Eine Motorradtour im Biosphärenreservat Mittlere Elbe verbindet Fahrspaß mit Erlebnisreichtum. Wegweiser in eine unbekannte Region
Geschätzte Lesedauer: 8 Minuten
Motorradtour im Biosphärenreservat Mittlere Elbe
Im Bekanntenkreis eilt mir der Ruf voraus, mit dem Motorrad gerne jene Gegenden zu durchstreifen, die viele andere eher uninteressant finden. Keine Berge, keine Kurven, keine Bikertreffs – einfach uncool. Und dazu noch eine längere Anfahrt?
Damit machen es sich die lieben Freunde vielleicht allzu einfach, und zwar aus zweierlei Gründen: Erstens scheint manchen die nötige Neugier zu fehlen, einmal etwas ganz anderes zu erleben – die Vision, wie eine Motorradtour gestrickt sein soll und was sich an Erlebnissen und Überraschungen aus ihr herausholen läßt. Zweitens stecken sie vielleicht nicht genügend Aufwand in die Vorbereitung, um die Tour in groben Zügen schon vorzuerleben, noch ehe sich die Kurbelwelle einmal um ihre Achse gedreht hat. Das ändert schon mal die Perspektive.
Entsprechend überrascht fielen die Reaktionen auf meine Ankündigung aus, einen rollenden Tag in Sachsen-Anhalt zu verbringen. Im „Land der Frühaufsteher“, wie früher die Eigenwerbung verkündete. Für viele das klassische Durchgangsland, das man auf der kerzengeraden Autobahn schnellstmöglich hinter sich läßt.
Meine Routenkonstruktion war im Grunde simpel: eine Motorradtour durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe zwischen Magdeburg und Wittenberg. Historisch gesehen vom Grab Kaiser Ottos des Großen im Magdeburger Dom bis an die Türe der Schloßkirche von Wittenberg, an die Martin Luther seine 95 Thesen anschlug. Und dazwischen viele einsame und landschaftlich reizvolle Streckenkilometer an der Elbe entlang, unberührte Natur und beschauliche Flußüberquerungen, bei denen sich das Landschaftsschutzgebiet noch intensiver genießen läßt. Das Ganze gespickt mit etlichen Sehenswürdigkeiten.
Magdeburger Dom
Meine Motorradtour durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe beginnt mit 150 flotten Autobahnkilometern von der Spree an den zweitgrößten deutschen Strom. Gut zur Vorwärmung der Maschine, aber doch nicht so weit, daß die Anfahrt langweilig würde. Also gerade richtig. Nachdem ich mein kärgliches Gepäck in meiner Magdeburger Herberge abgeworfen habe, bleibt mir genug Zeit für eine erneute Stadterkundung – nach 30 Jahren zum ersten Male wieder.
Gemessen daran, daß wohl keine andere deutsche Stadt im Laufe ihrer langen Geschichte so arg gebeutelt wurde wie Magdeburg, hat sie sich sehr ordentlich herausgemacht. Keine strahlende Schönheit, aber recht aufgeräumt und dort, wo sich die Möglichkeit bietet, liebevoll begrünt. Bei strahlendem Spätsommer-Sonnenschein ist es mir ein Genuß, durch die Anlagen elbaufwärts zu schlendern, renovierte Altbauten zu meiner Rechten und den kurzzipfligen Doppelturm des gotischen Doms immer vor Augen.
Für den Kunsthistoriker ist der Magdeburger Dom ein architektonisches Dorado. Was mich aber in erster Linie hierher führt ist ein Besuch am Grabe Kaiser Ottos des Großen (912 – 973). Er hat Magdeburg gegründet und das umliegende Land den Slawen und der Natur abgerungen. Sein Reiterstandbild vor dem Rathaus (Original im Museum) ist das erste dieser Art, das seit der Antike geschaffen wurde. Sein Grab aus gelbem Sandstein beeindruckt durch seine wuchtige Schlichtheit. Seit an Seit liegt er dort mit seiner angelsächsischen Gemahlin Editha.
Am Domplatz beginnt meine Tour durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe. Schnell noch neben den sprudelnden Fontänen einen doppio espresso eingesogen, um dann einen großen Nordost-Bogen um die Stadt zu schlagen.
Wasserstraßenkreuz Magdeburg
Aus früherem Erdkundeunterricht waberte mir noch der Begriff Wasserstraßenkreuz Magdeburg im Hinterkopf – die Querung der Elbe durch den Mittellandkanal mit Hilfe einer ingenieurtechnisch aufwendigen Trogbrücke. Mit 918 m ist sie die längste Kanalbrücke Europas. Ein ungewohnter Anblick, hier Schiffe quer über einen Fluß fahren zu sehen.
Gleich daneben liegt eines der vier in Deutschland noch bestehenden Schiffshebewerke, das Schiffe mit einem 85 m langen und 12 m breiten Trog über 16 m in die Höhe hievt. Ergänzt wird es durch die daneben liegende Großschleuse Rothensee, die wesentlich größere Schiffe aufnehmen kann.

Wasserstraßenkreuz Magdeburg mit Schiffshebewerk (vorn) und Trogbrücke über den Mittellandkanal (hinten)
Die drei Ingenieurbauwerke erreiche ich bequem über die A 2 / Ausfahrt 71. Auf dem Parkplatz am Kanal überlasse ich dann meine Maschine sich selbst und nehme mir ein wenig Zeit, um in aller Gemütsruhe auf der Brücke und am Schiffshebewerk umherzuschlendern. Vom hohen (kostenlos zugänglichen) Aussichtsturm an der Schleuse Rothensee lasse ich meinen Blick über Elbe, Mittellandkanal, Brücke, Schleuse und Schiffshebewerk schweifen. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht mich dann, als ich unter der Trogbrücke Halt mache, den Motor abstelle und über mir die Schiffe hinwegbrummen höre. Diesen Eindruck sollte man sich keinesfalls entgehen lassen.
Eisenbahnbrücke und Elbfähre bei Barby
Hinter Gommern öffnet sich mir die weite Aue des Biosphärenreservats Mittlere Elbe. Eine offene Parklandschaft mit bemerkenswerten Einzelbäumen und dichten Buschgruppen, kleinen Dörfern mit merkwürdig klingenden Namen, vor allem aber mit Mini-Straßen, deren Bezeichnung mit einem K oder L beginnt. Hier sind wir unter uns, meine Maschine und ich. Allenfalls queren vereinzelte Radtouristen unseren Weg. Auf den abgeernteten Feldern sammeln sich Kraniche, die mir mit langen Hälsen verwundert nachschauen.
Mein Blick richtet sich auf den grünen Horizont, durch das Visier strömt der pure Duft einer unverfälschten Landschaft. Vor mir ragt, schon von weitem erkennbar, die „Dicke Marie“ auf, der massige quadratische Turm der Marienkirche von Barby.
Um dorthin zu gelangen, muß ich erst einmal die Elbe überqueren. Mit der Fähre, versteht sich. Unendlich gelassen treibt die Gierseilfähre auf meine Uferböschung zu. Als sich ihre Zufahrtsschranke gehoben hat, weist mich der junge Fährmeister ganz vorne in die Pole Position ein. Ich zähle ihm 2 Euro in die Hand, ein fairer Preis für ganz viel Entschleunigung. In 7 Minuten drückt uns allein die Kraft des Stromes ans westliche Elbufer.
Merke: Fährverkehr gibt es meist dort, wo sich der Bau einer Brücke nicht lohnt. Wo keine Brücke, da wenig Leute. Wo wenig Leute, da wenig Verkehr → gutes Tourenrevier.
In Barby steuere ich auf eine ehemalige Fischersiedlung hinter dem Deich zu. Von der Deichkrone aus betrachte ich die markante Eisenbahnbrücke, die mit 6 Halbparabelträgern auf 757 m die Elbe überspannt. Gebaut wurde sie in den 1870er Jahren als Teil der Kanonenbahn von Berlin nach Metz in Lothringen, der Hauptnachschublinie für die Kriegführung im Westen.
Ende 2004 wurde die Eisenbahnstrecke über die Brücke stillgelegt und die Gleise abgebaut. Die Leute, mit denen ich dort rede, beklagen sich bitter über den unbedachten Umgang mit „ihrer“ denkmalgeschützten Brücke.
Saalefähre Groß Rosenburg
Für die Weiterfahrt lohnt es sich nicht, die Ohrenstöpsel wieder einzusetzen. Einmal um die Ecke, und nach 10 km stehe ich am Ufer der traulich dahinfließenden Saale bei Groß Rosenburg.
Bevor ich – wieder für schlappe 2 Euro – über den Fluß setze, genehmige ich mir ein kleines Picknick auf der Uferböschung, von der aus ich den geruhsamen Pendelverkehr der Saalefähre beobachten kann. Hier, im Biosphärenreservat Mittlere Elbe, bin ich wirklich in eine andere, sehr liebenswerte Welt eingetaucht.
Schloß Oranienbaum
Auf den nächsten 42 km von Groß Rosenburg nach Oranienbaum bleibt es mir als Motorradfahrer leider versagt, direkt an der Elbe entlangzufahren. Um dieses Erlebnis beneide ich die Radfahrer ein wenig, die immer wieder meinen Weg kreuzen. Also bleibe ich brav auf der L 63 und gönne mir im Eiscafé am Markt in Aken ein gutes hausgemachtes Eis. Soviel Trost muß sein, zumal mir auf meiner Route die Ortsdurchfahrt durch Dessau nicht erspart bleibt.
Da ich das dortige Bauhaus schon auf meiner letzten Tour erkundet habe, erspare ich mir diesmal einen kleinen Umweg und überquere stattdessen gleich auf der Friedensbrücke die Mulde. Nach flotter Geradeausfahrt stehe ich dann gute 10 Minuten später vor dem Schloß Oranienbaum. In einer ganz anderen Welt.
„Ein kleines Stück Holland“, so bewerben es die Tourismusleute. In der Tat, denn Schloß, Park und das Städtchen bilden ein einzigartiges Architekturensemble holländischer Prägung. Eine holländische Prinzessin aus dem Hause Oranien-Nassau richtete im 17. Jahrhundert alles so ein, wie sie es aus ihrer Heimat gewöhnt war. Vielleicht aus Heimweh in der weiten anhaltischen Ebene?
In einer knappen halben Stunde führt mich die Land- und Kreisstraße durch die Elbauen und dann über die Elbe nach Wittenberg.
Schloßkirche Wittenberg
Die 95 Thesen an die Türe der Schloßkirche zu nageln war ein geschickter Zug von Martin Luther – öffentlichkeitswirksam und für uns Heutige gut erreichbar gleich neben der B 2. Zwar nicht ganz verkehrsgerecht, dafür aber umso fotogener ruht meine Maschine direkt vor der ereignisgeladenen Kirchentüre auf dem Seitenständer.
Dort bleibt sie auch seelenruhig stehen, während ich mir die Kirche von innen ansehe. Vor allem das Grab Luthers direkt unter der Kanzel und das Grabmal seines Landesherrn Friedrichs des Weisen. Damit wäre der zweite Pol meiner Motorradtour durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe erreicht, die sich wie eine geknickte Acht über den Strom legt. Von hier aus geht es zurück Richtung Magdeburg.
Zwischen Wittenberg und Roßlau schlängelt sich die Elbe durch die flache grüne Niederung. Meine Strecke folgt aber nicht dem Flußlauf (neidvoller Seitenblick auf die Radfahrer), sondern berührt wie eine Tangente einen Flußbogen nach dem anderen. Aber das bietet Ausblick genug auf eine ruhige Wasserlandschaft.
Schiffswerft Roßlau
Am Rande von Roßlau liegt die traditionelle Schiffswerft, die vor dem Krieg die größte Binnenschiffswerft Europas war. Unter Regie der Gebr. Sachsenberg wurde hier die erstaunliche Anzahl von 2.835 Schiffen gebaut, davon zahlreiche für den Export in ferne Weltgegenden.
Eine Spezialität der Werft war es, Schiffe in Segmenten zu fertigen und am Bestimmungsort wieder zusammenbauen zu lassen. So war es auch im Fall des Urwaldschiffes, das im Werner-Herzog-Film Fitzcarraldo die Hauptrolle spielt.
Nach der Wende wurde das Traditionsunternehmen abgewickelt. Heute fertigt es, nach Neuausrichtung, Zulieferteile für den Schiffbau und schwere Stahlkonstruktionen.
An der Elbe entlang bis Aken
Hinter Roßlau biege ich dann auf eine ländlich-sittliche K-Straße ein ein, die mich nahezu verkehrslos zunächst bis nach Brambach führt. Allerdings wird beim herrlichen Panorama vom Elbe-Hochufer aus (mit Gartenlokal) meine Erwartung enttäuscht, hier über den Fluß setzen zu können. Das Bötchen nimmt nur Radler und Fußgänger auf. Dennoch freue ich mich über die Entdeckung dieses Plätzchens. Also aufsitzen und weiter.
Schon 8 km weiter stehe ich dann am Fähranleger gegenüber von Aken. Sonnenschein, gelöste Stimmung in der Warteschlange, schöne Landschaft. Die anderen freuen sich, bald zu Hause zu sein; ich aber freue mich, daß meine Tour noch nicht zu Ende ist.
Aller guten Dinge sind drei. Dies ist heute meine dritte Fähre, die mich geruhsam ans andere Ufer bringt. Ich glaube, auf einer Motorradtour ist das heute mein nautischer Rekord.
Über die Saale zurück nach Magdeburg
20 km weiter stehe ich dann in Calbe mitten auf der roten Bogenbrücke über die Saale. Hinter einer Landmaschine, die offensichtlich nicht weiterkommt. Macht aber nichts. Motor abschalten, Stadtbesichtigung aus dem Sattel. Als dann die ersten Wegweiser nach Magdeburg auftauchen, wird mir fast ein bißchen trübsinnig zumute. Hinter Schönebeck beginnen schon die Industrieviertel von Magdeburg. Abschließend passiere ich die Überreste des einstigen Schwermaschinenbaukombinats „Ernst Thälmann“. Kurz darauf schließt sich in der Altstadt nach 266 km meine erlebnisreiche Motorradtour durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe.
Fazit
Eine Motorradtour durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe verbindet Fahrerlebnis, Naturerlebnis und Entdeckungen am Rande der Strecke auf sehr entspannende Weise. Für viele, die noch keine konkrete Vorstellung von dieser mitteldeutschen Region haben, wird die Tour eine schöne Überraschung sein.
Streckenverlauf
Streckenlänge: 266 km
Fahrtdauer: 1 Tag + ggf. Hin- und Rückreise
Die Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Informationen
Biosphärenreservat Mittlere Elbe: hier und hier
Touristische Hinweise: hier
Landkarten
ADAC Regionalkarte Blatt 5 Hamburg Hannover Magdeburg 1:150.000
ADAC Regionalkarte Blatt 6 Berlin und Umgebung Müritz bis Spreewald 1:150.000
Aktualisiert am 08/05/2022 von Christian
Thomas
2. Oktober 2021 at 13:27
Hallo Christian,
eine tolle Tour, die werde ich gleich mal probieren 😀.
Falls man östlich der Elbe von Schönebeck nach Magdeburg fährt über Plötzky, Elbenau, Calenberge, Pechau, hat man auch noch ein paar Kurven zum Abschluss (Calimoto-Rating 34). Allerdings habe Radfahrer da auch einen Vorteil: Der Radwanderweg führt and alten Elbarmen entlang durch urwaldähnliches Gebiet mit allen möglichen Wasservögeln und mit etwas Glück sieht man sogar Biber.
Viele Grüße,
Thomas.
Christian
3. Oktober 2021 at 11:15
Hallo Thomas,
schön, daß Dir meine Tour gefallen hat. Hoffentlich hast Du ebenso viel Spaß dabei wie ich. Vielen Dank auch die die ergänzenden Streckenvorschläge, die ich gerne in eine meiner nächsten Touren einbauen werde. Ich habe in dieser Gegend noch einiges vor.
Viele Grüße und gute Fahrt
Christian
Axel
4. Oktober 2021 at 17:59
Lieber Christian, herzlichen Dank für die liebevolle Beschreibung meiner Heimatstadt und der umgebenden Sehenswürdigkeiten. Gen Westen bietet die Börde Eindrücke des Standes der „Zuckerbarone“, Schloß Hundisburg könnte auch Christine interessieren, bei Völpke liegt der Rest eines Braunkohletagebaues und in Hamersleben beeindruckt mich ein Kloster (?), dessen Gemeindepfarrer liebevoll Leben dort aufrecht erhält. Und: Kurven, siehe Thomas, hat es dort auch. Mit herzlichem Gruß – Axel
Christian
6. Oktober 2021 at 16:15
Lieber Axel, es sieht ganz so aus, als müßte ich mir auf die Hinweise von Dir und Thomas hin eine weitere Tour um Magdeburg herum stricken. Dazu warte ich auf drei zusammenhängende Schönwettertage im Herbst/Winter. Herzliche Grüße und gute Fahrt, Christian