brille und Helminneres eiskalt und nass. Dann lief natürlich auch die Nase. Also Jackentasche auf, deren Inneres auch prompt feucht wurde, ein Tempotaschentuch herausgezogen, über den Kinnschutz des Helmes, durch das offene Visier und unter die Nase gepfriemelt, während der Fahrtwind einem das inzwischen aufgeweichte Papierknäuel aus der Hand fetzen will. Zu guter Letzt will die klamme nasse Hand nicht mehr in der Handschuh zurück. Ein hartes Stück Arbeit. Der Regen schlaucht mich heute, obwohl die Kombi wirklich dicht hält. Aber so gefroren habe ich schon lange nicht mehr.
Im Hotel nötigt mich Christian zu einem heißen Bad, und ich sauge dem Wasser förmlich die Wärme aus.
Die D-Day Strände sind unglaublich beeindruckend. All das menschliche Leid, das sich hier zugetragen hat, beschäftigt mich sehr. So schön die Strände auch sind, ich glaube nicht, dass ich hier Urlaub machen könnte.
Das Museum in Bayeux ist – wie so oft – kaum ausgeschildert, aber wir finden es trotzdem, auch wenn Christian einige Male gegen die Einbahnstraßen fahren muss. Unglaublich, der Teppich, schon allein sticktechnisch eine Meisterleistung. Ich hätte mich noch Stunden hineinvertiefen können. Diese Akkuratesse im Detail, Witz und technisches Verständnis! Wer kann, sollte sich das unbedingt selber ansehen.
Leider verheißt der Wetterbericht für die nächsten Tage nichts Gutes. Aber ein Abbrechen der Tour kommt noch nicht in Frage, wir haben noch zu viele interessante Dinge auf dem Programm. Wir werden uns ein Stück weiter durchbeißen und jeden Tag neu entscheiden, wie es weitergehen soll. Jetzt gibt es als Gute-Nacht-Trunk eine Vitaminsprudeltablette!
Normandie Ost
Caen — Le Havre – Rouen. 165 km
Regenfahrt
Was die Wettervorhersage als „leichten Regen“ prognostiziert hat, ist in Wirklichkeit eine milchglasweiße, verschwommene Wand, die Feuchtigkeit in riesigen Mengen absondert und eine spiegelnde Fläche auf der Straße bildet. Heute saufen wir endgültig ab und der Seitenwind beutelt uns nach Kräften.
Dabei hatte alles relativ verheißungsvoll begonnen: Auf eine regenfreie Nacht folgte ein grauer, aber immerhin trockener Morgen. Nach einem üppigen Frühstück machten wir uns auf den Weg zu den beiden Hauptkirchen der Stadt – darüber mehr von Christine. Aber schon nach der ersten Kirche holen uns fette Regentropfen ein, die wir zunächst tapfer ignorieren. Auf der Autobahn wird es jedoch bitterernst. Platzregen bei 11° und noch eine ziemliche Strecke vor sich sind nicht jedermanns Sache.
Manchmal rutschen meine Gedanken weg zu einer Limousine mit ergonomisch geformten, lederbezogenen, beheizten Sitzen, mit zugfreier Klimaanlage, säuselndem Achtzylinder, einem Getränk in Reichweite und Musik aus einer Batterie von Lautsprechern ringsum. Ordnungsruf! Weiterfahren! Nur die Harten kommen in den Garten (Gethsemane?).
Pont de Normandie
Wir haben aber beschlossen, das Ding eisenhart durchzuziehen und nehmen auf dem Weg nach Rouen einen Umweg, um über den Pont de Normandie nach Le Havre zu fahren. Nach knapp anderthalb durchfrorenen Stunden taucht aus dem Nebel die hoch geschwungene Brücke auf, deren nach unten gespreizte Pylonen mich intuitiv an germanische Todesrunen erinnern. Sehr ermunternd, das Ganze. Hoch über der Seine hat man jedoch (normalerweise) einen wunderbaren Ausblick auf den Hafen und die durchfahrenden Schiffe. Wir aber sind erst einmal froh, diese Seitenwinddüse geschafft zu haben.
Die weitere Fahrt ist häßlich, eintönig, böig und naß. Eine Pause auf einem der offenen Rastplätze einzulegen, verbietet sich von selbst. Erst als wir jegliche Hoffnung aufgegeben hatten, kündigt sich in 18 km eine Raststätte mit Tankstelle an. Triefend naß tanken wir auf, um nicht noch inmitten dieses feuchten Elends zu stranden.
In der Raststätte komplimentieren wir einen telefonierenden Lastwagenfahrer von dem von uns ausersehenen Tischchen weg und laben uns an Heißgetränken aus dem Automaten. Daß es uns bei alledem noch prachtvoll geht, erfahren wir aus dem Gespräch mit zwei englischen Motorradfahrern, die heute aus Carcassonne kommend noch bis Nottingham durchfahren wollen. Ganz ruhig und cool. Respekt.
Rouen
Am frühen Nachmittag erreichen wir unser Hotel in Rouen, wechseln und trocknen unsere Klamotten und machen uns mit der Straßenbahn auf den Weg in die historische Innenstadt. Was die alliierten Bomber im August 1944 von ihr übriggelassen haben, ist sehr nett, aber auch sehr wenig.
Unser erster Weg führt uns in die wirklich sehenswerte Kathedrale, zu deren Besuch und die großen, stimmungsvollen Tafelbilder Claude Monets im Pariser Musée d’Orsay angeregt haben. Eigentlicher Besuchszweck ist aber eine Gruft auf der hinteren rechten Seite des langgezogenen Chores, in dem das Herz von Richard Löwenherz begraben liegt.
Durch strömenden Regen marschieren wir tapfer zu jenem Ort, an dem Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Sie ist jetzt die Vierte in unserer illustren Sammlung von Feuertoten. Die drei anderen sind Girolamo Savonarola (Florenz), Giordano Bruno (Rom) und Johannes Hus (Konstanz).
Unbedingt erwähnenswert ist die hochmoderne, architektonisch sehr interessant gestaltete Gedenkkirche für Jeanne im Stadtzentrum. Die Atmosphäre nimmt uns voll ein. Wir bleiben eine halbe Stunde auf einer Kirchenbank sitzen, nicht nur, um den Platzregen draußen abzuwarten.
Unser Hotel ringt heftig mit dem Hotel Sibir in Nowosibirsk um den ersten Platz auf unserer Liste der originellsten Herbergen: Flure wie ein Hochsicherheitstrakt, durchweht von einem stechenden Geruch unbestimmbar giftiger Substanz, die Wände hübsch garniert mit Spritzasbest. Das Innere der Zimmer hat echte U-Bootqualität. Kaum Platz zum Schlafen, geschweige denn zum Verstauen unseres umfangreichen Gepäcks oder zum Trocknen unserer Klamotten. Die Installation in dem Salle d’eau genannten Kämmerchen beruht unbezweifelbar auf früher sowjetischer Ingenieurskunst. Mit langer Pfadfindererfahrung kommen wir dennoch einigermaßen zurecht.
Christines Anmerkungen:
Schade, aber von der Landschaft der Normandie sehen wir nur wenig. Sie kommt mir rauher vor als die Bretagne. Die Seinemündung war gewaltig. Bei der Anfahrt habe ich noch eine Heilige für meine Sammlung entdeckt: Ste-Adresse!
Heute Morgen mußte ich meinen Mann wieder mal zur Besichtigung zwingen, aber es hat sich gelohnt. William der Eroberer (Schlacht von Hastings 1066, siehe oben) stammt aus Caen. Dort stehen noch Reste seiner Burg, ein gewaltiger Kasten. Er und seine Frau, Mathilde von Flandern, haben zwei Klöster samt Kirchen gestiftet, eines für Frauen, da liegt Mathilde begraben, und eines für Männer, da liegt William. Vom ihm soll nach den Revolutionswirren allerdings nur noch ein Oberschenkelknochen übrig sein. Die Kirchen sind wundervoll, spätromanisch, hochaufstrebend, aus hellem Stein, Architektur pur, ohne Bemalung oder Dekoration, außer zarten Steinmustern an den Säulenbögen.
Die Kathedrale von Rouen hätte ich gerne länger von außen betrachtet, aber erstens regnete es stark und zweitens wird sie restauriert und die Hälfte ist deshalb verhängt. Das stört die Kontemplation. Merkwürdig, wie oft Kirchen in Frankreich zwar symmetrisch angeordnete, aber völlig unterschiedliche aussehende Kirchtürme haben. Diese auch.
Heute Abend ist unsere Stimmung wegen der schlechten Wettervorhersage ein bißchen im Keller. Motorradfahren bei Nieselregen ist eine Sache, aber bei strömendem Regen eine Stadt zu Fuß erkunden macht überhaupt keinen Spaß. Wir denken daran, die Tour abzukürzen, aber dennoch brauchen wir 2 – 3 Tage um nach Lyon zu kommen. Bei dem Wetter müssen die Etappen kürzer sein und die Geschwindigkeit geringer. Schade.
Normandie – Val de Loire
Rouen – Chartres – Orléans. 212 km
Aufheiterung
Als wir zu unserem „Frühstücksbuffet“ ins benachbarte Einkaufszentrum gehen, prüfen wir mit schielendem Blick gen Himmel die Wetterlage. Sie scheint sich nicht wesentlich geändert zu haben, obwohl es gerade mal fünf Minuten nicht regnet. Der rituelle Guß begrüßt uns aber schon wenige Minuten nach Abfahrt und wir stellen uns auf das Schlimmste ein.
Aber, o Wunder, nach wenigen Kilometern nehmen wir zum ersten Mal seit mehreren Tagen wieder trockenen Asphalt unter die Räder und der Himmel in unserer Fahrtrichtung zeigt sich weitgehend wolkenarm. Diese Lage muß man ausnutzen und am Kabel ziehen, um für eine evtl. weitere Regenfahrt rechtzeitig Strecke zu machen.
Chartres
Nach anderthalb Stunden Fahrt durch brettebene Felder (etwas anderes gibt es in Zentralfrankreich kaum) grüßt uns am Horizont die Kathedrale von Chartres, unser nächstes Anlaufziel. Die Stadt selbst ist nicht gerade der große Brüller. Aber das kümmert uns nicht, wir wollen ja nur in die Kathedrale. Mit ihrem Westwerk erhebt sie sich machtvoll vor uns, mit den beiden unterschiedlichen Türmen aus dem 12. und 16. Jahrhundert und drei Portalen. Haupt- und Seitenschiffe sind gleichermaßen eindrucksvoll. Durch insgesamt 141 Glasfenster strahlt bei Sonnenschein buntes Licht in das Kircheninnere. Mir hat es insbesondere das intensive Blau angetan, das sich mehrfach in unterschiedlichen Darstellungen wiederholt. Hauptattraktion der Kathedrale von Chartres ist der Schleier Mariae, der aus Byzanz über Karl den Großen hierher gekommen ist.
Mässiges Essen
Nach dem Kirchenbesuch überwinden wir unsere Skepsis gegenüber der einheimischen Allerweltsgastronomie und suchen ein eigentlich nett aussehendes Kellerrestaurant auf. Wie kaum anders zu befürchten, entpuppt sich die von Christine bestellte Zwiebelsuppe für 7 EUR als geschmacklose Automatenplörre. Meine Quiche Lorraine für 11 EUR hätte ich für die Hälfte beim Bäcker nebenan in gleicher „Qualität“ bekommen. Der Patron muß seine Verstörung über die Tatsache abkönnen, daß wir sein Essen nicht rituell über den grünen Klee loben. Zum Glück hat er nicht weiter nachgefragt. Ein paar passende Kommentare hätte ich aber schon parat gehabt.
Orléans
Eine Stunde später erreichen wir in Orléans unser Hotel mit dem hübschen Namen Archange (Erzengel) und bekommen eines der künstlerisch ausgeschmückten Zimmer zugewiesen. Unseres ist rundum mit Tintin-Devotionalien ausgestattet und zeichnet sich durch eine feuerspeiende Rakete an der Decke über dem durchgelegenen Doppelbett aus.
Um dies alles ertragen zu können, erstehen wir gegen 21 Uhr bei Carrefour im leergefegten Einkaufszentrum nebenan eine kleine Flasche Calvados, deren Pegel bedenklich sinkt, während ich dies schreibe. Unsere illustren Schlangengenossen an der Kasse registrieren mit anerkennenden Blicken unseren guten Geschmack. Sie haben aus dem gleichen Regal etwas Herberes im Einkaufskorb und leeren ihre Flasche auf der Straße.
Christines Anmerkungen:
Mein Gott, das klingt als wären wir Quartalssäufer! Mitnichten! Aber die Provinzstädte wie diese lösen bei uns leicht depressive Schübe aus.
Heute sind wir nur dreimal naß geworden, eine Verbesserung zu gestern. Der Seitenwind war heftig, und ich bewundere Christian, wie locker er das ausgleicht.
Die Landschaft war oberlangweilig, nur Mais und Getreide bis zum Horizont. Unglaublich viel Schwerlastverkehr, der sich auf einspurigen Straßen durch die wenigen kleinen Dörfer quält. Platz für Umgehungsstraßen gäbe es ja genug!
Die Kathedrale von Chartres hat es mir angetan. Einfach wunderbar, hoch aufstrebend mit wunderbaren Fenstern, die Wände zum größeren Teil renoviert. Weiß, am Boden eingelassen, ein fast 12 Meter breites Labyrinth: ein Eingang, dann 250 Meter gewundener Weg, um in der Mitte, bei Gott, anzukommen. Der Schleier, den Maria bei Jesu Geburt getragen haben soll, war ein Geschenk von Irene von Byzanz an Karl den Kahlen zu ihrer Hochzeit im Jahre 842. Die hat dann war nicht stattgefunden, aber Karl hat das Tuch behalten und der Kathedrale geschenkt. Ganz ursprünglich war hier mal ein druidisches Heiligtum.
Die Zwiebelsuppe für 7 Euro war zwar schön heiß, aber ich konnte beim besten Willen keinerlei Geschmack feststellen.
Das Zimmer in Orleans ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Im Internet warb das Hotel mit „farblich interesssant“ gestalteten Raumen und ich hätte nicht im Traum gedacht, am Ende einer Tagesetappe in einem Comicstrip zu landen.
Pflichtschuldig haben wir auch hier die Kathedrale besucht, und das Haus von Jeanne d’Arc. Das nachgemachte, denn das Original haben die Briten im Krieg zerbombt. Am Quai der Seine war Volksfest mit alten Flußsegelschiffen und wir haben uns ein bisschen unters Volk gemischt.
Morgen wollen wir uns Richtung Heimat aufmachen, aber nicht ganz durchfahren. Die Strecke wäre nur unter größerem Krafteinsatz zu bewältigen, zumal bei diesem Wetter. Schließlich ist ja noch Urlaub!
Bourgogne — Auvergne
Orléans – Vichy. 285 km
Der Wettergott meine es heute ein bißchen besser mit uns – wir kommen trocken über die Runden, auch wenn der Himmel meist (hell)grau ist. Die Altstadt von Orléans hat uns gut gefallen, die Architektur zeugt von urbanem Selbstbewußtsein, Straßen und Plätze wirken aufgeräumt und sauber, frei von Überfluß an Reklame und anderen Störfaktoren.
Unser Weg führt uns südwärts Richtung Nevers. Als wir jedoch bemerken, daß uns die in das Navi eingespeicherte „schnellste Route“ doch nur wieder über seelenlose Autobahnen führen wird, halten wir kurz entschlossen (wo wohl?) an und breiten die Karten aus. Dazu gibt es Mischverpflegung aus bestelltem Kaffee und mitgebrachten Müsliriegeln. Sparsam und gut.
Super-Motorradstrecke am Loire-Seitenkanal
Die Navigationspause erweist sich als überaus nützlich. Wir knicken die Autobahn und suchen uns eine Strecke entlang des Loire-Seitenkanals heraus. Die nächsten hundert Kilometer fahren wir auf kleinen Straßen diesen schmalen Kanal entlang, vorbei an zahllosen Schleusen, Brücken und Verladestellen.
Zwischendurch legen wir an einer Schleuse eine Schokoladenpause ein und beobachten die Durchfahrt eines Ferienreise-Hausboots. Mit dem Skipper, einem Engländer, flaxe ich ein wenig herum und rufe ihm bei der Schleusenausfahrt noch warnend zu: „Beware of U-boats!“. Er lacht sich halbtot, winkt mir zu und fährt los.
Also: Wer eine Super-Strecke fahren und unterwegs auch noch schön Picknick am Wasser machen will, dem sei von Orléans bis Nevers folgende Strecke empfohlen:
D 960 – D 60 – D 952 – D 951 – D 751 – D 955 – D 920 – D 45 – D 976.
Kilometerjubiläum
Leider wird es unterwegs recht frisch und der Hintern beginnt, lahm zu werden. Noch eine Tankpause in Moulins, und wenig später feiern wir Jubiläum: Der Tacho rückt vor auf
wunderschöne, erlebnisreiche Kilometer, die wir mit dieser Maschine quer durch Amerika, Rußland und Europa gefahren sind. Von der West- an die Ostküste, und vom Colorado River bis zur kanadischen Grenze, von Moskau bis zum Atlantik, ohne Unfall, ohne Schaden durch Wüsten, Steppen und Gebirge. Das macht süchtig.
Vichy
Eine halbe Stunde nach diesem Jubiläum erreichen wir Vichy, zum Ausklingen-Lassen unserer Reise, aber auch aus historischem Interesse. Ein nettes Kurstädtchen mit gut erhaltenen historischen Bauten und natürlich auch mit dem „Hotel du Parc et Majestic“. Bevor wir morgen die letzte Etappe antreten, gönnen wir uns im Hotel noch ein üppiges, wohlschmeckendes Abendessen und eine Flasche regionaltypischen Rotwein.
Christines Anmerkungen:
Mit wie wenig man doch glücklich sein kann! Allein die Tatsache, dass es nicht regnete, ließ alles in einem goldenen Licht erscheinen. Heute kamen wir nochmal auf „Landschaft satt“ und haben die winzigen Straßen und die vielen netten Dinge, die man bei guter Sicht dabei entdecken kann, genossen. Ein Dorf hatte sich den Briefkästen verschrieben und die Bewohner wetteifern darum, wer den schönsten oder originellsten hat.
Schade, dass es zu kalt für ein Picknick am Kanal war; es wäre sehr romantisch gewesen. Während Christian mit dem englischen Kapitän schäkerte (der daraufhin mit seinem Boot vor Lachen an der Schleusenmauer hängenblieb), hatte ich mit dem Hund der Schleusenwärterin eine Kuschelrunde.
An einem Kreisverkehr verfahren wir uns und ich fuchtele in eine andere Richtung als die, in die Christian abbiegt. Als er dann rechts rausfährt um zu wenden, hat bereits ein dicker LKW hinter uns gebremst und die Straße blockiert, um uns gefahrlos wenden zu lassen. Schön, wenn einem unerwartet so etwas Nettes passiert.
Überhaupt bin ich erstaunt und entsetzt über die Menge Schwerlastverkehr die über kleine Landstraßen geschleift wird. Aber viele Fahrer sind sehr aufmerksam und freundlich und fahren eng an den rechten Rand, um uns auf dem Motorrad das Überholen leichter zu machen. Mich wundert auch, daß im Loiretal, UNESCO-Weltkulturerbe immerhin, allein auf unserem Streckenabschnitt 2 Kernkraftwerke stehen dürfen!
Ich hatte befürchtet, Vichy sei ein in die Jahre gekommenes Kurbad, aber Hut ab, es hat sich gut gehalten. Die Häuser sind ordentlich renoviert, die Altstadt recht hübsch und der Kurbetrieb in vollem Gange. Wir probieren das Wasser aus einer der 5 Trinkquellen, das wie „Rennie“ gegen Sodbrennen u. ä. wirken soll. Schmeckt sehr medizinisch. Die anderen Quellen darf man angeblich nur auf ärztliche Anweisung trinken.
Im Kurpark kaufen wir die „echten“ Pastillen aus Vichy, mit den Salzen der Quellen hergestellt, aber mit Minz- und Zitronengeschmack, da wir uns nicht einigen können. Die Salze haben auch stark entzündungshemmende Wirkung, und so kann ich jetzt auch den Sinn der Kosmetikserie gleichen Namens verstehen. Allerdings suchen wir vergeblich nach Spuren jener Zeit, in der Vichy eine andere Bedeutung als die eines Kurortes hatte. Wir haben uns in einem schön altmodischen Kurhotel einquartiert und lassen den letzten Abend unseres Urlaubs mit einem sehr guten Essen ausklingen.
Auvergne — Lyon
Vichy – Lyon. 167 km (2.991 km insgesamt)
Wer durch die Provinz fährt und das ländliche Frankreich wirklich kennenlernen will, programmiere sein Navigationsgerät auf „Kürzeste Strecke“. Dabei aber unbedingt die Voreinstellung „Unbefestigte Straßen vermeiden“ wählen, sonst kann man gleich die Ferien auf dem Bauernhof verbringen.
So durchfuhren wir auf den ersten 65 km von Vichy bis zur Autobahn bei – was wohl? – Nieselwetter das abgelegene Velay, wo man kaum glauben möchte, daß dort überhaupt Menschen siedeln. Aber eine schöne Fahrt war es trotz allem. Man mußte nur aufpassen wegen des vielen Schotters in den Kurven und des naß glänzenden, glatten Bitumens.
In einer von der örtlichen Bauernschaft zum Apéritif gut besuchten Bar weißgottwo wärmen wir uns mit einer Art Kaffee auf, mißtrauisch beäugt von den Einheimischen. Macht mir aber nichts aus, nachdem ich schon in Apulien erlebt habe, wie eine ganze Bar auf einen Schlag verstummte, als ich eintrat.
Da wir uns gerade zwischen Mittag und Hunger befinden, fahren wir anschließend noch 60 km weiter zur Autobahnraststätte Loire, um am dortigen Suppenautomaten zu verifizieren, ob das ausgeschenkte Gebräu besser schmeckt als Christines „Soupe d’ognions“ für 7 Euro in Chartres. In der Tat, die 1,50 EUR am Automaten waren wirklich nicht schlecht angelegt. Wer also seiner Magenschleimhaut den lokalen Kaffee nicht antun möchte, dem sei die Tomatensuppe wärmstens empfohlen.
Auf den letzten 60 Kilometern singt der Motor wehmutsvoll sein Abschiedslied. Ich spüre richtiggehend Christines Schweigen hinter mir. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir jetzt aufgetankt und wären nach Italien durchgefahren. Bis Turin hätten wir es heute locker noch geschafft, und dann morgen weiter Richtung Sizilien, zu den Normannen. Aber das ist schon wieder ein neues Kapitel, das schon fest vorgeplant ist. Dann aber hoffentlich ohne Regen.
Nach ganz knapp 3.000 km ist es uns jetzt am Nachmittag schon fast wieder langweilig: Die Wäsche ist gewaschen, die Stiefel gereinigt und eingefettet, die Helme zerlegt und gereinigt. Der Alltag wird sich ganz schön anstrengen müssen, um uns was zu bieten. Warten wir also die nächste Woche ab.
Christines Anmerkungen:
Die Strecke, die das Navi heute ausgesucht hat, möchte ich nicht mit dem Auto fahren müssen. Das Sträßchen war sehr eng und hat bestimmt noch nie einen Touristen gesehen. Die Kühe guckten uns neugierig an und an jeder Kurve stoben Scharen erschreckter Vögel auf. Wären wir nicht in den tiefhängenden Wolken gefahren, wäre der Ausblick sicher toll gewesen.
Während der letzten Kilometer ging mir unsere Tour nochmal durch den Kopf. Was haben wir nicht für schöne und überraschende Dinge gesehen! Nie hätte ich mir als Schulkind träumen lassen, all die Orte aus dem Erdkunde- und Geschichtsunterricht mit eigenen Augen sehen zu können.
Schade, dass der Abstecher ins Loiretal nicht geklappt hat, das machen wir eben ein andermal. Ich habe wieder viel gelernt, Zusammenhänge begriffen, und durch den Abstand zum „normalen“ Leben meine Ansichten überprüft. Kulturelle Unterschiede fallen mir jetzt deutlicher auf.
Ich wäre auch gerne noch weitergefahren, zumal hier in Lyon die Sonne scheint und es recht warm ist. So habe ich notgedrungen alles wieder auf „Alltag“ geschaltet und mir ist fast ein bißchen langweilig. So eine kleine Schloßbesichtigung dürfte es jetzt schon sein!
Es kam mir irgendwie undankbar vor, das Motorrad nach Abschluß der Tour in die dunkle Garage zu sperren. Aber Christian wird es bestimmt in den nächsten Tagen waschen und polieren und mit ein paar Schlückchen Öl füttern. Wir wollen ja noch viele weitere Touren damit machen.
Also, dann seid mal gespannt auf unsere weiteren Erfahrungen!
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Aktualisiert am 05/03/2021 von Christian