Motorradfahren im Winter kann Spaß machen und fit halten. Wie geht das? Laß dich inspirieren!
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten
Winterfreuden mit dem Motorrad?
Regen hin – Kälte her: Wenn mich seit Wochen die Medien mit Pandemiemeldungen zudröhnen, verspüre ich ein gesteigertes Bedürfnis nach Distanz zum Alltag. Dann muß ich raus, um mir die Unerfreulichkeiten dieser kollektiven Beschwernis aus dem Kopf blasen zu lassen. Raus mit dem Motorrad auf verborgene Strecken über Land.
Erfreulicherweise hat mir meine liebe Frau den Segen dazu erteilt – allerdings mit der Auflage, von meiner Tour etwas Schmackhaftes für die Küche mitzubringen. Was halt Sträucher, Hofläden und Landleute um diese Jahreszeit zu bieten haben: frisch geschossenes Wild für ein geselliges Abendessen mit Freunden, Honig vom Imker und faustgroße Eier vom Bauern fürs Frühstück, dazu noch einen Beutel Schlehen für das von Christine zu entfachende Schlehenfeuer. Ernteeinsatz abseits der GPS-Streckenführung
Meine Zielregion ist das weite Havelland südwestlich von Berlin. Motorradfahren im Winter ist dort wenig problematisch, da der frische Wind die offenen Straßen trocken geblasen hat und in den sporadischen Kurven kaum feuchtes Laub zu befürchten ist. Das frostige Abenteuer bei 5° kann beginnen.
Frühstart in den Wintertag
Mein Fluchtfahrzeug lauert erwartungsvoll in der Garage. Beim frühmorgendlichen Wiedersehen meine ich fast, seinen erwartungsvollen Blick wahrzunehmen. Verständlich, denn nach Saisonschluß ist meine Maschine weder einbalsamiert noch eingesargt. Umso mehr als ich mir in meinen fortgeschrittenen Jahren eine winterliche Zwangspausenicht mehr erlauben kann .
Mit dem Frühstart aus dem kuscheligen Bett versöhnt mich der sonore Bass des wohltönenden Vierzylinders, der meine Begleitmusik für diesen Tag werden soll. Nichts wie raus aus der Komfortzone und auf zu Winterfreuden auf dem Motorrad.
Ob die seltsamen Blicke der Autofahrer auf den benachbarten Fahrspuren Respekt, Bewunderung oder Unverständnis ausdrücken mögen, wird mir beim Ampelstop nicht klar. Ist mir auch egal, schließlich geht es mir ja ebenso beim Anblick der vereinzelten eng eingepellten Sportradler, die ich auf meinem Weg überhole.
Warme Klamotten sind das A & O beim Motorradfahren im Winter
Einen entscheidenden Vorteil habe ich gegenüber der strampelnden Zunft: Ich bin mollig warm eingepackt, auch wenn ich dadurch figürlich dem unkaputtbaren Bibendum („Michelin-Männchen“) ähnlich geworden bin.
Das Futter ist in die Winterkombi eingezogen. Meine Füße stecken in den warmen selbstgestrickten Wollsocken meiner Schwiegermutter, Gott hab sie selig. Sie wußte noch aus unseligen Kriegszeiten, was Männerfüße warmhält. Kleidsame Bundeswehr-Thermounterwäsche (RAL 7013, Schnäppchen) umschmeichelt meinen Körper. Darüber ein dicker blau-weiß gestreifter russischer Marinepullover, wie er an die Nordflotte ausgegeben wird. Und um den Hals schlingt sich der geerbte Fliegerschal meines Vaters. Was hoch über den Wolken warmhält, reicht für die Straße allemal. Dazu noch Winterhandschuhe, dann paßt das. Merke: Der Motorradfahrer friert nicht. Er zittert höchstens vor Wut über die Kälte.
Düsterer Tourenbeginn
Vom Straßenrand aus winkt mir im Rückspiegel der traurig dreinschauende bronzene Berliner Bär hinterher. Die Frage, warum ich bei diesem trüben Wetter meinen Tag unbedingt auf dem Motorrad verbringen will, läßt mich nicht los. Noch weniger, als mich abseits der Schnellstraße eine bleischwere Landschaft empfängt. Laublose Bäume säumen meine Landstraße, totenstarre Windräder auf kahlem Feld recken untätig ihre Rotorblätter in den dichten Morgennebel. Prinzip Hoffnung: Ich bin guter Dinge, daß der Himmel, wie von meiner Wetterprognose versprochen, doch noch aufreißen wird.
Winterliche Erntezeit
Wenig später lege ich an einem Landwirtschaftsweg einen kurzen Orientierungsstop ein, um die Positionsdaten abzugleichen, die ich im Laufe der vergangenen Jahre auf Google Maps gespeichert habe. Neben allen möglichen Denkmalen, Fotopositionen und ähnlichen POIs finden sich dort auch wildwachsende Büsche und Bäume zur Beerntung. Quer durch abgeerntete Felder führt mich der Weg zu „meinen“ Schlehenbüschen, die neben knallroten Hagebutten in bunter Reihe stehen.
Mit klammen Fingern zupfe ich die sattblauen Beeren von stacheligen Ästen und sammle sie für die anstehende Likörproduktion in einem Tiefkühlbeutel. Zwischendurch ein leises Fluchen über diesen Job und ein Schluck heißer Tee aus der Thermosflasche. Aber nach einer halben Stunde habe ich endlich meine Ernte eingesackt.
Zu Hause werden die Schlehen dann gewaschen und tiefgefroren. Wenn durch diese Prozedur die Fruchtzellen geplatzt sind, können sie im Alkoholbad Geschmack und Wirkstoffe freigeben. Die zugehörige Gewürzmischung allerdings ist Christines Betriebsgeheimnis.
Das leibliche Wohl
Wie zur Belohnung meiner Mühen hat der Wettergott während meiner Ernteaktion den Himmel aufgerissen. Als ich bei der Weiterfahrt in Ketzin auf das Fährboot „Charlotte“ warte, strahlt mich der Himmel in seiner winterlich-kühlen Sonnenpracht an.
Stimmungsumschwung. Die Straße ist bis zum Horizont autofrei, Motor und Fahrer sind betriebswarm. Sportliches Anrauchen. Eine kleine Kurve hier, eine andere da, und dann geht es immer geradeaus durch das Havelland, vorbei an Streuobstwiesen und Bauernhäusern. Daß der frische Wind über die weiten Auen hinweg die letzten Blätter von den Alleebäumen fegt, mindert nicht meinen Fahrgenuß. Im Gegenteil: Ich fühle mich von der Erdenschwere befreit.
Bei der hoppeligen Ortsdurchfahrt in Päwesin erregen asketisch wirkende Menschen mit kurzgeschorenem Haar und rotbraunem Mönchsgewand meine Aufmerksamkeit. Sie gehören einer buddhistischen Gemeinschaft an, die neben der Dorfkirche eine Konditorei betreibt. Mit den leckersten Kuchen weit und breit. Heute aber fahre ich daran vorbei, denn ich möchte mich nicht länger aufhalten und noch bei Tageslicht wieder in die Garage einrollen.
Meine anregende Kurvenstrecke führt mich am Beetzsee entlang in das abgelegene Uferdorf Ketzür. Auf dem Weg dorthin verproviantiere ich mich noch mit blütenreinem Honig vom örtlichen Imker. Damit ist der kommende Frühstücksgenuß schon mal gesichert.
Leider gelingt es mir nicht, jemanden ausfindig zu machen, der mir die historisch bemerkenswerte Dorfkirche von Ketzür für einen Kurzbesuch aufsperren könnte. Dann eben ein andermal nach vorheriger Vereinbarung. Dazu muß ich meine Tour leider leider wiederholen. Ersatzweise erfreue ich mich deshalb am Anblick der örtlichen Bockwindmühle und stelle mir vor, wie hier der Müller vor 200 Jahren die Mehlsäcke auf seinen Esel gepackt haben mag.
Damit mich auf meinem weiteren Weg nicht Schwäche befällt, steuere ich den Badestrand des Dorfes an. Nicht zum Schwimmen, sondern um an der dortigen Picknickhütte mein verdientes Mittagsmahl einzunehmen. Eine kräftig gewürzte Gulaschsuppe aus dem Thermosbehälter, die hält Leib und Seele zusammen.

Mittagspause am Beetzsee
Während ich genüßlich vor mich hin löffle, ziehen ganze Geschwader krächzender Kraniche in Pfeilformation über mich hinweg. Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt? Anders als in der Vergangenheit überwintern jetzt viele dieser Großvögel in hiesigen Gefilden. Ansonsten ist es still um mich herum am schilfbestandenen Ufer.
Auf Feldwegen nach Hause
Wohl gesättigt und innerlich gewärmt setze ich mein Schwermetall in Bewegung Richtung Rathenow. Auf dem Weg dorthin mache ich noch einen kleinen Abstecher zu einem Jagdkollegen, von dem ich weiß, daß er immer wunderbares Rehwild im Tiefkühler hat. Bei ihm erstehe ich ein wunderbares Filet, an dem wir uns demnächst mit Freunden gütlich tun wollen. Ein Bio-Abendessen aus verläßlich guter heimischer Küche.
Wie ich mich dann durch den Naturpark Westhavelland navigiert habe, weiß ich selbst nicht mehr genau. Auf jeden Fall folgte ich einem auch meinem Navi unbekannten Gewirr kleiner Feldstraßen, ohne vorhersehen zu können, wohin mich der Weg wohl führen würde.

Weit abseits des städtischen Trubels im Havelland
Intuitiv folge ich dem inneren Nordpfeil, die sinkende Sonne immer links von mir, bis ich zu meiner Verwunderung doch noch auf der vertrauten Bundesstraße 5 Hamburg-Berlin lande. Von da an übernimmt der Tempomat seinen Dienst, bis ich am bronzenen Berliner Bären am Stadtrand die Kontrolle zurückfordere. An der roten Ampel halten mich alle anderen wohl für einen heimkehrenden Berufspendler. Doch niemand weiß, was ich für einen frischen, aber herrlich erfrischenden Tourentag hinter mir habe.
Fazit
Motorradfahren im Winter kann unerwartet Spaß machen – solange dich nicht Schnee, Eis oder glatte Straßen gefährden. Mit der Kälte wirst du schon klarkommen, wenn du dich warm anziehst. Lege dir einen abwechslungsreichen Tourenplan zurecht, bei dem du nicht den ganzen Tag im Sattel sitzt, sondern dich zwischendurch auch mal bewegst. Vielleicht sogar mit ein bißchen Gymnastik zwischendurch. Denke dran: Dein Körper braucht im Winter ebenso eine Rekreationspause wie beim sommerlichen Touren. Vor allem bietet Motorradfahren im Winter eine willkommene Gelegenheit, sich unter unerquicklichen Bedingungen für die nächste Saison fahrerisch fit zu halten.
Peter J.
27. November 2021 at 11:19
Vielen Dank für diesen wundervollen Tourenbericht. Ich musste zwischendurch mehrmals schmunzeln, einmal wegen der schönen Formulierungen und weil ich diese Situationen nur zu gut nachvollziehen kann!
Was mich bei winterlichen Touren am häufig stört, ist die tiefstehende Sonne, die einen oft zwingt mit einer Hand die Sonnenblende am Helm zu imitieren.
Ich wünsche Dir viel Spaß bei deinen weiteren Wintertouren und lass und daran teilhaben!
Christian
29. November 2021 at 13:01
Freut mich, daß Dir mein frostiger Beitrag gefallen hat. Gerade brüte ich über interessanten Tourenplänen für die wärmere Jahreszeit. Sobald es jedoch demnächst das Wetter einigermaßen paßt, werde ich von mir hören/lesen lassen. Viele Grüße und gute Fahrt, Christian
Lukas Kiermeyr
27. November 2021 at 12:25
Christian, danke für die herrlichen Beiträge. Ich wünsche Dir noch viele erfreuliche Touren und bleibt gesund.
Christian
29. November 2021 at 13:03
Lieber Lukas, vielen Dank! Momentan richtet sich mein Blick auf wärmere und/oder erfreulichere Zeiten. Bis demnächst in diesem Theater alles Gute, Christian