Motorrad Reiseblog mit Touren, Tipps & Tricks

Motorradtour durch die Altmark

Eine Motorradtour durch die Altmark zwischen Elbe und Heide führt durch eine weithin unbekannte, unterschätzte und landschaftlich anheimelnde Region.

Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Unbekannte Altmark

Eine Motorradtour durch die Altmark? Wo ist das denn? Altmark, Mittelmark, Neumark – da soll sich einer auskennen? Ich bin mir sicher, nicht viele „Auswärtige“ wissen mit dieser Region etwas anfangen.

Deshalb wissen sie auch nicht, daß man hier durchaus lohnende Motorradtouren absolvieren kann. Nur läuft das in dieser besonderen Umgebung etwas anders. Denn die Altmark ist geographisch abgelegen und dazu noch fast konkurrenzlos dünn besiedelt. Der Motorradfahrer findet hier also viel Platz vor.

Historisch ein brandenburgisches Kernland, gehört die Altmark heute zu Sachsen-Anhalt. Sie liegt eingezwängt in Landschaften, die ihrerseits so einsam sind wie sie selbst: Das Wendland im Norden, die Elbauen im Osten, die Lüneburger Heide im Westen und die Colbitz-Letzlinger Heide im Süden. Allein schon die Tatsache, daß die Altmark von lauter Truppenübungsplätzen eingerahmt ist, scheint unser Bild von dieser einsamen Region zu bestätigen.

Was eine Motorradtour durch die Altmark dennoch interessant macht, ist nicht nur die weitgehende Abwesenheit dichteren Verkehrs. Ihr Reiz liegt vor allem in der Möglichkeit, eine überschaubare Zahl historischer, nett hergerichteter kleiner Hansestädte in einem Tages-Rundkurs abzufahren.

Flanieren mit dem Motorrad

Wer nur hierher kommt, um die Drosselklappen aufzumachen, wird nicht viel von einer Motorradtour durch die Altmark haben. Die angemessene Gangart für diese Region ist das Flanieren: die gemessene, gemütliche Fortbewegung entlang einer Strecke, wobei man durch die Gegend schaut, die Zeit genießt und sich einfach treiben läßt. Dabei wollen wir auf Spurensuche gehen und entdecken, was – erstaunlicherweise – diese Gegend an Interessantem aufzuweisen hat.

Tourenplanung  und Streckenführung

Unser Rundkurs läßt sich aus allen Himmelsrichtungen ansteuern: aus Hamburg im Norden, aus Berlin im Osten, aus Leipzig/Magdeburg im Süden oder aus Hannover im Westen. Damit kann man Grunde an jedem unserer Zwischenziele in die Strecke einsteigen.

Die .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.

Für die Zeitplanung empfehle ich, sich zunächst am Startpunkt ein nettes Quartier zu suchen. Dann nimmt man sich einen Tag für die Strecke, übernachtet danach noch mal am Ausgangsort und geht am dritten Tag wieder auf Heimatkurs. Also ein perfektes Motorradwochenende Freitag-Samstag-Sonntag.

Hansestadt Havelberg

Motorradtour durch die Altmark: Dom von Havelberg mit Motorrad

Blick auf den Dom von Havelberg

Mein Ausgangspunkt ist die historische Domstadt Havelberg. Genau genommen gehört die Stadt nicht zur Altmark, sondern zur Prignitz. Aber sie ist von Berlin aus bequem in knapp zwei Stunden zu erreichen. So bleibt mir am Nachmittag noch genug Zeit, vom Domberg aus den Blick über das weite Land zu genießen, mich etwas in der Altstadt umzutun und den Tag mit einem gepflegten Entspannungsbier ausklingen zu lassen.

Hansestadt Werben

Gierseilfähre über die Elbe bei Werben mit einem Motorrad Yamaha FJR 1300

Gierseilfähre über die Elbe bei Werben

Da ich meinen Hang zur christlichen Seefahrt auch auf dem Motorrad nicht bezähmen kann, rolle ich ein paar Kilometer nordwestlich von Havelberg auf die beschauliche Gierseilfähre. Diese bringt mich dann, zusammen mit zwei Radfahrern, geräuschlos an das Westufer der Elbe.

Was dort folgt, firmiert zwar unter dem stolzen Namen L 2, ist aber in Wirklichkeit eine 5 km lange Holperstrecke aus eiszeitlichen Buckelsteinen. Also ist Schleichfahrt angesagt. Dabei fällt der Blick ungehindert über die weiten Felder auf den Dom der Hansestadt Werben. Dort gönne ich meinem malträtierten Rücken erst mal etwas Ruhe und stelle meine Maschine auf den Ständer.

Stadtansicht der Hansestadt Werben an der Elbe

Touristischer Rahmen der Stadtansicht von Werben

Die gotische Pfarrkirche St. Johannis erscheint für den 1000-Seelen-Ort völlig überdimensioniert. Aber das geht auf den Johanniterorden zurück, der im Mittelalter hier eine Kommende hatte.

Dort erläutert mir ein sehr freundlicher älterer Herr  beim einem Rundgangdurch das Kirchenschiff Geschichte und Besonderheiten dieses Baus, die ich wohl aus keiner erreichbaren Publikation hätte herausziehen können. Bevor ich mich wieder verabschiede, hallt das metallische Klappern meiner Münzen im schmiedeeisernen Opferstock im weiten Kirchenschiff wider. Dann drücke ich wieder auf den Anlasserknopf und mache mich auf den Weg Richtung Seehausen.

Hansestadt Seehausen

Weiter geht es auf einer mit mageren Obstbäumen bestandenen Allee. Ich rolle munter westwärts, bis ein Findling am Straßenrand meine Aufmerksamkeit erregt:

Findling mit der Aufschrift Strasse der jungen Sozialisten 1960

Straße der jungen Sozialisten

Dazu geht mir mancher Kommentar im Kopf herum, als ich auf der geraden Landstraße weiterrolle. Schließlich zeigen sich schon von weitem die Doppeltürme der Kirche St. Petri in Seehausen. Norddeutsche Backsteingotik aus dem frühen 13. Jahrhundert.

Auch hier lege ich einen kurzen Stopp ein und sehe mich ein wenig im Kircheninneren um. Weit und breit scheine ich hier das einzige menschliche Wesen zu sein. Die einst schmucke kleine Hansestadt hat auch heute noch so viele Einwohner wie kurz nach dem Krieg.

Der Spinner von Arendsee

Die nächsten 20 km führen mich auf der B 190 geradewegs durch Wälder und Grünland. Ich nenne diese Strecken immer „KbV-Straße“ – „Keine besonderen Vorkommnisse“. Dennoch ist es bereichernd, auch solche abgelegenen Landesteile einmal aus eigener „Erfahrung“ vom Motorrad aus zu erleben.

Am Ortseingang von Arendsee mache ich am Friedhof Halt und treffe an einem Behälter mit dahinwelkenden Trauergebinden auf eine Friedhofsgärtnerin. Als ich sie um Auskunft bitte, nimmt die eindrucksvoll tätowierte junge Frau noch einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und führt mich zu meinem Ziel – dem Grab von Gustav Nagel.

Grab des Wanderpredigers Gustav Nagel in Arendsee

hir rut in got gustaf nagel

Mit diesem Namen kann heute wohl kaum noch jemand was anfangen: ein Sonderling, Naturmensch, Wanderprediger, bekennender Polygamist und Schreibreformer. Im frühen 20. Jahrhundert kämpfte er für die Rechtschreibreform „Schreiben nach Gehör“. Alles klein geschrieben und so, wie es am Trommelfell ankommt.

Ganz so, wie es unsere Kulturbehörden 100 Jahre später durchdrücken wollten. Früher wurde man für ein solches Ansinnen in die Irrenanstalt gesperrt (in Uchtspringe, gleich nebenan). Wer Kinder oder Enkel in der Grundschule hat, wird mit mir den Kopf schütteln. So steht denn auf seinem Grabkreuz geschrieben: hir rut in got gustaf nagel.

Durch das schmucke Städtchen (mit gustaf nagel statuen in der fusgengerzone) fahre ich bis zum Alten Kloster, stelle meine Maschine dort ab und begebe mich mit meinem Reiseproviant hinunter an den Arendsee.

Picknickbank am Ufer des Arendsees

Rast am Arendsee

Im Gegensatz zu den eiszeitlichen märkischen Seen ist dieser nicht durch die Schubkraft der Gletscher entstanden, sondern durch einen riesigen Salzstockeinbruch nach dem Dreißigjährigen Krieg.

Einsam gleitet mein Blick über das Wasser. Mein einziger Gesprächspartner ist ein angeleinter krummbeiniger Mops, der mich mit seinen schwarzen Glubschaugen etwas blöde anglotzt. Sein Herr scheint hingegen nicht mit mir kommunizieren zu wollen. Da schraube ich lieber meine Thermosflasche wieder zu und mache mich auf den Weg nach Salzwedel.

Hansestadt Salzwedel

Zunächst drehe ich noch eine halbe Runde um den Arendsee und betrachte vom Nordufer aus die Silhouette des Städtchens („Die Perle der Altmark“ – so die Tourismuswerbung). Auf der L 260 durchfahre ich dann den allernördlichsten Zipfel der Altmark und damit auch Sachsen-Anhalts, bis ich nach 30 km die alte Hansestadt Salzwedel erreiche.

Kopfsteinpflaster, mächtige Stadttore, schmucke Fachwerkhäuser und Backsteingotik prägen auch hier das Stadtbild. Verständlich, daß die Straße der Romanik und die Deutsche Fachwerkstraße Salzwedel nicht auslassen. Ein hübscher historischer Ort, den man sich auf einer Motorradtour durch die Altmark nicht entgehen lassen sollte.

Dann steuere ich meinem nächsten Zielort an: „Auf allen Wegen – ab nach Gardelegen“ – so die Tourismuswerbung.

Hansestadt Gardelegen

Die historischen Stadtbilder der Altmark sind einander sehr ähnlich. Vieles an Backsteingotik und Fachwerkbauten kommt einem von Ort zu Ort vertraut vor. Gardelegen macht dabei keine Ausnahme. Damit schließt sich das Bild, das wir von der Altmark auf unserer Tour bekommen wollen. Ich schaue noch kurz in die Marienkirche hinein und erkenne, daß der Wohlstand der Hanse auch hier seine baulichen Zeugnisse hinterlassen hat.

Hansestadt Stendal

Durch die tiefste Altmark und das Städtchen Bismark führt mich die L 27 / L 15 in einer knappen dreiviertel Stunde nach Stendal, wo ich mir ein wenig mehr Zeit nehmen möchte. Nach einer kleinen Runde durch die Altstadt (Kopfsteinpflaster, Fachwerkhäuser, Backsteingotik) fahre ich am Museum vor. Es ist Johann Joachim Winckelmann gewidmet, dem Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und Kunstgeschichte und geistigen Begründer des Klassizismus im deutschsprachigen Raum.

Motorrad vor dem Winckelmann-Museum in Stendal

Vor dem Winckelmann-Museum in Stendal

Nach aufwendiger Restaurierung ist das Museum vielfältiger geworden, als ich erwartet hatte. Deshalb spare ich mir einen Besuch für eine spätere Tour auf. Der aus Grenoble stammende Schriftsteller Henri Beyle war von Winckelmann in solchem Maße beeindruckt, daß er sich das Pseudonym „Stendhal“ zulegte, unter dem er auch literarisch bekannt geworden ist.

Tangermünde

Von Stendal aus ist es nur ein Katzensprung nach Tangermünde an der Elbe. Das sehr hübsch hergerichtete Städtchen ist immer einen Kurzaufenthalt wert. Zunächst zieht es mich aber in die Tangermünder Kaffeerösterei, wo ich mir eine Kanne äthiopischen Hochlandkaffee brühen lasse, mit einem Stück leckeren Kuchen dazu.

Orgelprospekt in der Stadtpfarrkirche von Tangermünde

Orgelprospekt in der Stadtpfarrkirche von Tangermünde

Dann zieht mich die Neugier in die Stadtkirche nebenan, wo gerade der Organist zu üben begonnen hat. So komme ich auch noch in den Genuß eines höchst privaten Konzerts.

Schönhausen

Patronatskirche in Schönhausen Elbe

Patronatskirche in Schönhausen (Elbe)

Nun folgt meine letzte Etappe meiner Motorradtour durch die Altmark, die mich ans andere Elbufer und wieder zurück führt. Zunächst ein kurzer Stop in Schönhausen, dem Stammsitz der Familie Bismarck. Erstaunlich, aus welcher Einsamkeit der „Eiserne Kanzler“ stammte. Gut, wenn man so einen Eindruck in die eigenen geographischen und historischen Vorstellungen einordnen kann.

An und über die Elbe zurück

Auf der gut ausgebauten B 107 mache ich dann schön Zeit gut und bin schon wenig später am Fähranleger hinüber nach Arneburg.

Motorradtour durch die Altmark: Elbfaehre bei Arneburg

Gierseilfähre über die Elbe bei Arneburg

Beschaulich bringt mich die Gierseilfähre über die glitzernde Elbe. Diese Art Fähren nutzt allein die kinetische Energie des strömenden Wassers, um von einem zum anderen Ufer zu kommen. Eine aus Holland stammende Technik, bei der die Fähre an einem im Flussbett verankertem Seil befestigt ist. Der Fährmann stellt die Halteseile so, dass die Strömung des Flusses die Fähre hinüber ans andere Ufer drückt. Ganz ohne Diesel oder elektrischen Strom.

Parallel zur Elbe fahre ich dann durch schüttere Obstbaumalleen auf einen Gewerbepark zu. Hier hätte bis Ende der 80er Jahre das Kernkraftwerk Stendal entstehen sollen, eine der größten Anlagen in Deutschland. Das „Aus“ kam nach der Wiedervereinigung. Reste des Vorhabens sind noch zu erkennen.

Bei Sandau überquere ich ein letztes Mal die Elbe. Auch hier mit einer Gierseilfähre, die geräuschlos auf das Westufer zugleitet. Immer auf den mächtigen Backsteinturm der Kirche von Sandau zu.

Motorradtour durch die Altmark: Elbfähre bei Sandau

Elbfähre bei Sandau

Dort begrüßt mich freundlich die Küsterin und öffnet mir den Zugang zum Turm. Von der Turmstube aus genieße ich den weiten Rundumblick über die Region, die ich auf meiner Motorradtour durch die Altmark heute durchfahren habe.

Motorradtour durch die Altmark: Panoramablick vom Kirchturm in Sandau aus

Blick über die Altmark vom Kirchturm in Sandau aus

Meinen Ausgangspunkt Havelberg erreiche ich schon nach wenigen Minuten. Nach diesem an fahrerisch, landschaftlich und historisch reichhaltigen Programm gönne ich mir am Ufer der Havel noch ein abendliches Entspannungsbier und lasse die Eindrücke des Tages an meinem inneren Auge vorüberziehen. Auch wenn es keiner so erwartet hätte, aber diese Tour war eine echte Bereicherung.

Aktualisiert am 11/05/2022 von Christian

Comments (2):

  1. Rolf Weyrich

    19. Februar 2023 at 17:37

    Toll geschrieben über eine schöne Tour, vielen Dank – Rolf

    Antworten
    • Christian

      19. Februar 2023 at 22:17

      Ich freue mich, daß Dir mein Tourenbericht über eine weitgehend unbekannte und unterschätzte Region unseres Landes gefallen hat. Vielen Dank für Deinen Kommentar und viele Grüße, Christian

      Antworten

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