Begegnungen bei Motorradtouren machen nette, humorvolle Menschen unvergeßlich. Diese Bekanntschaften bleiben mir in besonderer Erinnerung.
Unterhaltsame Begegnungen bei Motorradtouren
Wer in häßlichen Wintermonaten die vergangene Motorradsaison Revue passieren läßt, erinnert sich nicht nur an tolle Strecken und Landschaften, sondern auch an die menschlichen Begegnungen bei seinen Motorradtouren: Menschen, die bei einer Panne gerne weiter geholfen haben, Dorfbewohner mit Streckentipps oder freundlichen Gastwirt, der am Abend einer Starkregentour sein letztes Zimmer klargemacht und noch ein Schnitzel in die Pfanne gehauen hat.
In netter Erinnerung bleiben vor allem diejenigen, deren lustige Art oder Sprüche uns auch nach langem wieder zum Lachen bringen. Manche sind bei uns zum running gag geworden:
Italienische Vespisti in Rußland
Christine und ich auf dem Weg von Moskau über St. Petersburg nach Karelien. Wetter mies, Straße mies, Polizeikontrollen werfen uns im Zeitplan zurück. Als es allzu mühselig wird, legen wir an einer total verranzten Raststätte eine Pause ein. Christine, reichlich mitgenommen von der „Autobahn“, streckt ihre müden Knochen neben dem Kassenhäuschen aus.

Christine ist KO von der „Autobahn“ in Russland
Wie aus dem Nichts wuselt an der Tankstelle ein buntscheckiges Rudel vollbepackter Vespas auf den Parkplatz heran. Italiener aus Bologna. Elegant, aber recht unzweckmäßig für Rußland gekleidet, wie einem Lifestyle-Magazin entstiegen. Sie wollen weiter nach Murmansk. Donnerwetter, das ist mal eine Ansage. Als ich sie frage, wie der Weg bis hierher denn so war, winkt der caposquadra mit entsetzten Gesten ab:
Mille chilometri di strade di merda. – Tausend Kilometer Sch*** Straßen.
Wenn die wüßten, was noch vor ihnen liegt …
The Toiletman
Aus den Rocky Mountains kommend suchen wir in Washington State lange vergeblich nach einem geeigneten Plätzchen für unser Mittagspicknick. Immer nur Landstraße und kahle Weide nebendran. Die wenigen Ortschaften nicht der Rede wert. Schließlich reicht es uns und wir machen an einem hölzernen Pavillon im Stadtpark von Dayton, WA halt.

Das Klohäuschen ist das weiße Viereck am Rand des Parkplatzes
Was wir bei unserer Platzwahl übersehen haben: In Riechweite steht ein King Size Dixie Klo, daneben ein Truck, Ford F 150. Die Klotür geht auf. Heraus kommt ein King Size Redneck und knöpft sich dabei erleichtert die Hose zu. Dann äugt zu uns herüber, grinst breit und ruft uns zu:
If I were you I wouldn’t go in there for a loooong time!
Wie recht er doch hatte. Eine der seltsameren Begegnungen bei Motorradtouren, aber: ein familieninterner running gag war geboren.
Oklahoma Jim
Mit meiner Tochter Charlotte bin ich unterwegs vom Pazifik zum Atlantik. Mit hängender Zunge überqueren wir die Grenze zum Sooner State Oklahoma, froh, den strohtrockenen Dauer-Seitenwind in den Great Plains erst mal hinter uns zu haben.
Als wir an einer ölverschmierten Shell-Tankstelle Pause machen, kommen wir gleich ins Gespräch mit einem untersetzten älteren Mann mit Latzhose, der listig hinter den Gläsern seiner runden Nickelbrille hervorschaut. Ein richtiger Okie from Muskogee. Auf seinem Truck hinter ihm steht sein Hund, der uns mit schräg gelegtem Kopf aufmerksam beobachtet.
„Oklahoma Jim“, wie er sich vorstellt, ist eine Fundgrube heimatgeschichtlichen Wissens und lustiger Geschichten aus einer Gegend, wo sonst nicht viel los ist. Wenn wir irgendwelche Probleme hätten, sollten wir uns ruhig auf ihn beziehen, dann würde das schon werden.
Nach einem dreiviertel Stündchen fährt jeder in seine Richtung – wir auf die rau geteerte I-40 (ex-66) und er mit Staubfahne irgendwohin in die Prärie.

Schiefer Wasserturm in der Prärie
Am übernächsten Tag finden wir absolut kein freies Hotelzimmer, weil wegen eines Kongresses alles ausgebucht ist. Dann versuche ich es auf die blöde Tour: „Aber Oklahoma Jim hat extra gesagt, wir sollen hier übernachten, da seien wir gut aufgehoben.“ Der Rezeptionist fällt aus allen Wolken: Was? Ihr habt Oklahoma Jim getroffen? Wo? Sagt mal, wie geht es ihm? Ach ja, mit dem Zimmer, das geht schon in Ordnung!“
Eine der nettesten Begegnungen bei unseren Motorradtouren. Wir werden gerne an diesen sympathischen Menschen aus dem Nirgendwo von Oklahoma zurückdenken.
Mr. G in Arkansas
Auch bei der Fahrt durch Arkansas bleibt uns der starke Seitenwind treu und beutelt unsere Maschinen hin und her. In einem der amerikaweit immer gleichen Einkaufszentren am Wegrand decken wir uns mit Marschverpflegung ein. Neben uns ein schwarzlackierter Monster-Truck mit einem bumper sticker, auf dem der unbescheidene Spruch zu lesen ist: God, Guns and Guts made America.
Als ich das lese, kommt der Besitzer, ein Supersize-Typ mit zwei prall gefüllten braunen Papier-Einkaufstüten unter dem Arm, die er über die Ladekante auf das flatbed wuchtet. Als ich bemerke, wie er mich bei der Betrachtung des Aufklebers bemerkt, entfaltet sich folgender Dialog:
Ich (auf den Aufkleber zeigend): „Sorry, Sir, I’m afraid there is one ‚G’ missing“.
Er (verwundert): „Which one?“
Ich: „One ‚G’ for ‚Germans’“.
Als wir uns als Deutsche zu erkennen geben, lacht er herzlich, drückt mir seine beefsteakgroße Hand und stellt sich vor. Sein Name klingt sehr deutsch.
Paradise Post, Montana
In dem verlorenen Örtchen Paradise in Montana, 185 Einwohner, finden wir eine kleine Poststation mit Kaffeeausschank, die von drei Damen betrieben wird. Fremder Besuch scheint hier Seltenheitswert zu haben und deshalb umso mehr willkommen zu sein. Wir lassen uns gemeinsam auf der Porch nieder, haben viel Spaß miteinander und lachen herzlich.
Die Damen erzählen von Bären, die in ihre Obstgärten eindringen und die Äpfel von den Bäumen klauen. Vor allem warnen sie aber vor den rabiaten Wildschafen in dieser Gegend. Eines davon sei neulich ihrem Schwager vom Berg herunter auf seinen Truck gesprungen und habe dort randaliert. Ach ja, Wölfe gebe es hier auch, also Vorsicht beim Picknick!
Die Selbstverständlichkeit, Offenheit und Freundlichkeit dieser Menschen reißt uns mit.
The Desert Doctor in Utah
Wenn ein Sonntag irgendwo mausetot sein kann, dann im Mormonenstaat Utah. So scheitert unser Versuch, in dem abgelegenen Städtchen Escalante einzukaufen, am rigoros eingehaltenen religiösen Sonntagsgebot. Alles geschlossen.
Als wir ratlos herumkurven und dann schließlich an einer geschlossenen Tankstelle halten, schiebt sich ein Truck neben uns. Ein malerisch tätowierter Typ grinst uns breit an und fragt, ob wir etwa die Motorradreifen hinten auf seiner Ladefläche bestellt hätten. Nein. Dann stellt er sich als „Desert Doctor“ vor, dessen besonderer Service darin besteht, liegengebliebenen Kraftfahrern in der Wildnis zu neuen Reifen zu verhelfen. Als Zeichen seiner Zunft trägt er die beiden silbernen Buchstaben „DR“ als Ohrringe.
Angesichts der leeren Straßen und der Länge der vor uns noch liegenden Fahrtroute fragen wir ihn sicherheitshalber, ob irgendwelche Polizeipatrouillen unterwegs sind. Sinnend schaut er auf seine mächtige Armbanduhr, wendet er seinen Blick gen Himmel und bescheidet uns:
They’re probably all in church now. Nevertheless, watch out.
Dann entläßt er riesige Dieselwolken aus seinen kamingleichen Auspuffrohren und rauscht ab in Richtung Wüste auf der Suche nach seinen Auftraggebern.
Als wir aus dem Ort herausfahren, bremse ich unsanft ab angesichts eines Streifenwagens am Straßenrand – mit Cop drin. Beim langsamen Vorbeifahren entdecken wir den Trick: Der Cop ist nicht echt, er ist eine aufgeblasene, als Polizist maskierte Gummipuppe! Unser herzhaftes Lachen übertönt selbst das Motorengeräusch unseres Boxers.
Trading Post in Mississippi
Es läßt sich gut und ruhig fahren in den amerikanischen Südstaaten. Gegen Mittag machen meine Tochter und ich in einsamster Gegend Rast an einem Trading Post. Restaurant mit eigener Schlachtung, Einkaufsladen und Poststelle, alles in einem. Ein Familienbetrieb, dessen Mitglieder einer uns unbekannten Sekte anzugehören scheinen. Bible Belt, alles sehr christlich und jede Meile eine Kirche einer anderen Religion.

Trading Post im Bible Belt
Wie Aliens werden wir zwar freundlich, aber doch mit einer gewissen Reserviertheit begrüßt. Solange, bis der Inhaber Charlottes Halskreuzchen und auch das meinige entdeckt. Dann taut der ganze Laden auf. Auf einmal sind wir „eingemeindet“. Herzlichkeit und überbordende Portionen mit den genialsten Hamburgern, die wir je in Amerika bekommen haben, inklusive.
Russische Zöllnerin im karelischen Wald
Auf dem Weg von St. Petersburg nach Helsinki erwartet Christine und mich an einem winzigen Grenzübergang in den dichten karelischen Wäldern eine der außergewöhnlichsten Begegnungen bei unseren Motorradtouren:
Eine üppige Zöllnerin in einem häßlichen Blechhäuschen fertigt widerwillig und unfreundlich den kleinen Grenzverkehr zwischen Rußland und Finnland ab. Da ich in dieser Situation nicht allzu viel erwarten darf, pirsche ich mich an der Schlange vorbei an sie heran, packe mein galantestes Russisch aus und frage sie, ob es für kapitalistische Ausländer einen besonderen Schalter gebe. Und siehe da: Sie stößt einen gellenden Schrei aus, scheucht die Warteschlange mit heftigen Worten in die Büsche – und schenkt mir ein zuckersüßes Lächeln. So schnell wie hier hatte ich noch nie einen Stempel in meinem Paß. Auch das ist Rußland.
Königsberger Rocker
Auf einer schmalen Holperstrecke über die Kurische Nehrung erreichen wir endlich Königsberg. Mehr als den Dom und das an seiner Nordseite gelegene Grab von Immanuel Kant wollen wir eigentlich nicht sehen. Der Verkehr ist von gleicher Bestialität wie in Moskau. Nachdem wir uns nicht mehr zurechtfinden, droht die Stimmung zu kippen.

Christine vor dem Königsberger Dom
Da schiebt sich ein russischer Biker auf einer höllisch röhrenden Intruder neben uns. Auf meine Frage nach dem Kant-Grab nimmt er den Helm ab, nickt kurz und gibt uns ein Handzeichen zum Folgen.
Was sich dann abspielt, läßt sich eigentlich nur nach mehrjährigem Intensivtraining im Moskauer Straßenkampf nachvollziehen. Er voran, wir mit der beladenen Fuhre hinterher, pflügen wir mit höllischem Tempo durch den Verkehrsinfarkt von Königsberg. Alleine hätten wir nie und nimmer zu unserem Ziel gefunden. Als wir aber nach einer knappen Viertelstunde und einem geschätzten Viertelliter Schweiß vor dem Dom stehen, nimmt unser Power-Lotse seinen Helm ab, drückt mir mit gefühlten 100 Nm die Hand, verabschiedet sich auf Deutsch mit „Tschüss“.
Dann verschwindet er röhrend auf Nimmerwiedersehen im Verkehrschaos. Rußland, wie wir es kennen und lieben.
Uckermärker Rocker
Auf einer Tour durch die tiefste Uckermark stelle ich fest, daß mein verbleibender Tankvorrat für den heutigen Tag wohl nicht reichen wird. Also beschließe ich, umgehend nachzufüllen und scanne – mangels Navi mit POI – im nächsten Städtchen die menschenleeren Gehsteige nach jemanden, der mir einen Hinweis auf eine Tankstelle geben könnte.
Die erst(best)e Person, die ich anspreche, bescheidet mich zwar wortreich, aber mit unverkennbar wirrem Blick. Ihre Auskünfte erweisen sich als unbrauchbar.

Schöne, einsame Uckermark
Kaum ein Mensch auf der Straße. Dann fasse ich mir ein Herz und spreche ein Trio voll tätowierter Bandidos an. In zünftiger Kutte, jede Menge Leder, einschlägige Aufnäher, Boots, Ketten. Sie schauen mich fassungslos an. Kannitverstan. Da zeigt einer von ihnen auf die grün-weiß-rote Trikolore auf seiner Kutte. Italiener. Als ich meine Frage in ihrer Sprache wiederhole, beginnen ihre Kopftattoos freudig zu tanzen. Heitere Stimmung prägt das weitere Gespräch:
La stazione è lontanissima. Vada pure sempre in questa direzione. – Immer dort lang, und zeigt dabei in die Ferne.
Begegnungen dieser Art bei Motorradtouren bleiben im Gedächtnis haften.
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Aktualisiert am 28/03/2020 von Christian