Eine Motorradtour an der früheren Optischen Telegraphenlinie führt auf lauschigen Nebenstraßen durch unbekannte Landschaften zu Zeugnissen der Technikgeschichte.
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten
Preußische Optische Telegraphenlinie
Eigentlich hatte ich mir im Berliner Kommunikationsmuseum nur die Enigma-Maschine anschauen wollen, jenen legendären deutschen Verschlüsselungsapparat aus dem Zweiten Weltkrieg, über den sich alliierte Kryptologen jahrelang die Köpfe zerbrachen. Auf dem Weg zu diesem Exponat stieß ich auf das Modell eines Signalturms mit Winkarmen, der mir irgendwie bekannt vorkam – ein optischer Telegraph. Den Informationstafeln zufolge betrieb die preußische Regierung Anfang des 19. Jahrhunderts eine Linie solcher optischer Telegraphen von Berlin nach Köln und weiter nach Koblenz. Die Nachrichtenübermittlung erfolgte durch insgesamt 62 Stationen auf einer Strecke von 550 km.
Meine Neugier war geweckt: Die Telegraphenlinie führte quer durchs Land – die Signalmasten standen auf Bergen und Hügeln (mit zugehörigem Panorama) – daraus müßte sich eigentlich eine nette Motorradtour stricken lassen, die Motorradfahren, landschaftliches Erlebnis und Technikgeschichte miteinander verbindet. Ich sollte nicht enttäuscht werden, denn durch meine Motorradtour an der früheren Preußischen Optischen Telegraphenlinie lernte ich das Land aus einer ganz neuen Perspektive kennen. Und hatte dabei riesigen Spaß am Fahren.
Winke Winke
Ganz so neu war diese Erkundungsfahrt für mich allerdings nicht, denn ich kannte solche Telegraphenlinien schon aus Frankreich. Dort gab es – mit Paris im Zentrum – ein solches Telegraphennetz schon zu Zeiten der Revolution.
Die Südost-Route der französischen Telegraphenlinie zwischen Burgund und Savoyen bin ich schon früher einmal mit dem Motorrad abgefahren – ein erhebender Tourengenuß zwischen Weinbergen und Alpengipfeln. Eine Inspiration, so eine technikgeschichtliche Entdeckungstour in heimischen Gefilden nachzufahren.
Das Übermittlungssystem war in Frankreich wie in Preußen das gleiche: In regelmäßigen Abständen wurden Signalmasten auf kleinen Wohntürmen errichtet und von zwei Telegraphisten bedient. Diese leiteten einkommende Nachrichten durch festgelegtes Alphabet der Signalarme an die Nachbarstation weiter. Damit nicht jeder so einfach mitlesen konnte, sondern nur der autorisierte Empfänger, waren sie verschlüsselt.
Nach dem gleichen Prinzip funktionierte auch die Nachrichtenübermittlung im alten Preußen – mit einem eigenen Buchstaben- und Codesystem und Signalmasten, die auf Anhöhen oder Kirchtürmen in Abständen von jeweils 1 ½ bis 2 preußische Meilen (ca. 10 km) postiert waren.
Wer einmal eine Tour ganz anderer Art fahren möchte, sollte die folgende Telegraphenstrecke von Berlin nach Magdeburg (oder einen beliebigen Teil zwischen Berlin und Koblenz) einmal unter die Räder nehmen:
Start in Berlin
Station 1: Berlin, Alte Sternwarte
Lage: 52°31’8.1″N 13°23’29.3″E
Die ersten beiden Etappen führen unweigerlich durch den Großstadtdschungel: Ausgangspunkt der Optischen Telegraphenlinie war die frühere Sternwarte in Berlin, dort, wo sich jetzt der rückwärtige Eingang der Staatsbibliothek befindet (Dorotheenstraße 34).Station 2: Berlin-Dahlem, St. Annen-Kirche
Lage: 52°27’31.2“N 13°17’11.2″E

Preußische Zweckmäßigkeit: Auf dem Kirchturm der St. Annenkirche in Berlin-Dahlem befand sich die Optische Telegraphenstation Nr. 2 │ © A.Savin, WikiCommons
Der Mast war auf dem Turm der St. Annen-Kirche in Dahlem montiert, die damals vor den Toren der Stadt lag. Nach Aufgabe der Station 1842 wurde der Signalturm mit einer Blechhaube abgedeckt.
Von Berlin nach Potsdam
Station 3: Berlin, Schäferberg
Lage: 52°25’03.1″N 13°07’40.1″E
Die Strecke vom Südwesten Berlins am Wannsee vorbei über die Glienicker Brücke und die Havel nach Potsdam ist eine klassische Ausflüglerstrecke, reizvoll und am besten frühmorgens zu befahren. An der Bushaltestelle „Schäferberg“ werfe ich kurz Anker und wir spurten ein paar Treppen hoch. Dort, wo jetzt der moderner Fernmeldeturm steht, befand sich früher Station 3 der Optischen Telegraphenlinie.
Station 4: Potsdam, Telegraphenberg
Lage: 52°22‘50.6″N 13°03‘ 49″E
Wer Potsdam noch nicht kennt, kann bei den unvermeidlichen Ampelstopps die neu erstandenen Sehenswürdigkeiten der Stadt vom Sattel aus in Augenschein nehmen – den Landtag im Schloß, das Museum Barberini (nach römischem Vorbild) und den Turm der Garnisonskirche. Dann geht’s abermals über die Havel und hinauf auf den Telegraphenberg. Der Name ist Programm. Hier stand einst die Telegraphenstation 4.
Dort ist der Wissenschaftspark „Albert Einstein“ mit einer Reihe von Instituten angesiedelt. Wer den Weg hierher findet, kommt meist wegen des architektonisch extravaganten Einsteinturms. Auf einer Bank davor breiten wir unser Picknick aus und beratschlagen die weitere Route.
Von Potsdam nach Brandenburg (Havel)
Von der schwindelnden Höhe des Telegraphenberges (94 m) bis an die Havel bei Brandenburg verläuft der fahrerisch und landschaftlich anregendste Teil unserer Strecke: in sanften Schwüngen am Ufer des Schwielowsees entlang, bei Caputh mit einer kleinen Fähre über die Seenkette und dann hinauf auf die Havelberge mit ihren Obstplantagen.
Station 5: Glindow, Fuchsberg
Lage: 52°22’00″N 12°53’8″E
Auf dem Fuchsberg oberhalb von Glindow (70 m) stand früher die Telegraphenstation 5. Würde ich noch rauchen, hätte ich mir hier angesichts des biedermeierhaften Panoramas über Flußlandschaft und Obstgärten sicher genüßlich eine Zigarre in Brand gesetzt. Als Neo-Nichtraucher muß ich mich jedoch ersatzweise mit einem Kaffee aus der Thermosflasche begnügen.
Bitte beachten: In den Obstplantagen gibt es diverse Fahrverbote. Mit einiger Suche kann man dennoch ziemlich legal zum „Gipfel“ gelangen.
Station 6: Schenkenberg
Lage: 52°23’30.5″N 12°42’36.8″E
Entlang dem „Panoramaweg Werderobst“ erreichen wir auf abgelegenen Sträßchen und idyllischen Alleen das Örtchen Schenkenberg – Station Nr. 6 auf 56 m Höhe. In der Ortsmitte hat die Gemeinde einen Mini-Park mit einer Signalattrappe hergerichtet. Alles sehr geruhsam und denkwürdig.
Station 7: Brandenburg (Havel), Marienberg
Lage: 52°24’55″N 12°32’52.6″E
Hinter dem Ortsausgang geht es dann wieder bergab und durch den Talgrund bis Brandenburg (Havel). Auf dem Marienberg (66 m), einem ehemaligen Bundesgartenschau-Gelände, grüßt von weinbewachsener Höhe eine weitere Signalatrappe zum Andenken an die frühere Station Nr. 7. Der Aufstieg lohnt sich, schon allein des herrlichen Rundblicks über das Havelland wegen.
Von Brandenburg (Havel) nach Magdeburg
Station 8: Kirchmöser, Mühlenberg
Lage: 52°22’05.4″N 12°25’07.8″E
Von Brandenburg aus führt die Magdeburger Heerstraße, über die schon im 15. Jahrhundert die Burggrafen von Nürnberg als Herrscher in die Mark eingezogen waren, nach Kirchmöser. Kurz vor der Straßenbrücke über die Bahngeleise führt links ein (befahrbarer) Feldweg bergan. Nach 600 m steht man dann auf dem 60 m hohen Mühlenberg und kann von dort den herrlichen Ausblick über den Großen Wusterwitzer See und den Möserschen See genießen. Auf einem Aussichtsturm ist der Nachbau des Telegraphenmastes Nr. 8 montiert. Der Blick zur vorherigen Station Nr. 7 auf dem Brandenburger Marienberg verschafft einen Eindruck, wie genau die Telegraphisten die Signale über eine Distanz von 10 km beobachten mußten.
Station 9: Zitz, Steinberg
Lage: 52°19’36.7″N 12°18’25.9″E
Nach dem Abstieg machen wir einen kleinen Schlenker nach Südwesten und nutzen die Gelegenheit, unter einer mächtigen Eiche im (öffentlich zugänglichen) Park des Herrenhauses Rogäsen eine kleine Pause einzulegen.
Von der Station Nr. 9 ein paar Kilometer weiter auf der Kuppe des Steinberges (61 m) ist nichts mehr zu sehen außer einer Hinweistafel. Was immerhin im Gedächtnis bleibt, ist die topographische Einordnung. Deshalb weiter im Zickzack über Land nach Dretzel. Kaum zu glauben, daß es ein solches Netz von country lanes in unserem Land gibt. Bei der Navigation nicht irremachen lassen. Im Zweifel immer dem weißen Radweg-Wegweiser folgen.
Station 10: Dretzel, Weinberg
Lage: 52°17’57.0″N 12°07’05.0″E
Von der Straße der Freundschaft im Ort folgen wir der Beschilderung und biegen südwärts auf eine Teerstraße ab, die später in einen Betonplattenweg übergeht. An der Kreuzung mit einem Waldweg biegen dann wir rechts ab und stehen nach 75 m an Station 10. Hier auf dem Weinberg (61 m) hat man, etwas abseits vom originalen Standort, zum Gedenken an die Station einen ummauerten Mastsockel nebst einer Picknickhütte errichtet. Trinkpause.
Station 11: Ziegelsdorf, Telegraphenberg
Lage: 52°16’11″N 11°58’30″E

Der Nachbau des Mastes der früheren Optischen Telegraphenstation 11 in Ziegelsdorf ragt in den regnerischen Himmel.
Durch Alleen und finsteren Tann geht es auf der K 1003 / L 52 nach Ziegelsdorf, wo ein rühriger Verschönerungsverein die Kopie eines Signalmastes errichtet hat. Samt einer netten Picknickhütte.
Station 12: Schermen, Kapaunenberg
Lage: 52°13’07.7″N 11°49’51.7″E

Nur noch Schilder auf dem Kapaunenberg bei Schermen als Hinweis auf die ehemalige Optische Telegraphenstation Nr. 12
Über Burg folgen wir der L 52 / K 1213 nach Schermen, queren die A 2 und fahren auf der K 1214 bergan. Auf der rechten Straßenseite weist ein Schild „Domblick“ in den Wald. Nach 200 m stehen wir auf dem Kapaunenberg mit einer Schutzhütte und einem Schild daneben „Station Nr. 12 Schermen Kapaunenberg“.
Station 13: Biederitz, Telegraphenberg
Lage: 52°09’50.5″N 11°43’08.0″E

Eine karge Informationstafel neben dem ehemaligen Standort der Optischen Telegraphenstation Nr. 13 in Biederitz
Die weitere Fahrt durch das Magdeburger Vorland ist ebenso unspektakulär wie der Telegraphenberg in Biederitz. Er ist jetzt von Häusern überbaut, aber immerhin mit einem Hinweisschild auf die frühere Station versehen.
Station 14: Magdeburg, Johanniskirche
Lage: 52°07’50.5″N 11°38’30.3″E

Schlußetappe der Telegraphentour: die Johanniskirche in Magdeburg │© Chris06, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons
Von Biederitz ist es nur ein Katzensprung stadteinwärts nach Magdeburg zur Johanniskirche. Auf deren Turm mit weitem Panoramablick über das Elbland war einst die Station Nr. 14 installiert.
Hier endet unsere Motorradtour an der früheren preußischen Optischen Telegraphenlinie. Mit einem monströsen Eis in der Hand schlendern wir dann noch ein wenig in den Anlagen am Elbufer entlang in die untergehende Sonne – welch eine wohltuende Entschleunigung zum Abschluß eines prallvollen Tourentages.
Fazit
So bizarr das Konzept einer Motorradtour an der früheren Optischen Telegraphenlinie auch klingen mag: Sie führt auf lauschigen Nebenstraßen durch unbekannte Landschaften zu Zeugnissen der Technikgeschichte, von denen aus man das digitale Zeitalter ganz neu in den Blick nimmt.
Streckenplan
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest du hier.
Landkarten
ADAC Regionalkarte Blatt 6 Berlin und Umgebung, 1.150.000
ADAC Regionalkarte Blatt 5 Hamburg Hannover Magdeburg, 1.150.000
Zur Vertiefung
Optischer Telegraph in Preußen: Berlin – Koblenz 1832–1852
https://www.optischertelegraph4.de/stationen/index.html
Aktualisiert am 03/08/2023 von Christian
Andreas
3. August 2023 at 15:26
Sehr interessanter Reisebericht. Jetzt kann ich mit diesen technischen Gebilden auch etwas anfangen. Danke
Christian
3. August 2023 at 20:59
Gern geschehen! Auch ich habe dabei etliches dazugelernt.
Viele Grüße und gute Fahrt,
Christian