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Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Motorradfahren in Moskau ist eine echte Herausforderung, aber auch ein echtes Erlebnis. Also hinaus zum altrussischen Landgut Abramzewo!

Streckenplan der Tour in die Provinz

Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Motorradfahren in Moskau und der Provinz ist eine echte Herausforderung. Martialischer Verkehr in der Zwölfmillionenstadt zwängt die Maschine zwischen endlose Autokolonnen. Oft genug nötigt er den Fahrer zu Parforceritten an der Grenze des Vernünftigen. Aber interessant ist es trotzdem …

Stadtpanorama von Moskau von den Sperlingsbergen aus mit einer rothaarigen Motorradfahrerin im Vordergrund

Stadtpanorama von Moskau von den Sperlingsbergen aus mit dem Luschniki-Stadion als Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 (über dem Helm im Mittelgrund)

Denn Motorradfahren in Moskau und der Provinz ist  schon innerhalb der Stadtgrenzen ein Erlebnis besonderer Art. Dort kommt man vorbei an prachtvollen Bahnhöfen und gigantischen Denkmälern, weitläufigen Parks und versteckten Schlössern.

Hat man aber erst einmal die Stadtgrenze hinter sich gelassen, kann man getrost dahinrollen und im Vorbeifahren das Landleben studieren. Richtig interessant wird es dann, wenn man abseits der Hauptstraße die versteckten Sehenswürdigkeiten des Landes ansteuert. Zum Beispiel das altrussische Landgut Abramzewo.

Zunächst fahren wir aber hinauf auf die Sperlingsberge, um bei diesem schönen Wetter den wunderbaren Ausblick über Fluß und Stadt zu genießen. Von hier aus hat man einen tollen Ausblick auf das Luschniki-Stadion, Austragungsort der wichtigsten Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft 2018.

Wer aber die Hauptstadt Richtung Provinz verlassen will, landet unvermeidlich auf einem der brodelnden Straßenringe. Für uns ist dies der Dritte Verkehrsring, eine 36 km lange Ringstraße um das Zentrum Moskaus.

Dritter Verkehrsring in Moskau mit zwei Richtungsfahrbahnen und schwachem Autoverkehr, Plattenbauten und festlichem Fahnenschmuck , gesehen beim Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Eine Seltenheit: Schwacher Verkehr auf dem Dritter Verkehrsring in Moskau

Verkehrsmoloch Moskau

Im dichten Verkehr muß man sich als Ausländer gewaltig umstellen. Denn es ist wie in Italien: Blick stur nach vorne. Nur was sich dort abspielt, zählt für das eigene Durchkommen. Was aber hinter einem abläuft, kann vollkommen egal sein. Das geht erstaunlich gut, sobald man einmal realisiert hat, daß alle anderen auch auf diese Weise unterwegs sind. Deshalb sollte man tunlichst seinen „deutschen“ Fahrstil vergessen. Sonst wird es brenzlig.

Klar, das geht nicht immer konfliktfrei ab. Dann kann der sprachlich Interessierte im Sommer, wenn die Autofenster heruntergekurbelt sind, den reichen Schatz an Grobheiten studieren, den die gefühlvolle russische Sprache für solche Gelegenheiten bereithält. Auch wenn am Anfang diese Umstellung schon etwas gruselig ist, gerade auf dem Motorrad: Aber es hilft enorm und man fährt – bei aller Vorsicht – erstaunlich problemlos.

Wie froh bin ich da um mein hardcore-Training in der Honda Motorcycle Riding School in Manila – bei Monsunregen.

Moscow City: Klein-Manhattan in Moskau

Moscow City im Aufbau, vom Ufer der Moskwa aus gesehen, beim  Motorradtfahren in Moskau und die Provinz

Zuerst bringt uns der 3. Ring zur neu erbauten Moskau City (Московский международный деловой центр «Москва-Сити»). Ein Ensemble moderner Büro-Hochhausbauten: groß, futuristisch, steril, vom Winde durchweht. Wie ein kapitalistischer Kontrapunkt zur Architektur des russischen Barock und des sozialistischen Realismus.

Botanischer Garten

Botanischer Garten in Moskau mit Seerosenteich und Palais Scheremetjew im Hintergrund

Palais Scheremetjew im Botanischen Garten von Moskau

Dann umrunden wir im dichten Verkehr die halbe Moskauer Innenstadt, bis wir auf den Prospekt Mira stoßen. Rechter Hand liegt der Botanische Garten. Mit einer Fläche von 130 Hektar und über 8.200 Pflanzenarten aus aller Welt eine der größten Anlagen dieser Art weltweit. Zahlreiche Pflanzen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Beute aus Deutschland hierher gebracht. Seine Besonderheit: Er wurde nach dem Muster einer Parkanlage russischer Adelssitze des 18. und 19. Jahrhunderts gestaltet. Das klassizistische Ensemble dieses Landguts gehörte früher der Grafenfamilie Scheremetjew, die mit der Zarenfamilie verwandt war.

Rigaer Bahnhof

Zwei Eisenbahnschaffner am Bahnsteig eines Bahnhofs in Moskau vor fahrbereitem Zug stehend

Zugschaffner am Bahnsteig vor weiter Reise

Am Rigaer Bahnhof schwenken wir dann durch den vielspurigen Verkehr nach Norden ein. Früher war er Ausgangspunkt für alle Züge ins Baltikum und nach Finnland. Aber nach der Sowjetzeit hat er seine ursprüngliche geographische und wirtschaftliche Bedeutung weitgehend verloren. Wie die anderen 8 Fernbahnhöfe in Moskau ist auch er eine Kathedrale des Reisens im neobrarocken russischen Stil. Blitzsauber, ordentlich und vor allem erstaunlich sicher.

Kosmonautendenkmal

Raketendenkmal am Kosmonautenmuseum in Moskau im Winter mit einer aus Eis gebauten Raumkapsel im Vordergrund

Raketendenkmal am Kosmonautenmuseum in Moskau im Winter

Ein paar Kilometer weiter ragt auf einem gleißenden Schweif aus poliertem Titan eine Rakete in den Himmel. „Den Eroberern des Weltalls“, 110 m hoch. Namensgeber des Denkmals ist K. E. Ziolkowski, Vordenker und Pionier der Raketentechnik und der modernen Raumfahrt. Dem Vorbeifahrenden signalisiert es den Standort des angrenzenden Kosmonautenmuseums.

Park der Errungenschaften

Denkmal Arbeiter und Kolchosbäuerin am WDNCh in Moskau

Kolossalstatue Arbeiter und Kolchosbäuerin am WDNCh Moskau

Russischer Pavillon im WDNCh in Moskau

Pavillon der RSFSR im WDNCh Moskau

Gleich nebenan das nächste Highlight an der Strecke: der „Park der Errungenschaften der (sozialistischen) Volkswirtschaft“, russisch abgekürzt ВДНХ und Namensgeber für die benachbarte Metrostation. Die ehemalige Leistungsschau der Sowjetwirtschaft besteht aus einem weitläufigen Ensemble architekturtypischer Pavillons für die (ehemaligen) Sowjetrepubliken und ist unter diesem Aspekt wirklich sehenswert. Inzwischen haben sich darin jedoch zahllose Ramschläden angesiedelt, so daß auch hier lediglich die Innenarchitektur von Interesse ist.

Dominiert wird der gesamte Komplex  von der Kolossalstatue „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ am Eingang, die am sowjetischen Pavillon der „Kleinen Weltausstellung“ in Paris 1937 aufgestellt war (ebenso wie Josef Thoraks Kolossalstatuen am deutschen und Picassos „Guernica“-Gemälde im spanischen Pavillon).

Koroljow-Raketendenkmal

Bevor wir die Stadt verlassen, grüßt von rechts eine weitere Rakete, die aussieht wie eine deutsche V2. Sie ist das Wahrzeichen der Moskauer Vorstadt Koroljow, benannt nach dem gleichnamigen Raketenkonstrukteur.  Der Ort Koroljow war zu Sowjetzeiten Entwicklungszentrum der Artillerie und Raketentechnik.

Sowjetische R-2 Rakete in Koroljow bei Moskau im Bild zum Andenken an den gleichnamigen Raketenkonstrukteur

Sowjetische R-2 Rakete in Koroljow

Fahrt in die Provinz

Schaschlikbude am Strassenrand mit rauchendem Kamin und Parkplatz beim Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Schaschlikbude am Strassenrand

Bis wir uns endlich aus Moskau herausgewurstelt haben, sind fast anderthalb Stunden vergangen und 30 km mehr auf der Uhr. Ohne Fleiß kein Preis: Den letzten Verkehrsstau umfahren wir auf einem sandigen Nebenweg. Für Rußland ist eben eine GS oder ähnliches ein ideales Fahrzeug.

Wenn man auf dem Lande lebt, weiß man, ob man will oder nicht, was ringsum vor sich geht.
—  Leo Tolstoi, Tagebücher (1856)

Auf der etwas holperigen Autobahn M8 geht es dann glücklicherweise zügiger voran. Wir passieren Datschensiedlungen, Bauernhäuser und Grillstände, die massive Schaschliks feilbieten.

Russisches Holzhaus mit sparrenförmigen Verzierungen am Strassenrand und verwildertem Garten beim Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Russisches Holzhaus am Strassenrand

Jetzt haben wir uns eine Halt verdient: In einem Dorf namens Schtschegolowo gibt es ein ganz nettes Café in einem russlandtypischen Holzhaus. Im niedrigen Raum wabert Tabakqualm, die Atmosphäre rauh-herzlich, die Bedienung offenherzig. Und der Kaffee ist voll in Ordnung. Als Exoten werden wir ohne Zögern in die ländliche Gemeinschaft einbezogen. Das tut gut.

Kaffeepause auf einer Motorradtour in Russland im Dorf Schtschegolowo mit Motorrad BMW R 1200 GS beim Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Kaffeepause im Dorf Schtschegolowo

Künstlerkolonie Abramzewo

Russisches Holzhaus Abramzewo Motorradfahrerin mit roter Kombi im Eingang stehend

Russisches Holzhaus in Abramzewo

Von dort folgt eine wunderschöne herbstbunte Fahrt auf einsamen Landstraßen, die wir nach all dem Trubel sehr genießen. So kommen wir endlich in Abramzewo an, einer früheren Künstlerkolonie, vor der Revolution ein Zentrum der Malerei und Schriftstellerei. Das künstlich angelegte Dorf besteht aus einer größeren Zahl von Bauten im altrussischen Stil. Sie sind sämtlich sehr hübsch anzuschauen und vertiefen das Erlebnis eines Aufenthalts auf dem Lande. Wir suchen uns ein hübsches Plätzchen für ein Picknick unter ausladenden Bäumen aus und malen uns das Landleben im Russland der Zarenzeit aus.

Bild Orthodoxe Kirche Abramzewo mit weissen Ziegelmauern und gruenem Dach und Gedenkkreuz im Vordergrund

Orthodoxe Kirche in Abramzewo

Mühseliges Motorradfahren in Moskau und der Provinz

Leider müssen wir am Nachmittag aufbrechen, um auf der Rückfahrt nicht in die Dunkelheit zu kommen. Denn wenn ich von einer Torheit nur lebhaft abraten kann, dann sind es Nachtfahrten in Rußland. Sie sind einfach zu gefährlich: bombentrichterartige Schlaglöcher, Gullys ohne Deckel, unbeleuchtete Fahrzeuge, massive Gegenstände und störrische Tiere auf der Fahrbahn. All das muß man nicht haben.

Früher als uns lieb ist hat uns die Metropole wieder: Sie begrüßt uns mit einer Straße, die keine Straße ist, sondern eine einzige stählerne Kolonne. So müssen wir uns über gut 10 Kilometer wir uns zwischen den Autos durchzwängen. Aber das geht erstaunlich gut dank der respektvollen Rücksichtnahme der russischen Autofahrer.

Motorradfahren in Moskau: hard core riding

Wehe aber, die Autofahrer „kooperieren“ nicht“: Mit halsbrecherischem Tempo holt uns eine Fireblade ein, der ich aus wohl erwogenen Gründen gerne den Vortritt lasse. Wir grüßen einander herzlich. Er fährt vor, wir hängen uns mechanisch dran.

Das geht gut, bis ein weißer Toyota sich weigert, unseren Pilotfisch vorbeizulassen. Der hämmert erst einmal mit der Faust auf das Autodach. Als der Fahrer protestiert, folgt als Warnung eine total unfreundliche Geste. Dann legt sich der auf der Blade nach leicht links, holt mit seinem rechten Bein aus und tritt dem Toyota voll den Rückspiegel ab. Zersplittert landet er auf der Fahrbahn. Weiterer Protest. Weitere unfreundliche Geste. Dann heult die Fireblade mit einem fulminanten Gasstoß auf und schießt durch die Kolonnen davon ins Nirwana des unendlichen Straßenverkehrs.

Moskau, Du hast uns wieder.

 

Erstmals veröffentlicht am 21.12.2017
Aktualisiert am 14.06.2018

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Aktualisiert am 05/03/2021 von Christian

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