Auf schönen Straßen in den Süden zu touren statt auf der Autobahn kostet zwar etwas mehr Zeit, entschädigt aber mit tollen Erlebnissen.
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn / im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht …
— Goethe, Mignon
Martyrium Autobahn
Vielen klingt noch der monoton-eingängige Song von Kraftwerk in den Ohren: Wir fahrn fahrn fahrn auf der Autobahn. Wer dort im mäßigen Verkehr einer schwindenden Sommernacht sein Rennstreckentraining auffrischen möchte, mag sein graues Band der Sympathie gefunden haben. Für den Durchschnittsfahrer aber, der sich auf den Weg in und über die Alpen macht, bedeutet eine lange Autobahnfahrt in aller Regel Stress: durch Staus, Baustellen und Unfälle bei stechender Sommerhitze, durch genervte, geistesabwesende Autofahrer und lähmende Elefantenrennen der Vierzigtonner.
Ein probates Mittel, dem zu entgehen und unbeschwert die Motorradreise ins gelobte Kurvenland anzutreten, besteht darin, sein Gefährt samt Gepäck an ein (Zwischen-)Ziel auf der Urlaubsstrecke vorauszuschicken (siehe unten). Zünftiger, wenn auch etwas zeitaufwendiger ist es jedoch, die Anfahrtsstrecke bewußt als Tourenetappe zu erleben und schöne Straßen in den Süden unter die Räder zu nehmen, die im Regelfall nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen.
Ausbruch aus der Tourenroutine
Wie ist so etwas zu machen, wenn man (wie wir in Berlin) lange Anfahrtswege nach praktisch überall hin hat? Das möchte ich am Beispiel einer Über-Land-Tour von Augsburg an den Bodensee zeigen. Passend dazu habe ich noch zwei Tipps für Zubringerstrecken nach Augsburg vom Norden/Westen und vom Osten Deutschlands aus. Würzburg bzw. Regensburg sind dabei die jeweiligen Startpunkte.
Für die Tour an den Bodensee mit Zielrichtung Österreich/Schweiz/Italien/Westalpen habe ich eine wunderschöne Strecke ausgesucht, die liebe, kenntnisreiche Freunde aus der Region für uns zusammengebastelt haben. Sie verläuft von Augsburg aus (was aus allen Richtungen gut erreichbar ist) durch das zauberhafte Hinterland Mittelschwabens an den Bodensee nach Lindau. Von dort aus läßt sich dann das eigentliche Tourenziel auf reizvollen Alpenstraßen ansteuern.
Von Augsburg über Land nach Lindau
Seit Tagen lachen mich die fetten Sonnensymbole meiner Wetter-App an. Wunderbar, unsere Tour auf der Deutschen Alpenstraße vom Bodensee bis zum Königssee verspricht, ein sonniges Unternehmen werden. Bei 30° allerdings auch ein zweifelhaftes Vergnügen mit 750 km Autobahn-Anfahrt von Berlin nach Lindau. Das ließ einen probaten Entschluß reifen: Motorrad und Gepäck werden mit einem Transporter zu guten Freunden in Augsburg vorausgeschickt und wir kommen mit dem (bereits ausgelutschten) 49-Euro-Ticket hinterher.
Von dort aus läßt sich die schöne Strecke über Land von Augsburg an den Bodensee wohl ausgeruht genießen. Ohne viel Verkehr, dafür aber mit umso mehr schattigen Biergärten am Rande der Strecke.
Unsere Bellezza Rossa erwartete uns bereits vor der Haustür unserer Freunde. Ihr Transport war unproblematisch über Nacht vonstattengegangen. Zu einem Preis, der erträglich höher war als der Transfer auf eigener Achse incl. Sprit und Übernachtung.
Mit Karte und Karaffe entwarfen wir dann auf der abendlichen Terrasse eine Tour durch das ländliche Mittelschwaben. Auf wunderschönen kurvigen Straßen, frei vom Fernverkehr und mit immer neuen Ausblicken auf Hügel, Flüßchen, Wälder und Marterln.
Die durchfahrenen Orte werden wohl nur jenen etwas sagen, die in dieser landschaftlich zauberhaften Gegend zu Hause sind. Dennoch zur Orientierung: Von Augsburg aus geht es auf der Staatsstraße durch das Schmuttertal nach Mindelheim. Hier wechseln sich sanfte Hügel, gemütliche Dörfer und übersichtliche Kurven mit schöner Regelmäßigkeit ab.
Bis sich hinter einer Bergkuppe dann ein breites Tal öffnet. Ein mächtiger Komplex mit Basilika und Konvent beherrscht die Szenerie: Ottobeuren mit seiner 1250-jährigen Benediktinerabtei – und natürlich einem verlockendem gastronomischen Angebot gleich davor. Welche Wohltat, ein kühler Trunk unter einem ausladenden Schirm bei über 30°; anschließend ein besinnliches Viertelstündchen in der Basilika.
Einfach ist die Navigation nicht immer auf all diesen verschlungenen Landsträßchen. Manchmal wage ich nicht, dem Navi zu glauben, daß es mich tatsächlich in das reizvolle Abseits führen möchte. Aber es paßt schon alles. Teilweise läßt jedoch die Beschilderung zu wünschen übrig.
In einem kleinen Ort namens Wolfertschwenden überrascht uns ein repräsentativer Gewerbebau – der Firmensitz von Mammut-Outdoorbekleidung mit Lagerverkauf. Schade, wir brauchen nichts und hätten auch keinen Platz für Zukäufe. Aber eine interessante Entdeckung ist es allemal.
Leutkirch im Allgäu rückt näher. Von einer Hügelkuppe aus zeichnet sich bereits im fernen Dunst die Alpenkette ab. So viel gibt es zu sehen und zu genießen auf dieser Strecke, daß die Zeit unbeschwert verfliegt und wir erst sehr spät spüren, wie sehr der Allerwerteste nach einer Ruhepause lechzt.
Dann noch ein Schlenker über Wangen im Allgäu und schon führt die Straße hinab zum Bodensee. Nach einer Halbtagestour mit 183 km beziehen wir Quartier auf der Insel in Lindau und genießen einen lauen Sommerabend an der Hafenpromenade als Auftakt zu unserer Alpenstraßentour.
Streckenführung
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest du hier.
Landkarte
ADAC Regionalkarte 15 Allgäu, Bodensee, Schwäbische Alb, 1:150.000
Touristische Informationen
https://www.bayerisch-schwaben.de/
Von Norddeutschland aus über die Romantische Straße
Wer die A 3 bei Marktheidenfeld verläßt, hat eigentlich das Schlimmste schon hinter sich. Nach ein paar Kilometern fällt die Landstraße bei Wertheim ins Maintal ab und der geneigte Motorradreisende stößt auf die Romantische Straße, die ihn gen Süden bis nach Augsburg führt.
Diese Strecke kann ich besten Gewissens empfehlen, da ich viele Jahre in dieser Region verbracht habe und eigentlich jeden Kilometer auswendig kenne. Mit Auto, Motorrad und MAN 630. Wie auf einer Perlenkette reihen sich auf den folgenden 250 Kilometern Sehenswürdigkeiten und landschaftliche Schönheiten aneinander, die man nach Zeit, Lust und Laune genießen kann. Durch Tauberfranken gondeln wir am Main entlang, dann an der Tauber, über viele Kilometer von Weinbergen begleitet. Tauberbischofsheim, Lauda und Bad Mergentheim folgen. Weikersheim mit seinem Schloß und Creglingen mit seinem Riemenschneider-Altar sind allemal einen Stopp wert.
Hinter Rothenburg ob der Tauber (Vorsicht, over tourism) durchqueren wir an Sulzach und Wörnitz entlang das reizvolle Hohenloher Land. Bei Nördlingen senkt sich die Straße in das Nördlinger Ries, einen 14,6 Millionen Jahre alten Einschlagkrater, einen der am besten erhaltenen weltweit. Auch die nette Stadt selbst ist unbedingt einen Zwischenstopp wert. Bei Donauwörth geht’s dann über die Donau und dann immer am Lech entlang nach Augsburg.
Die ganze Strecke ist im Grunde ein einziger Nachhilfeunterricht in Sachen Erdkunde. Vieles hat man von der Romantischen Straße gehört, manches kennt man vielleicht schon. Aber die ganze Strecke mit dem Motorrad abzufahren, abseits der überfüllten Autobahn, das hat schon etwas ganz Besonderes. Und hinter Augsburg – siehe oben – beginnt ein weiteres Tourenschmankerl auf schönen Straßen in den Süden.
Streckenführung
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest du hier.
Landkarten
ADAC Regionalkarte 12 Nürnberg, Würzburg, Fulda, Heilbronn, 1:150.000
ADAC Regionalkarte 15 Allgäu, Bodensee, Schwäbische Alb, 1:150.000
Touristische Informationen
https://www.romantischestrasse.de/alle-orte/
Vom Nordosten aus an der Donau entlang
Welche Erlebnisstrecke sollte ich auf meiner Tour in den Süden wählen, wenn ich aus Nordbayern oder Ostdeutschland komme? Als Einstieg kann ich nur die Schlußetappe empfehlen, die wir auf unserer Motorradtour am Limes entlang an der Donau bis Regensburg gefahren sind:
Die Strecke folgt von Regensburg über Bad Abbach und Kelheim bis Vohburg immer dem Lauf der Donau. In einem Südwestbogen umgehen wir auf der B 300 den verkehrsreichen Großraum Ingolstadt und queren die A 9. Wen jetzt der Hunger plagt, der kann sich in der Spargelstadt Schrobenhausen gütlich tun. Dann geht’s über die A 8 hinweg nach Augsburg – und von dort aus, wie beschrieben, über Land an den Bodensee. Auch für diese Zubringerstrecke gilt: Nerven geschont, viel gesehen, schöne Strecke gefahren.
Streckenführung
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest du hier.
Landkarte
ADAC Regionalkarte 13 Bayreuth, Regensburg, Bayrischer Wald, 1:150.000
Touristische Informationen
https://www.ostbayern-tourismus.de/region
Fazit
Autobahnen vermeiden und dafür lieber auf schönen Straße in den Süden touren kostet zwar etwas mehr Zeit. Belohnt wirst du aber mit unerwartet schönen Strecken und Sehenswürdigkeiten, die einen Motorradurlaub perfekt abrunden. Nicht zuletzt: Du kommst deinem Ziel im Süden auf entspannte Weise näher und kannst dann die Strecken dort umso intensiver genießen.
Aktualisiert am 11/09/2023 von Christian
Jürgen
11. September 2023 at 17:36
Hallo Christian,
ein wirklich sehr lesenswerter Erfahrungsbericht. Ich kannda von Herzen zustimmen. Ein Dankeschön für diesen schönen Text!
Ich möchte gerne mit meinem diesjährigen Sommererlebnis daran anschließen.
Meine Frau und ich waren in den Sommerferien auf unseren beiden Motorrädern über Österreich, Italien, Slowenien bis nach Kroatien getourt. Dort ging es mit einem vorherigen Abstecher nach Istrien die Jadranska Magistrale hinunter bis südlich von Zadar. Anschließend wieder grob Richtung Nordosten durch den nördlichen Balkan mit einem Abstecher nach Bosnien-Herzegowina über Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen zurück in unsere Heimat im Nordwesten Deutschlands.
Anders als in den Vorjahren sind wir bis auf die allerersten 100 Kilometer die gesamte Tour komplett auf Land- und Nebenstraßen gefahren.
Zudem hatten wir unsere Tagesetappen nicht übertrieben. Alles bewegte sich zwischen Entfernungen von 180 bis 380 Kilometer. Einmal waren es tatsächlich nur 90 Kilometer. Somit war auch genug Zeit vorhanden, um immer wieder einmal an sehenswerten Orten ein Päuschen zu machen. Außerdem bin ich kein 40 oder 50 mehr, da muss man nicht unbedingt übertreiben.
Die Anfahrt sowie die Rückfahrt dauerten dadurch zwar deutlich länger, aber es war ein erlebnisreicher Mehrwert.
Merke: Deutschland ist ein wunderschönes Land. Viel zu schön, um jeden Sommer auf der überfüllten Autobahn all das nicht zu sehen.
A propos, unsere diesjährige Tour war unter einem weiteren Aspekt eine besonders intensive Erfahrung: Drei oder vier ausgesprochen schöne Sonnentage, drei oder vier trockene Tage, der Rest war geprägt durch das komplette Spektrum von häufigen Schauern bis zu tagelangem Starkregen. Und wir sind trotzdem gefahren!
Es war eine beeindruckende Zeit intensiv gelebten Leben.
Viele Grüße,
Jürgen
Christian
13. September 2023 at 18:18
Hallo Jürgen,
ich freue mich, daß Ihr meine Vorliebe für erlebnisreiche Nebenstraßen teilt. Es stimmt, man muß halt insgesamt etwas mehr Zeit einplanen. Das wird aber dadurch kompensiert, daß man – gerade bei heißem Sommerwetter, die Etappen etwas kürzer hält. Regen-Erfahrungen haben (unvermeidbar) auch wir machen müssen, aber das gehört dazu. Mehr darüber demnächst hier.
Alles Gute, viele Grüße und weiterhin gute Fahrt
Christian