Eine Motorradtour an der Zwickauer Mulde entlang ins Erzgebirge überrascht mit schönen, kurvenreichen Strecken und unerwarteten Entdeckungen.
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Wer kennt die Mulde?
Bom bom – bom bom, macht es jedes Mal, wenn ich auf der A9 bei Dessau über die Autobahnbrücke fahre. Sie überspannt die Zwickauer Mulde, ein unscheinbares Flüßchen, das hier in die Elbe mündet. Irgendwann war meine Neugier geweckt: Was hat es mit diesem Gewässer auf sich, das außer den Einheimischen und ein paar Touristen wohl kaum jemand kennt?
Dann die Überraschung bei Kartenstudium: Die Zwickauer Mulde kommt von den Höhen des Erzgebirges herunter. Kleine Landstraßen folgen ihrem Lauf. Schlösser, Burgen und andere Sehenswürdigkeiten reihen sich an ihr auf wie eine Perlenkette. Als Motorradrevier ist mir diese Gegend bislang noch nicht aufgefallen. Warum nicht diese Nord-Süd-Strecke zwischen Leipzig und Dresden erkunden? Vielleicht sogar mit einer Anschlußtour durch das Erzgebirge?
Topp, der Plan stand. Auch, weil ich auf meinen Touren durch Sachsen stets angenehme Erfahrungen gemacht habe: Man bekommt dort einen verläßlich guten Kaffee (nicht umsonst stellt man dort seit 1710 edle Kaffeetassen her), die Küche ist gepflegt und der Menschenschlag gemütlich, nett und mitteilsam. Fehlt eigentlich nur noch der sprudelnde E5-Zuschuß der Tankstelle und meine Tour an der Zwickauer Mulde entlang ins Erzgebirge kann starten.
Von Dessau bis Grimma
Daß die ersten 50 Kilometer meine Erwartungen leicht dämpften, nahm ich gelassen hin: Die Mündung der Mulde war von der Bundesstraße aus über die Bahnstrecke weder einsehbar noch zugänglich; das Land ist bretteben, die Straße wie mit dem Lineal gezogen und die Zufahrt zum Mulde-Stausee war gesperrt. Gastronomische Zuflucht: Fehlanzeige. Schließlich setzte auch noch Nieselregen ein. Also steuerte ich kurz entschlossen die nächste Dorfkirche an, wohl wissend: Wo eine Kirche steht, gibt es auch einen Friedhof, und dort eine Bank zum Picknick machen. Zu meiner Überraschung landete ich an der bezaubernden barocken Dorfkirche von Burgkemnitz mit zwei ausladenden Linden samt Ruhebank darunter und einem Schloß dahinter. Mittagspause gerettet.
Ein paar Kilometer weiter erwartete mich in Bad Düben die nächste Burg und gleich daneben eine „Bergschiffsmühle“ – eine auf ein Floß gesetzte Wassermühle. Früher wurde sie am Muldeufer vertäut und zermahlte den hier bergmännisch gewonnenen Alaun. Daher der Name „Bergschiffsmühle“. Wieder was gelernt.
Von hier an mäandert die Mulde neben der Straße her, mal durch Buschreihen verdeckt, dann wieder von einer Brücke aus sichtbar. Die Strecke selbst ist gespickt mit Schlössern und Burgen: Hohenprießnitz, Zschepplin, Thallwitz und schließlich Wurzen. Hoch über der traditionellen Brotfabrik am Fluß erhebt sich die Wurzener Altstadt, ein gepflastertes Einbahnstraßenlabyrinth, das zu ungeplanten Entdeckungsrunden zwingt. Nächster Stopp ist Schloß Trebsen, sehr repräsentativ am Flußufer gelegen.
Grimma ist mein heutiges Tagesziel. Daß ich bei allen Baustellen und Umleitungen überhaupt zu meiner Unterkunft finde, nimmt mich Wunder. Immerhin: Sie bietet einen abgeschlossenen Parkplatz hinter dem Haus, direkt am zugehörigen Biergarten. Location gut gewählt.
Von Grimma bis Aue
Wer eine Reportage über eine tolle, romantische, einsame Motorradstrecke drehen möchte, sollte sein Team die 125 km zwischen Grimma und Aue unter die Räder nehmen lassen. Eine gute Einstimmung dazu eröffnet das Muldepanorama von zwei Brücken aus, die sich bei Grimma über die Zwickauer Mulde spannen: Die eine 1719 gebaut von Daniel Pöppelmann, dem Architekten des Dresdner Zwingers. Und die zweite, von 1924, eine filigrane, grünlich oxidierte Hängebrücke.
Von da an schmiegt sich das Sträßchen an den Lauf der Mulde, mal bergauf, mal bergab, gesegnet mit Kurven und schönen Ausblicken. Vorbei an einer weiteren Schiffsmühle führt der Weg nach Colditz, mit dem mich eine ganz persönliche Erinnerung verbindet: Während meiner Studienzeit in England in den frühen 70ern lief im dortigen Fernsehen eine furchtbar schlecht gemachte Fernsehserie „Colditz“ über ein Gefangenenlanger (OfLag IV C), das während des Krieges im dortigen Schloß untergebracht war. Wie seinerzeit nicht unüblich, bediente die Serie sämtliche flachen Stereotypen – nicht nur gegen Deutsche, sondern fast noch mehr gegen Franzosen. Einige Jahrzehnte später wollte ich mir dieses Schloß doch einmal im Original anschauen:
Zugegeben: Ich war beeindruckt von diesem repräsentativen Bau, der das Muldetal überragt. Warum fahren eigentlich die Leute extra ins Loiretal, um sich Schlösser anzuschauen, wo es hier doch jede Menge davon gibt? Sicher, sie sind nicht so pompös wie Chambord oder Chenonceau, aber stattlich sind sie allemal, und vor allem herrlich in eine tolle Landschaft eingebettet.
Das zeigt sich erneut auf den nächsten Kilometern: erst bei der stillgelegten Eisenbahnbrücke über die Mulde bei Lastrau und wenig später in Rochlitz:
Leider verhindert eine Straßensperrung die Auffahrt zum Rochlitzer Berg mit seinem Panorama über Fluß und Land. Aber schon über der nächsten Flußschleife thront das Kloster Wechselburg mit seiner Basilika und bietet adäquaten Ersatz für den entgangenen Rundblick.
Während ich die einsame Straße entlang cruise, befällt mich das Gefühl, vom Rest der Welt und ihren Beschwernissen weit, weit weg zu sein. Auch in der Brückengaststätte in Rochsburg, von der ich zum gleichnamigen Schloß hinaufschauen kann.
Glauchau ist der nächste größere Ort. Seine industrielle Tradition zeigt sich nicht zuletzt an den prachtvollen Fabrikantenvillen aus der Gründerzeit, an denen meine Strecke vorbeiführt. An die Geschichte erinnert aber auch – wer hätte das gedacht? – Schloß Forderglauchau.
Die weitere Strecke führt am VW-Werk in Mosel bei Zwickau vorbei, wo gerade – wegen eingebrochener Nachfrage – die Produktion von e-Autos gedrosselt wurde. Ein weiteres Beispiel für die wechselvolle Industriegeschichte dieser Region.
Sie tritt jedoch in den Hintergrund auf der weiteren lauschigen Strecke entlang der Mulde, bis sich am Straßenrand eine Unterkunft ganz besonderer Art auftut: Ein Lokhotel in einer V 180 Diesellok der Deutschen Reichsbahn. Das wäre mal eine Option für eine spätere Tour in dieser Gegend.
Die letzten Kilometer vor meinem Tagesziel Aue warten nicht nur mit einer wunderbaren, allmählich herbstbunten Strecke auf, sondern auch mit dem letzten Schloß des Tages: Burg Stein bei Hartenstein am Übergang über die Mulde.
Auf den Kamm des Erzgebirges
Das Erzgebirge scheint mich mit dichtem Nieselregen vertreiben zu wollen, aber vergebens. Genauso wie man sich bestimmte Dinge schön saufen kann, kann man sich eine Strecke, wenn sie es verdient, schön fahren. Mit einer guten Regenkombi angetan nehme ich die letzten 50 Kilometer bis zur Talsperre Muldenberg unter die Räder. Diese Schlußetappe hinein ins Vogtland Richtung Klingenthal gehört zum Kernbestand der herrlichen Erzgebirgsstrecken, die sich niemand entgehen lassen sollte. Vor allem gehört die Straße heute ganz allein mir, was in diesem beliebten Motorradrevier selten genug vorkommt. So schwinge ich mit einer wohltuenden Gelöstheit hinauf zum Stausee bei Muldenberg, wo nach 275 Kilometern der Fluß seinen Ursprung und meine Tour an der Zwickauer Mulde entlang ins Erzgebirge ihr Ende hat.
P.S.: Nicht verschweigen möchte ich jedoch, daß ich an diesem Tag trotz widriger Bedingungen noch knapp 200 km weiter bis ins Osterzgebirge gefahren bin – aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Fazit
Eine Tour an der Zwickauer Mulde entlang ins Erzgebirge ist wie ein reich gedecktes Büfett: Je nachdem, was und wieviel man sich dabei heraussucht, man findet immer das Richtige. Gleich, ob man einfach nur eine tolle Strecke fahren oder die Tour mit dem Genuß schöner Landschaft oder der Entdeckung von Sehenswürdigkeiten verbinden möchte – jeder kann sich dabei bestens bedient fühlen. Zu fahren ist sie nicht sonderlich schwer und vielleicht gerade deshalb eine Empfehlung an alle, die neu oder wieder in das Tourenfahren einsteigen wollen.
Streckenplan
Die zugehörige .gpx-Datei zum Nachfahren findest du hier.
Landkarten
ADAC-Regionalkarte 06 Berlin und Umgebung, Maßstab 1:150.000
ADAC-Regionalkarte 10 Dresden Chemnitz Erzgebirge, Maßstab 1:150.000
Touristische Informationen
https://www.schloesserland-sachsen.de/de/startseite/
Aktualisiert am 24/10/2023 von Christian
Phil
23. Oktober 2023 at 14:39
Hallo Christian,
vielen Dank für diesen wundervollen Reisebericht über meine alte Heimat.
Ich bin dort geboren, lebe allerdings schon 40 Jahre in Berlin.
Und jetzt hast Du meine Ehre als alter Glauchauer gekitzelt.
Das Schloss, welches das Foto zeigt, ist das Schloss Forderglauchau, richtig, mit F geschrieben.
Schloss Hinterglauchau ist der ältere (hintere) Bauteil, welcher über den Hof erreichbar ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Forderglauchau
Und auch mit dem Schloss in Trebsen bin ich verbunden. Dort habe ich die Prüfung zum „Restaurator im Maurerhandwerk“ im Jahr 2000 abgelegt. Ein Teil des roten Staffelgiebels, welcher auf dem Foto zu sehen ist, war mein Prüfungsstück. Hach, schön war die Zeit…
Die Linke Hand zum Gruß
Christian
24. Oktober 2023 at 10:15
Hallo Phil,
ich freue mich, heimatliche Erinnerungen in Dir geweckt zu haben. In Deiner alten Gegend habe ich mich sehr wohl gefühlt. Forderglauchau habe ich gerne korrigiert (vielen Dank für den Hinweis). Deine Arbeit in Trebsen weiß ich umso mehr zu schätzen, als ich förderndes Mitglied der Deutschen Stiftung Denkmalschutz bin.
Viele Grüße
Christian