Von Magdeburg bis Havelberg: Es lohnt sich immer, ungewöhnliche Tourenziele mit einer interessanten, schön zu fahrenden Tourenstrecke zu verbinden.
Geschätzte Lesedauer: 3 Minuten
Ungewöhnliche Tourenziele
Wer in diesem Blog ein wenig herumgestöbert hat, wird bemerkt haben: Dynamik ist für mich ein wichtiger Anreiz zum Motorradfahren, aber nicht der einzige. Deshalb suche ich bei der Streckenrecherche immer nach einer Kombination von fahrerischem Erlebnis und ungewöhnlichen Tourenzielen entlang des Weges, die eine Erkundung wert sein könnten. Die üblichen touristischen Highlights nehme ich natürlich gerne mit. Vorrangig möchte ich jedoch Ziele ansteuern, die – wenn überhaupt – nur die Wenigsten auf dem Schirm haben.
Da sich in meinen Notizheften mittlerweile ein ziemlicher Informationsschatz angesammelt hat, möchte ich diese Anregungen in loser Folge an euch weitergeben, damit ihr sie, wenn ihr wollt, in eure eigenen Touren einbauen könnt. Laßt mich beginnen einem mit Rückblick auf die Zeit des Kalten Krieges:
Senderstandort „Links von Bonn“
Wahrscheinlich kennen ihn nur noch die Betagteren unter uns live on the air: den Deutschen Freiheitssender 904. „Der einzige Sender in der BRD, der nicht unter der Kontrolle der Regierung steht“. So benannt nach der Kurzwellenfrequenz 904 kHz, auf der er sendete.
Gegründet als DDR-Propagandamedium nach dem Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956, strahlte er während des Kalten Krieges ein Gemisch aus knallharter Parteipropaganda und schmissiger Westmusik aus. Besonders lustig waren dabei die kryptischen Durchsagen zur Agentenführung im „Operationsgebiet“ (d. h. Westdeutschland). Da hieß es dann z. B.: „Achtung, Postbote: Im Backofen liegt ein gebratener Schneemann.“

Ein traumhafter Arbeitsplatz: Seepanorama des Seechens vom Gelände des ehemaligen Deutschen Freiheitssenders 904 aus
Die vom ZK der SED eingesetzte Redaktion saß jedoch nicht am Rhein, sondern an einem idyllischen Ort in Brandenburg: in einer abgeschirmten Ufervilla in Bestensee südlich von Berlin, am „Seechen“. Ein absolutes Traumgrundstück, das mittlerweile mit mehreren Wohnhäusern überbaut ist. Von hier aus wurde der Kalte Krieg im Äther geführt, bis die Parteiführung dem Sender (wohl wegen erwiesener propagandistischer Erfolglosigkeit) am 30. September 1971 den Saft abdrehte. Eine Absurdität des Kalten Krieges.
Adresse:
Neue Straße, 15741 Bestensee
Zu erreichen von der A 13 Berlin – Dresden aus, Abfahrt 3b Bestensee, die B 246 in den Ort hinein und hinter dem Bahnübergang links ab auf die Zeesener Straße.
Koordinaten: 52.249345, 13.635903
Der Abstecher in die Vergangenheit eignet sich bestens als Auftakt zu einer Motorradtour durch Spreewald und Tagebaue oder auf der Landstraße nach Dresden.
Umgenutzter Russensender
Gesendet wurde angeblich von einem LKW aus, der dauernd in Bewegung war und nicht geortet werden konnte: „Hier ist der Deutsche Freiheitssender 904. Standort: Links von Bonn!“ Die Antennen standen jedoch ostwärts von Burg bei Magdeburg an der (jetzigen) B 1. Koordinaten: 52.284460, 11.910694
STANDORTKARTE
Die Anlage ist schon von weitem zu erkennen an dem 324 Meter hohen abgespannten Stahlfachwerkmast, (daneben ein 210 Meter hoher abgespannter Rohrmast). Bei seiner Fertigstellung 1953 war er das höchste Bauwerk der DDR. Noch heute gehört er (zusammen mit dem Berliner Fernsehturm) zu den sieben höchsten Bauwerken Deutschlands.
Anlage und Frequenzen wurden von Radio Wolga übernommen, dem Soldatensender für die Sowjettruppen in der DDR (analog zu AFN für die US-Truppen in der Bundesrepublik).
Je nachdem, aus welcher Richtung man kommt, läßt sich ein Besuch dieser Anlage in eine schöne Tour einbauen: durch das Biosphärenreservat Mittlere Elbe, auf der Straße der Romanik oder entlang der Saale.
Von Berlin aus habe ich mich über den Hohen Flämig auf den Weg gemacht, eine Strecke zum flotten, entspannten Fahren. Man sollte ungefähr 2 Stunden Fahrzeit einkalkulieren.
Krieg und Liebe
Unverhofft kommt oft: Zwei Kilometer weiter führt mich ein Hinweisschild zur Grabstätte des bedeutenden Militärtheoretikers Carl von Clausewitz auf dem Burger Ostfriedhof. Ein schlichtes Steinkreuz mit der Unterschrift Amara Mors Amorem Non Separat – Der bittere Tod scheidet die Liebe nicht.
Auch wenn nicht jeder mit seinen militärischen Schriften etwas anfangen kann – Clausewitz hat eine reiche Sammlung bezaubernder Liebesbriefe an seine Frau hinterlassen, die sehr viel Feingefühl verraten. Hierauf weist auch das lateinische Wortspiel (Amara/Amorem) am Grab hin, in dem beide bestattet liegen.
Motorradtour durch die Elbniederung
Jetzt wird es Zeit, daß das Fahrerlebnis zu seinem Recht kommt. Egal von wo man hierher fährt, die romantische Strecke durch die Elbniederung zwischen Burg und Havelberg sollte man nicht auslassen:
Hinter Burg bringt die Elbfähre Maschine und Fahrer über den Fluß nach Rogätz. Von dort führt ein gut ausgebautes Sträßchen von Dorf zu Dorf, über weite Strecken mit den regionaltypischen Obstalleen, die im Herbst mit leuchtend fetten Äpfeln und Birnen locken. Tangermünde ist einen Stopp wert, Angerburg ebenso. Die Elblandschaft hat etwas Beruhigendes. Das kann nicht schaden als Abwechslung zu flotter Fahrt.
Wer Lust hat, kann an drei Orten mit der Fähre wieder ans rechte Elbufer hinüberwechseln: bei Arneburg und Sandau mit der stillen Gierseilfähre oder mit der Motorfähre Räbel/Havelberg. Ich habe die letztere Variante gewählt, bevor die Fähre für längere Zeit in Revision geht. Alle drei Fährüberfahrten verstärken den landschaftlichen Reiz, den die Elbniederung ohnehin schon hat.
Netto 2 Stunden für 114 km führen einen weit vom Alltag weg. Vielleicht ist das in diesen Zeiten nötiger denn je.
Fazit
Es lohnt sich immer, ungewöhnliche Tourenziele mit einer interessanten, schön zu fahrenden Tourenstrecke zu verbinden. Wie stets: 80 Prozent des Tourenerlebnisses kann man recherchieren und planen. Die restlichen 20 Prozent warten mit Überraschungen auf, die man nicht missen möchte.
Streckenplan
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findet ihr hier.
Informationen
Elberadweg (auch für Motorradfahrer interessant)
Landkarte
ADAC Regionalkarte Blatt 5 Hamburg, Hannover, Magdeburg 1:150 000
Aktualisiert am 14/09/2022 von Christian
ingold sefafini
14. September 2022 at 20:45
Einfach wieder super..lieber Christian. Hab erneut Lust,das nachzumachen.bitte sende uns weiterhin derartig..spannende berichte.
Christian
15. September 2022 at 16:06
Laß Dich überraschen!
ingold sefafini
14. September 2022 at 20:46
Extraklasse!!!
Christian
15. September 2022 at 16:05
Danke für die Blumen!
Axel Müller
15. September 2022 at 11:53
Ich kann Herrn Serafini nur zustimmen und mich sehr herzlich bedanken! Mögen uns allen Deine und Deiner lieben Frau Inspirationen noch lange erhalten bleiben.
Christian
15. September 2022 at 16:06
Herzlichen Dank zurück von uns beiden!