Motorradreisen nach Corona kann durchaus anders aussehen als gewohnt. Das muß kein Nachteil sein. Wo liegen Chancen und Grenzen?
Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder haben sich am 5. Januar 2021 darauf geeinigt, im Zuge der Eindämmung der Corona-Pandemie eine Einschränkung des Bewegungsradius‘ der Bürger auf 15 km möglich zu machen. Eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland gibt es nicht, da die Umsetzung Ländersache ist. Auch wenn das Wetter derzeit nicht zu einer Motorradtour verlockt, steht diese Möglichkeit dennoch weiter im Raum.
Wer wie wir das Motorradfahren zu seinem Hobby gemacht hat, wird von diesen Maßnahmen schwerpunktmäßig betroffen sein. Unser möglicher Aktionsradius vom 15 km läßt sich mit diesem Entfernungsrechner darstellen. Mitte Mai vergangenen Jahres habe ich eine Prognose gewagt, wie das Reisen mit dem Motorrad künftig aussehen wird. Wegen der unverminderten Aktualität des Themas stelle ich den Originalbeitrag nochmals ein – in der Hoffnung, daß sich als Folge der Impfaktion die Lage bald entspannen wird. Und verbunden mit dem Wunsch, daß ihr diese Situation unbeschadet übersteht.
Neue Empfindungen nach Corona
„Anlaßlos“: Die Corona-Krise hat einen neuen Begriff in die Welt gesetzt. Abseits des allgemeinen Sprachgebrauchs bislang nur Behördenjargon, hat er für uns Motorradfahrer in Teilen unseres Landes schmerzliche Bedeutung erhalten: „Anlaßloses Motorradfahren ist untersagt“.
„Phantomschmerz“: Genau diesen haben viele von uns in den vergangenen Wochen und Monaten während der Corona-Krise empfunden. Als „Obere Hälfte des Motorrads“, aber ohne Motorrad oder Aussicht auf eine Tour bei Hochdruck-Wetter und Niedrig-Benzinpreisen. Mit großer Erleichterung haben wir aufgenommen, daß die Beschränkungen wieder gelockert worden sind. Die Räder rollen wieder.
Was haben wir aus dieser Situation gelernt? Wird Motorradreisen nach Corona anders oder sogar attraktiver sein?

Ruhepause in der Corona-Krise
Der zeitweilige Verlust ist zu verschmerzen.
Motorradfahren ist im Kern reine Kopfsache. Fehlt es uns, dann antwortet unser Gehirn mit Phantomschmerz auf die Veränderungen. Aber freundlicherweise drückt unsere Steuerungszentrale derart unschöne Erinnerungen im Lauf der Zeit beiseite. Das hilft im Leben allgemein und nach erzwungenem Garagenaufenthalt allemal. Das Leben mit dem Motorrad geht weiter.
Die Normalität wird zurückkehren.
Vieles von dem, was wir auf dem Höhepunkt der Corona-Krise vermißt haben, wird auf Dauer zurückkehren: Sozialkontakte, Mobilität, Reisen. Vielleicht wird die Normalität eine andere sein. Nicht alles wird sich ändern, aber manches. Auch deshalb, weil wir die Veränderungen in der Krise erproben mußten und manche von ihnen zu schätzen gelernt haben.
Der Schock wird nachwirken.
Auch wenn wir ungeschoren durch die Corona-Krise gekommen sind und ihre unangenehmen Seiten verdrängt haben: Die Handelnden – Regierungen und Behörden – werden davon ausgehen, daß sich eine solche Lage wiederholt. Mit der Wissenschaft im Rücken hat die Politik gelernt, unpopuläre Beschränkungen durchzusetzen. Auch hier hat sie wieder einmal erkannt, wie sich aus öffentlich demonstrierter Handlungsfähigkeit strategisches Kapital schlagen läßt. Krisen sind Sternstunden der Exekutive.
Deshalb werden unter dem Aspekt der Sicherheit beherzte staatliche Eingriffe in die Lebensführung und auch in das Reiseverhalten der Bürger eher häufiger werden. Die Corona-Krise war ein Lehrstück dafür, wie das geht.
Als Folgewirkung werden wir damit leben müssen, daß es für Regierungen weit schwieriger sein wird, geltende Restriktionen zu lockern als sie zu verhängen. Dieses Dilemma bestimmt ihr Handeln – aber auch unser Leben als Bürger. Und unser Reiseverhalten.
Die Chance der Veränderung nutzen
Qualitative Fortschritte werden wir in der eigenen Lebensführung nur dann machen, wenn wir uns nicht stur am Althergebrachten festkrallen. Das gilt auch für das Reisen mit dem Motorrad.
Jetzt kommt es darauf an, bestimmte Kaufkriterien, Lebens- und Verhaltensmuster zu unserem Vorteil kreativ zu nutzen. Liegt das fahrerische Glück alleine darin, bei der Kaufentscheidung vorrangig auf den technischen Fortschritt der Motorradtechnik zu fokussieren? Liegt es unbedingt darin, Wege und Ziele in exotischer Ferne zu suchen statt diesseits des Horizonts?
Die Mobilität wird sich ändern.
Damit werden sich auch unsere Mobilitätsmuster verschieben. Inwieweit diese elektrisch oder fossil bestimmt sein werden, ist eine Frage der Physik, der Infrastruktur und der Kaufkraft. So schnell wird jedoch die erregende Mechanik eines Kolbenmotors kaum ihre Faszination für uns Motorradfahrer verlieren.
Bleiben wird auf jeden Fall die Sehnsucht nach der Strecke, der Weite, dem Erleben auf zwei Rädern.
Auch die Motorradreise wird nach Corona ihre Faszination behalten. Wenn aber Landesgrenzen und Unterkunftsmöglichkeiten geschlossen oder gar „anlaßlose Fahrten“ verboten sind, wird uns die Selbstverständlichkeit erst richtig bewußt, mit der wir bisher auf Strecke gegangen sind. Nichts kann mehr selbstverständlich sein wie vorher, keine Reise, kein Naturerlebnis, keine Begegnung mit Menschen unterwegs. Auf jeden Fall wissen wir jetzt genau, wie es sich anfühlt, Zurückhaltung üben zu müssen.
Gut möglich, daß auch das social distancing länger nachwirken wird als uns lieb ist. Krisen müssen nicht ausschließlich gesundheitlicher Natur sein. Die politische Lage ist in vielen Weltgegenden nicht unbedingt stabiler oder ungefährlicher geworden. Meine geplanten Motorradreisen rund um das Mittelmeer und auf der Seidenstraße sind dem zum Opfer gefallen. Deshalb habe ich in anderen Gegenden Ersatz gesucht und zu meiner vollen Befriedigung auch gefunden.
Wir sehen: Krisen zwingen uns, unsere Prioritäten zu überdenken und das Wesentliche vom Verzichtbaren zu unterscheiden. Und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Die Reisegewohnheiten werden sich ändern.
Auch mit dem Motorrad. Da Reisen in fast allen Gesellschaften zur Normalität gehört, werden die Leute baldmöglichst wieder auf Tour gehen wollen. Inwieweit sie sich dies auch leisten können, hängt im Wesentlichen von der Wirtschaftsentwicklung nach der Krise ab.
Für das Reisen nach der Coronakrise stellt sich die Tourismusindustrie auf wesentliche Änderungen der Reisegewohnheiten ein:
- Man bleibt eher im eigenen Land, wo es meist billiger und die Situation übersichtlicher und leichter zu bewerten ist.
- Die Pandemie wird bei der Auswahl der Tourenroute bzw. des Urlaubsziels eine wesentliche Rolle spielen.
- Fernreisen werden zurückgehen. Stattdessen Tendenz, an einem Ort zu bleiben oder einen Road Trip zu unternehmen.
- Die Reisedauer wird umso mehr zurückgehen, je stärker sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert.
Fazit
Auch wenn wir das Motorradreisen nach Corona auskosten können. Auch wenn Grenzen offen und Herbergsbetten frei sein werden: Wir haben einen tiefsitzenden Eindruck davon erhalten, daß all dies keine Selbstverständlichkeit ist, die wir als gottgegeben hinnehmen können. Wie schnell kann die Lage kippen. Die Gründe können nicht nur, aber auch gesundheitlicher Natur sein.
In dieser Lage, die unsere Freizügigkeit in ihrem Kern trifft, werden wir einen Staat im Entscheidungsdilemma erleben: Wie lassen sich bürgerliche Freiheiten mit effektiver Infektionsprävention verbinden? Solange diese Frage nicht konsensfähig beantwortet ist, können wir nur hoffen, von materiellen oder administrativen Beschränkungen verschont auch nach Corona unbeschwert mit dem Motorrad reisen zu können.
Aktualisiert am 17/08/2021 von Christian
Christoph
1. November 2020 at 23:30
Hallo Christian,
zunächst einmal möchte ich Dir sagen, daß ich von Deiner Webseite begeistert bin. Einiges kommt mir bekannt vor aufgrund eigener Erfahrungen und vieles ist interessant für eventuelle zukünftige Reisen.
Das Thema Pandemie hat mich was meine Reisen betrifft natürlich auch sehr hart getroffen. Dennoch habe ich es mir nicht nehmen lassesn eine im vergangenen September eine kleine Tour von Frankfurt -Timmelsjoch-Gardasee-stilfser Joch etc. zu fahren. Habe es nicht bereut und während der Fahrt in das ehemals am schwersten betroffene Gebiet (Lombardei) teilweise das Virus vergessen können. Nun zum Punkt: Ich stimme bei allen Deinen Punkten zu. Allerdings glaube ich nicht, dass sich das Reiseverhalten dahingehend ändern muss, dass man vorwiegend im eigenen Land bleibt. das Virus kennt keine Grenzen. Sicherlich wird es einige Menschen geben, die subjektiv im eigenen Land sicherer fühlen, aber ich glaube dass es zumindest in Europa nicht darauf ankommt in welchem Land man sich befindet, sondern wie man sich verhält.
Wenn man nicht mehr in das so verseuchte Spanien oder Italien reist und sich lieber auf einem deutschen Camping-Platz anstecken möchte, oder gar an der überfüllten Nordseeküste oder an bayrisxhen Seen, dann respektiere ich das natürlich 😉
Camping ist das Stichtwort:Obwohl ich normalerweise gerne in Pensionen oder AirBnB Unterkünften übernachte, hatte ich mir ernsthaft überlegt als Reaktion auf die Pandemie, teilweise im Zelt zu übernachten. Wildcampen ist in Europa jedoch grösstenteils untersagt oder nicht klar gesetzlich definiert (liegt oft im Ermessen der Beamten).
Obwohl ich kein Camping-Freund bin, könnte dies, insbesondere, wen man sich auch gerne mal fernab der Hauptrouten bewegt, eine Alternative werden. nicht so komfortabel aber bevor man gänzlich auf Reisen verzichten muss….
Generell werden wenig frequentierte Routen, zu weniger dichtbesiedelten Gebieten bestimmt auch eine Möglichkeit sein, um das Risiko sich mit CORONA zu infizieren stark zu verrringern…. Auf jeden Fall lohnt es sich immer weiter nach Möglichkeiten zu suchen.
GRüße aus Frankfurt
Christoph
Christian
2. November 2020 at 17:07
Lieber Christoph,
herzlichen Dank für die anerkennenden Worte, die Du für meine Beiträge gefunden hast. Ich glaube, gerade in dieser schwierigen Zeit ist es besonders wichtig, Gleichgesinnte, auch wenn man sie nicht persönlich kennt, mit eigenen Erfahrungen zu unterhalten, ihnen Anregungen zu geben und sich mit ihnen auszutauschen. Zum Thema Camping: Ich habe die gleichen Überlegungen angestellt. Aber irgendwie bin ich darüber hinaus. Was mir aber geblieben ist, ist ein Unimog mit Kofferaufbau, mit dem meine Touren dort beginnen, wo sie für andere enden. Aber das ist schon eine andere Liga, auch finanziell.
Gute Fahrt und viele Grüße aus Berlin
Christian
Christoph
1. November 2020 at 23:54
Hallo Christian,
hatte Deinen Artikel zum Motorradreisen 2020 zuvor nicht gelesen. Supertipps welche einen Teil meiner hier gemachten Kommentare hinfällig machen
Christian
2. November 2020 at 17:22
Lieber Christoph,
je mehr ich jetzt ins Graue fahre, desto intensiver kehren die Erinnerungen an schönere Tage zurück. Man soll dankbar dafür sein, daß man so etwas hat erleben können. Die Sonne wird schon wieder scheinen – fragt sich nur, wann.
Viele Grüße
Christian