Eine Tour auf Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen läßt selbst Tourenprofis das Wasser im Munde zusammenlaufen. Wo versteckt sich meine Geheimstrecke? Was hat sie zu bieten?
Geschätzte Lesedauer: 8 Minuten
Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen für Kenner
Wenn das Stichwort „Abruzzen“ fällt, erwachen bei einem Motorradfahrer ganz besondere Gefühle: Die Vorstellung von einer urigen Berglandschaft östlich von Rom bis hinauf auf 2.500 m. Die Erinnerung an goldgelb blühende Ginsterbüsche am Straßenrand im Frühling, an die kühlende Frische dichter Eichenwälder im Sommer und den Holzfeuergeruch aus den Dorfkaminen im Herbst und Winter. Vor allem aber: das Geschlängel einsamer Kurvenstrecken bis zum Delirium, gut abgeschirmt von den Touristenströmen auf ihren Durchgangsstrecken in den Süden.
So faszinierend meine Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen auch sind, möchte ich doch nicht auf die Annehmlichkeit weiblicher Begleitung verzichten. Heute begleitet mich unsere Tochter Charlotte, während meine Lieblings-Sozia Christine sich um die üppige Pflanzenwelt auf unserer Dachterrasse kümmert. Da Mutter und Tochter die gleiche Konfektionsgröße tragen, paßt die Kombi wie angegossen.
Wo geht es hin? Was gibt es unterwegs zu sehen?
Streckenkonzept
Meine Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen winden sich durch die Einsamkeit von Bergen und Tälern an Orte, die meist nur Insidern bekannt sind. Dort sollte man anhalten und seine Maschine auf den Ständer schieben. Zumindest für ein paar Minuten. Zum Schauen, Staunen, Fotografieren oder nur auf einen kurzen Espresso in der Bar am Straßenrand.
An meiner Strecke locken folgende Highlights:
- Die Villa Adriana auf den Monti Tiburtini, UNESCO-Weltkulturerbe, eine monumentale Wohnanlage des Kaisers Hadrian aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert;
- das Landstädtchen Palestrina, Heimat von Giovanni Pierluigi da Palestrina, eines der bedeutendsten Komponisten des 16. Jahrhunderts;
- das Santuario della Montarella, ein Mönchskirchlein hoch auf einem Felsen in den Praenestiner Bergen;
- die Sommervilla des römischen Dichters Horaz in den Sabiner Bergen;
- der Rundkurs um zwei malerische Seen, den Lago del Salto und den Lago del Turano südlich von Rieti;
- das Benediktinerkloster Subiaco im Tal des Aniene in den Monti Simbruini.
Streckenführung
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Auf Straße | nach |
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Start: | Autobahnring Ausfahrt A18 (Casilina) |
SR 6 / SR 155 | Villa Adriana /Palestrina |
SP 52/b | Santuario della Mentorella |
SP 52/b zurück | Capranica Prenestina |
SP 59/a - SP 33a – SP 41 | Vicovaro |
SR 314 | Villa di Orazio / Licenza |
SR 314 – SP 66 – SP 34 | Rocca Sinibalda |
SP 32 – SP 30 | Rieti |
SS 578 – SP 67 | Lago del Salto |
SP 28 – SP 29a – SP 69 | Carsoli |
SP 32b | Arsoli |
SP 39B | Subiaco |
SR 411 – SS 155 | Olevano Romano |
SR 155 – SS 216 | Ziel: Frascati |
Erwachendes Rom
Wenn wir schon 380 km durch die Berge abspulen wollen, müssen wir den Motor sehr zeitig anwerfen. Das lohnt unbedingt, denn sobald wir die steile Rampe aus unserer Tiefgarage hochgeackert sind, entschädigt uns der Frühstart mit Eindrücken, wie sie die Ewige Stadt nur in aller Herrgottsfrühe bietet:
Die Ewige Stadt liegt noch im Dämmerschlaf und gehört uns fast alleine. Unsere Abkürzungstour durch die wundervolle Villa Borghese wird noch von keinem Parkwächter gestört. Die ersten Baristi werfen ihre Kaffeemaschinen an, Gemüsehändler bauen frische Ware vor ihren Geschäften auf. Städtische Tankwagen versprühen auf fast autofreien Straßen ihr reinigendes Naß.
Der Autobahnring von Rom (Grande Raccordo Anullare – GRA) ist genauso schlimm wie die Ringstraßen von Paris oder Moskau. Aber frühmorgens ist der Verkehrsmoloch noch erträglich – zumindest, wenn man aus der Stadt hinausfährt wie wir.
Die Rush Hour am Nachmittag oder Abend wird uns jedoch nicht erspart bleiben. Es gehört deshalb zu unserem Tourenritual, vor Einfahrt in die Metropole noch eine schöne Pause in einer Bar an der Landstraße einzulegen, die Beine auszustrecken und mit blinzelnden Augen den herrlichen Tourentag noch einmal innerlich an uns vorüberziehen zu lassen. Dann ist auch das letzte Stückchen Heimweg ganz lässig zu schaffen.
Villa Hadriana
Sobald man den Autobahnring verlassen hat, läuft eigentlich alles ganz unproblematisch: Erst führt die alte Römerstraße Via Casilina (SR 6) nach Osten hinaus auf die Berge zu Richtung Tivoli. Dann erstreckt sich südlich dieses Ortes auf einer Fläche von 125 ha die Palaststadt des Kaisers Hadrian, seine Sommer- und Altersresidenz. Um diese frühe Stunde ist diese pompöse Anlage zwar noch geschlossen. Aber ein Blick hinein ist allemal schön.
Palestrina
Das Städtchen am Monte Ginestro nehmen wir eigentlich nur mit, um einen Blick auf das Geburtshaus von Giovanni Pierluigi da Palestrina zu werfen, einen der bedeutendsten Komponisten des 16. Jahrhunderts. Doch daraus wird nichts, denn bei der Fahrt über die hopperigen Pflasterstraßen vermittelt der Hinterreifen ein verdächtig schwammiges Gefühl. Ich stoppe, wir steigen ab. Was sehe ich? Ein fetter Dreizöller begrüßt mich hämisch aus dem Profil. Und das Ganze ausgerechnet in der Via Thomas Mann. Da bin ich ja richtig.

Zwangspause in Palestrina: Der Hinterreifen ist geflickt. Im Hintergrund das Denkmal des Komponisten
Also das Flickzeug unter dem Sattel hervorgeholt, ohne das ich vorsichtshalber nie in die Einsamkeit fahre. Nachdem ich mich ans Werk gemacht habe, umringt mich eine ständig wachsende Schar von Ortsansässigen, die mich mit guten Ratschlägen eindecken. Ich wußte gar nicht, daß ein ganzer Ort ausschließlich aus professionellen Vulkaniseuren bestehen könnte.
Besonderen Eindruck schinde ich mit den Druckluftkartuschen, die ich mit angezogenen Handschuhen auf das Ventil setze. Die Dinger werden beim Entleeren nämlich ganz schön kalt.
Den Nagel schenke ich einem Buben und schaue empor zu Thomas Mann, der hier seinen Nobelpreisroman Die Buddenbrooks begonnen hat. Die Prämie dafür haben wir schon auf einer anderen Tour besichtigt: in Gestalt seines Sommerhauses auf der Kurischen Neherung. So schließt sich der Kreis.
Santuario della Mentorella
Nach getaner Arbeit verabschieden wir uns mit frischer Luft im Hinterreifen von der teilnahmefreudigen Landbevölkerung und ziehen auf der SP 58a am Castel San Pietro Romano in die Berge hoch. In Capranica Prenestina biegen wir dann scharf links ab auf die SP 45/b und geben am Ortsausgang der BMW ordentlich die Sporen, um die verlorene Zeit gut zu machen.
Hinter jeder Biegung eröffnet die Bergstraße herrliche neue Ausblicke. Die Streckenführung ist aber so ausgelegt, daß man es getrost ordentlich krachen lassen kann. Immer flott bergan, der heiligen Stätte entgegen. Die Drehzahlmessernadel vollführt derweil beim Auf und Ab der Serpentinen fröhliche Tänze.
Noch erfüllt von den munteren Schwüngen stelle ich die Maschine vor dem Santuario della Mentorella auf den Seitenständer, strecke mich aus und atme tief durch. Kurz darauf stehen wir neben einem Wallfahrtskirchlein mit ein paar kleinen Mönchsgebäuden. Dann genießen wir von einem erhabenen Felsen aus den grandiosen Ausblick über das weite Tal tief unter uns:

Blick über Täler und Höhen vom Santuario della Mentorella aus bei einer Tour auf Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen
Hier in dieser waldigen Gebirgsgegend ringsum trieb einst Marco Sciarra sein Unwesen, der König der Banditen. Seine Spezialität war die Entführung von schönen Frauen. Deshalb sollte ich vielleicht hier etwas vorsichtig sein.
Eigentlich wollten wir nur mal schauen, aber es ist viel zu schön hier oben, um gleich wieder in den Sattel zu steigen. Leider hat der Tag nur 24 Stunden – also weiter und in flotter Achterbahnfahrt wieder talwärts.
Dann zwängt sich unsere SP 33a / SP 41 zwischen hohen Bergzügen nach Norden, bis wir bei Vicovaro auf den Fluß Aniene und die alte Römerstraße Via Tiburtina Valeria stoßen.
Villa des Horaz
Von dort aus schickt uns die SR 314 auf unserer Tour über Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen wieder die Berge hoch, bis kurz vor Licenza ein Seitensträßchen links abzweigt – zu den archäologischen Resten der Villa des römischen Dichters Horaz (65 v. Chr. bis 8 n. Chr.). Was er hier einst als Geschenk erhalten hatte, läßt sich eigentlich nur mit einer Promi-Villa oberhalb von Hollywood vergleichen: eine Super-Immobilie in 1a-Lage mit Bergpanorama und mildem Klima.
Nun sind wir ganz allein in diesem erhabenen Ambiente. Während die Maschine auf ihrem Seitenständer ruht, mache ich meinen rituellen Gang zur Bandusiaquelle, um mich zu erfrischen:
Dabei geriet schon der antike Dichter ins Schwärmen:
O fons Bandusiae splendidior uitro / dulci digne mero non sine floribus.
O Quelle Bandusias, glänzender als ein Kristall / süßen Weines würdig.— Q. Horatius Flaccus, Carmina III, 13
Für das übliche Picknick auf dem Mäuerchen bleibt uns heute leider keine Zeit, denn hinter Licenza wird es auf der SP 38 richtig lustig. Weiter nordwärts gibt es nur Kurven über Kurven, Berge, Wälder, Täler. Dann führt uns von Poggio Moiano aus ein Mini-Sträßchen auf den Lago del Turano zu, der bald tief unter uns in der Sonne glänzt. Die kurvenreiche SP 34 fordert volle Konzentration ab. Weil danach eine weitere intensive Kurvenstrecke folgt, ist im nächsten Ort erst einmal eine Kaffeepause fällig.
Rocca Sinibalda
ist ein stattlicher historischer Ort, auf den ich mich immer wieder freue. Nicht nur wegen des tollen Ausblicks über die Sabiner Berge von den hohen Stadtmauern aus.
Auch wegen meiner Lieblingsbar, in der ich bei cafè cornetto – einem Espresso mit Hörnchen – nach gefühlten tausend Kurven eine verdiente Ruhepause einlege. Davor findet meine Maschine ihren angestammten Platz.
Die Besitzerin schaut mich unschlüssig an und schiebt mir wortlos zwei Täßchen und zwei Tellerchen auf den Tresen. Was ist denn heute los, sonst kommt der doch immer mit einer adretten Rothaarigen? Und wer ist jetzt diese blonde zavorrina ? Ah, das Fräulein Tochter, che carina, tutto apposto. Lautstark wird Charlottes Identität der Dorfgemeinschaft kommuniziert. Damit ist die Neugier der Barbesucher gestillt. Ein verwitterter Alpini-Veteran am hinteren Tischchen stimmt dazu das Traditionslied seiner Truppe an:
Cara biondina capricciosa / garibaldina trullalà / tu sei la stella di noi soldà …
Dann verabschieden wir uns aus der Runde und ich erwecke den Boxer mit einem Druck auf den Anlasserknopf zu neuem Leben. Drei ältere Herren sind uns hinausgefolgt und fachsimpeln über die pazifikblaue Bi-Emme-Vu. Als wir talwärts rollen, sehe ich im Rückspiegel, wie sie uns mit ihren Gehstöcken nachwinken. Rührend. Ich versuche mir vorzustellen, mit welchen Knatterbüchsen sie einst über diese Bergstraßen gedonnert sein mögen.
Lago del Turano / Lago del Salto
Wer geglaubt hat, sein Kurvenpensum sei damit schon absolviert, wird auf der SP 30 / SP 32 nach Rieti eines Besseren belehrt: Einsamkeit, Berge, Schluchten, Kurven bis zum Delirium. In dieser Einöde bin ich mal mit einer geliehenen Honda Transalp gestrandet. Doch der ADAC holte mich da wieder raus. Innerhalb einer Dreiviertelstunde. Wunder gibt es immer wieder.
Beim Hochziehen in die Berge schmeichelt das kräftige Timbre des Boxermotors meinen Ohren. Das kultivierte Kraftwerk spendet verläßlichen Druck, auch wenn die Maschine mit zwei Personen besetzt ist. Das sauber eingestellte Fahrwerk filtert die Unebenheiten der ruppeligen Landstraße komfortabel weg und vermittelt das beruhigende Gefühl eines kontinuierlich sicheren Bodenkontakts.
Leider nervt die BMW R 1100 R auf solchen endlosen Kurvenstrecken mit den tückischen Lastwechselreaktionen ihres Endantriebs selbst bei leichtem Gaswechsel, sobald uns die Straße in engen Kehren bergan oder talwärts hinabführt.
In Ortsdurchfahrten schäme ich mich fast, wenn beim Gangwechsel das metallisch-penetrante „klonk“ von den Hauswänden widerhallt. Wie kann man nur so viel Chuzpe haben und einem kräftig zahlenden Kunden ein so widerborstiges Räderwerk andrehen? Das alles könnte auf Dauer wirklich ein Scheidungsgrund werden.
Rieti
ist die Wendemarke unserer Motorrad-Traumstrassen in den Abruzzen. Wie zur Belohnung führt die SR 578 von hier aus geradewegs wieder nach Süden – bis zur Abzweigung der SP 67 an den Lago del Salto.
Dieser künstliche Stausee ist durch einen unterirdischen Kanal mit dem Lago del Turano verbunden, an dem wir bereits herumgekurvt sind. Wegen der herrlichen Aussicht auf den langgestreckten Bergsee klicke einen Gang zurück und kontrolliere die Maschine mit sanfter Gashand und lasse den Blick über das Panorama gleiten.
Dann führt uns die auf den SP 27 / 28 / 69 weiter südwärts hinunter ins Turano-Tal bei Arsoli und dann weiter nach Carsoli. Ab hier serviert uns die SP 39 B das Sahnestückchen unserer Tour, eine landschaftlich außergewöhnlich reizvolle Strecke bis nach Subiaco.
Kloster Subiaco
Am Kloster San Benedetto aus dem 12. Jahrhundert haben Reifen und Fahrer Abkühlung redlich verdient. Wie ein Schwalbennest hängt das Klostergebäude an der Felswand. Vom kühlenden romanischen Säulenumgang aus öffnet sich uns ein herrlicher Blick auf Simbruiner Berge, rauschende Eichenwälder und die schmale Straße, die uns in unzähligen Windungen hierher ins Aniene-Tal gebracht hat.
Was hier vor unseren Augen ersteht, ist ein Sinnbild der germanischen Sehnsucht nach dem Süden, wie es uns der Dichter Vergil mit auf den Weg gegeben hat:
Interea videt Aeneas in valle reducta / seclusum nemus et virgulta sonantia silvae / Lethaeumque domos placidas qui praenatat amnem.
Nun vernimmt Aeneas im abgelegenen Talgrund / abgetrennt einen Hain, das rauschende Buschwerk des Waldes / und den Lethestrom, der vor freundlichen Häusern dahingeht.
— P. Vergilius Maro, Aeneis 6, 703 ff.
Schweren Herzens ziehen wir weiter über Hügel und durch Talsenken nach Olevano Romano, ein reizvolles Bergstädtchen mit ganz besonderem Bezug zu Deutschland: In der Casa Baldi arbeiten für jeweils drei Monate junge deutsche Künstler, die ein Stipendium von der Deutschen Stiftung Villa Massimo in Rom bekommen haben. Künstler möchte man halt sein an so einem traumhaften Ort.
Frascati
Von hier aus bringt uns die Via Prenestina (SR 155) und die SR 216 über die Colli Romani nach Frascati. Der Ort ist bekannt durch seinen (mir etwas zu seelenlosen) Weißwein, der auf den Getränkekarten der Touristenlokale einen prominenten Platz einnimmt. Unschlagbar ist allerdings der abendliche Fernblick auf die Ewige Stadt vom Belvedere aus, wo unsere Tour auf Motorrad-Traumstrassen durch die Abruzzen endet.
Aktualisiert am 13/05/2022 von Christian