Motorrad Reiseblog mit Touren, Tipps & Tricks

Erfahrungen aus 50 Motorradjahren

Rückblick auf Erfahrungen aus 50 Motorradjahren: Ob früher alles besser war, ist eine müßige Frage. Aber anders war es schon. Auch das Motorradfahren. 

 „You look at where you’re going and where you are and it never makes sense, but then you look back at where you’ve been and a pattern seems to emerge.”
—  
Robert M. Pirsig, Zen and the Art of Motorcycle Maintenance

Wir hatten kein Geld

Als ich zum ersten Male meinen Fußballen legaler Weise auf den Kickstarter stemmte, stand über dem Eingang zu unseres gründerzeitlichen Schulbaus noch der eingemeißelte Schriftzug „Bayr. Oberrealschule“. Beim Eintritt in die Fahrschule bereits Motorrad fahren zu können, war für uns Schüler üblich und Ehrensache.

Die Maschinen, auf denen wir die Gegend unsicher machten, trugen (fast) untergegangene Namen wie Horex oder Zündapp, NSU oder – kaum zu glauben – BMW. Sie waren sämtlich gepumpt oder „geliehen“, halbwegs straßentauglich hergerichtet und fast immer aufgemotzt.

Bild von einer AGIP-Tankstelle in Italien 1954 mit einem FIAT 500 Kombi "Giardiniera". Tankwart, Faher und ein kleiner Junge in Lederhose stehen vor der geöffneten Motorhaube

AGIP-Tankstelle in Italien 1954 mit dem Blog-Autor in Lederhose

Geld hatte man keines, Motorradfahren war für junge Kerle teuer, auch wenn der Liter Normalbenzin nur 45 Pfennig kostete. In den Motor kippten wir Shell Rotella vom Bauhof, „Sonderangebot“. Die Bekleidung war aus dem Alltagsgebrauch adaptiert. Den Kopf bedeckte nichts als ein wehender Haarschopf.

Der TÜV fand im Hinterhof statt. Unsere technischen Berater waren zumeist Veteranen aus dem Ostfeldzug, die die Weiten des Kontinents auf zwei Rädern durchkreuzt und durchlitten hatten.

Aber wir hatten viel Spass

Tief eingeschnittenes, kurvenreiches Flußtal im Frankenwald

Eine meiner nachhaltigsten Erfahrungen aus 50 Motorradjahren: Spaß beim Fahren zu haben ist das wichtigste! Dabei drückten früher die Eltern ebenso sämtliche Augen zu wie die Polizisten, denen unsere Identität als frühere Fahrrad-Verkehrssünder bereits bestens bekannt war. Doch waren lange Reisen waren bei knappem Taschengeld nicht drin. Aber der menschen- und autofreie Frankenwald vor der Haustüre bot ein ausgezeichnetes Kurvenrevier für einen Tagesausflug. Zonenrandgebiet hieß das damals.

Heute jedoch, ein halbes Jahrhundert später, kostet allein meine Fahrerausstattung so viel wie ein ordentliches (Gebraucht-)Motorrad. Meine derzeitige Maschine bringt anderthalb mal mehr Leistung auf das Hinterrad als seinerzeit ein Opel Kapitän. Zwischen der bläulich ausatmenden Kreidler Florett mit 6,8 PS und meiner Yamaha FJR 1300 liegen etliche Hunderttausend Kilometer Fahrerlebnisse und Lichtjahre technischer Entwicklung.

Sozialisation auf zwei Rädern

Bild eines restaurierten Motorrades BMW R 69 S. Erfahrungen aus 50 Motorradjahren im Schaufenster beim Sommerschlußverkauf

Unverändert geblieben ist jedoch die Erlebniswelt, die sich im Laufe der Zeit geformt hat. Wahrnehmungsmatrix nennt dies der Psychologe: die Art, bestimmte Verläufe auf spezifische Weise auch außerhalb des Motorrads aufzunehmen und zu verarbeiten.

Genau wie ein Jäger oder Förster bei der Autofahrt im Wald aus dem Augenwinkel nach überraschendem Wildwechsel späht, so baut auch der Motorradfahrer im Laufe der Zeit ganz spezifische Schemata auf.

 Now I’m looking at the world through a windshield and see everything in a little bit different light.
—  
Del Reeves

Dabei sieht die Dinge vor seinem Erlebnishintergrund. Geprägt von Geschwindigkeit und Fahrdynamik beobachtet und analysiert aufmerksam Straßenverlauf und –zustand. So fährt er mit statt auf der Straße. Hierbei saugt er gleichsam die Eindrücke ein, die rasend auf ihn zukommen. All dies integriert und interpretiert er automatisch auf eine Weise, die durch das Motorradfahren aufgebaut und geprägt ist.

Das Smartphone als Reisetagebuch

Früher schleppte auf einer NSU Max kein Mensch Kamera oder Schreibblock mit, um seine Erinnerungen festzuhalten. Was man gesehen und erlebt hatte, spielte sich allein zwischen den Synapsen ab.

Dann schob man mit der Zeit ein Notizbuch in die Kombi. Doch um die Jahrtausendwende kam die Revolution  mit der Digitalkamera. Dann vollzog sich der große Umbruch mit dem Smartphone, das Wissen und Erinnerung in Wort und Bild speichert und jederzeit zugänglich macht.

Erfahrungen aus 50 Motorradjahren gewinnen digitale Form

Des mémoires sont la dernière occasion de se ridiculiser définitivement.
Memoiren sind die letzte Chance, sich endgültig zu blamieren.
—  
Marie de Rabutin-Chantal, marquise de Sévigné

In diesem Journal möchte ich Erinnerungen und Erfahrungen hervorholen, die ich am Rande der langen Strecke gesammelt und festgehalten habe. Diese Aufzeichnungen sollen kein Reiseführer im herkömmlichen Sinn sein und schon gar keine Memoiren.

Vor allem sollen sie nicht dem ähneln, was man des öfteren publiziert findet: Werbungsgetriebene Texte, die sich mitunter so lesen, als habe jemand auf dem Sofa liegend die PR-Mitteilung eines Herstellers kopiert oder mit Tablet und Landkarte auf den Knien eine Tourenbeschreibung abdiktiert.

Motorradfahren und davon berichten muß vielmehr nach Benzin riechen, Vibration spüren lassen, Herzblut vergießen und vitale Erfahrung ausstrahlen.

Damit lade ich den geschätzten Leser und noch lieber die verehrte Leserin ein, mir ein Stück weit über Staub und Asphalt eines prickelnden Motorradlebens bis in die Gegenwart zu folgen. Durch Europa, die USA und Rußland.

Ich freue mich auf Euere Begleitung bei der Lektüre von Touren, Erlebnissen, menschlichen Begegnungen und praktischen Erfahrungen, die ich der Passion des Motorradfahrens verdanke.

 

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Aktualisiert am 18/04/2020 von Christian

Comments (7):

  1. Axel Müller

    26. Juni 2019 at 16:27

    Unglaublich! Es gibt tatsächlich noch einen Motorrad-Enthusiasten, der gescheit, sehr interessant, sehr inspirierend und v. a. informativ berichtet. Weit besser als jede einschlägige Zeitschrift, deren Sponsoring sich alsbald entpuppt. Zufällig darauf aufmerksam gemacht danke ich sehr herzlich, biete gern meinen Beitrag für „Mororrad und Reisen“ an als Unkostenbeitrag und wünsche vor allem Gesundheit Ihnen, Ihrer Familie, nicht enden wollende Schreiblust und Glück!

    Mit sehr herzlichen Grüßen

    Axel Müller, Magdeburg

    Antworten
  2. Lukas Kiermeyr

    6. März 2021 at 12:40

    Ein herzliches Danke Christian. Seit dem 19. Lebensjahr fahre ich (mit Unterbrechung) Motorrad. Als Autobahnpolizist fuhr ich und jetzt als 76 jähriger immer noch. Deine Beiträge sind erfrischend und lesenswert. Ich plane noch eine Fahrt – vielleicht die letzte- in den Pyrenäen vom Atlantik zum Mittelmeer. Gebe Gott, dass ich es noch erleben darf.
    Hast Du da Erfahrung? Alles Gute Dir weiterhin.

    Antworten
    • Christian

      6. März 2021 at 14:48

      Lieber Lukas,
      herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Zu Deinen Plänen habe ich Dir eine persönliche Mail geschrieben.
      Viele Grüße
      Christian

      Antworten
  3. Heinz-Peter Döring

    12. Dezember 2021 at 21:01

    Hallo Christian,
    ich 56 fahre seit einigen Jahren wieder Motorrad.
    Wo kann ich deine Touren lesen?
    Dieses Jahr war ich auch bei 5 Grad unterwegs. War dank ordentlicher Kleidung kein Problem.

    Grüße aus Sachsen Anhalt

    Antworten
    • Christian

      12. Dezember 2021 at 21:30

      Lieber Heinz-Peter,
      ich freue mich sehr über Dein Interesse an meinen Touren und vielleicht auch an alledem, was damit zusammenhängt. Die Touren selbst findest Du unter https://motorrad-reisejournal.de > Länder
      In dieser Kategorie findest Du viele Spuren meiner Touren, auch aus Sachsen-Anhalt. Sicher kommt Dir das eine oder andere bekannt vor. Ich versuche darin Anregungen zu geben, auf der Tour die Augen offen zu halten für all das Schöne und Interessante, das sich neben der Straße versteckt.
      Ich wünsche Dir noch eine schöne Weihnachtszeit und, sobald es wieder möglich ist zu fahren, viele schöne und unfallfreie Erlebnisse auf zwei Rädern
      Christian

      Antworten
  4. André Piechaczyk

    15. Juni 2022 at 20:34

    Hallo,

    Mein Name ist André und wir haben uns am Terminal zur Fähre Sassnitz-Ystad getroffen. Sicher werdet ihr euch erinnern, wie wir die FJR im Bauch des ScanJet mithilfe von Gurten zum Stillstand verdonnert haben?!
    Meine Tour über Schweden und Dänemark ist leider schon zu Ende. Ich habe nette Menschen getroffen, faszinierende Bauten (Öresundbrücke) gesehen und viel zu wenig Zeit gehabt, um die tollen Dinge neben der Strecke alle zu erkunden.
    Mit Interesse verfolge ich diesen Blog weiter und werde bestimmt die eine oder andere Anregung für kommende Touren nutzen.

    Haltet euch also bitte auch im nächsten Winter fit, um auch in Zukunft noch viel mehr Reiseerfahrungen mit der Leserschaft zu teilen.

    Beste Grüße aus Sachsen
    André

    Antworten
    • Christian

      26. Juni 2022 at 21:08

      Hallo André,
      ich bitte um Nachsicht, daß ich erst jetzt, nach Rückkehr von unserer Schweden-Tour, sehr herzlich für unsere Begegnung und Deine aktive Hilfe danken kann. Es war einfach toll, und wir erinnern uns gern an die gemeinsamen Stunden an und auf der Fähre. Was wir im Land der Blau-Gelben alles erlebt haben, wirst Du bald an dieser Stelle nachlesen können. Soviel vorweg: Schweden, mit Bedacht und Interesse bereist, ist ein wirklich tolles Land. Heute haben wir bei 33° die Winterklamotten ausgezogen und schon kreisen unsere Gedanken um die Gegend, von der wir gesprochen haben.
      Herzliche Grüße, auch von Christine und viel Spaß mit Deiner tollen Maschine
      Christian

      Antworten

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