Ein Frühstart in den Sommertag bringt ungeahnten Motorrad-Fahrgenuß. Selbstüberwindung wird durch faszinierende Eindrücke belohnt.
Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten
Mit Selbstüberwindung in einen herrlichen Tourentag
Bruthitze bei uns im Juni wie zur Ferragosto in Sizilien. Einen solchen Tag auf der Motorradtour durchzus(chw)itzen macht, wie wir es vor der Pandemie erlebt haben, nur begrenzt Freude. Wie also den Tourenvirus bändigen, wenn die Hitze flirrt, der Schweiß rinnt und die Kombi klebt? Da gibt es nur eine Lösung: ganz früh aufstehen und einen Frühstart in den Sommertag hinlegen. Mit beschwerlichem Anlauf zwar, dafür aber mit herrlichen Tourenerlebnissen.
Frühstart in den Sommertag
Das erfordert allerdings einige Disziplin: am Vorabend den Weißherbst rechtzeitig zurück in den Kühlschrank verbannen und den Magnetismus der Matratze überwinden, wenn früh um 4 Uhr der Wecker rebelliert.
Katzenwäsche – Kombi – Kaltstart. Entschlossen katapultiere ich mich in die Realität des Tourentages, der mir von den ersten Metern an ungewohnte Befindlichkeiten schenkt: Ohne Autoschlangen und Ampelgedöns rolle ich zügig aus der Großstadt hinaus und gewöhne auf der Autobahn die 290 Kilo Lebendgewicht unter mir an die Pflichten des heutigen Tages.
Die Natur erwacht
Sobald ich nach einer halben Stunde die Landstraße unter die Räder nehme, umfangen mich die frühmorgendlichen Reize der Natur. Das köstliche Bouquet frisch gemähter Wiesen, knorriger Kiefernwälder und blühender Buschreihen dringt durch das offene Visier. Kühe auf den Weiden kündigen mit ihrem Stallgeruch schon von weitem ihre Präsenz an. Das makellos autofreie Band der Straße vor mir und im Rückspiegel macht mir bewußt, wem die Piste an diesem jungfräulichen Sommertag gehört: mir, ganz allein mir.
Nicht ungeteilt allerdings, denn Waldstrecken und Waldränder mahnen zu besonderer Wachsamkeit mit Blick auf den regen Wildwechsel zu dieser frühen Stunde. Im Übrigen gehört Bambi eher in die Bratröhre als auf mein Vorderrad.
Straße, Seen und Wälder gehören mir
Was zum perfekten Naturerlebnis jetzt noch fehlt, ist eine reizvolle Kurvenstrecke am Seeufer entlang. Die aufgehende Sonne taucht den Uferwald in leuchtend warme Farben. Dabei zwingt sie mich immer wieder zu verhaltenem Fahren, sobald meine Strecke in das blendende Orangerot hineinbiegt.
Schilf, Wasservögel und Fischer in flachen Booten garnieren ein idyllisches Bild, das sich auf einer Motorradtour zu „üblichen“ Tageszeiten so nicht bietet. Den nächsten See samt feinsandiger Badestelle erreiche ich durch ein menschenleeres Dorf. Da aber mein Magen nach mittlerweile 100 km berechtigte Bedürfnisse anmeldet, umrunde ich das blaue Gewässer, um auf einem Bellevue meine überfällige Frühstückspause zu zelebrieren. Auf dem Feld nebenan leistet mir ein kapitaler Rehbock Gesellschaft, der sich an dem reichlichen Angebot leckerer Gräser bedient.
Nach ein paar Kilometern verschluckt mich der Grumsin, einer der größten naturbelassenen Buchenwälder Deutschlands. UNESCO-Weltnaturerbe. Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch lichtgrünes Laub und fallen auf die holprige, teergeflickte Pflasterstraße, die mich im tiefen Wald zu meinem nächsten See führt. Sein Wasser ist spiegelglatt und klar bis auf den Grund. Ein erfrischendes Bad macht mich fit für die weitere Strecke, die ich dann unter der warm aufsteigenden Sonne absolviere.
Umleitung mit Überraschungen
Gut abfrottiert und wieder in standesgemäßer Bekleidung umrunde ich auf einem Betonplattenweg aus DDR-Zeiten den restlichen Grumsin. Auf einer achterbahnähnlichen Kurvenstrecke halte ich auf Angermünde zu. Dort macht mich das Navi mißtrauisch, denn es will mich patrout nicht auf meine geplante Strecke lassen.
Bald wird mir der Grund klar: Umleitung. Dabei muß man wissen: Umleitung ist hier in der Uckermark nicht einfach Umleitung. In dieser Gegend reden wir von einer Extrastrecke von mindestens 30 Kilometern. Aber was soll’s, der Tag ist jung, die Gegend herrlich und meine Fahrlaune top. Und was mich dann erwartet, ist zehnmal besser als jegliche Option „Spannende Routen planen“ auf dem Navi. Ich durchquere eine hügelige Moränenlandschaft mit Büschen, Weihern und malerischen Dörfern. Allenthalben spähen kurzschnabelige Jungstörche über den Nestrand nach ihren futtersuchenden Eltern. Auch wenn sich hier die übliche eiszeitliche Holperstrecke wieder mal nicht vermeiden läßt – die Atmosphäre ist phänomenal.
Ein weiter Bogen durch die schweigende Schorfheide führt mich schließlich wieder zurück in Richtung Heimat. Die Sonne steht schon hoch, es wird spürbar wärmer. Erste Motorradkameraden kommen mir entgegen. Auf sie wartet ein schweißtreibender Hitzetag. Höchste Zeit, dem zu entfliehen. Vor der Schlußetappe gönne ich mir noch einen tiefen Schluck aus der Thermoskanne und bereue mit keiner Faser meines Herzens meinen Frühstart in den Sommertag, der mir die schönste Tour seit langem beschert hat.
Fazit
Da wir uns darauf einstellen müssen, daß die Sommer in unseren Breiten wohl eher wärmer werden als kühler, müssen wir unsere Tourenplanung entsprechend anpassen. Ohne einen beherzten Frühstart in den Sommertag wird das Motorradfahren recht beschwerlich werden. Zum Trost aber: Eine Frühtour bietet wunderbare Eindrücke und Erlebnisse, die uns für das frühe Aufstehen reichlich entschädigen.
Tourenstrecke
Für alle, die meine Frühtour in die Uckermark gerne nachfahren möchten, hier die Streckenführung:
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest Du hier.
Aktualisiert am 30/06/2022 von Christian
Lukas Kiermeyr
21. Juni 2021 at 08:57
Servus Christian. Danke für Deinen Beitrag. Solche Erlebnisse wünsche ich Dir noch oft. Bleib gesund.
Christian
21. Juni 2021 at 10:49
Hallo Lukas, herzlichen Dank für Deine Geburtstagswünsche! Die Tour war der Abschied vom alten Lebensjahr, weshalb ich sie ein bißchen eingängiger beschrieben habe. Alles Gute, Christian