Abnehmen beim Motorradfahren ist eine schöne Vorstellung. Mit entsprechender Disziplin geht das. Was steckt dahinter?
Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten
Kerzen, Kekse, Kalorien
Wenn im neuen Jahr der Weihnachtsbaum abgeräumt ist und der Blick auf die Badezimmerwaage fällt, kommt Manchem das Flimmern vor den Augen. Dann hat die Anzeige eine Größenordnung erreicht, die in etwa der PS-Zahl eines Mittelklassemotorrades entspricht. Die süßen Sünden der Winterpause haben unübersehbare Spuren hinterlassen. Bibendum mit seinen Bauchringen läßt herzlich grüßen.
Gute Vorsätze und eine Idee
Bei Vielen stellen sich dann die üblichen guten Vorsätze ein, um die zugelegten Pfunde baldmöglichst loszuwerden: Die saisontypischen Gewichtsreduktions-Sagas in den Zeitschriften werden ernst genommen, der häusliche Speiseplan wird revidiert. Mehr Sport wäre natürlich auch eine gute Option – aber bei anhaltendem Nieselwetter? Vielleicht ließe sich in den eigenen vier Wänden etwas arrangieren. Mal sehen.
Mit den guten Vorsätzen rücken auch rationale Argumente in den Vordergrund: Da quälen sich Entwicklungsingenieure in München und Mattighofen lange damit ab, um der Nockenwelle eines neuen Motorradmodells hundert Gramm abzuringen, während unsereiner lustvoll und unbesorgt zusätzliche Pfunde drauflegt. So läßt sich das Leistungsgewicht des Motorrades natürlich nicht verbessern.
Gäbe es deshalb nicht doch die angenehme Möglichkeit, mit unserem (ersten, zweiten, dritten …) Lieblingshobby Gewicht zu reduzieren? Ganz konkret: Könnte ich vielleicht abnehmen beim Motorradfahren?
Zu enge Klamotten
Der gute Vorsatz, endlich mit der Gewichtsreduktion Ernst zu machen, erfaßt uns spätestens im Frühjahr, wenn wir die Abdeckplane von der Maschine ziehen und wieder in den Sattel steigen: Wenn schon der Einschub des Smartphones in die Kombi-Innentasche ein beklemmendes Gefühl hervorruft; wenn der Hosenbund die teuer genährte Wampe gegen das Rückgrat drückt; und wenn im Sitzen die Hose an den Oberschenkeln klemmt und sich nur durch nachdrückliches Zupfen in eine halbwegs bequeme Stellung bringen läßt. Au weia, jetzt wird’s ernst!
Frühjahrskur auf dem Motorrad
Was also tun, um die überflüssigen Pfunde purzeln zu lassen? Zunächst: keine Panik! Du brauchst jetzt dich nicht gleich auf die Winter-Sonderangebote der Ausrüster zu stürzen. Gönne dir lieber eine Gnadenfrist bis zum Saisonschluß und mache Ernst mit deinen guten Vorsätzen. Also erst mal die übliche Frühjahrsdiät: FdH – es muß ja nicht gleich der halbe intake sein, aber deutlich weniger essen hilft schon mal. Und vor allem: halte gesunde Distanz zu verdächtigen Dickmachern.
Leider wirst du dein Gewichtsziel nur schwer erreichen können ohne aktive Mithilfe – Bewegung und Sport. Jeder weiß selbst, was bei ihm am besten anschlägt. Also nur zu.
Ich selbst habe eine Erfahrung gemacht, um die mich viele beneiden: Bei konzentriertem, aktivem Motorradfahren verliere ich spürbar Gewicht. Eine kurvenreiche Tagesstrecke mit allem Drum und Dran kostet mich in der Regel ein Kilo. Warum das so ist, weiß ich nicht genau. Aber selbst wenn ich hinterher das eine oder andere Deka zulege – bei genügend kulinarischer Disziplin bleibt das Gewichtsniveau verläßlich und dauerhaft unten. Warum ist das so?
Motorradfahren kostet mehr Kraft als du denkst.
Prima vista widerspricht die These vom Abnehmen beim Motorradfahren dem statistischen Prototyp des Motorradfahrers von Ende 50 mit Übergewicht. Ernährungsphysiologen rechnen jedoch aus, daß er bei seinem Hobby pro Stunde um die 180 Kalorien abbaut.
Wie kommt das? Vom Sattel aus bewegst du – je nach Motorradgattung – das satte Gewicht von drei bis vier Waschmaschinen. Hinzu kommt das Gewicht der Schutzbekleidung, des Gepäcks und ggf. auch der Sozia. Wer beim Motorradfahren über eine längere Strecke aufmerksam in sich hineinfühlt, wird spüren, wie viele Muskelgruppen diese Dynamik zu bewältigen haben: in Armen und Beinen, in der Hüfte, im Rücken; im gesamten Oberkörper, um die Maschine zu balancieren und sie auf der gewünschten Linie zu halten. Das alles kostet Energie; und selbst relativ kleine Bewegungen wie das Betätigen von Brems- und Kupplungshebeln summieren sich am Ende des Tages zu einer ansehnlichen Leistung.
Kraft und Energie kostet vor allem auch die Kopfhaltung: Bei einem ausgewachsenen Menschen wiegt der Kopf in senkrechter Haltung durchschnittlich 6 kg. Neigt er sich um nur 15 Grad nach vorne, erhöht sich die Belastung der Nackenmuskulatur soweit, als ob der Kopf ein Gewicht von 13 kg hätte. Je tiefer er nach vorne gesenkt ist (typische Fahrhaltung auf dem Supersportler), desto stärkere Kräfte wirken auf die Wirbelsäule ein. Desto mehr Energie muß also aufgewendet werden, um den Kopf in der jeweiligen Fahrhaltung zu stabilisieren. Das kostet Kraft und verzehrt Kalorien.
Fahrtwind und Gelände
Vergessen wir nicht die Aerodynamik: Schon flottes Landstraßentempo macht die Luftreibung zum stärksten Fahrwiderstand. Dieser vervielfacht sich mit steigendem Tempo, denn die Geschwindigkeit geht mit der vierfachen Potenz in die physikalische Berechnung des cw-Wertes ein. In der Praxis heißt das: Bei doppelt so hoher Geschwindigkeit wird der Luftwiderstand viermal so hoch. Und damit auch die Beanspruchung deiner Nackenmuskeln. Mit der Folge, daß dein Energieverbrauch steigt.
Wie die Motocrosser unter uns wissen, stellen Geländefahrten ganz besonderer Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit. Denn auf der Enduro wird vor allem die untere Körperhälfte ständig beansprucht: Die Beine müssen nicht nur das Motorrad dorthin zwingen, wo es hin soll; sie müssen auch das Körpergewicht anheben, um Geländewellen auszugleichen oder die Last zwischen vorn und hinten zu verlagern. Das kostet schon mal an die 400 Kalorien pro Stunde. Wenn es wirklich hart auf hart geht, z. B. bei einem Motocross-Rennen, kann der stündliche Kalorienverbrauch locker auf bis zu 600 Kalorien pro Stunde steigen. Kein Wunder, daß mancher Fahrer nach seiner „Tour“ ganz schön geschafft wieder an die Box kommt.
Fazit
Auch wenn wir es nicht immer so wahrnehmen: Motorradfahren erfordert permanenten Krafteinsatz über mehrere Stunden oder einen ganzen Tag. Deshalb kann der Fahrer, je nach seiner Konstitution und seiner Figur-Disziplin, auf Dauer schon einige Pfunde abnehmen. Am Ende der Tour fühlt man sich nicht nur gut. Ebenso gut ist das Wissen darum, daß eine knackige Ausfahrt mit dem Motorrad bisweilen das Fitnessstudio ersetzen kann. Und viel mehr Spaß macht es auch. Vorausgesetzt, die persönlichen Rahmenbedingungen stimmen.
Christines Anmerkungen:
Obige Erkenntnisse gelten meiner Erfahrung nach nur für den Fahrer. Als Sozia beanspruche ich beim Fahren hauptsächlich die Bauch- und Rückenmuskeln, kann mich aber zur Entspannung an der Rückenstütze anlehnen. Ich persönlich habe noch nie auf einer Tour auch nur ein Gramm abgenommen. Was habe ich nicht alles ausprobiert: aufrecht freihändig fahren, minimale Mahlzeiten unterwegs zu mir nehmen, eine mobile Sauna in der Kombi zu produzieren. Ich habe sogar versucht, meine Sitzfläche auf einem von der Sonne glühend heiß geladenen Sattel wie in einer Bratpfanne zu schmelzen – alles ohne Erfolg. Mein Rat ist deshalb, die Kombi rechtzeitig vor Fahrantritt anzuprobieren, das Futter und alles entbehrliche Innenleben auszubauen und eine paar Tage vorher auf die einem vertraute Diät zu gehen, um sich Platz zum Atmen zu schaffen. Oder in den sauren Apfel beißen, und sich eine größere Hose kaufen und notfalls das Größenetikett rauszuschneiden. Es geht um den persönlichen Fahrspaß, egal in welcher Größe. Da sollten wir uns keinem sozialen Zwang unterwerfen.
Titelbild:
„Grand Sumo Tournament Aichi Bashoo“ von hitthatswitch ist lizenziert unter CC BY-NC-SA 2.0
Aktualisiert am 23/03/2023 von Christian
Hans-Dieter
14. Juni 2022 at 08:25
Ist ja alles schön mit dem annehmen beim Motorrad fahren, kann sich funktionieren, wenn man dann nicht am Abend, nach der langen schweißtreibenden Ausfahrt sich mit 2-4 (Weizen-)Biere belohnt……
Christian
14. Juni 2022 at 09:56
… vielleicht noch mit einem Schweinsbraten dazu als flankierende Maßnahme. Da gebe ich Dir voll Recht. Andererseits: Ein alkoholfreies Weizen hat nur 53 – 70 kcal. Das geht schon. als isotonisches Getränk. Gute Fahrt mit gutem Leistungsgewicht. Christian
Dirk Korte
22. Juni 2022 at 12:01
Alleine durch die Vibrationen des Motors,steuert der Körper reflexartig dagegen um diese auszugleichen,das verbrennt eine menge Kalorien,ist so wie auf einem Power Plate.
Christian
26. Juni 2022 at 21:14
Hallo Dirk,
nach mehreren Tausend Kilometern, bei denen ich trotz ordentlicher Verpflegung mein Gewicht mühelos halten konnte, finde ich meine Aussage bestätigt. Vielleicht auch wegen der halben Tonne (Motorrad + Gepäck + Sozia), die ich täglich dabei bewegt habe. Wenn also die Waage mal zu spinnen anfängt, weiß ich, was ich zu tun habe.
Abgesehen von diesen Aspekten wünsche ich Dir auch sonst eine tolle Tourensaison,
Christian
Friedhelm
2. Juli 2022 at 14:39
Soweit finde ich den Artikel gut, aber auf einem Supersportler neigt man den Kopf nicht nach vorn sondern definitiv nach hinten. Das wird die Muskulatur aber genauso anstrengen.
Gruß Friedhelm
Christian
4. Juli 2022 at 16:15
Genau, wie auch immer die individuelle Kopfhaltung auf einem Supersportler ist – die Nackenmuskulatur wird doch stärker in Anspruch genommen als beim aufrechten Fahren. Gruß Christian
Hannah
28. April 2023 at 08:29
Vielen Dank für diesen informativen und lustigen Artikel. Habe mehrfach beim Lesen laut aufmachen müssen. Und mich leider ein paarmal wieder erkannt 😀
Christian
8. Mai 2023 at 21:21
Auch wenn das Thema ernst ist – man muß die Dinge immer von der heiteren Seite sehen. Ich freue mich, daß Du Spaß bei der Lektüre gehabt hast – und hoffentlich auch noch weiterhin haben wirst.
Viele Grüße
Christian