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Harmonie mit der Sozia im Sattel

Was wäre Motorradfahren ohne Begleiterin? Harmonie mit der Sozia im Sattel ist ein etwas Besonderes und unverzichtbarer Teil der Motorradkultur. Warum?

Vorbild: Die Sozia in der italienischen Motorradkultur

Dieser Tage kam mir ein italienischer Ausdruck wieder in den Sinn, der über Jahrzehnte aus meiner Erinnerung verschollen war: „La zavorrina“. Auf Deutsch bezeichnet er die Mitfahrerin auf einem Motorrad. Aber nicht nur als Verkörperung der Harmonie mit der Sozia im Sattel: Als Teil der nationalen Motorradkultur charakterisiert er eine besondere Lebenseinstellung. Was hat es damit auf sich?

Junges Paar auf einer Vespa im Stadtverkehr als Beispiel für Harmonie mit der Sozia im Sattel

Harmonie mit der Sozia im Sattel

In den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, als ich mit meinen Kumpanen auf einer geliehenen Moto Guzzi den ligurischen Küstenstreifen zwischen Genua und Livorno unsicher machte, war ein Schlageort in aller Munde: la zavorrina – das Mädel, das man als Beifahrerin hinten drauf hat. Unverzichtbarer Bestandteil jeder Motorradtour.

Dann verschwand der Begriff in der Versenkung. Zusammen mit bekannten Motorradmarken wie Laverda, Garelli oder Moretti. Und denen, die fast den Bach runtergegangen, zwischenzeitlich aber auferstanden sind.

Natürlich trug auch der eigene Lebensweg dazu bei, ihn außer Dienst zu stellen. Aber auch bei mir ist die zavorrina auferstanden – strahlender denn je.

Inzwischen hat sich in Italien eine ganze Szene (wieder) entwickelt. Frauen jeden Alters, die aus Passion Motorrad mit-fahren. Frauen, die ein ganz eigenes Selbstverständnis entwickelt haben, das sich von Mitfahrerinnen in anderen Ländern meistenteils grundlegend unterscheidet.

So gesehen ist die zavorrina ein wunderschöner Teil der italianità, der landestypischen Bewegungs- und Gesellschaftskultur. Unter verschiedenen Aspekten lohnt er eine nähere Betrachtung.

Ein Wort für eine ganz eigene Welt

Vorweg ein kleines Kapitel Wortkunde: Der Begriff „zavorrina“ leitet sich ab von dem Substantiv „la zavorra“. Was im Italienischen soviel bedeutet wie „Ballast“, der z. B. in einem Schiff oder einem Segelboot verstaut ist. Oder auch einen Sandsack, den ein Ballonfahrer in seiner Gondel mitführt und den er beim Aufsteigen ausrieseln läßt.

„Totlast“ könnte man den Ausdruck auch ganz prosaisch übersetzen. Was im Transportwesen soviel bedeutet wie das Gewicht, das mit einer Nutzlast mittransportiert werden muß. Wer aber auf die Idee käme, seine Mitfahrerin – auch nur zum Spaß – als „Totlast“ zu bezeichnen oder zu behandeln, wäre sie wohl nullkommanix wieder los.

„Zavorrina“ ist die Verniedlichungsform davon. Sie bezeichnet in der Umgangssprache unserer italienischen Motorradfreunde nichts anderes als „die Kleine, die hinten drauf sitzt“. Eine Sozia also. Als solche ist sie aber Teil einer eigenen Welt. Sie verkörpert ganz eigene Werte und gehört zur nationalen Motorradkultur.

Was zeichnet eine zavorrina aus?

Sie …

  • ist eine Motorradfahrerin, die Spaß am Motorradfahren hat, ohne selbst zu fahren;
  • liebt das Motorrad und den Kitzel der Geschwindigkeit;
  • hat blindes Vertrauen in ihren Fahrer. Und umgekehrt;
  • paßt sich voll an alles an, was das Fahren mit sich bringt, also: Kilometer fressen, Regen, Hitze und Kälte aushalten;
  • ist keine Last. Sie ist spürbar, aber behindert nicht;
  • ist ihrem Fahrer eine große Hilfe, weil sie all das wahrnehmen kann, was der Fahrer nicht sehen kann. Vier Augen sehen mehr als zwei.

Ein richtiger Motorradfahrer soll deshalb stolz darauf sein, so eine waschechte zavorrina als Beifahrerin zu haben und mit ihr all die schönen Erlebnisse zu teilen.

10 Gebote für die Harmonie mit der Sozia

Was macht nun den ganz besonderen Wert einer zavorrina aus, die etwas auf sich hält? In der Szene gibt es dafür eine Art Katalog von Zehn Geboten. Sie lauten ungefähr so: Du sollst

  1. keine Angst vor dem Motorrad haben.
  2. dem Fahrer blind vertrauen.
  3. keine unkontrollierten oder ruckartigen Bewegungen machen und schon gar nicht die Beine in der Kurve ausstrecken.
  4. so gut wie möglich die Manöver des Fahrers mitverfolgen.
  5. Dir Deinen Rücken gut bedecken und nicht im String-Tanga auf Tour gehen.
  6. auf der Tour bequeme Motorradkleidung und Stiefel tragen.
  7. nicht rumjammern.
  8. wissen: Für Dich gibt es kein gutes oder schlechtes Wetter, sondern nur gute oder schlechte Klamotten.
  9. wissen, daß Du oft auch mal einen Rucksack aufsetzen mußt. Also nicht meckern, sonst läßt Dich der Fahrer zu Fuß weitermarschieren.
  10. Spaß bei der Tour haben, die man so eigentlich nur vom Motorrad aus genießen kann.

Was soll sie dabei im Hinterkopf haben?

  • Zunächst mal: Keine Panik, wenn es unterwegs unbequem wird. Solche Phasen werden mit Emotionen belohnt, die andere so nicht haben können.
  • Es ist ein tolles Gefühl, Deinen Fahrer und seine ganze Truppe getroffen zu haben. Mit ihnen kannst Du unvergleichliche Erfahrungen machen.
  • Vor allem muß eine echte zavorrina eines sein: verrückt!!!

Harmonie mit der Sozia im Sattel

Rothaarige Motorradfahrerin in roter Kombi vor einer BMW R 1200 GS mit Blick vom Mt. Tamalpais auf die San Francisco Bay in Kalifornien - eine Szene der Harmonie mit der Sozia im Sattel

Ruhepause nach einer Kurventour auf den Mt Tamalpaias mit Blick auf San Francisco

Was die Mädels so schreiben und bereden, läßt sich auf folgenden gemeinsamen Nenner bringen:

Du liebst das Gefühl der Freiheit, das die Maschine Dir schenkt. Du bist mit Leib und Seele zugleich unterwegs. Das vermittelt dieses einzigartige Gefühl, einen besonderen Lebensstil zu haben. Und Du weißt sehr wohl, was das bedeutet.

Wenn Dein Typ mal zu schnell fährt, halte Dich einfach fest. Zum Schutz, und um nicht davonzufliegen. Es macht Dir Spaß, fernab vom Chaos des Alltags neue Orte zu entdecken. Gottverlassene Orte, wo Du nach vielen Kurven und Hügeln ein Plätzchen findest, um etwas zu essen und Dich auszuruhen. Oder am Meer, wenn Du vor der Hitze der Stadt fliehst und badest.

Rothaarige Motorradfahrerin vom Berg aus auf das Meer bei Stinson Beach in Kalifornien blickend

Blick auf Stinson Beach in Kalifornien

Du hast Spaß daran, neue Leute kennenzulernen, die deine Passion teilen. Du triffst sie auf der Straße oder in der Bar. Wo auch immer Du Halt machst. Du fängst ein Gespräch mit Leuten an, die Du noch nie gesehen hast. Aber es kommt Dir so vor, als würdest Du sie schon ewig kennen.

Rothaarige Motorradfahrerin bei der Zigarettenpause mit drei anderen Damen in Paradise Post, Clark Fork Valley, Montana

Zigarettenpause in Paradise Post, Clark Fork Valley, Montana (USA)

Wenn Du dann mit einer Gruppe eine Ausfahrt machst und merkst: Du bist die einzige Frau – dann macht Dir das gar nichts aus. Wenn Du müde bist, wenn es regnet und kalt ist und Du nicht mehr kannst und noch Lichtjahre von zuhause weg bist und denkst: „Schluß jetzt, das nächste Mal bleibe ich zuhause und gehe shoppen“.

Rothaarige Motorradfahrerin liegend bei einer Ruhepause an einer Tankstelle mitten in Russland

Verdiente Ruhepause an einer Tankstelle mitten in Russland

Harmonie mit der Sozia im Sattel heißt aber noch mehr. Und wenn sie Dich dann fragen: „Bist Du am Sonntag wieder dabei?“ Dann sagst Du: „Klar doch, was für eine Frage!!!“ Und wenn Du dich dann am Montag wieder ins Büro schleppst nach all der Kilometerfresserei am Sonntag, dann hast Du ein Lächeln im Gesicht“.

Aktualisiert am 19/12/2019 von Christian

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