Motorradfahren bei starkem Wind: Was mußt du wissen über Reaktionen des Motorrades, angepaßte Fahrposition und richtige Fahrtechniken?
Der Windgott fordert seinen Preis
Traumstraßen fordern vom Motorradfahrer manchmal eine deftige Streckenmaut. Nicht nur in barer Münze, sondern auch in Form häßlicher Winde. Volle Konzentration, Ruhe und Lockerheit ist jetzt angesagt – wegen der Sicherheit, aber auch, um von der landschaftlichen Schönheit doch noch einiges mitzubekommen. Die Kunst des motorisierten Sturmvogels besteht jetzt darin, Fahrsicherheit und Streckengenuß mit Fahrgeschick und Fahrsituation in Einklang zu bringen. Wie macht man das?
Stürmische Lektionen
Erfahrungen mit diesem Element habe ich an der kalifornischen Pazifikküste sammeln können, einer der windigsten Ecken der USA. Fahrplanmäßig saugt die Wüstenhitze des Binnenlandes die Kaltluft des Humboldt-Stromes an und fegt mit böigen Winden über die kurvigen Panoramastrecken hinweg, die auf Bildern unsere Tourensehnsüchte wecken.
Und im Winter, wenn die Temperaturunterschiede zwischen Meer und Land weniger krass sind, tun die Pazifikstürme das Ihrige. Zweimal täglich wurde ich auf der 2,7 km langen rostroten Brücke über das Golden Gate unbarmherzig durchgeschüttelt.

Meine Trainingsstrecke für Seitenwind
Nicht zahmer werden die Winde auf der traumhaften, oft aber neblig-kühlen CA 1 hinauf nach Norden bis nach Oregon und Washington State. Dort begrüßt den passionierten Motorradfahrer dann noch zuverlässig heftiger Regen. Das alles muß man wollen. Und ich konnte es nicht lassen. Was habe ich in diesen vier Jahren über das Motorradfahren bei starkem Wind gelernt?
Tipps für Motorradfahren bei starkem Wind
1. Jedes Motorrad reagiert anders
In dieser Situation habe ich unterschiedliche Maschinen auf ihr Verhalten unter Wind ausprobieren können, leichtere und schwerere, hohe und niedrige, kürzere und längere, voll verkleidete und Naked Bikes.
Unter dem Strich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß für das Fahrverhalten eines Motorrades besonders unter starkem Wind vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend sind: Gewicht und Silhouette.
In der Praxis bedeutet dies, daß eine schwere Tourenmaschine mit Verkleidung, Koffern und einem „Dienstgewicht“ zwischen 280 und 320 kg bei starkem Wind wesentlich gutmütiger zu fahren ist als ein abgespeckter Kurvenräuber. Das bestätigen auch die Motorcycle Cops der California Highway Patrol, die unter den genannten Bedingungen mit aufgerüsteten BMW R 1200 RT und HD Electra Glides Streife fahren. Zugutekommen ihnen dabei niedriger Schwerpunkt und ruhiges Fahrverhalten dieser Maschinen im langsamen Patrouillentempo.
Je höher dagegen die Silhouette ist, z. B. mit einem hochgewachsenen Fahrer auf einer Reiseenduro, desto größer ist naturgemäß die Windangriffsfläche und desto spürbarer wird mit ihr die Fahrunruhe. Nach meiner (1,85 m) Erfahrung mit der BMW R 1200 GS gilt dies selbst bei Beladung mit Seiten- und Heckkoffern.
Wer also ruhig unter dem Wind fahren will, wähle deshalb eher eine niedrige schwere als eine leichte hoch bauende Maschine.
2. Wind erfordert spezielle Fahrtechniken
Ausschlaggebend für das Fahrverhalten bei starkem Wind sind nicht nur Bauart und Gewicht des Motorrades, sondern auch Haltung und körperlicher Einsatz des Fahrers. Diese menschlichen Faktoren können wesentlich dazu beitragen, die Fahrt an einem stürmischen oder böigen Tag sicherer und weniger unangenehm zu machen.
Der Wind kann dabei – mit konstanter oder wechselnder Intensität – von vorn, von hinten oder von der Seite/den Seiten angreifen. Wie sehen diese Fahrszenarien aus?
3. Motorradfahren bei Seitenwind
Für die Fahrsicherheit ist Seitenwind die gefährlichste Einwirkung auf das Motorrad. Insbesondere können plötzlich auftretende heftige Böen das Gefährt auf die Gegenfahrbahn drücken. Auch hier gilt: Je größer die Angriffsfläche, desto stärker der Winddruck.
Sobald seitliche Böen deinen Körper durchzuschütteln beginnen, suggeriere dir eindringlich folgendes Fahrverhalten:
- Ruhe bewahren, keine Panik.
- Ducke dich so weit wie möglich hinter die Frontscheibe (>> geringere seitliche Angriffsfläche)
- Fahre das Knie zu der Seite aus, von der der Wind kommt. Dadurch erzeugst du einen Staueffekt, der dem Seitenwind entgegenwirkt. Also z. B.: Wind kommt von links >> linkes Knie ausfahren.
- Zusätzlich kannst du versuchen, eine leichte Schräglage gegen den Wind einzunehmen und den Lenker gefühlvoll in Windrichtung zu drücken. Es empfiehlt sich, diese Technik zunächst einmal sanft auszuprobieren, um Sicherheit zu gewinnen.
- Eine weitere Möglichkeit ist die Gewichtsverlagerung in die Richtung, aus der der Wind kommt. Also z. B.: Wind kommt von links >> Hintern leicht links raus.
4. Motorradfahren mit Gegenwind
Starker Wind von vorne ist deutlich weniger unangenehm als Seitenwind. Dennoch ist eine bestimmte Fahrtechnik nötig, um mit ihm klarzukommen: Sie besteht darin, die Stirnfläche so klein wie möglich zu halten, um dem Gegenwind möglichst wenig Widerstand entgegenzusetzen. In Bezug auf die Körperhaltung ist dabei dreierlei zu berücksichtigen:
- Frontscheibe (wenn möglich) weit hinunterfahren und sich so tief wie möglich dahinter ducken.
- Beine bleiben eng an den Tank gedrückt.
- Arme werden eingefahren und bleiben eng an den Körper angepreßt.
Dabei nicht vergessen: Gegenwind reduziert die eigene Geschwindigkeit. Das verminderte Tempo ist in alle Fahrmanöver einzukalkulieren.
5. Motorradfahren mit Rückenwind
Wind von hinten, auch starker Wind, ist in aller Regel unproblematisch. Je nach individuellem Fahrgefühl kann man die gleiche Haltung einnehmen wie beim Gegenwind, man muß aber nicht. Es kommt darauf an, in welcher Haltung man sich dabei am wohlsten fühlt. Rückenwind hat außerdem den Vorteil, den Verbrauch etwas zu senken, vor allem auf der Autobahn.
6. Gepäck vergrößert die Angriffsfläche
Die Beladung der Maschine mit Anbaukoffern, Gepäckrolle oder Tankrucksack vergrößert die Angriffsfläche für den Wind. Das betrifft nicht nur den Luftstrom von vorne. Es vergrößert sich auch die Angriffsfläche für den unangenehmen Seitenwind.
7. Windfallen beachten
Ein langer LKW, ein Gebäude oder ein Hügel schützen zwar vor Seitenwind, solange man in ihrem Windschatten fährt. Sobald man jedoch diesen Windschutz verläßt, schlägt der Seitenwind wieder voll zu und kann einen heftig aus der Spur bringen. Darauf muß man sich einstellen.
Gefährlich sind auch lange Brücken, über die der Seitenwind ungehindert hinwegpfeift.
8. Sicherste Fahrspur wählen
Es gibt keine allgemeingültige Regel, auf welcher Fahrspur man sich bei den geschilderten Windverhältnissen halten sollte. Auf Bundesstraßen z. B. kann es ratsam sein, sich auf der eigenen Fahrspur eher links zu halten. Warum? Großvolumiger Gegenverkehr, z. B. schnell fahrende LKWs oder Busse, drückt den viel leichteren Motorradfahrer mit ihrem Wirbelschleppe massiv nach rechts. Über die sicherste Fahrspur entscheiden letztlich neben den Windverhältnissen vor allem die Verkehrsverhältnisse.
9. Wettervorhersage auswerten
Vor Fahrtantritt empfiehlt sich immer ein Blick auf die Wettervorhersage. Dabei aber bitte nicht nur auf die Symbole Sonne oder Regentropfen achten, sondern auch auf die prognostizierten Windverhältnisse. Wenn es zu böig wird, bleibe ich im Zweifel lieber zu Hause. Dann macht Motorradfahren ohnehin nicht mehr so viel Spaß.
10. Pausen einlegen
Motorradfahren bei starkem Wind mindert das Tempo, zehrt an den Kräften und laugt rasch das Konzentrationsvermögen aus. Deshalb muß man nicht nur mehr Fahrzeit für die Strecke einkalkulieren, sondern auch zusätzliche Pausen einlegen, um sich geistig und körperlich für die nächste Etappe fit zu machen. Der Kopf muß frei werden und die Muskeln müssen sich lockern.

Der nördliche Zipfel von Texas ist berüchtigt wegen seiner heftigen Seitenwinde. Sie beuteln einen ganzen Tag lang meine Tochter mit ihrer Hornet und mich mit meiner GS. Pausen sind wichtig, besonders im feucht-heißen Klima.
Fazit
Starker Wind von kann dich auf der Fahrt allen Seiten erwischen. Deshalb ist es wichtig, folgende Faustregeln zu beachten:
- Für Fahrten bei starkem Wind gibt es nicht „das“ ideale Motorrad. Jeder Konstruktionstyp hat seine Stärken und Schwächen. Aber letztlich sind alle gleichermaßen unangenehm zu fahren.
- Vermeide sperriges Gepäck. Dieses bietet dem Wind unnötig zusätzliche Angriffsfläche.
- Biete dem Wind möglichst wenig Widerstand.
- Mache deine Silhouette hinter der Frontscheibe so klein wie möglich.
- Halte deine Arme eng am Körper.
- Setze das windseitige Bein als Gegensteuerung ein.
- Sei wachsam gegenüber allen großen Fahrzeugen oder Objekten, die über eine kurze Strecke Windschatten bieten, hinterher aber den Wind voll zuschlagen lassen.
Probiert diese Techniken bei der nächsten großen Tour ruhig mal aus. Es gibt schöne Gelegenheiten dazu: die Tramontana am Gardasee, der Mistral in der Provence oder die Dauerbelüftung vom Atlantik her auf einer Fahrt von Land’s End nach John O’Groats in Schottland. Ich wünsche euch eine gute und vor allem unfallfreie Fahrt!

Wer Motorradfahren bei starkem Wind voll auskosten will: Von hier aus sind es 1.450 km bis nach John O’Groats an der Nordostspitze Schottlands.
Aktualisiert am 21/10/2021 von Christian
Jürgen
21. Mai 2021 at 17:50
Sehr schön beschrieben und erklärt, komme gerade von Tour mit Starkwind zurück, das macht nicht wirklich Spaß.
Danke.
Christian
24. Mai 2021 at 19:06
Ich freue mich, daß Dir der Beitrag etwas gebracht hat. Mittlerweile checke ich vor Fahrtantritt bei der Wettervorhersage nicht nur Sonnenschein und Regen, sondern auch die voraussichtlichen Windverhältnisse. Gute Fahrt bei möglichst viel Schönwetter!
Grünes Licht, grüne Welle
17. Februar 2022 at 10:49
Was sagt ihr zum richtigen Tempo bei Seitenwind? Ich denke eine hohe Geschwindigkeit ist nicht schlecht. Wenn ich das Tempo zurück nehme meine ich dem Seitenwind stärker ausgeliefert zu sein.
Christian
17. Februar 2022 at 11:12
Im Gegensatz zum Windkanal weht der Wind in freier Natur nicht mit konstanter Geschwindigkeit, sondern wechselt ständig Stärke und Richtung. Ein frisches Segelwochenende gibt einen guten Eindruck davon. Ich halte es so, daß ich mich Zug um Zug in den Geschwindigkeitsbereich (meiner Fahrt) einfühle, in dem ich am stabilsten fahren kann. Gerade diese Notwendigkeit einer permanenten Justierung ist es, die das Fahren bei Wind anstrengend macht.
Katharina
15. März 2022 at 16:07
Schön geschrieben.
Hatte vergangenen Freitag bei ziemlich heftigen Böen eine Motorradfahrstunde (die erste nach dem Winter) und wurde auf der Landstraße schon ziemlich von links nach rechts gedrückt und bin auf der Kawa Z650 ordentlich nach links und rechts gependelt. Der Unterschied zu „büschen Wind“ im Auto und auf dem Motorrad schockiert mich immer noch, jedes Mal wenn ich auf dem Bock gesessen habe bislang (diese Woche noch letzte Pflichtstunde, dann bald Prüfung! Juhu!)
Mein Fahrlehrer meinte dann auch zu mir, es ist völlig legitim, nicht die erlaubten 100 km/h zu fahren und dass mich kein Prüfer der Welt durchfallen lassen würde, wenn ich den Umständen angepasste Geschwindigkeiten wähle.
Aber diesen Artikel hätte ich trotzdem gern vor der Stunde gelesen! 😀
Christian
15. März 2022 at 17:31
Liebe Katharina,
auch wenn Du meine Tipps erst nach der Fahrstunde gelesen hast – dem Wind wirst Du auf Dauer nicht entkommen. Immer ruhig und gelassen bleiben und Verstand und Sinne wach halten. Dann kann eigentlich nichts passieren. Und was die Geschwindigkeit betrifft, denke an die Erfahrung des österreichischen Alpinisten Paul Groß: „Das Können ist des Dürfens Maß.“ Für Deine Prüfung drücke ich Dir ganz fest die Daumen. Viel Spaß und gute Fahrt in der Motorradwelt!
Viele Grüße
Christian
Jutta Claus
3. September 2022 at 19:18
Der Artikel ist super geschrieben, ich stelle fest, dass ich intuitiv vieles richtig mache. Fahre eine 125ccm Yamaha Virago und habe bei stärkerem Wind wirklich Schwierigkeiten. Danke für die tollen Tipps
Grüße
Jutta aus Flensburg
Christian
4. September 2022 at 12:45
Liebe Jutta,
schön, daß Deine Intuition durch meine Erfahrungen bestärkt wird. Bei Euch da oben muß man ja mit dem Wind gut umgehen können.
Viele Grüße und gute Fahrt,
Christian