Motorrad Reiseblog mit Touren, Tipps & Tricks

Wie memoriere ich eine Motorradstrecke?

Das Memorieren einer Motorradstrecke für Tour und Training verbessert die Fahrtechnik und nutzt auch im täglichen Leben. Wie mache ich das? 

Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Motorradfahren ist Kopfsache

Daß der Allerwerteste beim Motorradfahren eine zentrale Rolle für Fahrgefühl und Fahrtechnik spielt, ist allseits bekannt. Was der Kopf dazu leisten kann, nehmen wir hingegen meist nur als kognitive Prozesse wahr: Erfassung und Auswertung von äußeren Vorgängen, Handlungsanweisungen für die motorische Umsetzung, Konzentration beim Fahren.

Darüberhinaus wird uns vieles, was der Kopf beim Motorradfahren sonst noch leistet, erst in zweiter Linie bewußt. Welchen nützlichen Beitrag leistet er dabei? Wie können wir unser Denkvermögen beim Motorradfahren mobilisieren?

Meine Antwort darauf heißt Mnemosyne: die „schöngelockte“ griechische Göttin, Mutter der 9 Musen und Walterin über Erinnerung und Vergessen.

Mnemosyme, die Göttin der Erinnerung │ © „Dante Gabriel Rossetti“ by irinaraquel is marked with CC PDM 1.0

Ihre Gabe habe ich schätzen gelernt, als ich in endlos langweiligen Krankenhausnächten trainierte, Motorradstrecken zu memorieren. Kilometer für Kilometer fuhr ich dabei meine Lieblingsstrecken nach. Gefahrenes und Erlebtes reihten sich aneinander: Schneisen und Chausseen, Bremsstrecken, Kuppen und Kurven, Brücken, Kreuzungen und Kneipen am Straßenrand. Mal fuhr ich die Strecken schnell, mal langsam, dann wieder in umgekehrter Richtung. Oder ich wendete auf halbem Wege und kehrte zum Ausgangspunkt zurück. So entstand in meinem Kopfkino Stück für Stück ein Film meiner Touren, den ich anschließend mit den Ansichten von Google Earth vervollständigte.

Wie memoriere ich eine Motorradstrecke für Tour und Training?

Als ich später wieder im Sattel saß, merkte ich, wie sehr dieses Kopfkino-Training meinen Fahrstil verbessern half. Da ich gedanklich jeden Streckenmeter gespeichert hatte (danke, schönlockige Mnemosyne!), konnte ich voraussehen, wie es jenseits der nächsten Kurve weitergehen würde. Dann kam alles viel sauberer als vorher: Brems- und Einlenkmanöver, Folgen der Ideallinie und Herausbeschleunigen aus der Kurve. Ich bekam so viel Freude an diesem Gedankenspiel, daß ich beschloß, meine Übungen zu systematisieren und mir eine eigene Strategie für mein „Lernen“ einer Motorradstrecke zu erarbeiten. Wie habe ich das gemacht?

Wenn du dir den Verlauf seiner Haus-/Lieblings-/Trainingsstrecke einprägen willst, kann ich dir aus meiner Erfahrung folgende Tipps mit auf den Weg geben:

1. Lerne von den Profis

Ohne minutiöse Streckenkenntnis würde es wohl keinem Rennfahrer gelingen, das letzte Hundertstel aus einer Runde herauszuholen. Da geht es nicht nur um Streckenverlauf und Idealline. Wechselnde Pistenbeläge, Unebenheiten oder Überhöhungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Position der Brems- und Einlenkpunkte. Das ist, wie gesagt, eher etwas für Profis und Piste. Wer mehr darüber erfahren will, wird z. B. bei dem kanadischen Renntrainer Ross Bentley fündig:

ross bentley speed secrets

Bentley, Ross: Speed Secrets : Professional Race Driving Techniques. Osceola: Motorbooks, 1998. -ISBN 978-0-760-30518-8. S. 1-160

2. Lerne von der Feuerwehr

Wenn es schnell gehen muß, bleibt keine Zeit, um erst lange auf dem Navi herumzutippen. Da hilft nur die Aneignung detaillierter Ortskenntnis, wie sie z. B. Feuerwehrleute im Einsatz brauchen.

motorradstrecke memorieren: feuerwehr des san francisco fire department

Ein Schwätzchen mit den Feuerwehrleuten in der Station gegenüber der Schule kann sehr informativ sein.

Sie stricken sich ein topographisches Erinnerungsmuster vom Großen zum Kleinen, ungefähr so:

  • Hauptstraßen
  • Größere Zufahrtsstraßen
  • Wichtige Adressen (mit üblicher Bezeichnung, z. B. Kongreßzentrum)
  • Wohnviertel und ihr Straßennetz
  • Kleinere Straßen

Dies alles wird durch ein tägliches Trainingsprogramm eingeübt, abgefahren und zu Fuß abgelaufen. Gut für die Feuerwehr und die Betroffenen, aber nur begrenzt tauglich für uns Motorradfahrer. Trotzdem interessant.

3. Kopiere die Lerntricks der großen Musiker

Wenn du eine Strecke nicht nur auswendig lernen, sondern mitsamt ihrer Fahrtechnik verinnerlichen willst, kommst du um einen weiteren Schritt nicht herum. Dann mußt du jeden Kilometer, jede Kuppe und jede Kurve so intus haben, daß du die Topographie deiner Strecke automatisch in Motorik umsetzt.

Erstaunlicherweise gibt es zwischen dem Motorradtraining und dem musikalischen Üben wichtige Parallelen. Vor allem wenn es um die Technik geht, mit der Musiker ihre Partitur in Fingerbewegungen und musikalischen Ausdruck umsetzen. Da können wir uns etliches abschauen.

berliner philharmoniker

Durch lebenslanges Üben in die Musik hineinwachsen │ © Gramophone. The World’s Best Classical Music Revues 

Wenn durch den Prozeß des Memorierens das Scannen des Streckenverlaufs oder des Notenblatts wegfällt, geht alles andere aus dem Bauch heraus. Läuft dieser Automatismus erst einmal, dann kannst du dich völlig darauf fokussieren, wie du fährst und wie deine Straßenmelodie sich fortspinnt.

So wie es für den Musiker immer schwieriger wird, auswendig zu spielen, je atonaler die Musik wird und je schwerer es ist, Zusammenhänge zu empfinden, so wird es auch für den Motorradfahrer schwieriger, je komplexer z. B. die Strecken- und Verkehrssituation wird.

Für Motorradfahren ohne Karte und auch für Musizieren ohne Partitur ist entscheidend, wie stark das visuelle Gedächtnis trainiert ist bzw. ob es andere Strategien des Auswendiglernens ausgebildet hat. Große Musiker haben eingehend beschrieben, wie sie schwierige Musikstücke memorieren, so z. B. der Weltklassegeiger Itzhak Perlman oder der Pianist Vladimir HorowitzAndere Größen der Musik haben dagegen konsequent vom Blatt gespielt, z. B. der russische Cellist Mstislaw Rostropowitsch. Verinnerlicht hatte er seine Partitur aber genauso wie seine auswendig spielenden Kollegen. Zusammengefaßt ist ihr Trick folgender:

3.1. Beginne in kleinen Schritten

Nimm Dir nicht vor, dass gesamte Werk (die gesamte Strecke) auf einmal ins Gedächtnis einzuspeichern. Stattdessen starte mit Abschnitten von nur drei, vier Takten (Etappen). Arbeite dich auf diese Weise durch die gesamte Komposition (Strecke) durch. Nur ein paar Takte (Etappen) auf einmal!

3.2. Übe ohne dein Instrument (ohne dein Motorrad)

Setze dich einfach entspannt hin und lasse das Stück (die Strecke) vor deinem geistigen Auge ablaufen. Stelle Dir die Position der Finger (deine Fahraktionen) vor und wie das dazugehörige Noten-/Kartenbild aussieht. Je stärker Du ein geistiges Bild der Musik (Strecke) abrufen kannst, desto tiefer wird deine Erinnerung an das Stück (die Strecke) verankert sein.

3.3. Höre die Musik (empfinde die Strecke) schon innerlich

bevor du zu üben (zu trainieren) beginnst.

3.4. Wechsle beim Üben (Trainieren) das Tempo

Spiele (fahre) innerlich nicht einfach so schnell, wie du es später praktizieren willst. Versuche, mal deutlich schneller oder deutlich langsamer zu spielen (zu fahren). Wenn du das machst, lernst du die Musik (die Strecke) nicht einfach auswendig, sondern du setzt du dich aktiv mit ihr auseinander und verinnerlichst sie. Dadurch, daß du sehr viel langsamer spielst (fährst), fällt es deinem Gehirn sehr viel leichter, die Melodie (die Strecke) mit der Abfolge der Finger (deiner Fahrhandlungen) zu speichern.

4. Betreibe Streckenkunde

Mit gutem Grund gibt es bei der Aus- und Fortbildung von Busfahrern und Lokomotivführern das Fach Streckenkunde: das systematische Vertrautmachen mit Verlauf und Besonderheiten der Strecken, auf denen sie eingesetzt werden sollen. Schließlich kann der Busfahrer im Berufsverkehr nicht erst lange auf dem Navi rumdaddeln, um seine nächste Haltestelle zu finden. Er muß tiefer einsteigen.

Wenn wir eine Motorradstrecke memorieren und dadurch verinnerlichen, wollen wir damit allerdings etwas anderes – aber mit doppeltem Gewinn: Erstens können wir die Strecke unbeschwert genießen, ohne dabei durch suchende Blicke auf Karte, Navi oder Verkehrsschilder abgelenkt zu werden. Dadurch können wir uns – zweitens – darauf konzentrieren, unsere Fahrtechnik auf einer uns gut bekannten Strecke zu verbessern; das Ganze mit dem Bonus, daß wir besser gegen böse Überraschungen gefeit sind.

In der Fahrpraxis merken wir aber schon bald, daß „eine Strecke lernen“ weit mehr bedeutet als die Wegweisung im Kopf zu speichern, so wie das Navi es auf dem Chip tut. Das zeigt sich spätestens, wenn wir die Strecke als einen dynamischen Ablauf erleben, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Als etwas Lebendiges, mit dem wir interagieren.

Dies würde nahelegen, auf unserer Maschine eine ActionCam zu installieren, unsere Lieblingsstrecke zu ruhiger Stunde aufzuzeichnen und sie beliebig oft nachzuerleben, bis sie „sitzt“. Das kann man so machen, das ist auch nicht schlecht, aber – wie zu sehen sein wird – reicht es für unsere Zwecke nicht ganz. Wir müssen unsere Motorradstrecke tiefer ins Gedächtnis einprägen.

5. Wie kannst du deine Motorradstrecke memorieren?

Um eine gute Motorradstrecke einzustudieren und sie zu verinnerlichen, möchte ich Euch folgende Tipps mit auf den Weg geben:

  • Plane eine Teststrecke mit deinem gewohnten Instrumentarium. Ganz egal mit welchem Programm oder welcher Landkarte. Beginne am besten mit einer überschaubaren, nicht zu langen und nicht zu komplizierten Strecke. Achte darauf, sie auffällige Merkpunkte enthält (s. u.).
  • Schaue dir deine Teststrecke in Satellitenansicht auf Google Earth an. Deine Tour erscheint jetzt vor dir, so wie du sie im Geiste und später auch real fahren wirst. Zoome die Ansicht groß heraus, stelle sie in Schräglage und sieh dir an, was du aus der Realität schon kennst. Schließe die Augen und stelle dir vor, du sitzt im Sattel und fährst einen bestimmten Abschnitt, z. B. mit Wechselkurven, passierst auf einer Geraden einen Waldrand oder eine Brücke über einen Fluß. Dann öffne die Augen und vergleiche deine Erinnerung mit dem Satellitenbild. Jetzt bist du schon in der Strecke „drin“.
  • Stelle eine Liste der hauptsächlichen Wegepunkte zusammen (Ortschaften, große Kreuzungen) und lerne sie auswendig. Und zwar in beiden Richtungen, vorwärts und rückwärts.
  • Fülle die Liste mit wichtigen Merkpunkten auf, z. B. Kirchtürme, Großtankstellen, große Kreisverkehre. Sortiere diese Merkpunkte gedanklich in deine Liste der hauptsächlichen Wegepunkte ein.
  • Vermeide Überfluß: Merke dir nichts, was du nicht unbedingt zur Orientierung brauchst. Das schafft nur Verwirrung und erschwert das Auswendiglernen.
  • Repetiere deine Liste in logischer Abfolge: Wo starte ich? Was kommt dann? Was kommt als nächstes? Was kommt danach? … Wo ist mein Ziel?
  • Erzähle dir (oder einem fiktiven Ortsunkundigen) den Streckenverlauf, etwa nach folgendem Muster:

Von meiner Garage fahre ich aus der Stadt hinaus auf der langen Geraden bis A-Dorf. Am großen Kreisverkehr biege ich ab Richtung 11 Uhr. Immer am Waldrand entlang, bis zur scharfen Rechtskurve. Dann geradeaus auf einer Schlaglochstrecke bis zur Brücke über Fluß. Danach drei Wechselkurven. Nach Shell-Tankstelle vor Ortseingang B-Stadt abbremsen. 50 m hinter Ortsschild fester Blitzer. u. s. w., u. s. w.

  • Erzähle dir die Strecke zuerst mit Blick auf Google Earth. Wenn das funktioniert, erzähle sie dir frei.
  • Schließe die Augen beim Erzählen und stelle dir vor, wie du die Strecke fährst. Mit allen Beschleunigungs- und Bremsmanövern. Empfinde Drücken und Schräglage nach.

Fazit

Eine Motorradstrecke memorieren bedeutet erhebliche Kopfarbeit, die sich aber in mehrfacher Weise auszahlt: Du hast die Strecke „im Griff“ und kannst dich darauf konzentrieren, aktiv und bewußt deinen Fahrstil zu verbessern. Du hast dir einen Automatismus antrainiert und dadurch den Kopf frei, um den Fahrgenuß zu steigern. Und im täglichen Leben, besonders bei der Arbeit, kann es sowieso nie schaden, mit einem trainierten Gedächtnis zu punkten. Probier’s ruhig mal. Die Göttin des Erinnerns wird sanft ihre Hand auf deine Schulter legen.

Aktualisiert am 12/10/2021 von Christian

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