Motorrad und Corona: Haben sich die düsteren Prognosen bewahrheitet? Was ist geblieben? Was ist anders geworden?
Motorrad und trotz Corona
Uns Motorradfahrer trifft es wirklich hart: Im dritten Dürresommer hintereinander schwitzen wir unter Knallsonne die Kombi durch. Corona und seine Folgen machen unsere Tourenplanung kompliziert und unsicher. Darüber hinaus dauert die unselige Diskussion um Geräuschemissionen und Fahrverbote an.
Wie viele Reisepläne sind wohl dieses Jahr den Bach runter gegangen? Auch meine große Deutschlandrunde ist erst mal aufgeschoben. Für viele von uns heißt es deshalb im Jahre 2020: Harz statt Hawaii, Knüllgebirge statt Kroatien, Bundesstraße statt Küstenroute, Fremdenzimmer auf dem Land statt Wellness-Oase am Meer.
Doch müssen diese erzwungenen Alternativen keineswegs schlecht sein. Auf meinen Sommertouren (meist nur ein oder zwei Tage) staune ich immer wieder, wie viele positive Seiten man dieser Situation dennoch abgewinnen kann.
Zum Thema Motorrad und Corona habe ich mir schon zu Beginn der Krise Gedanken gemacht. Nach einem halben Jahr fällt die Zwischenbilanz gemischt aus, aber sie zeigt einen hellen Hoffnungsschimmer.
Was hat sich für uns Motorradfahrer gegenüber der Vorsaison geändert? Was können wir der geänderten Lage abgewinnen?
Bisogna cambiare tutto per non cambiare niente.
Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.
— Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Il Gattopardo
Mehr Menschen im eigenen Land
Wie viele von uns liebe auch ich abgelegene Landstraßen. Sie laden ein zum entspannten Cruisen oder auch zu beherrschtem Ziehen am Kabel. Wer zwischendurch seine Maschine auf den Ständer schieben und einfach die Landschaft genießen will, kann dies in aller Ruhe und Einsamkeit tun.
Bei unseren Touren in diesem Jahr fällt auf, wie sehr sich das Bild geändert hat: Rudelweise ziehen schwer bepackte Radfahrer ihren Weg. Sehr oft entlang malerischer Flüsse, aber auch im Binnenland, wo früher allenfalls ein Traktor unseren Weg gekreuzt hat. Deutschland macht mobil, die Fahrradländen sind ausverkauft.
Daß urlaubsmäßig bepackte Motorräder unterwegs eher sporadisch anzutreffen sind, liegt vielleicht an der drückenden Sommerhitze, am jeweiligen Arbeitsumfeld oder an den Präferenzen der Familie. Wer weiß? Aber auf Tagestouren trifft man die Gleichgesinnten schon häufiger an, solo, zu zweit oder in einer kleinen Gruppe. Aber es scheint mir keinesfalls so, als seien die Straßen quer durch das Land von Motorrädern übervölkert.
Entdeckung des eigenen Landes
Neue Eindrücke stellen sich ein: Die Menschen haben ihr eigenes Land entdeckt. Wo immer ich mit Wanderern, Radlern und Motorradfahrern ins Gespräch komme, höre ich stets das Gleiche: geplatzte Urlaubspläne, gestrichene Flüge, geschlossene Hotels im Ausland. „Wir bleiben im Lande“. Jahrzehntelange Urlaubsgewohnheiten sind implodiert.
Die meisten scheinen gar nicht so unglücklich darüber zu sein. Im Gegenteil: Sie haben aus der Not eine Tugend gemacht und sind angetan davon, was es innerhalb der eigenen Landesgrenzen alles zu erleben gibt. Ohne Reisestress und Sicherheitskontrollen, im gewohnten Umfeld mit einer reichen, unvergleichlich vielfältigen Kultur.
Auch wenn wir eines Tages wieder unbeschwert in Ausland werden reisen können: Bei der Reiseplanung wird Corona mit Sicherheit Spuren hinterlassen, und zwar hinsichtlich der Wertschätzung des eigenen Landes als Urlaubsregion. Das gilt gewiß auch für Motorrad und Corona – mit der bedeutsamen Einschränkung jedoch, daß viele attraktive Tourenstrecken in den Bergen und an den Küsten halt doch im Ausland liegen. Geographie läßt sich nun einmal nicht verschieben.
Menschen sind umgänglicher geworden

Eine Rasthütte wie hier an der Bockwindmühle von Grieben an der Elbe sind beliebte Treffpunkte für Motorradfahrer, Radler und Wanderer. Das entspannte Gespräch im Schatten tut allen gut.
Man mag den Deutschen über ihre Aufgeschlossenheit und Zugänglichkeit nachsagen, was man will. Aber dieser Corona-Sommer hat mich positiv überrascht. Wo immer ich unterwegs Menschen treffe, scheinen sie mir viel gelassener geworden zu sein, ruhiger und mit mehr Zeit für das, was um sie herum vor sich geht.
An allen möglichen Rastplätzen habe ich in den vergangenen Monaten Menschen getroffen, die offen und engagiert auf Kontaktaufnahme reagiert haben. Mit Interesse am Meinungs- und Erfahrungsaustausch, offen für Tips und ohne Zurückhaltung beim Fragen, stets mit dem solidarischen Unterton: Uns geht es ja allen so. Wir machen das Beste aus der Situation. Egal ob mit dem Motorrad, dem Fahrrad oder auf Schusters Rappen.
Erstaunlich auch, welche Altersklassen derzeit unterwegs sind. Nicht nur bei uns Motorradfahrern, bei denen die Generation 55+ ohnehin zu den besten Kunden der Hersteller zählt. Nein, ich treffe auf Straßen und an Rastplätzen regelmäßig Leute, die man sonst allenfalls auf einer Butterfahrt vermuten würde. Mit Wanderstiefeln oder auf Fahrrädern ziehen sie wettergegerbt Hunderte von Kilometern durch die Lande und schmieden dabei schon Pläne für die nächste Saison. In dieser Dichte ist das absolut neu. Eine unerwartete Corona-Folge, mit erfüllenden Erlebnissen für alle Betroffenen. Und für die Krankenkassen wohl auch.
Logistische Probleme auf längeren Touren
Allerdings mußte ich mich in den vergangenen Wochen damit abfinden, daß es nicht einfacher geworden ist, auf Tour zu gehen. Was den besonderen Charme einer Motorradtour ausmacht – die unbeschwerte Fahrt ins Blaue mit unbestimmtem Ziel – ist erst einmal dahin. Spontanbuchungen in Hotels und auf Campingplätzen sind zum Risiko geworden. Nicht alle freien Zimmer sind auch tatsächlich verfügbar. Und zeitlicher Gruppenzwang beim Frühstück ist auch nicht jedermanns Sache. Das alles mag hinnehmbar sein, aber schön ist es nicht.
Nachdem die Reise- und Restaurationsbeschränkungen aufgehoben waren, ließen wir uns bei unserer ersten Tour auf einer Caféterrasse nieder. Entzerrt von allen anderen Gästen, vereinzelt wie die letzten Figuren auf dem Spielbrett am Ende einer Schachpartie. Unter Beachtung der Hygienevorschriften, versteht sich. Immer nach dem Motto: Lieber einen Lappen vor dem Mund als einen Zettel am Fuß.
Und noch eine schmerzliche Erkenntnis: Reisen ist teurer geworden. Mit den Hoteltarifen vom letzten Jahr braucht niemand mehr zu kalkulieren. Nicht allein wir haben dabei mit der Stirne gerunzelt. Auch Bekannte, die geschäftlich viel unterwegs sind, berichten von deutlich gestiegenen Zimmerpreisen. Wenn die Unterkunft plötzlich 30 bis 50 % mehr kostet als im Vorjahr, sprengt das bei vielen das Budget einer mehrwöchigen Motorradtour. Sicher mag man den Hoteliers zugestehen, daß sie ihre Anfangsverluste wieder hereinholen müssen – aber unsereiner muß genauso rechnen. Das erklärt vielleicht, daß die Motorradparkplätze vor vielen Hotels heuer spärlicher belegt sind als vor der Corona-Krise.
Fazit
Es ist ein befreiendes Gefühl, nach der ersten Corona-Welle wieder mit dem Motorrad auf Tour gehen zu können. Auch in der zweiten Corona-Welle, die kein Verantwortlicher so nennen will. Vieles schüttelt sich mit der Zeit schon zurecht, wenn auch mit unvermeidlichen Reibungsverlusten. Dennoch: Die große Freiheit, wie wir sie kennen und lieben, ist erst mal dahin. Bis auf weiteres. Wer aber Freiheit und Erlebnis dort sucht, wo er dies früher nicht tat, ist auf dem besten Wege, seine innere Motorradsehnsucht nicht ungestillt zu lassen.
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Aktualisiert am 13/09/2020 von Christian
Helmut Schlichtherle
6. Oktober 2020 at 12:31
„Menschen sind umgänglicher geworden“ – ein wahres Wort…
Sie haben die Situation wieder sehr schön zusammengefasst.
Beste Grüße aus Tirol
Christian
6. Oktober 2020 at 22:16
In der Gesamtsituation wird einem halt wieder mal eines klar: Vergangenheit ist Geschichte, Zukunft ist Geheimnis und jeder Augenblick (besonders mit netten Menschen) ein Geschenk. Vielen Dank für Ihren netten Kommentar und beste Grüße, C. S.