Die erste Motorradtour zum Jahresauftakt ist immer etwas Besonders. Jetzt erwachen Unternehmungsgeist und Planungen. Die neue Saison lockt schon.
Streckenführung
Lyon – Collonges-au-Mont-d’Or – Villefranche – Marcy – Limonest – Lyon. 73 km
Sonnige Motorradtour zum Jahresauftakt
Eigentlich ist diese erste Motorradtour zum Jahresauftakt eher der Fahrstatistik geschuldet. Vielleicht ist sie auch ein Fluchtreflex aus dem Alltag. Denn die letzte Tour liegt schon einige Zeit zurück und hat schöne Erinnerungen hinterlassen. Während ich beständig auf passend gutes Wetter warte, wartet meine Maschine ohne Abdeckplane im normalen Betriebszustand in der Garage. Dazu liegen Landkarten und Reiseführer griffbereit auf dem Schreibtisch.
Aber die Sonne lockt doch zu sehr, auch wenn sie sich fahl hinter Dunstschleiern versteckt. Unsere Garage ist eigentlich eine Felsenhöhle mit einem Schiebetor davor. Als ich es zurückschiebe, glänzen mir die Reflektoren der Scheinwerfer erwartungsvoll entgegen. Jetzt fühle ich mich, als hätte ich gerade einen Schatz geborgen.
Schon nach kurzem Orgeln springt der Motor willig an. Vor lauter Unternehmungslust lasse ich mich erst ein paar mal in den Sattel plumpsen und die Maschine einfedern – als hätte ich einen Mustang unter mir. Doch beim Einlegen des Ganges katapultiert mich dann das BMW-typisch enervierende „Klong“ des Getriebes aus meinem Tagtraum. Jetzt kann es losgehen.
Warm eingepackt rollen wir einige Serpentinen talwärts. Dann queren das randvolle Bett der Saône und fahren die nächste halbe Stunde am besonnten Westufer des Flusses entlang. Nachdem der Schnee bis in die mittleren Gebirgslagen weggeschmolzen ist, hat das Hochwasser schon fast Straßenniveau erreicht.
Typisch für eine erste Motorradtour zum Jahresauftakt: Die Sonne wärmt uns den Rücken, während kalte Luft durchs Visier zieht und die Griffheizung den klammen Händen schmeichelt. Kähne und Lastschiffe liegen vertäut am Ufer. Wassergeflügel erobert überschwemmte Wiesen und Auenwälder. Auf den durchfeuchteten Äckern hocken Bussarde wie Bauern auf einem Schachbrett nach einer aufgegebenen Partie und lauern auf Beute.
Zum Gourmet-Tempel von Paul Bocuse
An Flüssen entlang zu fahren, hat für uns einen besonderen Charme. Ruhig zieht die Saône neben uns her. Wir beobachten Treibgut und Wassergeflügel. Nach einigen Kilometern kommen wir in Collonges-au-Mont-d’Or am Restaurant des kürzlich verstorbenen Spitzenkochs Paul Bocuse vorbei. Gerne denken wir an ein festliches Abendessen dort, zu dem uns „Monsieur Paul“ persönlich begrüßt hat. In einem netten Gespräch wünschte er uns einen angenehmen Abend in seinem Restaurant. Was er uns aber nicht verriet, war aber, daß ein Menü der von ihm ins Leben gerufenen „nouvelle cuisine“ locker ausreicht, um uns für mehrere Tage satt zu halten. Wie mag die französische Küche nur vor der „nouvelle cuisine“ beschaffen gewesen sein? Wir vermögen es uns kaum vorzustellen.
Je pense que j’ai bien fait mon boulot, donc je peux mourir tranquille.
Ich glaube, ich habe meine Arbeit gut gemacht, darum kann ich in Ruhe sterben.— Interview mit dem Figaro im Februar 2010. R. I. P.
Vom Restaurant zum Güterbahnhof
Einige Kilometer weiter, kurz vor dem Örtchen Anse, reizt mich linker Hand ein aufgelassener Güterbahnhof. Hier hat man alles mögliche rollende Material abgestellt: Lokomotiven, Hilfsfahrzeuge, Güterwaggons. Neugierig streife ich zwischen den Geleisen herum, auf der Suche nach technischen Motiven zum Fotografieren. Dabei entdecke ich einen Gruß aus meiner Heimat. Die Räder eines Waggons laufen oder liefen auf Kugellagern von SKF. Viele Grüße zurück nach Unterfranken.
Auf leeren Straßen ins Hinterland
Hinter Villefranche, der Pforte zum Beaujolais, wird es ländlich. Die Weinberge des Beaujolais säumen zu beiden Seiten die Landstraße. Im Vorbeifahren beobachten wir die Winzer, die jetzt im Winter ihre abgeernteten Rebstöcke beschneiden. Viele von ihnen öffnen ihre Keller für den Verkauf und laden zur Besichtigung ein. Aber auf dem Motorrad kommt so etwas heute leider nicht in Frage. Zudem lagern in unserem Weinregal noch einige gute Fläschchen aus dieser Gegend, die wir heute Abend in Betracht ziehen können.
Ab und zu begegnet mir ein Auto. Motorradfahrer machen sich aber trotz der Prachtstimmung rar. Als einzige Ausnahme ist ein Duo der Gendarmerie auf zwei FJR 1300 unterwegs. Da überlege ich mir, was ich wohl an ihrer Stelle in meinen Einsatzbericht geschrieben hätte, um eine Ausfahrt in dieser Gegend zu legitimieren.
Die Beamten des Gendarmerie-Einsatzkommandos schwärmen von ihrer FJR. Hauptsächliches Einsatzrevier ist die Autoroute de Soleil, auf der die Gendarmerie allerlei verdächtigen Fahrzeugen nachstellt. Respekt, die Maschinen machen ganz schön Dampf.
Die Wiege der Telegraphie
Nach einigen Kilometern zeichnet sich oberhalb von Marcy ein restaurierter Signalturm aus napoleonischer Zeit ab. Der Télégraf (Sémaphore) war einst Teil einer längren Signalkette quer durch Frankreich. Üblicherweise bestand er aus einem fünf Meter hohen Holzgerüst, an dessen oberem Ende ein Balken (Regulator) um seinen Mittelpunkt schwenkbar befestigt war. An jedem Balkenende war ein 2 m langer und ebenfalls schwenkbarer Arm (Indikator) angebracht. Über Rollen und Seile ließen sich drei bewegliche Arme so verstellen, dass man codiert 196 verschiedene Zeichen mit Wort- und Satzbedeutung bilden konnte.
Der Abstand von Turm zu Turm betrug rund 11 km. Zur Ausstattung jeder Station gehörten Fernrohre, um die eingestellten Zeichen der beiden Nachbarstationen beobachten zu können. Ein Zeichen durchlief in einer Minute eine Strecke von 135 km. Mit Hilfe von Lampen, die an den Flügelarmen befestigt wurden, versuchte man auch nachts zu telegrafieren. Ein interessantes Stück Technikgeschichte.
Erste Motorradtour mit Fernblick
Bei unserer weiteren Motorradtour zum Jahresauftakt öffnet sich der Blick auf die Alpenkette. Über das dunstverschleierte Rhônetal hinweg leuchtet das weißglänzenden Mont Blanc Massiv herüber. Ein wahrhaft majestätischer Anblick.
Dann geht es durch enge Dörfer mit gelben Steinhäusern wieder stadtwärts. Aber vorher lädt noch eine Bäckerei zu kurzer Rast.
Wie immer, läuft das letzte Stück dieser Ausfahrt wie von selbst. Ohne Hast oder Gedrängele erreichen wir nach zwei Stunden wieder unsere Felsenhöhle, in der wir unser treues Gefährt verwahren. Damit wollen wir es für heute gut sein lassen.
Aktualisiert am 05/03/2021 von Christian