Das Motorradrevier Mitteldeutschland ist für viele ein weißer Fleck auf der Landkarte. Schade, denn auf ruhigen Straßen gibt es hier viel zu entdecken.
Motorradfahren in Mitteldeutschland?
Die sicherste Methode, andere mit seinen Tourenplanungen zu verblüffen, ist ein Bekenntnis zum Motorradrevier Mitteldeutschland. Klar, denn das Flachland zwischen Leipzig, Harz, Elbe und Thüringen wird von Touristen meist weiträumig umfahren. Schließlich leidet das „Land der Frühaufsteher“ (Eigenwerbung Sachsen-Anhalt) noch immer unter einem gewissen Negativ-Image: großflächige landwirtschaftliche Prärie, vermeintlich öde Motorradstrecken, Industrielandschaft oder Industriebrache bis hin zum früheren „Mendelejew-See“, in dem alle Elemente des Periodensystems versammelt waren. Gibt es wirklich etwas zu entdecken zwischen den Autobahnen A 14, A 4, A 9 und A 71?
Als bekennenden Anti-Touristen zieht es mich gern in solche Gegenden, weil es dort unter Garantie vieles gibt, was sich andere entgehen lassen. Damit war mein Projekt „Motorradrevier Mitteldeutschland“ geboren. Allerdings ermutigt die Statistik nur wenig zu einem solchen Unternehmen, denn Sachsen-Anhalt hat mit 42 Maschinen pro 1.000 Einwohner die geringste Motorraddichte aller deutschen Flächenländer und ist damit nicht gerade eine Motorrad-Hochburg. Die Region gilt vielmehr als Biotop der Simson Schwalbe und knatternder MZ, die wacker die mitteldeutsche Motorradtradition hoch halten. Mit dem Moped fährt man halt zur Arbeit.
Auf den umgebenden Autobahnen ist man schnell weg von hier. Aber auch schnell dort. Zumal, wenn die Streckenplanung erkennen läßt, daß hier anscheinend doch was los ist. Was macht eine Tour durch das Motorradrevier Mitteldeutschland zur Überraschung?
Streckenführung
Dessau – Köthen – Halle – Merseburg – Bad Lauchstädt – Querfurt – Memleben – Nebra – Weinstraße Saale-Unstrut – Halle – Wettin – Bernburg – Aken – Dessau. 338 km
Die .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Durch das Flachland

Eine architektonische Stilikone in Mitteldeutschland: das Bauhaus in Dessau
Unsere Tour startet gleich neben der Autobahn A 9 in Dessau. Bauhaus heißt für uns die Parole. Nicht daß wir gleich eine Besichtigungstour absolvieren wollten. Aber einmal diese Ikone der deutschen Architektur zu umrunden, das sollte schon sein, wenn man mal hier ist. Auch wenn die Cafeteria im Tiefgeschoß eher den Eindruck einer russischen Werkskantine vermittelt.
An der Stadtgrenze passieren wir an der B 184 ein großes freies Feld, den ehemaligen Standort der Junkers-Flugzeugwerke. Kaum vorstellbar, daß hier während des Krieges an die 27.000 Flugzeuge gebaut wurden. Außer dem Flugzeugmuseum kündet aber heute nichts mehr davon. Dann öffnet sich die Landschaft, weites Grün umgibt uns auf schnurgerader Bundesstraße, bis uns ein Hinweisschild auf Schloß und Park Mosigkau Anker werfen läßt.

Rokkoko in Mitteldeutschland: Schloß Mosigkau
Wir haben zwar noch nicht allzu viel Strecke absolviert, aber einen kleinen Rundgang um eines der letzten noch ganz erhaltenen Rokokoensembles in Mitteldeutschland wollen wir nicht versäumen. Sein Park gehört zum UNESCO-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz. Von hier an wird der Streckenverlauf noch ländlicher und grüner. Selbst der stete Blick geradeaus auf den Horizont trübt nicht das angenehme Fahrerlebnis.
Köthen hatten wir als Musik-Stop eingeplant – wegen Johann Sebastian Bach, der hier 6 Jahre als Hofkapellmeister tätig war. Als einzige Besucher sehen wir uns an seiner Wirkungsstätte im Schloß um.
Von hier aus biegen wir nach Süden ab und erreichen „über die Dörfer“ die kreisfreie Großstadt Halle. Der Anblick der gigantischen Plattenbau-Siedlung im benachbarten Halle-Neustadt schwindet rasch bei einem Rundgang durch die gut erhaltene und restaurierte Altstadt. Als eine der ganz wenigen Großstädte blieb sie im Krieg unterstört. Damit auch das Geburtshaus von Georg Friedrich Händel, das wir ebenfalls als einsame Besucher erkunden. Was wir als bleibende Erinnerung mitnehmen, ist das bürgerlich-angenehme Flair der Stadt, das wir nicht erwartet hatten.

Geburtshaus von Georg Friedrich Händel in Halle
Auf unserem Weg nach Süden versteckt sich die Saaleaue leider hinter Industriekomplexen mit bekannten Namen: Ammendorf (Waggonbau), Schkopau („Plaste und Elaste“) und Leuna (Raffinerien). Auch das gehört zu unserer Entdeckungstour durch Mitteldeutschland und man sollte schon mal einen Blick drauf geworfen haben.
Wenn man schon mal hier in der Gegend ist, darf auch ein Besuch in Schloß und Domstift Merseburg nicht fehlen. In diesem imposanten Bau interessieren uns besonders zwei Ausstellungsstücke: die abgeschlagene Schwurhand des unglückseligen Gegenkönigs Rudolf von Schwaben samt seiner Grabplatte im Hochchor und dann im schummrig erleuchteten Kellergewölbe die Merseburger Zaubersprüche aus dem 9. Jahrhundert.

Saalepanorama in Merseburg vom Domberg aus
Angetan sind wir vom herrlichen Panorama, das sich vom Domberg aus auf die idyllisch dahinfließende Saale bietet. Die Bergbaufolgelandschaften westlich von Merseburg lassen wir bald hinter uns. In Bad Lauchstädt halten wir kurz, um einen Blick auf das Mini-Hoftheater zu werfen, dessen Bau Goethe mit 9.000 Talern mitfinanziert hatte.

Hoftheater im Mini-Kurort Bad Lauchstädt
Dann weiter immer geradeaus durch die einsame mitteldeutsche Prärie. Dort überrascht uns „in the middle of nüscht“ in Querfurt eine massive Burganlage mit hohen Mauern und fetten Wehrtürmen. Kein Wunder, daß diese Bauten mit schöner Regelmäßigkeit als Kulisse für Spielfilme dienen.
Romantik in einsamen Flusstälern
Um faszinierende Motorradstrecken in Mitteldeutschland zu finden, muß man weit ins Land hineinfahren. Das zeigt sich spätestens, als wir auf Nebra zusteuern, den Fundort der 4.000 Jahre alten Himmelsscheibe.
Vorsicht: Der Fundort selbst befindet sich nicht am Ausstellungspavillon auf dem Berg, sondern mehr als 2 km weiter auf dem Nachbarberg. Es gibt aber einen Shuttle-Bus dorthin. Trotzdem sollte man zum Pavillon hochfahren. Er hält nicht nur einen Parkplatz bereit, sondern auch eine Terrassen-Cafeteria mit faszinierendem Ausblick über die bergige Landschaft.
Durch hügeliges Land kurven wir auf und ab zur Unstrut – ein unscheinbares Flüßchen von bemerkenswertem landschaftlichen und fahrerischem Reiz. Wer die Gegend noch nicht kennt: Die Weinstraße Saale-Unstrut braucht einen Vergleich mit der französischen Dordogne nicht zu scheuen. Eine herrliche Motorradstrecke zwischen Fluß und Rebhängen. Auf schmalen Nebenstraßen gondeln wir an Fluß und Buschreihen entlang, durchqueren malerische Dörfer und fühlen uns weit ab vom städtischen Getriebe. Dorthin, nach Halle, kehren wir aber für eine Übernachtung zurück, um am nächsten Tag unsere Romantik-Tour entlang der Saale fortzusetzen.

Romantisches Saaleufer unterhalb der Burg Giebichenstein in Halle
Erstes Ziel ist Wettin, ein kleiner Ort an der Saale, überragt von einer massiven Burg, einst Stammsitz des sächsischen Fürstengeschlechts. Dieses landschaftliche Highlight sollte man sich keinesfalls entgehen lassen, vor allem nicht die lautlos gleitende Überfahrt über die Saale mit der Seilfähre.

Flußüberfahren auf der Tour sind immer ein besonderes Erlebnis, vor allem in landschaftlich reizvoller Umgebung.
Die verkehrsarme Fahrt durch die freie Landschaft am Fluß entlang ist ein Genuß. In Könnern machen wir kurz Halt, um einen Blick auf die Schiffswerft Fischer zu werfen, die einzige Schiffswerft an der Saale.

Die einzige Schiffswerft an der Saale bei Könnern
Respekt, was hier abseits des großen Getriebes alles gebaut wird. Wenige Kilometer weiter zeigt die Saalelandschaft noch einmal, wie imposant sie sein kann: Vor uns erhebt sich am anderen Saaleufer das ausladende Renaissanceschloß Bernburg, das gerade aufwändig restauriert wird. Bernburg selbst ist ein hübsches ehemaliges Residenzstädtchen mit allem, was einst dazugehörte: Schloß, Park, Theater, Art déco-Kino und gepflegte Bürgerhäuser.

Renaissanceschloß Bernburg hoch über der Saale
Kurz darauf erreichen wir Calbe, wo sich „unsere“ Saale in die Elbe verabschiedet. Parallel zum Fluß geht es weiter ostwärts Richtung Autobahn A 9. Zeit genug, um sich im netten Elbstädtchen Aken neben dem Renaissance-Rathaus noch einen gepflegten Kaffee zu gönnen. Dann schließt sich in Dessau unsere Runde durch unser neu entdecktes Motorradrevier Mitteldeutschland.
Fazit
Gerade in einer Zeit, in der viele – oft notgedrungen – Ausschau nach unbekannten Touren- und Urlaubszielen im eigenen Land halten, kann Mitteldeutschland als Geheimtipp gelten. Wer sich nicht von den geläufigen Vorstellungen einer Industrieregion abschrecken läßt, findet jenseits der Ballungszentren und abseits der großen Straßen gute Gelegenheit zu geruhsamem Cruisen mit interessanten Zwischenzielen – und natürlich herrliche Flußlandschaften, die einen Vergleich mit ausländischen Regionen nicht zu scheuen brauchen.
Aktualisiert am 11/05/2022 von Christian