Eine Motorradtour auf der Silberstraße im Erzgebirge ist ein idealer Einstieg, um eines der schönsten Tourenreviere Deutschlands kennenzulernen.
Jugendtraum Erzgebirge
Erzgebirge – das war für mich eine mythische Vorstellung, seit ich als Schüler Karl Mays Aus dunklem Tann durchgeschmökert hatte: dichte Wälder, gewundene Täler, heimliche Schmugglerpfade über stürmische Höhen, hämmernde Bergwerksknappen im tiefen Schacht. Leider unerreichbar für mich, für eine lange Zeit.
Als man später ungehindert dorthin fahren konnte, ließ sich das leider aus beruflichen Gründen nicht machen. Aber das Erzgebirge wollte ich immer noch näher kennenlernen. Zumal sich im Laufe der Zeit meine motorradtouristischen Unternehmungen erheblich intensiviert hatten.
Schnuppertour durch das Erzgebirge
Die willkommene Gelegenheit zu einer ersten Erkundung des Erzgebirges bot sich im Anschluß an unsere Motorradtour entlang dem Limes. Da wir auf dem Heimweg die Reifen nicht auf der endlosen Autobahn eckig fahren wollten, entschieden wir uns für einen Umweg durch Sachsen: Nach unserer Lieblingsroute durch den Bayerischen Wald ins Vogtland durchquerten wir das Erzgebirge der Länge nach von Westen nach Osten. Um dann, schweren Herzens, durch die märkischen Wälder nach Berlin zurückzukehren.
Diesmal sollte es nicht mehr werden als eine Schnuppertour. Klar, denn mit zwei Personen plus schwerem Urlaubsgepäck die Erzgebirgs-Spezialstrecken unter die Räder nehmen zu wollen, das wäre am Ende doch etwas viel geworden. Also suchten wir eine attraktive Strecke für Erzgebirgs-Neulinge, die sich gut fahren läßt und auf der es unterwegs genug zu sehen gibt. Bei Gefallen: spätere Rückkehr garantiert.
Böhmisch-Sächsisches Vogtland
Das schönste Entrée zum Erzgebirge ist die Strecke vom Böhmischen Bäderdreieck (Karlsbad – Franzensbad – Marienbad) her durch den südlichen Zipfel Sachsens nach Bad Elster.
Nach einem kassenschonenden Tankstop auf tschechischer Seite bittet eine schwungvolle Landstraße in lauschigem Tal zur Kurvenwalzer. Schon jetzt sehen wir, was uns auf den nächsten 200 km erwartet: Straßen und Ortschaften quetschen sich in enge Täler. Die Ortsdurchfahrten ziehen oft quälend lang hin. Aber die von der sächsischen Straßenbauverwaltung bereit gestellten Achterbahnen sind überaus verlockend für den ambitionierten Motorradfahrer.
Vom weiß-blauen in den gelb-grünen Freistaat kommend schlagen wir in Bad Elster Quartier auf. Ein kuscheliger Badeort, in dem die Welt seit den Zeiten der sächsischen Könige still zu stehen scheint. Landestypisch gemütlich, nette Leute, gutes Essen. Die Gegend paßt schon mal. Auf dem Balkon unserer Gründerzeitpension lassen wir uns mit Blick auf die sonnenbeschienenen Berghänge erst einmal einen verdienten Kaffee schmecken.
Täler und Höhen im Erzgebirge
Mit den Autokennzeichen, die sich im Rest der Republik eher rar machen, werden wir schnell vertraut: V, ANA, ERZ, FG. Damit ist unsere Route vom Vogtland durch das Erzgebirge über Annaberg-Buchholz nach Freiberg vorgezeichnet.
Hinter Adorf (welch sinnreicher Tourenbeginn) zwängen wir uns auf der Talstraße durch Markneukirchen. Eine traditionelle Hochburg des Musikinstrumentenbaus. Ich summe ein Signal zum Gruß: Von hier stammt mein Jagdhorn, das mich nun schon viele Jahrzehnte begleitet. Wenige Kilometer weiter das gleiche Bild: Klingenthal. Hier dominieren aber seit jeher Streichinstrumente, Akkordeons und Mundharmonikas.
Hinter dem Ort wird es dann lustig. Hinauf auf den Mühlberg (810 m) und dann wieder hinunter nach Jägersgrün ins Tal der Zwickauer Mulde. Heidewitzka mit voller Ladung über Rautenkranz an die Talsperre Eibenstock. Schweren Herzens passieren wir den phänomenalen Ausblick auf den See von der Staumauer aus, denn wir wollen pünktlich zu unserem Termin in Schneeberg eintreffen.
Maßhandschuhe aus Schneeberg
Mit stoischer Ruhe zieht unsere schwer beladene Maschine die Serpentinen hoch zum Schneeberger Fürstenplatz. Dort, in einem hübsch restaurierten Ensemble historischer Häuser, betreibt Christines Handschuhmacher seine Werkstatt. Von Meister Nils Bergauer läßt sie sich maßgeschneiderte Handschuhe anfertigen, ganz individuell für ihre schlanken Hände, aus dem Leder und in der Farbe ihrer Wahl. Solide, elegante Handarbeit aus dem Erzgebirge.
Handschuhe für den harten Straßen- oder Streckeneinsatz sind hier zwar nicht im Programm. Wohl aber alles, was das Herz des Oldtimer-Fans oder des Schneemobilfahrers höher schlagen läßt. Ganz individuell, mit Stulpen für den Regen oder Pelzfutter für den Schnee.
Auf seinem langen Arbeitstisch breitet der Chef gerne aus, was er im Angebot hat. Unsere Handmaße sind archiviert, da bereitet die passende Wahl eines Geschenks kein großes Kopfzerbrechen mehr.
Bevor wir den netten Ort verlassen, beschließen wir, dem Leistungsgewicht unseres wackeren Eisenrosses noch etwas zuzusetzen und suchen eine verführerisch bestückte Konditorei auf. Solche Genußoasen finden sich in Großstädten leider nur noch selten.
Auf der Silberstraße
Von Schneeberg aus setzen wir unsere Motorradtour durch das Erzgebirge auf der Silberstraße fort. Eine 148 km langen Ferienstraße, die auf historische Post- und Handelswege zurückgeht. Wir folgen ihr über Aue, Schwarzenberg, Annaberg-Buchholz, Wolkenstein und Marienberg bis in die Bergbau-Hochschulstadt Freiberg, unserem Etappenziel.
Wie wir bald feststellen, ist es ein rechtes Kreuz mit dieser wunderbaren Tourenstrecke: Man weiß kaum, was man mehr genießen soll, die Rollercoaster-Streckenführung, die wunderbare Landschaft oder all die Sehenswürdigkeiten am Rande der Straße.
Insofern gehört das Sightseeingprogramm ganz meiner Sozia Christine. Sie schaut in alle Himmelsrichtungen, genießt und voltigiert fotografierend im Sattel. Aber auch ich als Fahrer kann mich wirklich nicht beklagen. Selbst wenn die Silberstraße nicht zu den Super-Spezial-Kurvenstrecken des Erzgebirges gehört, ist sie einfach klasse zu fahren. Ein dicker Bonuspunkt für unsere Schnuppertour.
Vor allem der Streckenabschnitt von Annaberg-Buchholz bis Wolkenstein macht den Kurvenbeflissenen regelrecht süchtig. Dieses Motorradrevier will voll ausgekostet sein. Mit viel Zeit, um über der Strecke die Landschaft nicht zu vernachlässigen. Am besten – so unsere Zwischenbilanz bei einer Marschpause am rauschenden Bach – quartiert man sich irgendwo ein und dreht mehrere Tagesrunden.
Je näher man an Freiberg herankommt, desto weiter öffnet sich die Landschaft. Die Straße fällt dezent ab, Kurven werden seltener. Aber an ihnen herrschte an diesem Tourentag wahrlich kein Mangel. Wir lassen ihn mit einer Erkundung der Bergbaustadt ausklingen, bevor es am nächsten Tag wieder heimwärts geht.
Dann beschließen wir unsere Motorradtour durch das Erzgebirge mit einer langen Geradeausfahrt Richtung Norden. Kurven adieu. Von jetzt an übernimmt der Tempomat die Regie.
Sehenswürdigkeiten am Streckenrand
Die wunderbare Kombination von Strecke und Landschaft im Erzgebirge zieht jeden Motorrad-Aficionado in ihren Bann. Ganz klar. Aber was ist uns besonders aufgefallen, was hat uns nachhaltig beeindruckt?
Bergbautradition
Seit Jahrhunderten ist das Erzgebirge vom Bergbau geprägt. Nicht nur vom Silber, das zu Wohlstand verhalf, sondern auch vom Uran, dessen Abbau schwere Schäden zurückließ. Zahlreiche Museen, Schau- und Besucherbergwerke entlang der Silberstraße vermitteln einen lebendigen Eindruck von der Montangeschichte dieser Region.
Annaberg-Buchholz
Selten hat uns ein Bauwerk so gebannt wie die St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz, eine spätgotische Hallenkirche mit üppiger künstlerischer Ausstattung, welche die Bergbautradition der Region widerspiegelt. Schade, wenn man einen Besuch versäumen würde.
Kalkwerk Lengefeld bei Pockau
Im Vorbeifahren erspäht Christine am Rande der B 101 bei Pockau das Kalkwerk Lengefeld. Was heute ein technisches Denkmal ist, diente im Kriege als Untertage-Einlagerungsort für die Kunstschätze der Dresdner Museen. Ein Besuch dort steht auf unserem Programm für die nächste Erzgebirgsrunde.
Fazit
Für die Eroberung des Motorradreviers Erzgebirge sollte man unbedingt mehrere Tage einplanen. Nicht nur wegen der weiten Anfahrt, die die meisten wohl haben werden. Sondern auch wegen der betörenden Vielfalt von Strecke und Landschaft, die man nicht an einem einzigen Tag abarbeiten kann. Nach unserer Erkundungstour steht fest: Das Erzgebirge wird seinen festen Platz in unserem Tourenprogramm bekommen.
Route der Erzgebirgstour auf der Silberstraße
Die zugehörige .gpx.-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Informationen
Über das Erzgebirge und die Silberstraße:
https://www.erzgebirge-tourismus.de/bergbau-erleben/entlang-der-silberstrasse/
Unterkünfte:
https://www.erzgebirge-touristik.de/urlaub/
Landkarte:
ADAC-Regionalkarte Nr. 10, Dresden, Chemnitz, Erzgebirge, Maßstab 1:150.000
Aktualisiert am 10/05/2022 von Christian