Trotz ihrer Nähe zu Berlin ist die Lausitz vielen unbekannt. Eine Lausitztour mit dem Motorrad bringt unerwartete Erlebnisse und Entdeckungen.
Auf der „Autobahn der Freiheit“ in die Lausitz
Kühe – Kohle – Kiefernwälder. Die Lausitz. Wer jenseits dieser Stereotypen die Region kennenlernen möchte, muß tiefer in die Vorbereitung einsteigen. Doch es lohnt sich unbedingt, wie unsere Lausitztour mit dem Motorrad zeigt.
Nicht zuletzt hat mich meine Motorradtour in die Niederlausitz wegen ihrer zahlreichen Überraschungen zu weiteren Unternehmungen in dieser Gegend animiert. Denn links und rechts der Strecke verbirgt sich manches touristische Kleinod. Deshalb hole ich jetzt mit mehr Zeit das Versäumte nach.
Il primo sole è mio.
Mir gehört der erste Sonnenstrahl.
– Giacomo Puccini, La Bohème, I. Akt (Mimi)
Da im November die Tage schon schon deutlich kürzer sind, sollte man bei einer Tagestour möglichst früh auf den Anlasserknopf drücken.
Es gilt also, Zeit zu gewinnen für meine Entdeckungstour. Deshalb begebe ich mich erst mal auf die „Autobahn der Freiheit“ Richtung Osten, der fahlen Wintersonne entgegen. Früher ging das in die umgekehrte Richtung. Da sagten die Polen „Autostrada do wolności“ und meinten den Weg in den Westen. Aber die Zeiten ändern sich.
Gegen die Morgenfrische bei 5° bin ich mollig gewappnet mit Winterkombi, Winterhandschuhen und meiner dicken Тельняшка, wie sie bei der russischen Nordflotte getragen wird.
Nach einem erfrischenden Ritt verlasse ich das graue Band der Autobahn und gehe auf Südkurs. Dann immer am Scharmützelsee entlang.
Streckenführung der Lausitztour
Berlin – AB Ausfahrt 5 Fürstenwalde-Ost – Storkow – Herzberg – Lindenberg – Groß Rietz – Trebatsch – Goyatz – Doberlug – Lieberose – Goschen – Goyatz -Kossenblatt – Limsdorf – Groß Eichholz – Schwerin – Prieros – Bestensee – Berlin. 257 km
Mysterium der Schachbrettsteine
Erster Anlaufpunkt meiner Lausitztour mit dem Motorrad ist die Dorfkirche von Herzberg. Hier gibt es an der Ostwand der Kirche gibt es als ornamentale Besonderheit neun Schachbrettsteine zu entdecken: einzelne ebene Quadersteine, in die die die Steinmetze ein schachbrettartiges Muster eingemeißelt haben. Sie sitzen im Mauerwerk der Kirchenfassade und sind meist in drei bis sechs Zeilen / Spalten aufgeteilt.
Aber was haben diese Steine zu bedeuten? Hierzu gibt es eine These, die sie als eine Sonderform der üblichen Zunftzeichen der Steinmetze interpretiert. Solche Zeichen sind in vielen Bauwerken erhalten.
Eine andere Version erzählt die Legende, nach der der Teufel mit Gott dem Herrn um den Bau der Kirche Schach spielte. Als er verlor, erhielt das Schachbrett in Form eines Steinquaders einen Erinnerungsplatz im Mauerwerk der Kirche. Diese Deutung gefällt mir persönlich besser.
Ohne Höllentempo gondele ich auf meiner Lausitztour einen Kilometer weiter nach Lindenberg. Hier steht
Einziges Wettermuseum Deutschlands
Am Ortseingang rechts überrascht mich die Existenz des einzigen Wettermuseums in Deutschland. Es ist zurückzuführen auf das in der Nähe befindliche Meteorologische Observatorium Lindenberg des Deutschen Wetterdienstes. Das einzige Museum in Deutschland, das der Sammlung, Bewahrung und Vermittlung zur Meteorologie als Ganzes gewidmet ist.
Die Sammlung dokumentiert das Wirken des Observatoriumsgründers Richard Aßmann (des Mitentdeckers der Stratosphäre), dessen Denkmal in der Ortsmitte steht. Er gründete hier 1911 den Luftfahrerwarndienst für Deutschland (den Vorläufer der Flugsicherung).
Darüber hinaus fand hier der bis heute ungebrochene Höhenweltrekord für Drachenflug am 1. August 1919 mit 9.740 m statt.
Kurz vor dem Ortsausgang liegt linker Hand das
Bankiers-Schloß Lindenberg
Die 1446 entstandene Schloßanlage blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Ihr letzter Besitzer vor dem Kriege war der Kölner Bankier Robert Pferdmenges, Duzfreund und Finanzberater des früheren Kölner Oberbürgermeisters und späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer.
Beide trafen sich hier 1937 zum trauten Gespräch. Nach dem 20. Juli 1944 wurde Pferdmenges in den Mauern seines Schlosses unter Hausarrest gestellt.
Schon um 1910 wurde der Park der Gutsanlage aus dem 17. Jahrhundert zu einem Landschaftspark umgestaltet. Seine Sichtachsen, Pflanzengruppen, seltenen Baumarten und Einbauten sind weitgehend erhalten. Heute wird das Schloß zwar wieder teilweise privat genutzt. Aber sein Erhaltungszustand vermittelt nach jahrzehntelanger Fehlnutzung einen jammervollen Eindruck.
Eisenbahnviadukt von Lindenberg
Auf meiner Lausitztour mit dem Motorrad überspannt westlich von Lindenberg ein 1897 gebauter Eisenbahnviadukt den sog. Blabbergraben. Das hat aber nichts mit Blabbern zu tun. Vielmehr ist es ein landschaftlich äußerst reizvolles Feuchtbiotop. Das architekturtechnisch recht interessante Bauwerk gehört zu den 340 Eisenbahnbrücken in Brandenburg, die älter als 80 Jahre sind. Einst wurde sie gebaut, um die schweren Dampflokomotiven der Baureihe 52 mit einem 1200-Tonnen-Zug zu tragen. Heute jedoch überquert sie nur noch gelegentlich ein Triebwagen der ODEG . Zumindest überstand sie eine Kleine Anfrage im Deutschen Bundestag (*ggg*).
Von da aus sind es nur ein paar Kilometer auf gerader Straße sind es bis zum
Schloss Groß Rietz
Der Bau gehört zu den hervorragendsten Beispielen der Schlossbaukunst in Brandenburg. Das ursprüngliche Ensemble von Schloss, Park, Wirtschaftsgebäuden, Kirche und Friedhof ist noch vorhanden. Im Inneren des Schlosses beeindrucken besonders die dreiarmige Treppenanlage und die Stuckdecken.
Doch nach 1945 hatte mit Enteignung, Bodenreform und artfremder Nutzung der Niedergang der Anlage begonnen. Dann wurde das Gebäude jahrelang saniert. Erst kürzlich konnte es einer privaten Nutzung zugeführt werden.
Picknick im Schloßpark
Das Ensemble von Schloß und Park nimmt mich gefangen. Auf einem moosüberwucherten Denkmalsockel im Park richte ich mein Picknick an: Putenbrust, mariniert in raffinierter Teriyaki Sauce. Begleitet von einem Salat aus lilaroten Rüben, dezent abgeschmeckt. Das Getränk schlägt leider etwas aus der Reihe: Ich habe eine Thermosflasche heißen Tee dabei, um mich nach längerer Fahrt innerlich aufzuwärmen. Eigentlich hätte ein guter grüner Tee dazu gepaßt, am besten ein Hojicha. Den habe ich aber nicht. Deshalb muß ein guter Assam aus der zweiten Ernte reichen.
Dann setze ich, wohl gestärkt, meine Lausitztour mit dem Motorrad fort. Entlang der nahen Waldmoore mache ich einen weiten Schlenker Richtung Südspitze Schwielochsee. Schließlich erreiche ich auf landschaftlich wunderschönen Sträßchen
Schloß Lieberose
Über 400 Jahre war Schloß Lieberose im Besitz der Familie Schulenburg. Danach teilte der schlichte Barockbau das Schicksal zahlreicher Herrenhäuser: bei Kriegsende teilzerstört, enteignet, zweckentfremdet, dem Verfall preisgegeben. Traurig.
Jetzt wartet es auf adäquate Nutzung. Von der Brandenburgischen Schlössergesellschaft ist es zu mieten. Von den verlangten € 5,50 netto/kalt kann man als Großstädter nur träumen. Aber wer kann schon etwas mit 3.170 m2 Nutzfläche anfangen?
Dann geht es auf der B 168 5 km weiter nordwärts Richtung Friedland. Folgt man dem Wegweiser und biegt dann links nach Goschen ab, erreicht man nach einem weiteren halben Kilometer den Ort. Man durchquert ihn bis zum Ortsende und biegt dann nach der LPG links auf einen unbefestigten Waldweg ab. Nach ca. 400 m kommt man zum
Friedrichstein bei Goschen
Er ist auffindbar unter den Koordinaten 52.0159, 14.2917
Hier erinnert ein Gedenkstein mit der Aufschrift FRIDERICUS REX an die vernichtende Niederlage Preußens gegen die verbündeten Russen und Österreicher in der Schlacht bei Kunersdorf 1759.
Nachdem er in der Schlacht Knapp dem Tode entkommen war, scharte Friedrich d. Gr. hier die kümmerlichen Reste seiner Truppen um sich. Dann konnte er von hier aus nachts beobachten, wie im benachbarten Schloß Lieberose die Russen munter marodierten. Das Ende Preußens schien nunmehr gekommen.
Doch unschlüssige Russen und zaudernde Österreicher drängten nicht nach. Zum Glück. Deshalb konnte der Alte Fritz an seinen Bruder Heinrich schreiben:
Ich verkünde Ihnen das Mirakel das Hauses Brandenburg. … In der Zeit, da der Feind die Oder überschritten hatte und eine zweite Schlacht hätte wagen und den Krieg beendigen können, ist er nach Müllrose und Lieberose marschiert.
Später verglich Bertolt Brecht die Schlesischen Kriege mit den Punischen Kriegen im Altertum:
Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.
Der Staat Preußen wurde 1947 von den Alliierten aufgelöst.
Reichsseesportschule Prieros
Zurück führt meine Lausitztour mit dem Motorrad Richtung Nordwesten bis zum StÜbPl Storkow und weiter nach Groß Eichholz. Von dort schlagen wir einen Bogen über (die Dörfer) Schwerin und Streganz nach Prieros. Dort liegt am anderen Ufer der Dahme-Wasserstraße ein Wassersportgelände mit bewegter Vergangenheit:
In den 20er Jahren gehörte es dem „Arbeiter- Turn- und -Sportverein Fichte Berlin„, dem größten und wettkampfstärksten Sportverein der „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“. Unter der Kurzbezeichnung „Rotsport“ war sie ein KPD-naher Arbeitersportverband in der Weimarer Republik.
Jedoch verboten die Nationalsozialisten nach 1933 „Rotsport“ und enteigneten mit seinem Vermögen auch das Wassersportgelände in Prieros. Ab 1935 bauten sie es zur „Reichsseesportschule“ aus. Dann wurde nach 1945 der Magistrat von Berlin Betreiber des Objektes.
Auf der B 246 geht es dann bei Bestensee auf die Autobahn und zurück nach Berlin.
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Aktualisiert am 05/03/2021 von Christian