Eine Frühlings-Motorradtour durch Provence und Camargue beschert dem Saisonstarter einsame Kurvenstrecken, unberührte Natur im Rhônedelta und vergessene Sehenswürdigkeiten. Voller Tourengenuß in der Nebensaison.
Geschätzte Lesedauer: 10 Minuten
Zum Frühling nach Südfrankreich
Nach endlos grauen Wintertagen sehnen wir uns nach dem Land des magischen Lichts, der blauen Töne und der starken Farben. Südfrankreich lockt. Da die Autoroute du Soleil in Sichtweite unserer Garage vorbeiführt, verbietet sich jeder Gedanke an ein häusliches Alternativprogramm.
Unsere Motorradtour durch Provence und Camargue serviert ein exklusives Dreigangmenü: Einsame Kurvenstrecken — Wildlebende Pferde, Rinder und Flamingos im Naturschutzgebiet Rhônedelta — Burgen, Klöster und Restaurants ohne Touristenrummel. Wellness auf zwei Rädern. Jetzt in der tiefsten Nebensaison sind noch kaum Touristen unterwegs, aber der Frühling läßt sein blaues Band schon durch die Lüfte wehen. Nach einer entspannenden Woche treten wir dann die Heimreise wieder an – mit der wärmenden Sonne im Rücken.
1. Etappe: Anfahrt Lyon – Nîmes
Der Sonne der Provence entgegen
Auf der Autobahn nach Süden lassen wir munter unsere Pferdchen traben, bis wir bei Montélimar die Klima- und Temperaturgrenze erreichen. Fünf Grad ist es hier wärmer als in Lyon. Bei unserem Boxenstopp an der Autobahn haben wir schon die halbe Tagesstrecke absolviert. Wir beginnen, der Provence entgegenzufiebern. Als wir schließlich bei Bollène die Autobahn verlassen, hat uns der mediterrane Frühling endgültig umfangen. Würziger Duft von Kräutern und Sträuchern schmeichelt sich durch das offene Visier.
Auf dem Weg zu unserem Tagesziel Nîmes steuern wir zunächst den Pont du Gard an. Diesen römischen Aquädukt kennen wir in stilisierter Form vom Fünf-Euro-Schein her.
Dabei folgen wir den Schildern zum weitläufigen, aber keineswegs überfüllten Parkplatz. Zu unserer nicht geringen Überraschung dürfen wir ihn später erst wieder gegen eine saftige Löhnung von 18 Euro verlassen. Frankreich ist eben ein teures Pflaster. Eigentlich hätten wir ja darauf eingestellt sein sollen. Dennoch: Wir sind tief beeindruckt von der klassischen Architektur mit ihren tonnenschweren Quadern und Keilsteinen. Wieder ein Stück UNESCO-Weltkulturerbe im Inventar unserer Tourenerlebnisse.
Römerstadt Nîmes
Wenig später erreichen wir Nîmes, unser Basislager für die kommende Tourenwoche. Einquartiert haben wir uns in einem charmanten, zum Hotel umgebauten Renaissance-Konvent in der Altstadt. Von hier aus wollen wir Provence und Camargue in mehreren Tagestouren unter die Räder nehmen.
Erwartungsgemäß ist die Parksituation in der historischen Innenstadt von Nîmes problematisch. Doch bietet unser Hotel den unschlagbaren Vorteil eines architektonisch reizvollen Innenhofes, in dem unsere Maschine abstellen dürfen. Denn der Hotelier fährt selber Motorrad und hat daher vollstes Verständnis für unsere besonderen Bedürfnisse.
Nun schauen wir erst einmal über die Dächer der Altstadt, die wir uns am Abend durchstreifen wollen. Unabdingbares Ziel eines Besuches in Nîmes ist das futuristisch konzipierte Musée de la Romanité mit über 25.000 Exponaten aus der römischen Antike.
Es macht Spaß, einfach so herumzuschlendern. Die Stadt ist bunt, vielfältig und belebt. Dazu trägt nicht zuletzt die Fremdenlegion bei, deren 2. Infanterieregiment hier stationiert ist. Die képis blancs sprechen untereinander Französisch mit einem sehr harten osteuropäischen Akzent. Was dann aber aus den Kneipen klingt, hört sich verdächtig deutsch an.
2. Etappe: Rundtour durch die Camargue
Der morgendliche Blick aus dem Zimmerfenster auf die verwehten Cirruswolken am azurblauen Himmel weckt gemischte Gefühle: Mistral, der für diese Region typische unangenehme Fallwind. Schon gestern auf der Autobahn hatten wir mit wechselnden Seitenwinden zu kämpfen. Aber jetzt scheint er Ernst zu machen.
Motorradtour durch das Naturschutzgebiet Camargue
Trotzdem fahren wir guten Mutes Richtung Saintes-Maries-de-la-Mer, der (heimlichen) Hauptstadt der Camargue. Dort machen wir es uns mit einem kleinen Picknick an der leeren Strandpromenade auf einer dieser unvergleichlich charmanten Betonbänke bequem, wie man sie in Frankreich so häufig findet.
Christine, die es vor allem auf die frei lebenden Pferde, Stiere und Flamingos abgesehen hat, voltigiert auf dem Rücksitz umher, um sie auf den Kamerachip zu bannen. In der Tat ist es ein Erlebnis besonderer Art, diese Tiere in freier Wildbahn beobachten zu können. Und Flamingos kennen wir eh’ nur aus dem Zoo. Nur kommt man leider nicht näher an sie ran, denn 1. sind sie Wasservögel und 2. ist ihr Revier (sinnvollerweise) durch Stacheldrahtzäune abgeschirmt.
Auf dem Rückweg biegen wir von der Hauptstraße ab und umrunden auf einer kleinen, holprigen Nebenstraße den Etang de Vaccarès, um noch mehr Getier zu Gesicht zu bekommen. Vom Wind gebeutelt machen wir in Salin de Giraud Halt, dringen jedoch (weil Sonntag) nicht bis zur Meersalzgewinnung vor.
Stattdessen strecken wir auf der Terrasse der ländlich-ungemütlichen „Bar du Sport“ unser Geläuf in die Sonne und lassen unsere Gedanken frei schweben. Auch das kann Urlaub sein. Anschließend rangieren wir unsere Maschine aus dem mittlerweile eingetroffenen Geschwader ältlicher Supersportler, argwöhnisch beäugt von der papageienhaft eingekleideten Fahrer-Equipe.
Die weitere Fahrt durch den brettebenen Naturpark Camargue Richtung Arles läßt mich darüber nachsinnen, ob ein Motorradhändler in dieser Gegend wohl nennenswerte Umsätze machen kann. Unterdessen erreichen wir Arles. Die Stadt selbst ist – mit Ausnahme der antiken Überreste – weniger der Rede wert. Wir folgen den Spuren Vincent van Goghs. Ihn hat man einst aus der Stadt geekelt. Sein Haus hat die Royal Air Force 1944 plattgemacht.
Klosterruine Montmajour
Am Westufer der Rhône nordwärts fahrend stoßen auf die massive Klosterruine Montmajour, die von einem Hügel aus das weite flache Land beherrscht. Leider ist auch sie ein Zeugnis des Abbruchwahns der Französischen Revolution. Aber selbst das, war erhalten geblieben ist, hinterläßt einen großartigen Eindruck.

Mit dem Motorrad auf den Spuren von Vincent van Gogh: Sonnenuntergang bei Montmajour (1888) │ © Vincent van Gogh, Public domain, via Wikimedia Commons
Dann rollen wir auf Nebenstraßen zurück nach Nîmes. Damit wäre der südliche Teil unseres Touren-Kleeblatts durch die Camargue abgefahren. Zeit, den Tag zu beschließen. Wir tun dies mit einem mittelmäßig guten Abendessen in einem unspektakulären Straßenrestaurant.
3. Etappe: Historisches Montpellier
Frühstück in der Markthalle
Ein sicheres Gespür für das Besondere führt uns zu morgendlicher Stunde in die Markthalle von Nîmes, wo wir inmitten der Obst-, Fisch- und Fleischstände eine Bar entdecken. Diese wird vornehmlich von Händlern, Rentnern und anderen suspekten Menschen (incl. unsereiner) umlagert.
Dort erleben wir für 6 Euro in Form von Café au lait mit Croissants ein Frühstück von seltenem Unterhaltungswert: Frühschlucker am Zapfhahn, Knollennasen am Glas Rosé, einkaufende Hausfrauen mit knallbunten Lockenwicklern. Alle einträchtig plaudernd an der langen Theke versammelt. Der patron kennt jeden seiner Stammgäste. Das als etwas problematisch einzuordnende Ehepaar am Nebentisch füttert unablässig einen wuscheligen Kleinhund, den der Kellner gewohnheitsmäßig als „merdeuse“ („Göre“) tituliert.
Solchermaßen gestärkt begeben wir uns zum Bahnhof und fahren mit dem Zug nach Montpellier. Das Motorrad bleibt im Hotel, da wir uns eine ganztägige Stadtbesichtigung in Motorradklamotten nicht antun wollen.
Die Altstadt von Montpellier
Vom Bahnhof Montpellier Saint-Roch ist es nicht weit bis in die Altstadt. Wir streifen durch die engen Gassen, legen hier und dort eine kleine Pause zum Gucken ein und lassen die Zeit einfach an uns vorüberziehen.
Das frühlingshafte Flair ist Balsam für die Seele: wiegende Palmen, blühende Blumen, entspannte Menschen vor Cafés und auf Parkbänken. Daß Montpellier seit 1289 eine blühende Universitätsstadt ist, zeigt sich auch in einem allenthalben sehr lockeren öffentlichen Leben.
Die verwinkelten Quartiers haben ihren eigenen Reiz mit ihren Geschäften, Restaurants und historischen Gebäuden. Besonders angetan haben es uns die gut sortierten Antiquitätengeschäfte. Wir verdrängen aber jegliche Kaufabsicht und betreten sie nur zum Schauen. Schließlich sind wir auf unserer Motorradtour durch Provence und Camargue mit unserer Maschine unterwegs und nicht mit einem Lieferwagen.
Über die breite, von einem Triumphbogen dominierte Rue Foch erreichen wir die Parkanlage der Promenade de Peyrou mit ihrem herrlichen Panorama über die Stadt und den Botanischen Garten. Überall sitzen – meist jüngere – Leute auf Bänken und Mäuerchen, mit Sonnenbrille und einem Buch auf den Knien.
Erfüllt von Sonne, Licht und dem Fluidum der mittelalterlichen Stadt setzen wir uns am Abend wieder in den Zug zurück nach Nîmes.
4. Etappe: Motorradtour Nîmes — Avignon — Nîmes
Der dritte Ausflug auf unserer Motorradtour durch Provence und Camargue führt uns nach Avignon. Nicht nur der notorischen Brücke wegen. Es gibt hier einiges mehr zu erleben.
Fernblick über die Provence
Zunächst besichtigen wir die am gegenüberliegenden Gard-Ufer liegende Rivalenstadt Villeneuve-lès-Avignon. Unsere Maschine findet einen vertrauenswürdigen Parkplatz vor der Kartause. Die Einsiedlerhäuschen dieses Klosters mit ihren dahinterliegenden Kräutergärten würden sich nicht schlecht als moderne Single-Behausung eignen. Wir sind gespannt, wann mal jemand auf die Idee kommt, ein aufgelassenes Kloster zu Wohnzwecken umzuwidmen.
Vom Kloster aus sind wir in ein paar Minuten oben auf dem die Stadt beherrschenden Fort Saint-André. Von seinen Mauern aus bietet sich uns ein majestätischer Blick über den Fluß auf die gegenüber liegende Altstadt von Avignon. Wer hierher kommt, sollte unbedingt erst mal die hohen Festungsmauern ersteigen. Es lohnt sich.
Brücke und Papstpalast von Avignon
Avignon als Stadt ist, na ja, sagen wir es mal höflich, nicht uninteressant. Die meisten Touristen kommen natürlich wegen der aus dem Chanson bekannten halben Brücke hierher. Und wegen des Papstpalastes. Von 1377 bis 1309 residierten hier insgesamt 7 von der gesamten Kirche anerkannte Päpste, bevor Gregor XI. sich zur Rückkehr nach Rom überzeugen ließ.
Die Päpste und ihre Entourage hatten sich in Südfrankreich ein richtiges Klein-Rom eingerichtet, so wie man es aus der Erinnerung kannte. Vielleicht waren die hinter dem Palast gelegenen Gärten 200 Jahre später Vorbild dafür, hinter dem Petersdom die verwunschenen Giardini Vaticani anzulegen.
Wie auch immer: Papstpalast, Altstadt und Brücke reichen vollauf in Avignon. Der Rest läßt sich im Rahmen einer Fahrt um die Stadtmauer herum bequem umrunden.
Abends wird es dann doch merklich kühler. Dunkle Wolken ziehen auf und wir schauen deshalb, daß wir unsere Maschine rasch in den Innenhof unseres Hotels in Nîmes zurückbringen.
5. Etappe: Motorradtour durch die Cevennen
Finstere Wolken drohen
Aus unserem Plan, auf unserer Motorradtour durch Provence und Camargue heute eine weitere Südschleife zu drehen, wird leider nichts. Da aus unserer Fahrtrichtung finstere Regenwolken aufziehen, legen wir erst mal einen kurzen Orientierungshalt ein. Ganz nebenbei bemerken wir, daß es in Gegenrichtung wesentlich freundlicher aussieht.
Aber was liegt dort? Aha, die Cevennen. Klingt interessant nach Bergen, Schluchten, rauschenden Flüssen und Kurvenstrecken. Also wird das Navi ist kurzerhand umprogrammiert und ab geht’s immer flach bergan nach Nordwesten.
Als uns irgendwann gegen Mittag doch der Regen anzusprühen beginnt, suchen wir in Lezan ein vielversprechendes Landgasthaus auf. Bei der Menüauswahl folgen wir gutgläubig den Empfehlungen des patron. Was wir aber nach einiger Wartezeit hingeschoben bekommen, entpuppt sich als recht mittelmäßiges Bœuf Bourguignon.
Am Nebentisch marodiert eine lautstarke Familie mit ungezogenem Kind, das noch lautstärker Sättigung einfordert: ein Dutzend Froschschenkel mit Fritten und Ketchup. Mahlzeit! Dann lieber schnellstmöglich hinaus zur Maschine und ab auf die Landstraße.
Tourenstrecke durch die hintersten Winkel der Cevennen
Nach prüfendem Blick zum Himmel wischen wir die Nässe vom Sattel und schlagen wieder den Weg Richtung Berge ein. Ab Anduze wird es richtig malerisch, alte Häuser, Bach, Steinbrücke, Abgeschiedenheit. Sowas mögen wir. Christine hält die Eindrücke vom Rücksitz aus mit ihrer Kamera fest.
Bambus und Protestanten
Bei der Einfahrt in die Corniche des Cevennes stoßen wir zu unserer nicht geringen Überraschung auf die Bambouseraie de Prafrance: ein 1856 angelegter botanischer Garten mit mehr als 150 Bambus-Varietäten, jahrhundertealten Sequoias, Bananenstauden und anderem seltenen Gewächs. So etwas hätten wir hier nicht erwartet.
Schluchten, Burgen hoch in den Felsen, Höhlen und undurchdringliche Wälder machen uns klar, warum die Cevennen während der Religionskriege eine Hochburg der verfolgten Protestanten gewesen sind. Viele evangelische Kirchen (temples) an unserer Fahrtroute erinnern daran, daß hier seit Anfang des 16. Jahrhunderts der Protestantismus calvinistischer Prägung Wurzeln schlug.
Der letzte Widerstand der Protestanten gegen die katholische Obrigkeit endete mit dem von Ludwig XIV befohlenen „Großen Niederbrennen der Cevennen“ von 1702 bis 1704. 446 Dörfer wurden geplündert und verwüstet, bevor die Protestanten endgültig aufgaben.
Seidenraupen in den Cevennen
Seit dem Mittelalter gab es in dieser abgelegenen Gegend eine verbreitete Seidenraupenzucht. Dann bereitete zunächst der Frost (1709) und später im 19. Jahrhundert eine Pilzkrankheit den Seidenraupen-Kulturen ein Ende. Auch die Kastanienbestände gingen dahin. Seither ist dieser ärmlichen, wildromantischen Gegend nur wenig mehr geblieben als der „sanfte“ Tourismus. Wir fördern diesen mit klammen Fingern in Form eines Café au lait in der „Bar du Sport“ in Sardan.
Noch einige schmale Steinbrücken und enge Dorfdurchfahrten. Dann sind wir wieder auf der D 907, die uns recht unspektakulär nach Nîmes zurück führt. Doch wieder einmal beginnt es wie aus Kübeln zu schütten.
Deshalb müssen wir uns, im Hotel angekommen, erst einmal landfein für den Abend machen. Nach der Regenfahrt sind wir froh um unsere Tischreservierung in dem (etwas plüschigen Restaurant) „A la table de Claire“. Dort machen wir ganz bewußt eine neue Erfahrung: molekulare Küche. Wir sind ebenso überrascht wie angetan von dem, was uns sehr stilvoll serviert wird. Dennoch sind wir nicht ganz sicher, ob wir das öfter haben müssen.
6. Etappe: Motorradtour Nîmes – Tarascon – Arles – Nîmes
Historisches Tarascon
Voller Optimismus in Bezug auf Wetterbesserung rollen wir südostwärts in das historische Städtchen Tarascon. Seine Geschichte mahnt zur Vorsicht: Es soll hier einen legendären Drachen gegeben haben, der an den Ufern der Rhône die Reisenden verschlang. Bon appétit.
Am Rhône-Ufer erhebt sich schon von weitem sichtbar die Burg Tarascon aus dem Jahre 1401. Sonderbar, ihre Architektur erinnert an den Flakturm IV auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg mit seinen vier Ecktürmen.
Und was entdecke ich bei näherer Besichtigung? Deutsche Aufschriften, die auf ebendiesen Verwendungszweck hinweisen. Der Blick von den Zinnen über das Land ist einfach genial. Die Räume im Innern wirken hingegen – eine Folge verschiedenartigster Nutzungen im Laufe der Jahrhunderte – durch nichts als ihre Renaissancearchitektur. Dennoch: Der Ort ist eine Besichtigung wert, insbesondere der Burggarten und die Burgapotheke. Christine als passionierte Gärtnerin und „Kräuterhexe“ hat ihre helle Freude.
Noch eine Besonderheit entdecken wir im ersten Innenhof: einen (Un)Glücksbrunnen unter einer alten Linde. Er ist eine Anspielung auf das „Buch des verlorenen verliebten Herzens“ von König René d’Anjou. Wer an dem schwarzen Stein am Brunen Halt macht und das unheilbringende Wasser trinkt, „wird großen Schmerz erleiden“. Mit solcherlei Brunnen sind wir vorsichtig. Da haben wir in der Bretagne schon recht komische Sachen erlebt.
Schonen wir also unsere verliebten Herzen und rollen auf den südöstwärtigen Stadtausgang zu, wo sich in der Antike der größte gallorömische Straßenkotenpunkt befand. Hier traf die Via Domitia kurz vor ihrem Rhône-Übergang auf das Ende der Via Aurelia. Nach etlichen Jahren hat mich die Via Aurelia wieder, diesmal (aus römischer Sicht) jenseits der Alpen.
Für die Fortsetzung unserer Motorradtour durch Provence und Camargue stelle das Navi auf die Routenwahl „Öko“ ein. Von da an führen uns landwirtschaftliche Sträßchen durch Rapsfelder und Olivenhaine den Alpillen entgegen nach Les Baux-de-Provence. Bei Saint-Rémy kurven wir noch ein wenig auf Feldwegen herum – genau dort, wo Vincent Van Gogh 1889 die Landschaft mit Holzhütten malte. Das teuerste Bild, das je von ihm versteigert wurde. Aber davon hatte der arme Schlucker nichts.

Bei 62 Mio. Dollar fiel bei einer Christie’s-Auktion in New York der Hammer für Van Goghs Holzhütten in den Alpillen. Wir aber begnügen uns mit einer preiswerten Landschaftsfotografie. │ Vincent van Gogh, Public domain, via Wikimedia Commons
Kurvenstrecken in den Alpillen
Der Ortsname ruft in Erinnerung, daß hier das Bauxit herkommt: 1822 wurde die Bedeutung eines braun-violetten Minerals entdeckt, das eine Aluminiumverbindung enthält, aus der (natürlich erst späterhin) durch Elektrolyse reines metallisches Aluminium gewonnen werden kann. Zahlreiche Höhlen und Steinbrüche am Straßenrand zeugen von dem mittlerweile eingestellten Abbau.
Überall sieht man fast nur noch Stein. Warum sich das Landschaftsbild in den Alpillen so augenfällig von der übrigen Provence unterscheidet, erklärt die griechische Mythologie: Herakles soll auf der Rückkehr von seiner zehnten Arbeit aus Spanien, wo er die Rinderherde des Riesen Geryones zu rauben hatte, in Les Baux von den dort ansässigen Ligurern angegriffen worden sein. Als sie ihm seine Herde zocken wollten, konnte er sich nicht wehren, weil ihm die Pfeile ausgegangen waren. Da kam ihm Zeus zu Hilfe und ließ einen Steinhagel auf die Ligurer niedergehen. Aber auch Herakles beteiligte sich und bombardierte sie mit Steinen – die jetzt noch überall herumliegen.
Daß er mit seinem Wüten eine der reizvollsten Motorradstrecken in der Provence schaffen würde, konnte der antike Held natürlich nicht ahnen.
Römerstadt Glanum
In eleganten Schwüngen geht es talwärts weiter zum antiken Glanum, einer Stadt aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert. 1921 archäologisch erschlossen, zählt es seitdem zu den bedeutendsten römischen Ausgrabungen in Frankreich. Wir lassen uns auf einem Marmorblock nieder und bestaunen die majestätischen Bauten.
Nüchternes Arles
Der weitere Weg unserer Motorradtour durch Provence und Camargue führt uns nach Arles, einem (unserer Meinung nach) von außergewöhnlichen touristischen Reizen weitgehend unbelasteten Städtchen an der Rhône. Trotzdem, es ist ganz nett und wir streifen durch die Gassen.
Außerhalb der Hauptessenszeiten (d. h. zwischen 14 und 19 Uhr) eine gastronomisch akzeptable Lokalität zu finden ist auch hier sehr schwer. So landen wir mit einem Schokoriegel aus einem arabischen Kiosk bewaffnet auf einem versifften Mäuerchen neben einer belebten Bushaltestelle in der Innenstadt. We’re used to worse.
Deshalb sind wir nicht unfroh, bald wieder im Sattel zu sitzen und zu unserem Basislager nach Nîmes zurückzukehren.
7. Etappe: Kurvenstrecke auf den Mont Ventoux
Harmlos, wie wir nun mal sind, sollte der Mont Ventoux mit seinen 1.912 Höhenmetern den krönenden Abschluß unserer Tour bilden. Leider trägt der „Windumbrauste Berg“ seinen Namen nicht zu Unrecht: Wind und Wolken sind seine steten Begleiter. So auch heute.
Es wäre sicher ein besonderes Erlebnis gewesen, einen Berg zu befahren, den der Dichter Francesco Petrarca 1326 erstmalig bestiegen hatte:
“Altissimum regionis huius montem, quem non immerito Ventosum vocant, hodierno die, sola videndi insignem loci altitudinem cupiditate ductus, ascendi. … Cepit impetus tandem aliquando facere quod quotidie faciebam …“
Den höchsten Berg dieser Gegend, den man nicht unverdient Ventosus, den Windumbrausten, nennt, habe ich am heutigen Tage bestiegen, einzig von der Begierde getrieben, diese ungewöhnliche Höhenregion mit eigenen Augen zu sehen. … Nun aber packte es mich, endlich einmal auszuführen, was ich jeden Tag schon ausführen wollte …
Einfach auf den Berg rauf, nur so zum Spaß, weil er so schön hoch ist. War aber heute nichts damit, alles in Wolken. Nur die Fahrradverleihstationen im Basisort Malaucène machen gutes Geschäft mit den Unentwegten, die mit stramm sitzender bunter Pelle angetan dem Gipfel entgegenkeuchen wollen. Faut de mieux knabbern wir auf einer Café-Terrasse am Hauptplatz an einer zuckerbestreuten Waffel und beherzigen zum Trost die Warnung des Dichters (nach 2. Mos. 19, 21):
Cavete ne ascendatis in montem, nec tangatis fines illius: omnis qui tetigerit montem, morte morietur.
Hütet Euch, diesen Berg zu besteigen und berührt auch nicht seine Spitze: Jeder der den Berg berührt, wird sterben.
Also nur nicht hinaufsteigen auf den Berg. Schade.
Tourenabschluß in Châteauneuf du Pape
Deshalb fahren wir gleich weiter in die Vaucluse und steuern das Örtchen mit dem klangvollen Namen Châteauneuf du Pape an. Nicht nur wegen des gleichnamigen Weins, sondern auch, um uns die ehemalige Sommerresidenz der avignonesischen Päpste anzusehen.
Von einem massiven Marmorblock aus lassen wir unsere Blicke über das weite Land streifen: Weinberge, Olivenhaine und Eichenwälder, soweit das Auge reicht. Es fällt uns schwer, Abschied von dem schon sonnigen Süden zu nehmen. Aber die Straße ruft uns.
Der Rest unserer Motorradtour durch Provence und Camargue ist Routine: Landstraße, Landstraße, Landstraße, Autobahn, Autobahn, Autobahn. Dazwischen zum Ausstrecken zwei Tankstops an der Raststätte mit schwarzer Brühe aus dem Automaten. Am Abend nimmt uns zu Hause der Sessel auf und wir sind einfach – happy.
Gesamtstrecke der Motorradtour durch Provence und Camargue
Fazit
Die weite Anfahrt zu einer Motorradtour durch Provence und Camargue wird entschädigt mit einer reichen Ausbeute an fahrerischem Genuß, abwechslungsreicher Landschaft und mediterranem Lebensgefühl. Ganz nach persönlichen Vorlieben läßt sich dabei ein variantenreiches Fahrprogramm komponieren, bei dem letztlich jeder auf seine Kosten kommt. Das letzte Wort zum Fahrgenuß spricht jedoch der Wettergott, dem es – wie stets – das unvergeßliche Tourenerlebnis abzuringen gilt.
Logistische Hinweise zur Motorradtour durch Provence und Camargue
Landkarten:
Michelin Départements France 332 Drôme, Vaucluse
Michelin Départements France 339 Gard, Hérault
Michelin Départements France 340 Bouches-du-Rhône, Var
Weine aus dem Hérault:
Übersicht und Empfehlungen
Touristische Informationen:
Provence, Vaucluse
Camargue
Aktualisiert am 01/01/2022 von Christian