Motorrad Reiseblog mit Touren, Tipps & Tricks

Fahrten ins Graue

Fahrten ins Graue bei Wind und Wetter außerhalb der Saison entfalten einen eigenen Reiz, wenn man ein individuelles Programm damit verbindet.

Der Winter soll ruhig kommen!

Ein Doppelschlag wird uns Motorradfahrer treffen, wenn es so weitergeht, wie es momentan den Anschein hat: Zum einen schleicht sich die Motorrad-Kernsaison mit ihren kommoden Wetterlagen von dannen. Zum anderen erscheint es unrealistisch, daß die Corona-Bedrohung samt ihrer Kollateralschäden auf absehbare Zeit gebannt sein wird.

Zwar haben wir im Laufe des Jahres gelernt, daß das Erscheinen des Virus keineswegs das Ende der motorisierten Fortbewegung bedeuten muß. Aber der lange Road-Trip, wie wir ihn lieben, ist nicht mehr der, der er bislang war. Unsicherheit in Bezug auf bestehende Sonderregelungen, eingeschränkte Verfügbarkeit von Etappenquartieren oder manche maßnahmenbedingte „Entsozialisierung“ nehmen der Tour viel vom Freiheitsgefühl und dem Charme, der uns mit dem Motorrad auf die Strecke treibt.

Derweil stapeln sich in den einschlägigen Geschäften die Angebote von stimmungsaufhellenden Tageslichtlampen – ein untrügliches Zeichen dafür, wie schwer die hereinbrechende graue Jahreszeit für viele zu ertragen ist: kurze Tage, trübes Licht, abstoßendes Wetter. Vielleicht sind die 03/10er-Saisonkennzeichen auch ein Fanal der Resignation, wenn sie ab November von der Bildfläche verschwinden.

Bei mir haben diese Aussichten eine Trotzreaktion hervorgerufen: Wenn ich schon im Laufe des Jahres viele schöne Tourenkilometer habe drangeben müssen, fahre ich jetzt erst recht diese Wintersaison durch. Jedenfalls, solange dies vernünftigerweise möglich ist. Ich begebe mich auf eine physische und mentale Entdeckungsreise ins Graue. Auf ihr will ich dieses Jahr intensiver als üblich erfahren, welche Erlebnisse mir Wind und Wetter, fahles Licht und trüber Schatten auf zwei Rädern bescheren können.

Dafür habe ich mir ein Sonderprogramm gestrickt. Wie sieht es aus? Was stelle ich in dieser Wintersaison an, um auf und mit dem Motorrad Spaß zu haben?

Mein winterliches Tourenprojekt

fahrten ins graue: motorrad am ufer der elbe in sachsen-anhalt

Einsames Warten auf die Elbfähre in Sachsen-Anhalt

Zunächst: Einfach nur rumfahren um Strecke zu machen, reicht mir nicht. Ich will auf meiner Tour etwas erleben, etwas Neues kennenlernen. Das Mosaik meiner Eindrücke muß sich vervollständigen. Strawanzen sagt man in Bayern dazu: umhervagabundieren, um zu sehen, was abgeht. Dafür habe ich mir schon im Sommer zwei Projekte zurechtgelegt, die ich in der unschönen Jahreszeit bei Fahrten ins Graue umsetzen möchte.

Landschaftsparks in Ostdeutschland

Im Laufe des Jahres habe ich bei meinen Touren an die 50 Landschaftsparks und herrschaftliche Anwesen in Ostdeutschland durchstreift. Meist, um an einem schönen Ort eine Pause einzulegen und mich bei dieser Gelegenheit dort näher umzusehen. Aber auch, um zu fotografieren. Schöne, einsame und idyllische Tourenziele sind das, besonders, solange uns die Corona-Krise Beschränkungen um gesellschaftlichen Umgang auferlegt:

In solitude, when we are least alone.
—  Lord Byron, Childe Harold’s Pilgrimage III, 90 (1816)

Deshalb werde ich jetzt im Winter etliche dieser Touren wiederholen. Wenn im fahlen Winterlicht die exotischen Parkbäume ihre entlaubten Äste in den grauen Himmel recken, macht die schwarz-weiße Szenerie einen graphischen Eindruck. Sie ist dann keineswegs tot, sondern nimmt den Betrachter mit einer ganz eigenen Ästhetik gefangen.

liebesinsel im schlosspark von mirow, mecklenburg-vorpommern

Liebesinsel im Schloßpark von Mirow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte

Dazu habe ich mir eine Großpackung Schwarzweißfilme besorgt, mit denen ich meine Leica M3 füttern werde. Wenn die Leica-Optik eine herausragende Abbildungsqualität hat, dann in Schwarz-Weiß bei mittlerer bis weit geöffneter Blende. Da ist sie einfach unschlagbar, auch gegenüber der digitalen Ausrüstung, die ich üblicherweise im Tankrucksack mitführe.

fahrten ins graue: pavillon im schlosspark von blankensee in brandenburg

Refugium auf einer winterlichen Schmuddeltour: Pavillon im Schloßpark von Blankensee, Lkr. Teltow-Fläming

Zusammen mit dem Stativ ist sie wasserdicht im Heckkoffer verstaut. Ebenso meine Verpflegung und die Thermoskanne mit heißem Tee, der bei winterlicher Kälte ein wohliges inneres Wärmegefühl aufkommen läßt. Nicht zuletzt gibt es in vielen Parks immer ein Tempelchen oder einen Pavillon, in dem man wettergeschützt Picknick machen und einen frischen Film einlegen kann.

Eindrücke vom Corona-Alltag

Von meinen Fahrten ins Graue möchte ich aber noch weitere Eindrücke mitbringen. Impressionen davon, wie sich der Corona-Alltag auf das Leben unterwegs auswirkt. Was hat sich verändert? Und wie? Wie sieht jetzt das Leben abseits der größeren Städte aus? Ich bin mal gespannt, welche Bilder mir da vor die Linse kommen werden.

Ausrüstung

Gemütlich werden diese Unternehmungen sicher nicht: Tourentage unter grauem Himmel, kilometerlange Tristesse, Kälte, die mit der Zeit unter die Kombi kriecht. Und wenn der Himmel seine Schleusen öffnet, fällt im besten Falle Nieselregen. Aber bei schönem Wetter Motorrad fahren kann ja jeder. Außerdem ist es ein gutes Training zum Motorradfahren auf nassen Straßen, das kann auch nicht schaden.

Meine Ausrüstung ist vorbereitet und liegt für meine Fahrten ins Graue bereit: Die Kombi ist frisch imprägniert, die Stiefel sind satt eingefettet. Die neue Merino-Unterwäsche wird mich im Fahrtwind mollig warm halten. Ebenso mein Fleece-Isolierpulli, der eigentlich für Bauarbeiter gedacht ist, sich aber auch unter der Kombi hervorragend trägt. Nicht zu vergessen die warmen Wollstrümpfe, die meine liebe Sozia paßgenau für mich gestrickt hat. Dann kann das miese Wetter für die nächsten Touren kommen.

bunte wollknaeuel zum sockenstricken

Genug Vorrat für warme Socken

Wenn mich bei Rückkehr der Schlund der Tiefgarage verschluckt hat, wartet oben, hoch über den Dächern der Stadt, ein Whisky von der Isle of Skye auf mich. Er wärmt mich auf und hält den Gedanken daran wach, endlich einmal eine Tour auf die schottischen Inseln zu unternehmen – sobald dies wieder möglich ist. Die Eingewöhnung an das schlechte Wetter sollte nach dieser Wintersaison kein ernsthaftes Hindernis mehr sein.

Fazit

Solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler.
On n’est pas un peintre, tant qu’on n’a pas peint un gris.
—  Paul Cézanne, französischer Maler (1839 – 1906)

 

Aktualisiert am 07/08/2022 von Christian

Comments (2):

  1. J. Heinrich Bliefert

    31. Dezember 2020 at 11:37

    Sehr geehrter Herr Seebode,

    genau so ähnlich mache ich das bereits seit Jahren, bin ich doch nur mit 15 PS (Vespa!) unterwegs. IMan glaubt nicht, mit wem man da im Winter bei Pausen ins Gespräch kommt. hrem Hinweis folgend habe ich statt beim großen Motorradladen beim bekannten Berufsbekleidungsgeschäft mit dem Vogel meine Wintersachen vervollständigt. Nun bin ich bis 5 Grad bestens gerüstet und erweitere meinen Radius erheblich. Macht Laune, ihre Geschichten zu lesen.
    Guten Rutsch!

    Antworten
    • Christian

      31. Dezember 2020 at 11:52

      Lieber Herr Bliefert,
      viel Spaß im neuen Jahr mit der Vespa und den neuen Sachen! Was mann auch mit 15 PS schönes erleben kann, hat mir eine Gruppe italienischer Vespisti in Nordrußland bewiesen, die putzmunter auf dem Weg nach Murmansk waren.
      Guten Rutsch und viele Grüße
      Christian Seebode

      Antworten

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