Eine Motorradtour durch die Ardèche verbindet Kurvenstrecken mit herrlicher Landschaft, Action und Kultur. Hier ist das richtige Programm.
Eine Motorradtour durch die Ardèche als Geburtstagsgeschenk an mich selbst
Als nachträgliches Geburtstagsgeschenk habe ich mir die erste längere Ausfahrt im neuen Lebensjahr gegönnt: eine kurvenreiche Motorradtour durch die Ardèche. Dabei möchte ich die berühmte Kurvenstrecke genießen. Und auch Sachen sehen, an denen die anderen vorbeifahren.
Denn abseits des Touristenrummels bietet eine Motorradtour durch die Ardèche weit mehr als die üblichen Kanupartien oder Kurvenschleifereien. Entscheidend ist jedoch die richtige Jahreszeit und das richtige Tourenprogramm.
Der gnädige Wettergott beschert mir lupenreines Tourenwetter für die folgende Strecke:

Meine Tourenstrecke durch die Ardèche – ohne die spätere (sehr schöne) Irrfahrt in den oberen Cevennen
Straße | nach |
---|---|
Start | Lyon |
A 7 / N 7 | Pierrelatte |
D 290 | Gorges de l’Ardèche → Vallon-Pont-d’Arc |
D 979 / D 132A / D 906 | Villefort |
D 901 / D 104 | Aubenas |
D 578 | Col de Mézilhac - Aubenas - Le Cheylard - Lemastre |
D 534 | Tournon s. R. |
A 7 | Lyon |
Gesamtstrecke | ≈ 700 km |
Wer von den Gorges de l’Ardèche spricht, denkt in erster Linie an Kurvenhatz auf schmalen Straßen durch das rauhe Karstgebirge. Kaum jemand interessiert sich aber an die wechselvolle Geschichte dieses abgelegenen Landstrichs: von der Verfolgung der hier versteckten Protestanten durch Ludwig XIV. angefangen bis zur Widerstandsbewegung im Zweiten Weltkrieg.
Wie wir sehen, bietet eine kurvige Entdeckungstour durch die Ardèche jedoch weit mehr als das. Aber man muß halt nur wissen, wo man was findet.
Die Anfahrt über die stark frequentierte Autobahn ist erwartungsgemäß nicht sehr prickelnd. Denn wie üblich gibt es hier viel fahrendes Volk mit Wohnmobilen, aufgeschnallten Fahrrädern und voll beladenen Limousinen. Befreiend wirkt deshalb die Autobahnausfahrt Nr. 18 südlich Montélimar mit anschließendem Tankstop und Kaffeepause im Restaurant „M d’Or“ in Pierrelatte.
Ein deutscher Surrealist in der Ardèche
Nach 20 km erreiche ich schon das malerische Örtchen St-Martin-d’Ardèche am Eingang zur gleichnamigen Schlucht. Es wartet auch mit einer Entdeckung auf:
Oberhalb des Dorfes hat von 1937 bis 1940 der deutsche Surrealist Max Ernst mit seiner englischen Geliebten Leonora Carrington Zuflucht gesucht. Nicht etwa vor seinen deutschen Landsleuten, sondern vor der Familie seines Schwiegervaters, des einflussreichen Polizeipräsidenten von Paris, die ihm wegen seines coup de foudre verständlicherweise die Hölle heiß machte.
Mit seiner knapp 20jährigen Flamme richtete er sich in einem alten Bauernhaus ein, das er mit allerlei Fabel- und Mischwesen dekorierte. „L’Anglaise“, die aufsässige Millionärstocher, und „Le Max“ machten Furore: Tagsüber spazierten sie splitternackt zum Fluß, die Badeanzüge auf dem Kopf, abends ließen sie sich in der Dorfspelunke volllaufen. Sie schrieben und zeichneten zusammen, sie war seine „Windsbraut“, er war „Loplop“, das geflügelte Fabeltier mit einem Seestern zwischen den Schenkeln.
Dieses absonderliche Paar möchte ich mir nicht entgehen lassen. Das erhalten gebliebene große Relief an der Straßenfront zeigt zwei Figuren. Unter der männlichen mit doppeltem Unterleib tanzt eine kleine, mit Schuppen und Federn geflügelte Figur. Es ist Loplop, der gute Geist Max Ernsts in jenen Tagen.
Die weibliche Figur hingegen spreizt beschwichtigend-beschwörend die rechte Hand ab, auf ihrer linken hockt ein Zähne bleckender Kobold. Wer’s sucht: am Kreisverkehr am Ortseingang den Berg hoch. Dann dem Schild „Les Alliberts“ folgen. Nach einem halben Kilometer steht das Haus an der rechten Straßenseite.
Kurvenreiche Gorges de l‘Ardèche
Mit leichtem Kopfschütteln über so viel Surrealismus auf einmal lasse ich mich wieder den Berg hinabrollen. Danach mäandert sich die Straße hoch über der Schlucht der Ardèche und eröffnet dabei traumhafte Ausblicke über die Berglandschaft.
Nicht zuletzt wegen dieser verlockenden Ablenkung verlangt die kurvige Motorradtour durch die Ardèche einiges an Konzentration. Auch wenn der Verkehr um die Mittagszeit nur mäßig ist, bleibt mir der eine oder andere Kampfsprung vorbei an träumenden Autofahrern nicht erspart. Dann habe ich aber die Strecke wieder für mich alleine.
Deshalb bietet der folgende Streckenabschnitt bis Portes mit seinen langen Geraden eine willkommene Abwechslung. Aber die folgenden 36 km auf der D 906 haben es aber in sich: Wechselkurven am laufenden Band, Serpentinen, Korkenzieher. Mir scheint, die Streifen an der Reifenschulter würden zusehends schmäler. Nicht unfroh bin ich deshalb, zur Nachmittagsstunde an meinem Quartier in St-André-Capcèze unterhalb von Villefort einzutreffen.
Übernachtung im Bauernhaus
Für meine Übernachtung habe ich mir einen liebevoll hergerichteter Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert am Ende eines versteckten Waldtales ausgesucht. Die Eigentümer haben ihn in ein reizvolles Chambres d’hôte verwandelt.
Die Zimmer sind hübsch hergerichtet. Eine weinumrankte Pergola bietet Schatten auf der Terrasse. Wasser plätschert am nahen Bach. Blüten und Sträucher hegen das Anwesen ein, das von einem herrisch dreinblickenden Gänserich mit einem hinterher watschelnden Entenpaar bewacht wird. Zusammen mit einem französischen Wanderer und den Gastgebern nehme ich ein vorzügliches Abendessen ein. Dann genieße anschließend die verdiente Bettruhe.
Als mich am nächsten Morgen ein Hahn und gackernde Hühner wecken, strahlt die Frühsonne in meine Kemenate herein. Anschließend rüste ich mich im rustikalen Eßzimmer mit einem vorzüglichen Frühstück für die Fortsetzung meiner kurvigen Motorradtour durch die Ardèche. Danach verabschieden mich meine Gastgeber herzlich.
Grab eines Weltklasse-Musikers in der
Waldeinsamkeit
Passenderweise zum Ortsnamen liegt auf dem Dorffriedhof von St-André der Trompetenvirtuose Maurice André begraben, einer der (inzwischen verstorbenen) ganz Großen seines Fachs. Bekannt wurde er vor allem dadurch, daß er die Piccolotrompete in die Barockmusik einführte. In einem Interview sagte er einmal:
„Die Trompete ist ein schwieriges Instrument. Sie löst gemischte Gefühle aus, weil sie ihren kriegerischen Einsatz, den Goût des Triumphs sowie das biblische Bild der Apokalypse behalten hat. Die Trompete kann aber auch Mädchen im Reigen tanzen lassen.“
Angefangen hat Maurice André in einem Bergmannsorchester hier in der Gegend. Dort wollte er auch begraben sein. Ich lege einen Feldblumenstrauß auf seinem Grab nieder.
Andenken an Coco Chanel
Ein Dorf weiter steht ein verfallendes Haus, in dem die berühmte Modeschöpferin Coco Chanel ihre Ferien zu verbringen pflegte. Dies noch vor dem Kriege. Also noch vor den ihr nachgesagten späteren Amouren im Pariser Hotel Ritz. Unsterblich ihre letzten Worte:
„C’est comme ça que l’on meurt“.
„So stirbt man also“.
Ihre letzte Ruhestätte fand Coco Chanel auf dem Cimetière du Bois-de-Vaux in Lausanne.
Im Parc Naturel de l‘Ardèche
Die fröstelnde Auffahrt auf die Höhen des Parc Naturel de l’Ardèche auf der D 901 Villefort → Le Vans wird belohnt mit einem herrlichen Ausblick auf die sonnenbeschienene Bergwelt. Blüten duften allenthalben. Die Bauern haben Stände mit Obst vor die Tür gestellt. Die Landschaft quillt hier über von Kirschen und Aprikosen.
Die D 104A Joyeuse → Aubenas lädt zu einem zügigeren Marschtempo ein, was allerdings auch der Gendarmerie nicht verborgen geblieben ist: Allenthalben stehen Radarkästen. Schlaufüchse haben sie aber mit grellen Neonfarben angemalt, so daß sie schon kilometerweit gut zu erkennen sind.
Als fahrerischer Leckerbissen erweist sich die D 578 Aubenas → Le Cheylard. Sie führt zunächst durch eine malerische Schlucht und steigt dann auf den Col de Mézilhac (1.119 m) empor. Da kann ich nur den Kopf schütteln über gewisse Motorradfahrer. Denn sie müssen die wirklich krank sein, wenn sie knallhart uneinsehbare Kurven durchbrettern, die sich teilweise korkenzieherartig schließen. Und hinter denen Geröll auf der Straße liegen oder Vieh herumstehen kann. Da sprechen die Kreuze am Straßenrand ihre eigene Sprache. Nicht umsonst wird auch auf der letzten Kurvenetappe D 534 zwischen Lemastre und Tournon gewarnt.
Open-Air-Literaturfest in der Einsamkeit
Meine heutige Etappe verläuft im Zickzack durch Täler und Wälder noch weiter hinein in die Einsamkeit der Ardèche. Zunächst führt sie mich nach Chambon-sur-Lignon. Dort folge ich der Einladung zu einem open air Literaturfest, das rings um ein Landhaus in der Nähe abgehalten wird.
Hier sitzt man total locker unter ausladenden Bäumen zusammen, liest, hört und diskutiert: Autoren, Verleger, Kulturjournalisten und ein einzelner Motorradfahrer. Eine super Atmosphäre. So gerne ich den ganzen Tag bleiben würde – aber als dann die Rotweinflaschen zu kreisen beginnen, mache ich mich doch lieber auf den Weg.
Irrungen, Wirrungen.
Auf der weiteren Strecke gehe ich verloren. Das ist mir noch nie passiert. Das Navi quittiert (wegen nicht gespeicherter Mini-Sträßchen) seinen Dienst. Auch der Blick auf die Karte schafft nur weitere Verwirrung. Die Weginformationen der Bauern am Feldrand bleiben unpräzise und unbrauchbar. Totale Einsamkeit. Deshalb bleibt mit am Ende nur mein IFS-Navigationssystem: I Follow the Sun. Dann stellt sich totale Erleichterung ein, als ich einer Gendarmeriestreife begegne. Sie gibt mir sehr freundlich und hilfsbereit Auskunft und lotst mich auf die D 533 Lemastre → Tournon zurück. Gerettet!
Brummschädel vom Kurvenfahren bei der Motorradtour durch die Ardèche
Nach der langen Kurvenfahrt brummt mir in Tournon, der Kopf und mein Magen knurrt bedrohlich. Da kein akzeptables Lokal vor 19.00 Uhr geöffnet ist, wird leider auch hier das „M d’Or“ meine notorische Anlaufstelle. Macht aber nichts. Was ich jetzt brauche, ist eine Ruhepause und irgendetwas zwischen die Kauleisten. Qualitätsverpflegung wartet dann zu Hause.
Auf der letzten Etappe begleitet mich Freund Mistral heimwärts. Er schüttelt mich kräftig durch und lässt mich ungemütlich frösteln. Wahrscheinlich ist er auch für meinen Brummschädel verantwortlich.
Als ich dann am Abend meine Maschine nach knapp 700 erlebnisreichen Kilometern meiner Motorradtour durch die Ardèche in die Garage schiebe, habe ich das gute Gefühl, „sattgefahren“ zu sein. In der Wohnung angekommen, lädt Morpheus zu sanfter, erfrischender Ruhe.
Aktualisiert am 07/11/2021 von Christian