Der Motorrad-Regen-Blues hat viele von uns in der Wintersaison erfaßt. Hier der Stoßseuzer eines Betroffenen.
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Motorrad-Regen-Blues
Was ist wohl meine traurigste Lektüre dieser Wintersaison? Die Stromrechnung vielleicht? Schlimm, aber leider unvermeidlich. Oder der Börsenbericht? Eher nicht, es geht ja wieder aufwärts. Oder die politische Berichterstattung? Na ja, vieles davon hat man wahrscheinlich eh schon weggedrückt.
Nein, die traurigste Lektüre dieser Wintersaison ist mein Fahrtenbuch. Eine nüchterne Excel-Tabelle, in der ich schon seit langen Jahren fortlaufend mit Datum und Betrag notiere, was ich für mein Motorrad-Hobby ausgegeben habe: Sprit, Ersatzteile, Werkstattkosten und was sonst noch dazukommt. Ein Blick auf die Spalte „Sprit“ erinnert mich erbarmungslos daran, daß ich am 9. November 2022 zum letzten Male meinen Tank randvoll gemacht habe. Von da an herrschte Winterruhe, Grau in Grau, Frost, manchmal Schnee, und immer wieder Regen, Regen, Regen.
Die biblische Sintflut war ein Kurzzeitereignis dagegen: 40 Tage und 40 Nächte. Das konnte Noah auf seiner Arche locker wegstecken, weil der Herrgott ihm danach die Sonne wieder scheinen ließ. Aber jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, trommelt der Regen immer noch gegen die Fensterscheiben und wir sind wir schon bei fünf Monaten Dreckswetter angelangt.
Wo bleibt da eigentlich der übel beleumundete Klimawandel? Vielleicht nur ein gemeinverträgliches Bißchen davon, und sei es nur ein Sonnentag, der uns in die Freiheit der Landstraße wieder schenkt? Fehlanzeige.
Nicht daß ich Regen nicht abkönnte. Ich habe lange genug im Nordosten Englands und im Nordwesten der USA gelebt, um mit diesem Wetterphänomen fertig zu werden. Selbst die tropische Regenzeit von Juni bis September hat mir nie etwas ausgemacht, weil es da wenigstens schön warm war. Und fahren bei Regen habe ich unter triefenden Palmen wirklich gelernt. Aber hier in (C)old Germany?
Kurzes Zwischenspiel
Einen halbwegs brauchbaren Tourentag wenigstens konnte ich dieser Dauer-Schmuddelsaison abgewinnen: Den Tag, als ich meine neue Maschine vom Händler abholte und die rare Gelegenheit nutzte, um gleich ein wenig auf Tour zu gehen. Zum Augenblicke dürft‘ ich sagen, verweile doch, du bist so schön, seufzte da Goethes Faust. Ein gut gewählter Augenblick, um den ich froh bin. Denn seither schlummert meine höchst einsatzbereite Tracer 9 GT unbeschäftigt in der Tiefgarage vor sich hin.
Was mir als Ersatzbeschäftigung bleibt, ist das Studium der Betriebsanleitung samt einer Entdeckungsreise durch die Tiefen der elektronischen Menüführung. Und auch sonst: So viele Monate kann ja kein Mensch an seiner Maschine herumschrauben, um sich die Strafzeit des Dauerregens zu vertreiben. Es sei denn, er baut sich gleich ein Custom Bike. Ausreichend Zeit dafür hätte er ja.
Mit schöner Regelmäßigkeit werde ich daran erinnert, daß ich nicht allein unter dem Motorrad-Regen-Blues leide. Denn ich kann mich nicht erinnern, daß mir in früheren Jahren so viele Sonderangebote der Motorradausrüster in meinen Postkasten und mein Postfach geflattert wären wie in dieser unerträglich langen Wintersaison. Harte Zeiten für alle Beteiligten.
Bleibt nur die Hoffnung, daß möglichst bald der Frühling sein blaues Band wieder durch die Lüfte wehen läßt und wir auf der Straße denen Gesellschaft leisten können, die bei Wind und Wetter die ganze Zeit tapfer mit dem Motorrad zur Arbeit gefahren sind.
Nachtrag
Irgendwie hat es mir jetzt aber doch gereicht: Ich habe auf dem Regenradar die Rückseite einer abziehenden Schlechtwetterfront abgepaßt und mich auf die Piste geschlagen. Was für ein befreiendes Gefühl! Zur Begleitung jubilierte der hochdrehende Motor in meinem Kopf meine Lieblingsarie in Dauerschleife:
Piano piano, a poco a poco si sviluppa un certo fuoco;
e improvviso a tutti ignoto balzi fuori un terremoto,
che crollando ~ strepitando, fracassando ~ sconquassando,
poi mi venga a risvegliar.
— Gioachino Rossini, La Cenerentola, 1. Akt, Schlußszene
Ein Erdbeben bricht los, der Motor feuert, donnert und trompetet und weckt mich aus dem monatelangen dumpfen Motorrad-Winterkoma. Mein rotes Aschenputtel läuft zu großer Form auf. Der erste Jahreseintrag in mein Fahrtenbuch ist fällig. Jetzt ist mir schon mal wohler.
Aktualisiert am 19/04/2023 von Christian
Bergheim Michael
19. April 2023 at 20:12
Hallo Christian,
Du Armer, ich kann es Dir nachfühlen und hoffe für Dich auf einen baldigen Anstieg des Luftdrucks. Hier in Andalusien herrscht das Problem des Wassermangels, denn ich auf meinen Touren rund um Cazorla jeden Tag an den Stauseen am Wegesrand bestätigt sehe. Naja, irgendwas ist ja immer.
Halt aus
Grüße aus Andalusien
Michael
Christian
8. Mai 2023 at 21:26
Hallo Michael,
wäre ich nicht selbst jahrelang in Südeuropa (Italien) gefahren, würde ich fast neidisch. Viele schöne Erinnerungen helfen mir dabei, die hier immer noch sehr gemischte Wetterlage zu überstehen.
Viele Grüße
Christian
Martin
10. Mai 2023 at 10:12
Regen ist zumindest für die Natur gut;)
Martin
Christian
11. Mai 2023 at 09:59
Als Naturfreund stimme ich Dir zu 100% zu – aber als Motorradfahrer nervt(e) mich der Regen auf Dauer dennoch.
Gute und sonnige Fahrt wünscht Dir
Christian